Erfahrungen mit der Pflegeversicherung

Die Zeitvorgaben der Versicherung machen eine korrekte Pflege unmöglich

Aus Augsburg erreichte das WSWS vor kurzem folgender Leserbrief:

Guten Tag,

seit kurzem habe ich Internetzugang und habe auf dem wsws den Artikel "Drei Jahre Pflegeversicherung - eine Bilanz" gelesen. Da ich selbst in der Altenpflege tätig bin, möchte ich dazu einige Anmerkungen machen.

Anfang 1995 wurde die Pflegeversicherung eingeführt, angeblich mit dem Ziel, den häuslichen Pflegenotstand zu beseitigen, d.h. Pflege im häuslichen Bereich den Vorzug vor staatlicher Pflege zu geben.

In der Tat, dies ist weit mehr der Fall als vor 1995. Die Anzahl der Pflegedienste hat sich enorm erhöht und auch die Zahl der Heimunterbringungen ist rückläufig, sogar die Zahl derer, die durch ihre Pflegebedürftigkeit von Sozialhilfe abhängig werden ist, wenn auch nur leicht gesunken.

Doch bei genauer Betrachtung entpuppt sich die Pflegeversicherung als das, was sie wirklich ist. Eine Sparmaßnahme auf Kosten von Alten, Kranken, Pflegepersonal und der ganzen arbeitenden Bevölkerung.

Mit Sicherheit bekommen viele pflegebedürftige Menschen nicht die Pflege, die sie benötigen. Durch ein unrealistisches Einstufungsverfahren bekommen diese keine oder eine zu niedrige Stufe. Eine Einstufung durch den MDK gibt es nur dann, wenn jemand Leistungen im Bereich der Grundpflege (Körperpflege, Ernährung, Mobilität) und ein gewisses Maß an Hilfe im hauswirtschaftlichen Bereich benötigt Diejenigen, die nur in einem dieser Punkte Hilfe benötigen und ansonsten ihre Selbständigkeit bewahren wollen, fallen durch, d. h. sie bekommen keine Hilfe. Die Folgen sind Verwahrlosung, Depression, Verschlechterung des Gesundheitszustandes etc. Genau so irrsinnig wie das Einstufungsverfahren sind auch die Zeitvorgaben, die für eine bestimmte Handlung veranschlagt sind.

Dadurch ist es für eine Pflegekraft beinahe unmöglich, korrekte Pflege zu leisten, zumal Leistungen, die nicht vereinbart sind bzw. nicht abgerechnet werden können, auch nicht ausgeführt werden sollen oder können. Was es nun für demente oder psychisch labile Menschen bedeutet, kein Gespräch führen zu können, weil dieses nicht abrechenbar ist, dürfte wohl klar sein.

Wer zu Hause gepflegt wird, ohne die professionelle Hilfe eines Pflegedienstes, hat oftmals auch nichts zu lachen. Die "Pfleger", meist Angehörige oder Bekannte erhalten je nach Pflegestufe 100, 800, oder 1300 DM. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und schlechter sozialer Absicherung ist dies oft ein notwendiges Einkommen. Durch Unwissenheit und hohe körperliche Belastung können siw die Pflege jedoch häufig nicht ausreichen durchführen. In der Praxis habe ich oft erlebt, daß hier krank gepflegt wurde.

Die Bedingungen, unter denen die Pflegekräfte arbeiten sind natürlich extrem schwierig. Da sind auf der einen Seite die Bedingungen der Pflegeversicherung, auf der anderen Seite das berufliche Selbstverständnis. Beides in Einklang zu bringen ist unmöglich. Die Pflege eines Menschen ist nicht in Minuten und nach Mark zu berechnen. Gleichzeitig wird Personal abgebaut, bzw. es werden anstatt qualifizierten Fachkräften Hilfskräfte eingestellt. Das geht so weit, daß in vielen Einrichtungen Fachkräfte nur für medizinische Tätigkeiten (Injektionen etc.) und den massenhaft anfallenden Papierkram eingesetzt werden, der Rest wird von Hilfskräften erledigt. Dies reduziert die Qualität der Pflege erheblich.

Daraus erklären sich die Meldungen über miserable Zustände in Pflegeeinrichtungen und grobe Pflegefehler. Hier wirkt es besonders ironisch, wenn die Kassen nur ihre Maßnahmen zur Qualitätssicherung starten, um die von ihnen geschaffenen Defizite auszubügeln. In Wahrheit sind diese Maßnahmen dazu da, um erstens die Betrügereien aufzudecken, die von den Pflegediensten, gewollt oder ungewollt, begangen werden und zweitens sollen Pflegeeinrichtungen besser funktionieren, d.h. mit nur möglichst wenig Personal möglichst viele Patienten betreuen ohne grobe Fehler .

Positives bringt die Pflegeversicherung nur den öffentlichen Kassen und den Krankenkassen, die ihre Ausgaben senken.

Die Pflege alter und kranker Menschen dem freien Markt zu unterwerfen ist sicherlich ein heftiges Beispiel, wie die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung bewußt verschlechtert wird. Diese Politik wird jedoch schon eine ganze Weile betrieben und ein Ende ist nicht abzusehen. Seit Mitte der 70er Jahre wird Kostendämmung im Gesundheitswesen betrieben. Jede Reform war eine unglaubliche Last für die Bevölkerung. Unter den absurdesten Vorwänden (demographischer Wandel, Standort usw.) werden stets neue Leistungskürzungen und Beitragserhöhungen durchgesetzt. Auch die neue rot-grüne Regierung bastelt bereits an weiteren Grausamkeiten. Der herrschenden Klasse ist eine gute staatlich garantierte Gesundheitsversorgung aller Menschen auf dem Solidaritätsprinzip ein Dorn im Auge.

Liebe Grüße

M.K.

Siehe auch:
Drei Jahre Pflegeversicherung - eine Bilanz
(25. September 1998)
Die zweite Stufe der Pflegeversicherung
(23. Mai 1996)
Unternehmer und Länderkassen pflegen sich gesund
(18. März 1994)
Loading