Großbritanniens Reiche werden immer reicher

47.300 Millionäre - Tendenz steigend

"Der addierte Reichtum der obersten Tausend in der diesjährigen Liste der Reichen in der Sunday Times betrug Anfang Januar beinahe 115 Milliarden Pfund Sterling, über sechs Milliarden Pfund mehr als vor einem Jahr. Aber seit Januar hat die Börse nochmals einen solchen Aufschwung genommen, daß man heute wahrscheinlich weitere zehn Milliarden Pfund hinzuzählen müßte." - Sunday Times, 11. März 1999.

Großbritanniens reichster Mann ist Hans Rausing, ein in Großbritannien lebender schwedischer Industrieller mit einem persönlichen Besitz von 3,4 Milliarden Pfund. Er verweist Lord Sainsbury, Labour-Lord und Mitglied der Regierung, auf den zweiten Platz. Beide sind im traditionellen Einzelhandel groß geworden. Aber die Sunday Times betont, daß es heute für die Zunahme der Supperreichen eher typisch sei, daß aus Millionäre dem High-Tech-Bereich aufsteigen.

96 Multimillionäre, fast ein Zehntel der gesamten Liste, haben ihr Vermögen mit Computern, Telekommunikation, Mobilfunk und dem Internet gemacht. 1989, als die Liste der Superreichen zum erstenmal erstellt wurde, gab es weniger als zehn solcher High-Tech-Tycoons. Dieses Jahr gibt es alleine zehn Internet-Multimillionäre, an ihrer Spitze Paul Sykes mit einem persönlichen Vermögen von 400 Millionen Pfund. Auf der Liste der Internet-Millionäre stehen auch Christine und Isabel Maxwell, die ihr 100 Millionen Pfund schwere McKinley-Gruppe mit dem Vermögen ihres Vaters aufgebaut haben, des in Ungnade gefallenen und inzwischen verstorbenen Pro-Labour-Verlegers Robert Maxwell.

Die Schwestern bauten ein Internet-Informationsunternehmen auf und verkauften es dann 1996 an Excite. Sie erhielten dafür Aktien im Wert von 4,4 Millionen Pfund. Mitte 1998 waren diese Aktien schon fünfzig Millionen Pfund wert, und als Excite im Januar übernommen wurde, stieg ihr Wert auf hundert Millionen Pfund.

Ein weiteres Beispiel für den Anstieg der Internet-Aktienpreise liefert Christopher Sharples, dessen letztes Jahr gekaufte 2,1 Millionen Pfund schwere Aktien der American Digital River Internet Company jetzt sechzig Millionen Pfund wert sind. Viele der High-Tech-Millionäre zählen noch keine vierzig Lenze.

Über siebzig Prozent auf dieser Liste der tausend Reichsten haben ihr Vermögen selbst gemacht, was die Auswirkungen dieser neuen Industrie und des Dienstleistungssektors sowie der massiven Inflation der Börsenkurse auf die Verteilung des Reichtums zeigt. Es gibt 48 Neuzugänge, die über fünfzig Millionen Pfund, und 137, die zwischen 21 Millionen 49 Millionen liegen. Die Sunday Times zitiert Marc Dixon, der sein persönliches Vermögen in weniger als einem Jahr durch die kurzfristige Vermietung von Dienstleistungsbüros an Blue-Chip-Kunden [aufstrebende junge Geschäftsleute] um 450 Millionen Pfund auf 650 Millionen Pfund steigern konnte. Laut Sunday Times weisen Untersuchungen des Markt-Analysten Data Monitor nach, daß die Zahl der jungen Self-Made-Unternehmer seit 1992 jährlich um fünfzig Prozent zugenommen habe. Auch Finanzmakler aus der City spielen eine wesentliche Rolle.

Dagegen ist der ererbte Reichtum zum erstenmal unter dreißig Prozent gefallen. Nur 291 der obersten Tausend fallen unter diese Kategorie, verglichen mit 57 Prozent im Jahre 1989. Zu den Superreichen zu gehören wird immer schwieriger. Der Reichtum konzentriert sich immer mehr an der Spitze der Gesellschaft. 1989 besaß der zweihundertste auf der Liste dreißig Millionen Pfund. Heute erfordert der Eintritt in die obersten Zweihundert 120 Millionen Pfund, eine Steigerung um vierhundert Prozent in einem Jahrzehnt.

