Fraktionskämpfe in der britischen Labour-Regierung

Blairs "Dritter Weg" in der Krise

Der erbitterte und prinzipienlose Fraktionskampf, der in den vergangenen Monaten die britische Regierung erschüttert hat, ist das Ergebnis einer wachsenden politischen Krise des "New Labour"-Projekts von Premierminister Tony Blair. Es gibt nur wenige Beispiele in der Politik, daß eine Regierung mit einer scheinbar so unangreifbaren Mehrheit von einer solchen inneren Krise ergriffen wurde, wie im Moment die Labour-Regierung.

Die Krise wurde am 23. Dezember mit dem erzwungenen Rücktritt von zwei Ministern publik - des Handels- und Industrieministers Peter Mandelson, der rechten Hand von Tony Blair, und des Staatssekretärs im Finanzministerium Geoffrey Robinson. Mandelson hatte es versäumt, einen Kredit über 375.000 Pfund, den er von Robinson erhalten hatte, anzugeben. Gegen Robinson waren Anfang letzten Jahres Untersuchungen wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten eingeleitet worden.

Als nächstes folgte der Rücktritt von Schatzkanzler Gordon Browns Berater Charlie Wheelan, dem vorgeworfen wurde, der Öffentlichkeit die Informationen über Mandelson zugespielt zu haben.

Zuvor schon war die Labour Party durch den Rücktritt des Ministers für Wales, Ron Davies, im Zusammenhang mit Vorwürfen, er habe im Park von Clapham homosexuelle Kontakte gesucht, erschüttert worden, sowie dadurch, daß zuerst Mandelson und dann Landwirtschaftsminister Nick Brown im Fernsehen als schwul geoutet worden waren.

Auch die Position von Außenminister Robin Cook ist jetzt durch Enthüllungen seiner Ex-Frau über seine ständigen Ehebrüche und Trunksucht gefährdet.

Die gemeinsame Ursache dieser verschiedenartigen Ereignisse ist die interne Fehde zwischen den Blair-Loyalisten in der Labour-Führung und den Anhängern von Schatzkanzler Brown, aus dessen Lager die Informationen an die Öffentlichkeit gelangten.

Nach dem Tod des Parteivorsitzenden John Smith 1994 waren Brown und Blair die offensichtlichen Anwärter auf die Führung der Labour Party. Die Medien favorisierten Blair als den markanteren Vertreter von Labours "Modernisierung", der bei den früheren Tory-Wählern der Neuen Mitte den größeren Anklang finde. Die Partei beugte sich ihren Wünschen. Mandelson ließ Brown damals im Stich, lief zu Blair über und organisierte dessen Kampagne.

Die jüngsten Presseberichte haben gezeigt, wie vergiftet die Beziehungen inzwischen sind. Blairs Lager wird vorgeworfen, Browns weithin vermutete homosexuelle Neigungen als Waffe gegen ihn einzusetzen, was angesichts der folgenden Entwicklungen - dem Anschwärzen von Ron Davies, Nick Brown und Mandelson selbst - bezeichnend ist. Brown betrachtet Mandelson als "Verräter". Seitdem hat jede Besetzung einer Position in der Partei zu einem machiavellischen Kampf zwischen Brown und Blair geführt.

Die unter der Oberfläche kochenden Gegensätze sind mit solch zerstörerischer Gewalt explodiert, weil der Stern der Regierung am sinken ist. Die Finanzkrise, die von Südostasien her letztes Jahr die Weltmärkte erschüttert hat, hat Großbritannien in eine Rezession mit dem Verlust von Tausenden Arbeitsplätzen pro Monat gestürzt. Die Situation wird noch dadurch verschärft, daß Großbritannien nicht an der europäischen Währungsunion teilnimmt, was für die Wirtschaft eine extrem schwierige Lage schafft und das Land von seinem wichtigsten Exportmarkt abschneidet. Als Folge davon haben sich Unzufriedenheit und Kritik an der Blair-Regierung auf allen Seiten entwickelt.

