"Stalin und sein Regime zerstörten die Revolution"

Interview mit David King

Zuerst fragte ich David King nach dem Hintergrund seiner Ausstellung.

Sie müssen verstehen, dass für eine solche Ausstellung nicht viel Geld zu bekommen ist. Es dauerte eine ganze Zeit, bis wir auf die Beine kamen. Dies hier ist der dritte Ausstellungsort. Zuerst waren wir in Wien und danach in Mailand. Und die Sache kommt jetzt sozusagen in Schwung. Die Ausstellung hier in Berlin sieht gut aus, und insgesamt bin ich sehr zufrieden.

Gut an der Ausstellung ist, dass man beides, sowohl die Originale als auch die Reproduktionen der Abzüge sehen kann. Zum Beispiel sind alle Fotos und Bilder dort im Glasschrank auch wirklich Originale, und man hat die Möglichkeit festzustellen, woher das Material stammt, aus Zeitungen, Magazinen oder von Dokumenten. Die Ausstellung ist über das ganze Haus verteilt, in allen zehn Räumen. Bis jetzt gab es auch großes Interesse seitens der Medien.

Was gab es für Reaktionen auf Ihre Ausstellung?

Ich habe bisher kaum feindselige Reaktionen erlebt. Niemand kann das Material in Frage stellen, das ich gesammelt habe. Auf der Grundlage dessen, was ausgestellt ist, kann niemand Stalin oder den Stalinismus verteidigen. Allerdings hatten wir eine komische Erfahrung in Mailand. Vier Besucher der Ausstellung sprachen mich an und lobten mich für meine Retuschierarbeit. [ Lachen] Sie dachten wohl, es handle sich bei der Ausstellung um eine Art Vorstellung des künstlerischen Handwerks. Das war lustig.

Interessant ist aber, dass man ähnliche Reaktionen auch in Moskau antrifft. Das liegt daran, dass sich manche Bilder im Gedächtnis der Menschen regelrecht eingegraben haben, wie zum Beispiel das Bild von Lenin und Gorki.

Es handelt sich hier um ein sehr befremdendes, sehr langes, schmales Bild von Lenin und Gorki. Jeder hat es schon einmal gesehen - nur das Negativ davon hat eine ganz andere Form. Tatsache ist, das Bild wurde aus einem Gruppenfoto, das ursprünglich Delegierte des Zweiten Weltkongresses der Kommunistischen Internationale zeigte, ausgeschnitten und retuschiert. Wenn die Menschen in Moskau das ganze Originalfoto mit 25 Leuten sehen, werfen sie mir irritiert Blicke zu; sie fragen sich: Kann das wirklich der Fall sein?

Wie und wann haben Sie mit ihrer Arbeit begonnen?

1970 begann ich mit dem Sammeln von Material. Ich ging nach Rußland und fragte nach Material über Trotzki, aber es gab nichts. Ich wurde gefragt, warum ich mich für Trotzki interessiere. Stalin wäre wichtiger für die Revolution. Als ich nach London zurückkam, war ich entschlossen, eine Bildgeschichte, eine möglichst ehrliche visuelle Darstellung vom wirklichen Geschehen in der Sowjetunion zu erstellen.

Seitdem habe ich gesammelt. Ich tat dies von einem sozialistischen Standpunkt aus, und nicht vom Standpunkt eines Richard Pipes oder eines Robert Conquest [antikommunistische Historiker des Kalten Kriegs]. Übrigens, zu jener Zeit der späten sechziger Jahre wurde sehr viel über Politik geschrieben, auch über Trotzkis Ideen, aber die Leute lasen nicht wirklich alles. Als jedoch mein Mitarbeiter Francis (Wyndham) und ich die erste Bildbiographie über Trotzki im Jahre 1972 veröffentlichten, wurden 25.000 Stück davon verkauft. Man sah, wie die Leute in der U-Bahn saßen und das Buch lasen, eine Taschenbuchausgabe von Penguin, einem der größten englischen Verlage. Das war damals eine große Sache. Wir wollten damit einige von Trotzkis Ideen verbreiten und die Leute ermutigen, mehr von ihm und über ihn zu lesen.

Ich fragte David King, welche Bedeutung er seiner Arbeit zumesse auf dem Hintergrund der gegenwärtigen Debatte über das "Schwarzbuch des Kommunismus", das Lenin und die russische Revolution mit Stalin und dem Stalinismus gleichsetzt.

Natürlich bin ich nicht einverstanden mit dieser These. Meine Arbeit in der heutigen Zeit durchzuführen, ist sehr schwierig. Aber mit Sicherheit gibt es keine politische Kontinuität von Lenin zu Stalin. Stalin und sein Regime zerstörten die Revolution, sie zerstörten alle Hoffnungen in den Kommunismus. Man muß nur einmal einen Blick in Raum 3 der Ausstellung werfen. Dort werden NKWD-Fotos von einfachen, total unschuldigen Bürgern gezeigt, die von Stalins gedungenen Killern weggebracht wurden - Männer, Frauen und Kinder, die aus ihren Häusern gezerrt und erschossen wurden. Sie kamen nicht einmal in die Gulags.

Haben Sie Pläne für weitere Ausstellungsorte? Planen Sie eine Ausstellung in Moskau?

Nicht im Moment. Wir würden mit Sicherheit große Schwierigkeiten bekommen, wenn wir die Ausstellung nach Moskau bringen würden. Haben Sie gewußt, dass sie das Monument von Felix Dscherschinski wieder aufstellen wollen, das Symbol für die Macht des KGB-Apparates?

Es stand früher direkt vor dem Lubjanka-Gefängnis in Moskau. Die Mehrheit der Delegierten von Sjuganows Kommunistischer Partei stimmten für die Restauration der Statue. Dies ist wirklich sehr beängstigend, denn bisher standen in dem Chaos der Sowjetunion diese Typen [KGB] im Hintergrund. Jetzt sagen sie: "Unsere Hände sind sauber, gebt uns eine Chance, die Dinge zu kontrollieren". Dies demonstriert vielleicht, dass meine Ausstellung nicht nur eine trockene Geschichtsübung ist. Sie wirft Fragen auf, die heute von Bedeutung sind, und versucht sie zu klären.

Siehe auch:
Eine Ausstellung über Stalins Foto- und Kunstmanipulationen in Berlin.
(21. Januar 1999)
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