Diejenigen, denen der Aufstieg in die höheren Gefilde für das nächste Jahr vorausgesagt wird, bestätigen diesen Trend. Die Sunday Times erwartet, daß "dreißig Partner von Goldman Sachs, der amerikanischen Investment-Bank, zu den beiden aufschließen werden, die es schon geschafft haben. Außerdem werden es Dutzende von Internet-Millionäre schaffen." Die Zeitung beklagt das Schicksal der britischen Vorstandsvorsitzenden, von denen nur wenige die Schwelle von 25 Millionen Pfund überschreiten werden, die nächstes Jahr wahrscheinlich für die Aufnahme in die Liste erforderlich sein werden.

Der Observer hat versucht, der Sunday Times mit einer Liste der britischen "jungen Reichen unter dreißig" die Schau zu stehlen. Er weist auf die "Explosion" der Zahl von Millionären in Großbritannien hin, die von 6.600 vor sechs Jahren auf etwa 47.300 geklettert ist.

Auch hier wieder haben die meisten der jungen britischen Unternehmer ihr Geld in Internet-Diensten, Telekommunikation und Computern gemacht. Nur zwei der zehn reichsten Jungunternehmer kommen von außerhalb der Computer- und Internet-Industrie. Diese Liste weist natürlich mehr Sport- und Popstars und Entertainer auf, aber die Reichsten unter den Jungen haben ihren Reichtum geerbt. Die Untersuchung des Observer weist für Großbritannien neunzig Multimillionäre unter dreißig aus. Die Zeitung vergleicht die 24 Millionen Pfund, die Victoria Adams von "Posh Spice" verdient hat, und die 27 Millionen Pfund des Computer-Händlers Tahir Mohsan, der die Time-Computer-Systems leitet, mit dem 2,2 Milliarden Pfund Vermögen von Arthur Rory Edward Guinness, dem 28-jährigen Earl of Iveagh. Der Earl of Burlington, dreißig Jahre, führt mit voraussichtlich 57 Millionen Pfund die Liste derjenigen an, die noch erben werden. Ihm folgt der 28-jährige Nathaniel Rothschild, der 500 Millionen Pfund erben wird.

Auch wenn es eine ganze Menge Self-Made-Men und -Women gibt, ist es doch immer noch hilfreich, mit einem goldenen Löffel im Mund geboren zu werden. Im Unterschied zur Sunday Times begnügt sich die Untersuchung des Observer nicht mit dem Blick unverhüllter Bewunderung ins Gesicht der Superreichen. Es heißt dort: "Das Ergebnis von 18 Jahren Thatcherismus und zwei Jahren Blair ist das Wachstum der Neureichen, das zusammen mit dem alten Geldadel zum größten Ungleichgewicht zwischen Reich und Arm in der modernen Zeit geführt hat. Es gibt heute mehr immer reichere Leute als jemals zuvor, die weniger Erbschaftssteuer als jemals zuvor bezahlen, und wenn dieser Trend sich fortsetzt, wird es in Großbritannien im Jahre 2002 nahezu 150.000 Millionäre geben."

Wichtigste Quelle dieses Reichtums ist der Anstieg der Börsenkurse. Dazu kommen die Zunahme von Aktien-Optionsplänen und großzügige Pensionsregelungen für Top-Manager. Diesen werden oftmals Aktien-Optionen gewährt, die sie "daran interessiert machen, ihre Firma so zu führen, daß die Aktienpreise sich auf höchst-möglichem Niveau bewegen. Sie führen leichter Hand Entlassungen durch und schließen rücksichtslos verlustbringende Teile der Firma, weil das Ergebnis größeren Reichtum für sie selbst und die Aktionäre verheißt."

Der Observer geht auch auf die Auswirkungen der enormen Verlagerung von Reichtum auf eine solide Schicht der oberen Mittelklasse ein, die zu Millionären geworden sind, "allein wegen der Pensionsregelungen ihrer Firma. Weil die Börsenkurse sich in den letzten zwanzig Jahren wieder und wieder verdoppelt haben, kann man davon ausgehen, daß jemand, der 100.000 Pfund im Jahr verdient und an einem Firmenpensionsfond beteiligt ist, bei seiner Pensionierung eine Million besitzt oder doch beinahe."

