Die Finanzaffären Helmut Kohls

Was dahintersteckt und wozu sie dienen

Ein gutes Jahr nach seiner Abwahl ist der langjährige Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Helmut Kohl ins Zentrum eines Finanzskandals gerückt.

Wie Kohl am Dienstag auf einer Pressekonferenz selbst zugab, verfügte er als Vorsitzender der CDU über schwarze Konten, aus denen er einzelnen Vertretern und Gliederungen der Partei unter Umgehung der zuständigen Gremien und der geltenden Gesetze nach eigenem Ermessen hohe Summen zukommen ließ. Kohl sah sich zu diesem Eingeständnis gezwungen, nachdem die CDU durch immer neue pikante Enthüllungen über ihre Finanzpraktiken unter erheblichen Druck geraten war.

In einer kurzen Erklärung sagte Kohl, er bedauere, "wenn die Folge dieses Vorgehens mangelnde Transparenz und Kontrolle sowie möglicherweise Verstöße gegen die Bestimmungen des Parteiengesetzes sein sollte." Er übernehme persönlich die politische Verantwortung für hierbei in seiner Amtszeit entstandene Fehler.

Über die Höhe der von ihm verteilten Gelder machte Kohl keine konkreten Angaben. Ebenso wenig über ihre Herkunft und ihre Zweckbestimmung. Hier liegt aber der eigentliche Sprengstoff begraben. Vieles deutet darauf hin, dass die Gelder aus Wirtschaftskreisen stammen, die dafür konkrete Gegenleistungen erwarteten und erhielten.

Der Fall, der die ganze Affäre ins Rollen brachte, ist in dieser Hinsicht recht eindeutig. Es geht um den Verkauf von 36 Fuchs-Panzern des Thyssen-Konzerns an Saudi-Arabien im Jahr 1991. Von einem Gesamtpreis von 446 Millionen Mark wurde damals fast die Hälfte, 220 Millionen Mark, für Provisionen und Schmiergelder aufgewendet, die in diverse dunkle Kanäle flossen.

Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelt in dieser Sache seit viereinhalb Jahren. Gegen einen der Hauptbeteiligten, den Waffenhändler Karlheinz Schreiber, läuft zur Zeit in Kanada ein Auslieferungsverfahren. Ein zweiter, der damalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Ludwig-Holger Pfahls, wird mit Haftbefehl gesucht und ist in Ostasien untergetaucht.

Mindestens eine Million aus dem Waffendeal, das steht inzwischen so gut wie fest, landete auf den Konten der CDU. Sie wurde im August 1991 auf dem Parkplatz eines Schweizer Supermarktes nahe der deutschen Grenze von Waffenhändler Schreiber in bar an den damaligen CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep und den Kohl-Vertrauten Horst Weyrauch übergeben, der sie auf ein geheimes Konto einzahlte. Weyrauch hat nach Kohls eigener Aussage sämtliche Sonderkonten verwaltet, über die er als Parteivorsitzender verfügte.

Da das Panzergeschäft in doppelter Hinsicht von der Zustimmung der Regierung abhängig war - der Bundessicherheitsrat musste die Lieferung in eine Konfliktregion genehmigen, obwohl das nach den geltenden Richtlinien nicht zulässig war, und die Bundeswehr musste vorübergehend eigene Panzer zur Verfügung stellen, weil sonst der Liefertermin nicht hätte eingehalten werden können -, drängt sich der Verdacht geradezu auf, dass hier eine Entscheidung erkauft wurde.

Es gibt enge personelle Verflechtungen zwischen dem Panzergeschäft und einer weiteren Affäre, in der französische Staatsanwälte seit Jahren ermitteln: Der Übernahme der Leuna-Raffinerie und des ostdeutschen Minol-Tankstellennetzes durch den französischen Konzern Elf-Aquitaine. Hier sollen bis zu elf Millionen Mark Schmiergelder in CDU-Kassen geflossen sein.

