Jubel über Holzmann-Rettung - aber was sind die Konsequenzen?

"In buchstäblich letzter Minute" habe Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) den angeschlagenen Baukonzern Philipp Holzmann AG gerettet, hieß es in Agenturmeldungen am Donnerstag morgen. Nachdem die Gläubigerbanken am Montag erklärt hatten, ihre Verhandlungen über eine Sanierung seien gescheitert, hatte das traditionsreiche zweitgrößte deutsche Bauunternehmen bereits ein Insolvenzverfahren eingeleitet. Mehr als 60.000 Arbeitsplätze waren durch den Konkurs bedroht.

Auf einer letzten Krisensitzung legte Kanzler Schröder am Mittwoch Abend einen Unterstützungsplan der Bundesregierung vor, der ein Darlehn von 150 Millionen DM und eine Bürgschaft über 100 Millionen DM umfasst. Unter diesen Bedingungen wurde ein neuer Sanierungsplan beschlossen, der vorsieht, alle wichtigen Unternehmensteile und "den größten Teil der Arbeitsplätze" zu erhalten.

Als Gerhard Schröder am späten Mittwoch Abend ans Mikrophon trat und den Beschäftigten, die sich zu mehreren Tausend vor der Firmenzentrale versammelt hatten, zurief: "Wir haben es geschafft!", brach Jubel in der Menge aus. "Gerhard! Gerhard!" schallte es minutenlang durch das Frankfurter Bankenviertel.

Holzmann-Chef Heinrich Binder dankte dem Kanzler und den Banken. "Heute ist ein großer Tag für uns und wir haben dies vor allem der Vermittlung unseres Bundeskanzlers zu verdanken." Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats Jürgen Mahnke rief mit Tränen in den Augen: "Heute ist für uns Weihnachten."

Einige Stunden zuvor, als das Ergebnis der Krisenverhandlungen noch offen war, hatte der hessische Landesvorsitzende der Baugewerkschaft Albert Kögler erklärt: "Heute entscheidet sich, wer die Macht im Land hat: die Banken oder die Politik!"

Das ist völliger Unsinn! Natürlich ist es zu begrüßen, dass die Holzmann-Beschäftigten im In- und Ausland, ebenso wie diejenigen in vielen Zulieferbetrieben, an Weihnachten nicht auf der Straße stehen und die meisten von ihnen zumindest vorläufig ihren Arbeitsplatz behalten. Aber dadurch, dass die Bundesregierung das Sanierungskonzept der Banken mit 250 Millionen Mark absichert, hat sich an der uneingeschränkten Macht der Banken nicht das Geringste geändert - ganz im Gegenteil.

Wer trotz der vorherrschenden Euphorie einen klaren Kopf behält und die Fakten nüchtern bewertet, wird feststellen, dass der "Sieg der Holzmänner" nicht nur teuer erkauft wurde, sondern auch eine Abwärtsspirale der Löhne und Sozialleistungen einleitet, die nicht nur die Bauarbeiter in Zukunft teuer zu stehen kommen wird.

Ohne Rücksprache mit den Beschäftigten haben Betriebsrat und Gewerkschaft einer Reallohnsenkung von sechs Prozent zugestimmt. Darüber hinaus wurde die wöchentliche Arbeitszeit - ohne Lohnausgleich - auf 43 Stunden verlängert. Das bedeutet jede Woche vier Stunden unbezahlte Mehrarbeit. Auch 3000 Entlassungen hat der Betriebsrat bereits im Voraus abgesegnet. Damit beginnt eine neue Phase des Arbeitsplatzabbaus, der bisher sozialverträglich abgewickelt wurde und betriebsbedingte Kündigungen ausschloss. Insgesamt beziffert der Betriebsrat die Lohnopfer der Belegschaft auf 245 Millionen Mark. Der Stellenabbau ist darin nicht enthalten.

Die Behauptung der Betriebsräte, Lohnsenkung und unbezahlte Mehrarbeit seien strikt auf 18 Monate begrenzt, dient nur als Beruhigungspille. Auf den Berliner Baustellen wurden bereits vor anderthalb Jahren angesichts der Billiglohnkonkurrenz Haustarife mit einem Lohnabschlag von sechs Prozent zugelassen. Auch damals hieß es: befristete Maßnahme, strikt auf zwölf Monate beschränkt. Ein Jahr später wurde sie ohne große Debatte bis zum 31. März 2000 verlängert und im nächsten Frühjahr wird eine weitere Verlängerung folgen. Statt Rückkehr zu den Tariflöhnen kommen nun für die Holzmann-Beschäftigten auf den Berliner Baustellen weitere sechs Prozent Lohneinbußen hinzu.

Damit nicht genug. Die bereitwilligen Lohnzugeständnisse bei Holzmann dienen als Brechstange, um das ganze Tariflohnsystem aus den Angeln zu heben. Denn wenn in einem Unternehmen aufgrund wirtschaftlicher Probleme die Löhne drastisch gesenkt werden können, warum dann nicht auch bei anderen? Angesichts der Überkapazität in der Bauindustrie haben viele Betriebe nicht die geringsten Schwierigkeiten, eine "wirtschaftliche Notlage" nachzuweisen. Schon jetzt haben mehrere Holzmann-Konkurrenten die Lohnsenkung beim zweitgrößten Konzern der Branche als unlauteren Wettbewerbsvorteil bezeichnet und Gleichbehandlung gefordert.

Bereits früher war Holzmann nicht zimperlich, wenn es um Lohndrückerei auf den Baustellen ging. Die Geschäftsleitung arbeitete eng mit Subunternehmen zusammen und nutzte deren Billiglöhne hemmungslos aus. Nun macht sie sich zum Vorreiter, um die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust zu immer neuen Erpressungen der Belegschaft auszunutzen. Dabei stützt sie sich auf die enge Zusammenarbeit mit Betriebsrat und Gewerkschaft, die den Abbau von Sozialleistungen, Löhnen und Arbeitssicherheit als unvermeidbar und "notwendig für die Verteidigung der Arbeitsplätze" bezeichnen. Schon in der Vergangenheit ist die Zahl der Arbeitsunfälle auf den Baustellen, viele davon mit Todesfolgen, dramatisch angestiegen.

Die Widersprüche in den demagogischen Reden der Gewerkschaftsfunktionäre werden immer offensichtlicher. Während sie die "Holzmann-Rettung" als "Sieg über die Banken" darstellen, erwecken die Banken nicht den Eindruck, als seien sie besiegt worden. Sie begrüßen die Finanzspritze und Bürgschaft der Regierung im Umfang von einer viertel Milliarde Mark und weisen im übrigen darauf hin, dass sie seit geraumer Zeit eine Angleichung der Löhne an die Ertragslage der Betriebe fordern.

Noch bevor der Jubel über die Rettung der Arbeitsplätze verhallt, werden viele Arbeiter feststellen, dass nichts mehr so ist wie bisher und dass die Sanierung des Betriebs vor allem auf ihre Kosten geht.

Dem Kanzler kam die Gelegenheit, als "Retter der Holzmänner" aufzutreten, sehr gelegen. Nach den verheerenden Wahlniederlagen des vergangenen Sommers und den zu erwartenden Auseinandersetzungen auf dem kommenden SPD-Parteitag, versucht er sich als Anwalt der Arbeiter darzustellen. Doch - wie alle Täuschungen - haben auch derartige PR-Kampagnen kurze Beine.

Siehe auch:
Größte Baupleite in Deutschland
(24. November 1999)
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