Die politischen Aufgaben bei der Verteidigung von Mumia Abu-Jamal

Mumia Abu-Jamal darf nicht hingerichtet werden; sein Prozeß muß neu aufgerollt werden; nachdem er als politischer Gefangener mehr als 16 Jahre in der Todeszelle verbracht hat, muß er freigelassen werden - für diese Forderungen ist in den USA und weltweit eine breite Unterstützung nötig.

Der Fall Abu-Jamal ist zu einem Brennpunkt für die Ablehnung der barbarischen Todesstrafe geworden. Er ist einer von Tausenden, die in den USA in Todeszellen sitzen. Die routinemäßige Hinrichtung von Gefangenen, wie auch die wiederholte Anwendung von Folter und Mord durch die Polizei - wie bei der jüngsten Erschießung des 22jährigen afrikanischen Immigranten Amadou Diallo in New York geschehen - werden zu Recht weltweit als Symptom einer kranken Gesellschaft betrachtet.

Trotz überwältigender Beweise, daß Abu-Jamals unschuldig ist, sind die Behörden entschlossen, in ihrem Rachefeldzug gegen das ehemalige Mitglieder der Black Panther zum letzten Mittel zu greifen. Der geplante staatliche Mord an Abu-Jamal ist Bestandteil eines fortschreitenden Angriffs auf demokratische Grundrechte. Er wäre ein niederträchtiger Akt, die erste Exekution eines politischen Gefangenen, seit die Rosenbergs 1953 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden.

Die bedrohlichen Folgen dieses Falles wurden im Januar deutlich, als die republikanische Gouverneurin von New Jersey, Christine Todd Whitman, eine politische Hetzjagd gegen ein Benefiz-Konzert zur Unterstützung Abu-Jamals entfesselte, das in der Contintental-Airlines-Halle in New Jersey stattfand. Der New Yorker Senator Serphin Maltese warf den Besuchern vor, sie unterstützten "Polizisten-Mörder". Die öffentlichen Erklärungen von Politikern und Polizeibeamten liefen darauf hinaus, in kaum verhüllter Form zur Gewalt gegen die Unterstützer Abu-Jamals aufzuwiegeln.

Diese Episode zeigt die wirkliche Bedeutung der Verfolgung Abu-Jamals. Sie ist ein Versuch des politischen Establishments und der Medien, jede Opposition von Arbeitern, sozial Benachteiligten und Vertretern ethnischer Minderheiten gegen den Status Quo zu kriminalisieren. Durch die Hinrichtung des ehemaligen Radioreporters soll ein Exempel statuiert werden, das alle Gegner der vorherrschenden rechten Politik einschüchtert. Jede Opposition gegen die beiden großen, bürgerlichen Parteien und die drei Bereiche der Staatsgewalt - Kongreß, Justiz und Weißes Haus - soll zum Schweigen gebracht werden.

Neben der staatlichen Machtdemonstration erfüllen aufsehenerregende Hinrichtungen in den Augen der Behörden noch ein weiteres Ziel: Sie sind ein wirksames Mittel zur Brutalisierung der öffentlichen Meinung. Eine Bevölkerung, die täglich miterlebt, wie die Regierung Menschen hinrichtet, wird eher geneigt sein, die gewaltsamen Übergriffe der US-Streitkräfte im Ausland und die schrecklichen Bedingungen, unter denen Millionen verarmter Menschen im Inland leben, hinzunehmen.

Schon jetzt wirft die amerikanische Regierung straflos Bomben auf den nahezu wehrlosen Irak und erzwingt Sanktionen, die Monat für Monat Tausende Kinder das Leben kosten, ohne daß sich dagegen merklicher Protest erhebt. Innerhalb der USA werden Obdachlose als Kriminelle behandelt und sogenannte "illegalen Ausländer" deportiert, eingesperrt und schikaniert. Alleinerziehenden Müttern entzieht man die Sozialhilfe und zwingt sie, für einen Hungerlohn zu arbeiten. Die Verantwortlichen für diese Politik haben ein Interesse daran, die soziale und moralische Sensibilität der Bevölkerung abzustumpfen, denn sie bereiten noch viel weitergehende Angriffe vor.

Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß im heutigen Amerika die Todesstrafe relativ populär ist. Dies ist ein Ausdruck des vorherrschenden reaktionären Klimas und der Orientierungslosigkeit breiter Schichten der Bevölkerung, die im Rahmen des Zwei-Parteien-System faktisch politisch entmündigt sind. In Anbetracht enormer sozialer Probleme - sinkendem Lebensstandard, wirtschaftlicher Unsicherheit, Verfall der Schulen - und in Ermangelung einer breiten, fortschrittlichen Alternative auf der politischen Bühne sind Schichten der Bevölkerung für Demagogen anfällig, die mit simplen Lösungen hausieren.

Aber eine solche politische Konfusion hält nicht ewig. Sie kann und muß überwunden werden. Die ungeheuren Widersprüche des amerikanischen Kapitalismus sind ein mächtiger Hebel für die Entwicklung einer Massenbewegung gegen das Profitsystem. Die Angst vor einer kommenden sozialen Explosion ist der eigentliche Grund für die systematische Staatsaufrüstung durch die herrschende Klasse.