Kohl hat sich in seiner Erklärung vom Dienstag ausdrücklich gegen den Vorwurf der Käuflichkeit verwahrt, der schwere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würde. Während er die Möglichkeit einer - strafrechtlich nicht relevanten - Verletzung des Parteiengesetzes einräumte, betonte er: "Nachdrücklich weise ich jeden Vorwurf - in welcher Form auch immer -, von mir getroffene politische Entscheidungen seien käuflich gewesen, mit aller Entschiedenheit zurück." Schon letzte Woche hatte er sich im Bundestag erregt zu Wort gemeldet, als Sprecher der SPD entsprechende Andeutungen machten. Parteifreunde waren damals über sein unkontrolliertes Auftreten entsetzt, nährte es doch den Verdacht, dass er tatsächlich etwas zu verbergen habe.

Doch selbst wenn sich der Verdacht der Bestechlichkeit nicht bestätigen sollte oder nicht bewiesen werden kann, wirft Kohls Aussage ein bezeichnendes Licht auf die CDU. Statt politischer Diskussion hat byzantinische Günstlingswirtschaft das innere Leben der Partei geprägt. Kohl hat mit Hilfe des finanziellen Füllhorns entschieden, welcher politische Flügel gestärkt und welcher geschwächt wird, ohne dass dies in der Partei oder gar in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden konnte.

Die Schlüsselfigur des großen Spendenskandals der achtziger Jahre, der Flick-Bevollmächtigte Eberhard von Brauchitsch, hat für derartige Praktiken den Begriff "besondere Pflege der Bonner Landschaft" geprägt. Direkte Bestechung im strafrechtlichen Sinne ist dabei nicht nötig. Der ständige Fluss von Geldern aus der Wirtschaft sorgt auch so dafür, dass keine Entscheidungen gegen deren Interessen getroffen werden. Der Flickkonzern habe lediglich "Schutzgelder bezahlt, um sich vor Repressionen in Form wirtschaftsfeindlicher Politik zu schützen", rechtfertigt von Brauchitsch diese Praxis in einem jüngst veröffentlichten Buch.

Er beschreibt darin auch anschaulich, wie Kohls langjährige Sekretärin Juliane Weber Umschläge mit Bargeld bei ihm abzuholen pflegte: "Er [Helmut Kohl] hat mich gelegentlich angerufen und gesagt: ‚Juliane kommt.‘ Frau Weber erklärte mir dann, dass in diesem oder jenen Landesverband dieser oder jener Vertrauensmann Kohls unterstützt werden müsse. Frau Weber wartete zehn Minuten, während ich bei Diehl [Flicks Buchhalter] das Geld anforderte."

Kohls "Beichte" macht deutlich, dass solche Praktiken auch nach dem Flick-Skandal anhielten, obwohl damals mehrere Parteifunktionäre zu hohen Geldstrafen verurteilt und die einschlägigen Gesetze verschärft worden waren.

Die gegenwärtige Führung der CDU versucht verzweifelt, sich aus dem Skandal heraus zu halten. Kohls Bereitschaft, die volle Verantwortung zu übernehmen, ist nicht zuletzt auf ihren Druck zurückzuführen. Doch die Behauptungen von Wolfgang Schäuble, Angela Merkel und Volker Rühe, sie hätten von allem nichts gewusst, sind wenig glaubwürdig. Sie alle haben unter Kohls schützender Hand die Karriereleiter erklommen. Wussten sie wirklich von nichts, dann zeugt das von einer politischen Naivität und Blindheit, die sie kaum für ein höheres Amt qualifiziert. Wussten sie dagegen Beschied, drohen sie mit in den Strudel der Affäre gezogen zu werden.