Auch für die unter Dreißigjährigen "ist die Börse ein wichtiges Sprungbrett geworden, um Millionär zu werden... Unsere Unternehmer haben eine gute Geschäftsidee gehabt, haben sie mit Engagement nach außen vertreten, und es hat ihnen ebenso viel Spaß gemacht, eine Firma mit aufzubauen, wie reich zu werden; aber ohne eine boomende Börse und ohne den Handel mit Aktien hätten sie niemals Millionäre werden können. Alle sind sich akut darüber bewußt, daß der Wert ihrer Firmen auf der aktuellen Börsennotierung beruht, und daß ein weiterer Schlüssel für ihren letztendlichen Erfolg darin bestehen wird, zur rechten Zeit zu verkaufen. Verkauft man zu früh, verdient jemand anderes daran, verkauft man zu spät, wird es nichts mehr zu verkaufen geben."

Daraus ergibt sich eine Situation tiefer wirtschaftlicher Instabilität. Der Observer zitiert einen Unternehmer mit den Worten, daß der Wert seiner Firma "genau dem entspricht, was jemand bereit ist, dafür zu bezahlen". Es gibt aber keine tiefere Untersuchung, was diese Prozesse für die ganze Gesellschaft bedeuten. Auch unternimmt keine der beiden Zeitungen den mindesten Versuch, die grundlegenden Auswirkungen dieser enormen Anhäufung von Reichtum inmitten grassierenden sozialen Elends für die Mehrheit zu untersuchen. Jeder Aspekt der Gesellschaft wird durch diese Veränderungen durcheinandergewirbelt.

Auch auf die herrschende Klasse selbst haben sie tiefgreifende Auswirkungen. Die grauen Eminenzen der Bourgeoisie haben bei wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Fragen nicht mehr das Sagen. Eine neue Schicht hat das Ruder übernommen, die nicht mehr von grundlegenden Überlegungen der Innen- und Außenpolitik, sondern beinahe ausschließlich von den jüngsten Börsenschwankungen dominiert wird. Auf der Jagd nach immer höheren Renditen ihrer Investitionen fordern sie den systematischen Abbau des Sozialstaats, der in der ganzen Nachkriegsperiode das Fundament des gesellschaftlichen Konsensus darstellte. Dabei schwächen sie Institutionen, mittels derer die herrschende Klasse lange Zeit ihre politische Kontrolle ausübte.

Der grundlegendste Ausdruck davon ist die Verwandlung der Labour Party und der Gewerkschaften in Verfechter des Freien Marktes. Blairs Partei ist zum bevorzugten politischen Instrument des Finanzkapitals umgemodelt worden und hat dafür ihr altes Programm der Sozialreform und ihre Verankerung in der Arbeiterklasse aufgegeben. Sie stützt sich jetzt fast ausschließlich auf die dünne Schicht der oberen Mittelklasse, die wie der Observer feststellt, ihren persönlichen Reichtum als Ergebnis des Börsenbooms enorm steigern konnte.

Die Millionäre Blair - Tony und Cherie - sind das Paradebeispiel dieses erlesenen Milieus. Sie haben nichts mehr mit dem Leben der breiten Masse der Bevölkerung zu tun und setzen sich rücksichtslos für die Interessen des großen Kapitals ein. Das geht zusammen mit einer erstaunlichen politischen Ignoranz, Arroganz und Gleichgültigkeit gegenüber den sozialen Folgen ihrer Politik, sei es in Hinblick auf den Abbau des Sozialstaats, sei es in Bezug auf den ersten großen Krieg, der in Europa seit 1945 vom Zaun gebrochen wurde.

Währenddessen werden auf dem Grund der Gesellschaft Millionen in offene Armut geworfen, während weitere Millionen, die noch Arbeit haben und zum Teil sogar Angestellte sind, mit wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit rechnen müssen. Auf der Basis aufgeblähter Aktienpreise war es möglich, ein gewisses Maß an Stabilität zu erhalten. Aber die sozialen Gegensätze haben ein akutes Ausmaß erreicht.

Und gerade wegen der Ausweitung des Aktienbesitzes und dem Anschwellen privater Renten- und Krankenversicherungen hätte ein größerer Rückschlag von der Börse Auswirkungen, die weit über den Krach an der Wall Street von 1929 hinaus gehen würden. Trotz des scheinbaren Siegeszugs des Marktes, der jedes Jahr von der Sunday Times gefeiert wird, waren die Grundlagen des Profitsystems selten in schlechterem Zustand als heute.

Siehe auch:
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