Die alten Zwistigkeiten zwischen Blair und Brown sind zum Brennpunkt für wachsende Unstimmigkeiten in der Labour Party selbst geworden. Dabei gibt es keine wesentlichen politischen Unterschiede zwischen diesen beiden Architekten des rechten, wirtschaftsfreundlichen Kurses, mit dem sich Labour von seinem alten reformistischen Kurs verabschiedet hat. Der weitgehend persönliche Charakter des Konflikts drückt sich auch im Mittel aus, mit dem er ausgetragen wird, nämlich dem Rufmord. Trotzdem hat er jenen Kritikern einen Ansatzpunkt geliefert, die für verstärkte staatliche Interventionen und einen neo-keynesianischen Kurs eintreten. Sie treffen sich mit jenen, die das Fehlen einer klaren Linie der Regierung zu Europa vermissen und sich - wie die Zeitung Guardian - Sorgen über die extreme soziale Polarisierung in Großbritannien machen.

Blairs erneuerte Labour Party schien mit ihrer thatcheristischen Politik des ungehinderten freien Marktes - zumindest vom Standpunkt der herrschenden Klasse - in ihrem ersten Regierungsjahr ein ausgesprochenes Erfolgsmodell zu sein. Obwohl die Rechtswende Labour von ihrer traditionellen Basis unter den Arbeitern entfremdete, war Blair aufgrund des Erfolgs bei früheren Tory-Wählern und der beinahe einhelligen Unterstützung der Medien und der Wirtschaft in die Lage, die strikten Ausgabenbeschränkungen der Tories aufrecht zu erhalten, den öffentlichen Sektor weiter zu deregulieren und die Angriffe auf den Sozialstaat fortzusetzen.

Die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage hat das Blatt nun gewendet. Die Regierung gerät immer mehr in die Isolation und in die Kritik. Selbst die Unterstützung durch die Bessergestellten geht zurück, weil die Auswirkungen der Sozialpolitik spürbar werden. Labours hochgelobter Aktionismus kann auf Dauer nicht die Folgen der Kürzungen im Gesundheits- und Erziehungswesen, der Entlassungen und Lohnkürzungen und von Hypothekenzinsen überdecken, die doppelt so hoch sind wie im übrigen Europa.

Strategen der Parteiführung erwarten, daß sich bei den bevorstehenden Kommunalwahlen traditionelle Labour-Wähler in großer Zahl enthalten werden, und rechnen mit einem Verlust von 1.000 bis 2.000 Mandaten. Sie fürchten sogar, daß die nächste Parlamentswahl verloren gehen könnte, wenn das Zerwürfnis zwischen Blair und Brown nicht behoben werde.

Bisher konnte der Premierminister seine Regierung wie seinen persönlichen Erbhof führen. Er hat die Rolle der Partei - und der Gewerkschaftsbürokratie, deren Blockstimmen früher entscheidend waren - auf einen Schatten ihrer selbst zurückgestutzt. Beratungen über die laufende Politik sind ein Ding der Vergangenheit. Selbst die Rolle des Kabinetts hat sich zugunsten von "Think tanks" verringert, die Blair persönlich eingesetzt hat. Nicht nur Freunde des Schatzkanzlers - wie Ron Davies und Nick Brown - sind zurückgestuft oder entlassen worden, auch treue Anhänger Blairs - wie Harriet Harman und Frank Field - mußten ins Glied zurücktreten.

Auch den Ortsverbänden ergeht es nicht besser. Gegen mehrere Kommunalverwaltungen in Schottland und England wurden Untersuchungen wegen Korruption eingeleitet. Mehrere örtlichen Parlamentskandidaten wurden vom Parteivorstand zugunsten eigener Kandidaten abgesetzt.

Am umstrittensten waren Blairs Entscheidungen, die Liberaldemokraten durch die Berufung in Kabinettsausschüsse an der Regierung zu beteiligen, und die Einführung des Verhältniswahlrechts vorzubereiten. Der Versuch, eine ständige Verbindung mit den Liberaldemokraten einzugehen, bedroht direkt die Parlamentssitze von hundert Labour-Abgeordneten.

Die Schwächung Blairs hat es Schichten in der Labour Party und den Gewerkschaftsapparaten, die ihre eigene Position bedroht sehen, ermöglicht, ihre Stimme zu erheben. Als Blair auf den Seychellen Urlaub machte, zeigte sich der stellvertretende Premierminister John Prescott gemeinsam mit Brown auf einem Podium und sprach über ihre enge Zusammenarbeit, ihre gemeinsame Wertschätzung "traditioneller Labour-Werte" und ihre Unterstützung für den Neo-Keynsianismus. Prescott wies jede Vorstellung zurück, dies bedeute eine Rückkehr zum Sozialreformismus. Als Beleg führte er die Initiative der Regierung an, das Transportwesen und andere Infrastrukturprojekte mit privatem Kapital zu finanzieren.