Auch finanziell ist die Affäre für die CDU noch lange nicht ausgestanden. Das Parteiengesetz schreibt vor, dass alle Spenden über 20.000 Mark im Jahr im Rechenschaftsbericht namentlich ausgewiesen werden müssen. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift oder das Verschleiern von Spenden zieht schmerzhafte finanzielle Sanktionen nach sich. Für die CDU könnten Rückzahlungen an die staatliche Parteienfinanzierung in zweistelliger Millionenhöhe fällig werden.

Warum jetzt?

Politische Skandale brechen selten rein zufällig auf. Die Vorwürfe gegen die CDU wiegen zwar weit schwerer, als jene, die im vergangenen Jahr in den USA gegen Bill Clinton erhoben wurden; dort hatte eine Verschwörung ultrarechter Gegner sexuelle Verfehlungen rein privater Natur benutzt, um ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten anzustrengen. Trotzdem muss man sich fragen, warum Enthüllungen über Korruptionsskandale gerade jetzt seit Wochen die deutschen Schlagzeilen beherrschen.

So neu, wie viele Kommentatoren dies darstellen, sind die Vorwürfe gegen Kohl nicht. Dass er seine unangefochtene Stellung innerhalb der CDU einem ausgeklügelten System der Günstlingswirtschaft verdankte, ist oft kommentiert und beschrieben worden, und dass dabei auch Geld eine Rolle spielte, war zumindest in Ansätzen bekannt.

Auch vor der SPD machen die Korruptionsjäger nicht halt. Erst letzte Woche musste der niedersächsische Ministerpräsident Glogowski zurücktreten, weil er sich seine Hochzeitsfeier und Urlaubsreisen von Firmen hatte sponsern lassen - Verfehlungen, von denen unter anderen Umständen kaum jemand Notiz genommen hätte.

Die Vermutung liegt daher nahe, dass hier nicht einfach politische Skandale ans Licht kommen, sondern dass mit Hilfe von Skandalen Politik gemacht wird.

Vor allem die italienische Erfahrung muss in dieser Hinsicht nachdenklich stimmen. Dort wurde zu Beginn der neunziger Jahren unter dem Schlagwort "Saubere Hände" ein wahrer Feldzug gegen Korruption und Vetternwirtschaft eröffnet. Politiker und Wirtschaftsleute wanderten reihenweise vor den Untersuchungsrichter, ins Gefängnis oder ins Exil. Etablierte Parteien verschwanden von der Bildfläche. Die Öffentlichkeit verfolgte die Kampagne mit großer Sympathie, weil sie sich davon mehr Mitsprache und Einfluss auf das politische Leben versprach.

Doch nach zehn Jahren sieht das Ergebnis ganz anders aus: Die Masse der Bevölkerung hat ebenso wenig politischen Einfluss wie zuvor, aber die sozialen Sicherungssysteme, die einen wichtigen Bestandteil des alten Systems bildeten, sind verschwunden. "Saubere Hände" wurde benutzt, um die politischen Strukturen zu sprengen, die der Eingliederung Italiens in die globale Wirtschaft im Wege standen.

In einem ähnlichen Zusammenhang stehen die gegenwärtigen Angriffe auf das "System Kohl". Es ist Bestandteil eines komplexen Systems des sozialen Ausgleichs, das in der Nachkriegsperiode den Erfolg des "Modells Deutschland" ausmachte und den herrschenden Kreisen jahrelang hervorragende Dienste geleistet hat.

Zentrale Achse dieses Systems war die Sozialpartnerschaft - die Zusammenarbeit von Wirtschaft, Gewerkschaften und Regierung. Es setzte sich fort bis in die feinsten Verästelungen von Wirtschaft und Politik. Die enge Verzahnung von Banken, Unternehmen und Gewerkschaften in den mitbestimmten Aufsichtsräten gehörte ebenso dazu, wie die Versöhnung der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Interessen im Rahmen der sogenannten "Volksparteien".

