ZDF-Magazin Frontal zerstört Legende vom libyschen Staatsterrorismus

Das ZDF-Magazin Frontal hat am 25. August enge Kontakte zwischen den mutmaßlichen Urhebern des Anschlags auf die Berliner Diskothek "La Belle" im Jahr 1986 und dem amerikanischen und israelischen Geheimdienst aufgedeckt. Der Anschlag auf die Diskothek, einen beliebten Freizeittreff amerikanischer Soldaten, diente der US-Regierung damals als Vorwand für einen Luftangriff auf Libyen. Das wirft wichtige Fragen hinsichtlich der Bombenanschläge auf, die vor drei Wochen die US-Botschaften in Kenia und Tansania zerstört haben. Auch sie dienten der US-Regierung als Begründung für einseitige militärische Schläge, diesmal gegen Ziele im Sudan und in Afghanistan.

Am 15. April 1986 bombardierten amerikanische Flugzeuge die libyschen Städte Tripolis und Bengasi, zerstörten ein Wohnhaus des libyschen Revolutionsführers Gaddafi und töteten mindestens dreißig Zivilisten, darunter viele Kinder. Gaddafi selbst, Hauptziel des Anschlags, blieb unverletzt. Zwei Stunden später rechtfertigte der damalige amerikanische Präsident Ronald Reagan diesen beispiellosen Angriff auf ein souveränes Land und seinen Staatschef in einer Fernsehansprache. Die USA, behauptete er, besäßen "direkte, präzise und unwiderlegbare Beweise", daß Libyen für den Anschlag auf die Diskothek "La Belle" verantwortlich sei, bei der drei Personen getötet und 200 verwundet worden waren.

Seit vergangenem November bemüht sich das Berliner Landgericht, die damaligen Ereignisse aufzuklären. Es verhandelt gegen fünf Angeklagte wegen Beteiligung am "La Belle"-Anschlag. Aber in über einem halben Jahr ist es nicht sehr weit gekommen. Der Bericht des ZDF-Magazins Frontal, das eigene Recherchen angestellt hat, erklärt weshalb.

Frontal gelangt zu folgenden Schlußfolgerungen:

1) Der Hauptangeklagte im gegenwärtigen Prozeß, Yasser Chraidi, wurde von deutschen und amerikanischen Geheimdiensten zum Sündenbock aufgebaut und ist vermutlich unschuldig.

2) Mindestens ein Angeklagter, Musbah Eter, war jahrelang Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdiensts CIA.

3) Gegen einige der Hauptverdächtigen ist keine Anklage erhoben worden, weil sie von westlichen Geheimdiensten geschützt werden.

4) Mindestens einer von diesen hat für den israelischen Geheimdienst Mossad gearbeitet.

Der 38jährige Yasser Chraidi, als Drahtzieher und Organisator angeklagt, war zur Zeit des Anschlags Fahrer der libyschen Botschaft in Ostberlin. Später zog er in den Libanon, von wo er im Mai 1996 nach Deutschland ausgeliefert wurde.

Frontal interviewte die beiden Libanesen, die für die Auslieferung zuständig waren: Ex-Generalstaatsanwalt Mounif Oueidat und seinen Stellvertreter Mrad Azoury. Beide erklärten, daß sie von den deutschen Behörden hinters Licht geführt und getäuscht worden seien.

Laut Azoury gab es keine Verdachtsmomente für die Täterschaft Chraidis, "lediglich Hinweise". Oueidat sagte, daß die Deutschen sehr an der Auslieferung interessiert gewesen seien. "Die Amerikaner standen hinter diese Auslieferungsforderung," sagte er. "Es war völlig klar. Die Amerikaner haben die Deutschen angespitzt, diese Auslieferung zu forcieren."

Schließlich wurde Chraidi in einer spektakulären Sicherheitsoperation als "Superterrorist" nach Deutschland geflogen. Aber die Beweislage war derart dünn, daß ein Berliner Richter vier Monate später drohte, ihn innerhalb von drei Wochen freizulassen, wenn die Staatsanwaltschaft keine fundierteren Beweise liefere.

Zu diesem Zeitpunkt wurde ein weiterer Mann ins Spiel gebracht, der, so Frontal, "bisher offenbar von der Staatsanwaltschaft geschützt werden sollte". Am 9. September 1996, am selben Tag an dem der Berliner Richter drohte, Chraidi auf freien Fuß zu setzen, trafen sich der Berliner Staatsanwalt Detlev Mehlis, Kriminalhauptkommissar Uwe Wilhelms vom LKA Berlin und der BND-Agent Winterstein auf der Mittelmeerinsel Malta mit Musbah Eter. Das Treffen war vom BND vorbereitet worden, der enge Kontakte zu seinem amerikanischen Gegenstück, der CIA, unterhält.

Musbah Eter führte in Malta eine internationale Firma, die laut Frontal als Deckmantel für ausgedehnte Geheimdienstoperationen für die CIA diente. Die deutsche Justiz suchte Eter wegen Mordes. Aber bei dem Treffen in Malta wurde ein Deal vereinbart: "Straffreiheit für Eter, wenn er Chraidi wegen ,La Belle' belastet." Am nächsten Tag ging Eter in die deutsche Botschaft und sagte aus. Im Gegenzug wurde der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben und er durfte nach Deutschland einreisen.