Der Gewerkschaftsdachverband TUC hat seine Besorgnis geäußert, die britische Wirtschaft könnte Schaden nehmen, weil sie sich nicht am Euro beteiligt. Am vergangenen Wochenende startete Labour First, die inoffizielle Stimme des rechten Flügels des TUC, eine mit Gewerkschaftsgeldern finanzierte Kampagne gegen politische Koalitionen. Sie soll erreichen, daß der diesjährige Labour-Parteitag sich gegen eine Änderung des existierenden Mehrheitswahlrechts ausspricht. Für den Februar plant Labour First gemeinsam mit Wirtschaftsführern eine parteiübergreifende Kampagne für eine Ablehnung des Verhältniswahlrechts bei einem eventuellen Referendum.

Der Führer der Gewerkschaft der Metallarbeiter und Elektriker, Ken Jackson, war in der Vergangenheit immer ein entschiedener Befürworter von Blairs Reformen. Jetzt fordert er, neben Mandelson auch andere politische Berater, die eine zentrale Rolle bei dem Modernisierungsprojekt spielen, zu entlassen. "Diese Leute mit ihren Plänen für ein Verhältniswahlrecht, für engere Beziehungen mit den Liberalen und für den Bruch mit den Gewerkschaften sollen abhauen und es anderswo versuchen. Für sie ist kein Platz in der britischen Labour Party," sagte er.

Am 13. Januar trafen sich Hinterbänkler mit Blair, um ihm ihre Opposition gegen eine engere Zusammenarbeit mit den Liberaldemokraten deutlich zu machen.

Zur wöchentlichen Fraktionssitzung der Labour Party kamen 250 Abgeordnete, um von den Ministern im Kabinett mehr Disziplin zu fordern. Sie machten unmißverständlich klar, daß sie Mandelson vor der nächsten Wahl nicht mehr in einem Amt zu sehen wünschen, und forderten größeren Einfluß auf die Politik der Regierung.

Schon vorher hatte der frühere Fraktionsvorsitzende Derek Foster vor dem Unterhaus erklärt, daß das Parlament zum "Schoßhund des Premierministers" geworden sei. Er sagte, Blair sei kein Präsident, sondern "primus inter pares - der Erste unter Gleichen. Mit anderen Worten, ich bin genauso viel wert, wie der Premierminister."

Blairs Antwort auf diese Kritik bestand in einer ganzen Serie von Regierungserklärungen, in denen er betonte, daß die Regierung an ihrem rechten Programm festhält und eine Richtungsänderung ablehnt. Brown selbst mußte antreten und bekräftigen, daß New Labour einen "grundlegenden Politikwechsel und nicht nur ein paar neue Etiketten" bedeute. Ihm folgte Innenminister Jack Straw, der drastisch verschärfte Strafen für Einbrecher ankündigte: bei drei Vergehen sollen zwangsweise drei Jahre Gefängnis verhängt werden. Außerdem stellte er Pläne für einen zwangsweisen Arbeitsdienst für Arbeitslose und für die Privatisierung von Schulen vor, die "den Ansprüchen nicht genügen".

Labours Krise wird sich weiter verschärfen, unabhängig davon, ob ein Waffenstillstand zwischen Brown und Blair zustande kommt oder nicht. Labour ist unfähig, auch nur eine politische Maßnahme im Interesse der Bevölkerung durchzuführen. Noch keine Regierung in der britischen Geschichte, nicht einmal die Thatcher-Regierung, hat sich derart von den Erwartungen ihrer Wähler entfernt.

Der sogenannte Dritte Weg - der Versuch, die freie Marktwirtschaft mit einem sozialen Gewissen in Einklang zu bringen - ist eine Sackgasse. Von seiner Verpackung und von rhetorischen Floskeln befreit, hat er sich als Mittel erwiesen, die systematische Verarmung der arbeitenden Menschen im Interesse der großen Konzerne zu vertiefen. Das Chaos in der Labour Party ist nur der erste und verzerrte Ausdruck der breiten Unzufriedenheit, die das hervorgerufen hat. Die Schockwellen dieser politischen Veränderung werden nicht lange auf die Reihen der Labour-Bürokratie beschränkt bleiben.

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