Kohl thronte als eine Art Bonaparte über einer Partei, die völlig verschiedene soziale Gruppen unter einem Dach vereinte: Banker, Industrielle, Mittelständler, Handwerker, Bauern, Winzer, Beamte, Angestellte und sogar Arbeiter. Seine politische Kunst bestand darin, die widerstrebenden Interessen durch ein dichtes Geflecht von Abhängigkeiten, Beziehungen und Gefälligkeiten gegeneinander auszutarieren. Die dezente Verteilung von Geldern war nur ein Mittel zu diesem Zweck.

Diese Form des Interessenausgleichs, die alle Bereiche der Gesellschaft durchdrang, verträgt sich nicht mit den Anforderungen der globalen Wirtschaft. Führende Wirtschaftskreise hatten deshalb schon im vergangenen Jahr den SPD-Kandidaten Schröder gegen Kohl unterstützt. Sie trauten der in sechzehnjähriger Regierungstätigkeit erstarrten Union keine großen Veränderungen mehr zu, während ihnen Schröder unter dem Schlagwort der "Modernisierung" ein Aufbrechen der verkrusteten Strukturen versprach.

Doch Schröder erwies sich als herbe Enttäuschung. Gefangen in den Widersprüchen der eigenen Partei, waren seine ersten Regierungsmonate von Konfusion und Unentschiedenheit geprägt. Als er dann nach dem Weggang Oskar Lafontaines einen harten Sparkurs einschlug, liefen ihm die Wähler in Scharen davon.

Immer deutlicher zeichnete sich eine Rückkehr der CDU an die Macht ab, ohne dass sich diese "erneuert", d.h. gründlich von der Tradition des sozialen Ausgleichs abgewandt hatte. Die "alte CDU", so die vorherrschende Meinung in den tonangebenden Kreisen, wollte niemand zurück. Als führende Vertreter der CDU dann auch noch begannen, die Sozialpolitik der rot-grünen Koalition von links zu kritisieren, setzte die Enthüllung von Skandalen und Affären ein.

Es wäre sicherlich übertrieben, dabei von einer gezielten Verschwörung auszugehen. Solche Affären entwickeln immer ihre eigene Dynamik, in der auch Zufälle und subjektive Motive eine Rolle spielen. Aber die allgemeine Zielrichtung der Enthüllungen ist klar: Die CDU soll "verjüngt", d.h. vom Ballast der alten Traditionen befreit werden. Es ist deshalb kein Zufall, dass mit Helmut Kohl plötzlich der schon fast zum Denkmal erstarrte Ehernvorsitzende ins Kreuzfeuer der Kritik gerät.

Aber auch einer CDU unter Kohls Nachfolger Wolfgang Schäuble trauen nur wenige die notwendige Energie zu, die erforderlich ist, um mit den alten Gepflogenheiten zu brechen. Gesucht sind neue Leute, die unbelastet von ideologischem Ballast und persönlichen Beziehungen die nötige Rücksichtslosigkeit aufbringen, um soziale Grausamkeiten durchführen.

Wie man solche nach oben bringt, hat die SPD soeben in Niedersachen demonstriert. Dort wurde in weniger als zwei Jahren zum dritten Mal der Regierungschef ausgewechselt - ohne dass die Wähler dazu befragt worden wären.

An die Stelle des zurückgetretenen Schröder-Nachfolgers Gerhard Glogowski ist der 40jährige Sigmar Gabriel getreten. Obwohl bisher außerhalb der Landesgrenzen kaum bekannt, feierte ihn die Presse begeistert: Er sei ein bekennender Schröderianer, der den Staat entrümpeln und die SPD modernisieren wolle. Er fühle sich nicht für das "Streicheln der SPD-Seele" zuständig, stehe Ideologien fern und gehe innerparteilichen Grabenkriegen konsequent aus dem Weg.

Kurz, Gabriel wird als Mann geschildert, der weder ideologische Skrupel, noch Rücksicht auf Traditionen und soziale Verantwortung kennt und zielstrebig nach den Hebeln der Macht greift - als "große Hoffung für die Zukunft".

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