Nach Ansicht von Frontal ist Eter "die Schlüsselfigur im ,La Belle'-Prozeß". Zur Zeit des Anschlags arbeitete er für die libysche Botschaft in Ostberlin. Er stattete aber regelmäßig der amerikanischen Botschaft Besuche ab. Laut Christian Ströbele, dem Anwalt Chraidis, wird diese ungewöhnliche Tatsache durch ausführliche Dokumente der Stasi belegt, die Eter überwachte.

Es gibt viele Hinweise, daß Eter aktiv am "La Belle"-Anschlag beteiligt war. Vernehmungsprotokolle, die Frontal einsehen konnte, lassen präzises Täterwissen erkennen. Und er brachte, laut eigener Aussage, die Bedienungsanleitung für die Bombe in die Wohnung eines Mitangeklagten.

Frontal zufolge gibt es neben den in Berlin Angeklagten noch weitere Hintermänner des Anschlags, die vom Staatsanwalt weitgehend ungeschoren im sicheren Ausland leben. Es handelt sich um eine Gruppe professioneller Terroristen, die für alle und jeden arbeiten, geführt von einem gewissen Mahmoud Abu Jaber.

In den Monaten vor dem Anschlag hielten sich Mitglieder diese Gruppe in Ostberlin auf und trafen sich fast täglich mit den heutigen Angeklagten. Unmittelbar vor dem Anschlag überquerten sie die Grenze nach Westberlin, wo die Bombe hochging. Ihre Bewegungen wurden von der Stasi und vom KGB überwacht, die zum Schluß kamen, daß sie für westliche Dienste arbeiteten.

Der russische KGB gelangte in einem von Frontal zitierten Dokument zum Schluß, daß die amerikanische Abwehr den Agenten Mahmoud benutzten wollte, um eine Beteiligung libyscher Terroristen am Anschlag zu fabrizieren. Aus dem KGB-Dokument geht auch hervor, daß Mahmoud den Westberliner Geheimdienst zwei Tage vor dem Anschlag gewarnt hatte.

Frontal verfolgte die Spuren von Mohammed Amairi, der rechten Hand von Mahmoud Abu Jaber, der laut der vorliegenden Dokumente besonders intensiv in die Vorbereitungshandlung zum "La Belle"-Anschlag verstrickt war.

Amairi hatte Deutschland verlassen und war nach Norwegen gezogen, nachdem 1990 ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt worden war. Er lebt jetzt in der norwegischen Stadt Bergen, wo ihn Frontal aufspürte und interviewte. Er brach das Interview ab, als er gefragt wurde, für welchen Geheimdienst er gearbeitet habe. Sein Anwalt, Odd Drevland, berichtete schließlich dem Fernsehteam, was los war.

Als Amairi in Norwegen eintraf, wurde er verhaftet und von der Presse in Titelblatt-Schlagzeilen als "Gefahr für das Land" denunziert. Doch dann wurde er vom israelischen Geheimdienst Mossad betreut und "alles änderte sich". "War Amairi Mossad Agent?" fragte Frontal. "Er war ein Mossad-Mann", antwortete Drevland. Inzwischen hat Norwegen Amairi Asyl gewährt und bald wird er auch die Staatsbürgerschaft erhalten. Der Berliner Staatsanwalt hat den Haftbefehl gegen ihn aufgehoben.

"Diese geheimdienstlichen Verwicklungen sind für das Berliner Gericht eine fast unlösbare Aufgabe," schloß der Bericht von Frontal. "Fest steht jedoch: Die amerikanische Legende vom libyschen Staatsterrorismus ist nicht mehr haltbar."

Es gibt auffallende Parallelen zwischen dem Luftangriff auf Libyen von 1986 und den jüngsten Raketenangriffen auf Ziele im Sudan und Afghanistan. Erneut behauptet Washington, es habe "Beweise", die sein gewaltsames Vorgehen rechtfertigten. Aber der Bericht von Frontal zeigt, daß man solchen Behauptungen nicht trauen kann. Zwölf Jahre nach der Bombardierung Libyens erweisen sich Reagans "unwiderlegbaren Beweise" als alles andere als unwiderlegbar. Statt dessen gibt es deutliche Hinweise, daß der "La Belle"-Anschlag eine sorgfältig vorbereitete Provokation war.

Es mag viele schockieren, aber die westlichen Geheimdienste schrecken vor skrupellosen und blutigen Methoden nicht zurück, selbst wenn davon eigene Landsleute betroffen werden. Untersucht man die jüngsten Bombenanschläge in Afrika ernsthaft, kann man die Möglichkeit einer Provokation, die direkt oder indirekt von US-Diensten organisiert wurde, nicht von vornherein ausschließen.

Fest steht, daß die Angriffe auf die amerikanischen Botschaften mit ihren schrecklich zugerichteten - größtenteils afrikanischen - Opfern den willkommenen Anlaß boten, um eine seit langem angestrebte Richtungsänderung der amerikanischen Außenpolitik durchzusetzen - die Durchführung einseitiger Militärschläge ohne Rücksicht auf Verbündete und internationale Organisationen - und öffentliche Unterstützung dafür zu mobilisieren.

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