Die wichtigste gesellschaftliche Entwicklung des letzten Vierteljahrhunderts ist die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft in eine wohlhabende Elite, die sich außerordentlich bereichert hat, und die große Mehrheit der Bevölkerung, unter der Millionen von Menschen bereits in Armut leben, während weitere Millionen nur mit Mühe über die Runden kommen. Die wenigen Reichen kontrollieren die Demokratische und die Republikanische Partei, die Medienkonzerne und alle offiziellen Institutionen des amerikanischen Lebens. Das gesamte Leben des Landes wird in ihrem Interesse organisiert.

Demokratische Formen der Herrschaft lassen sich immer weniger mit den krassen Unterschieden in Besitz und Einkommen vereinbaren. Der scharfe Klassengegensatz zwischen der herrschenden Elite und der Masse der arbeitenden Bevölkerung ist der treibende Faktor bei der Zunahme der Polizeibrutalität, dem Bau immer neuer Gefängnisse und der Häufung von Hinrichtungen. Die Opfer der Todesstrafe - weiße, schwarze, lateinamerikanische oder Einwanderer - haben eines gemeinsam: fast ohne Ausnahme stammen sie aus der ärmsten Schicht der Bevölkerung.

Die Demokratische Partei beteiligt sich ebenso wie die Republikanische an den Angriffen auf demokratische Grundrechte. Clinton trat 1992 als Vertreter einer neuen Art von Law-and-Order, als rechter Demokrat an. Um Zweifeln hinsichtlich seiner Unterstützung für die Todesstrafe von vornherein die Gundlage zu entziehen, reiste er während der Wahlkampagne nach Arkansas und überwachte eine Exekution. 1996 unterzeichnete er ein Gesetz über die Ausübung der Todesstrafe, den Effective Death Penalty Act, das von beiden Parteien unterstützt wurde. Seither dürfen Bundesgerichte die Beweislage von Prozessen vor den untergeordneten staatlichen Gerichten nicht mehr überprüfen, was die Rechte von Todeskandidaten stark einschränkt.

In jeder Frage - seien es die Angriffe auf das Habeas-Corpus-Recht, die Rechte von Einwanderern und die Meinungsfreiheit im Internet oder das Abhören von Telefonen - hat Clinton die Linie des FBI, der Polizei und der Rechten übernommen. Jetzt fordert er Hunderte Millionen Dollar für den "Kampf gegen den Terrorismus". Das ist Bestandteil einer Kampagne, die eine Atmosphäre von Panik erzeugen und noch viel weitergehende Angriffe auf bürgerliche Freiheiten ermöglichen soll.

Die Demokratische Partei hat sich als unfähig erwiesen, demokratische Grundrechte zu verteidigen, selbst wenn es um ihre eigenen unmittelbaren Interessen geht, wie im Impeachment-Verfahren gegen Clinton. Obwohl vollkommen klar war, daß das Amtsenthebungsverfahren das Ergebnis einer rechten politischen Verschwörung war, unternahmen die demokratischen Kongreß-Abgeordneten und Clinton keinen Versuch, die neo-faschistischen Elemente innerhalb und außerhalb der Republikanischen Partei zu entlarven, die diese Ereignisse ins Rollen gebracht hatten.

Man kann Mumia Abu-Jamal und andere Opfer der staatlichen Repression nicht verteidigen, wenn man an Politiker der Demokratischen Partei und liberale Kreise innerhalb der herrschenden Elite appelliert oder auf ein Justizsystem vertraut, das ein Bollwerk der Ultra-Rechten ist. Demokratische Rechte können nur durch die Mobilisierung der großen sozialen Kraft verteidigt werden, die in den Kampf gegen das Profitsystem und dessen politische Repräsentanten getrieben wird. Diese soziale Kraft ist die Arbeiterklasse.

Um in den USA und weltweit eine mächtige Kampagne gegen den staatlichen Mord an Mumia Abu-Jamal zu entfachen, muß seine Verteidigung mit den sozialen Fragen verknüpft werden, mit der die breite Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung konfrontiert ist: der Armut, der wirtschaftlichen Unsicherheit und der sozialen Ungleichheit. Durch eine solche Kampagne werden immer größere Teile der Bevölkerung verstehen, daß die selben Kräfte, die das Leben von Abu-Jamal bedrohen, auch das Leben der Arbeiterklasse insgesamt bedrohen, und daß das "Law-and-order"-Geschrei, das sich gegen ihn richtet, sich auch gegen die Grundrechte der Arbeiter richtet.

Eine solche Orientierung wird den Grundstein für eine mächtige antikapitalistische Bewegung legen. Sobald die Arbeiterklasse beginnt, sich als Klasse zu regen, sobald sie beginnt, ihre Stärke zu fühlen und ihre unabhängigen Interessen wahrzunehmen, wird man viele Fragen besser klären können, darunter auch die der Todesstrafe. Eine solche Perspektive ist eine sichere - und die einzige - Grundlage, um die Spaltung der Arbeiterklasse nach rassistischen, nationalen und ethnischen Gesichtspunkten zu überwinden.

Die Geschichte zeigt, daß nur das Eingreifen breiter Bevölkerungsschichten, die auf der Grundlage ihres eigenen Programms und für ihre eigenen Interessen handeln, eine radikale Veränderung der politischen und sozialen Situation herbeiführen kann. Dies muß unserer Ansicht nach die Perspektive sein, die die Verteidigung des politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal anleitet.

Loading