Effizienz, Wettbewerb und Leistung

Die grüne Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen

Bündnis 90 / Die Grünen in Nordrhein-Westfalen (NRW) haben einen weiteren Rechtsschwenk in ihrer Bildungspolitik vollzogen. Nachdem sie bereits in der Hochschulpolitik im Rahmen des sogenannten "Qualitätspakts" und des Hochschulrahmengesetzes auf "Wettbewerb" und "Effizienz" gesetzt hatten, schlagen sie nun dieselbe Politik im Schulbereich vor.

Ende Oktober hatte der nordrhein-westfälische Bauminister Michael Vesper das neue grüne schulpolitische Programm auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Vesper sprach von einem "Zuwachs an Einsicht und Erkenntnissen". Bislang sei die rot-grüne Landesregierung "zu kurz gesprungen", fügte die Fraktionssprecherin Christiane Bainsky hinzu. Jetzt sei mehr Mut erforderlich.

Worin bestehen diese neuen "Einsichten und Erkenntnisse" der Grünen? Nach ihren Vorstellungen sollen zu Beginn des nächsten Schuljahres im Rahmen des Projekts "NRW Schule 21" zunächst 200 bis 250 Schulen für sechs Jahre eigenverantwortlich arbeiten und wirtschaften.

Ihr vorgelegtes Programm nutzt durchweg die realen Schwachstellen im Schulbereich, die sie im übrigen als Koalitionspartner der regierenden SPD mit zu verantworten haben, um eine Schulpolitik zu formulieren, die sich dem Markt und somit der Wirtschaft unterordnet. "Wettbewerbselemente zwischen den Schulen können zu mehr pädagogischem Engagement der Lehrkräfte und damit zu Qualitätsverbesserungen führen", heißt es dort. Dazu müssten die "verfügbaren Finanzmittel... künftig effizienter und sinnvoller verteilt werden".

Um dieses zu gewährleisten sollen die "freiwillig" am Projekt teilnehmenden Schulen ein festes Budget für die gesamte Projektzeit haben, also für sechs Jahre. Maßgabe für die Höhe dieses Budgets ist der "Status Quo" zu Projektbeginn. Die Landesregierung hätte somit erstens eine Deckelung für einen Teil der Ausgaben des Schuletats für die nächsten sechs Jahre verordnet; zweitens ein Druckmittel gegenüber Schulen, die sich weigern, an diesem Projekt teilzunehmen. Jede angekündigte Kürzung im nordrhein-westfälischen Schuletat wird weitere Schulen zwingen, sich dem Projekt anzuschliessen. Der Einstieg weiterer Schulen ist ausdrücklich gewünscht. "Auf diese Weise kann das Projekt nach und nach seinen Projektcharakter ganz verlieren und zur allgemeinen Praxis im Schulbereich werden."

Wie die Schulen das ihnen zugewiesene Geld einsetzen, soll ihre Sache sein. Um dies effizient zu bewerkstelligen müssten für die Schulleitungen allerdings "neue Managementkompetenzen aufgebaut werden". Denn die Schule soll in Zukunft zahlreiche Aufgaben übernehmen, die bislang von Landes- und Gemeindebehörden wahrgenommen werden, mit den entsprechenden Folgen für die Arbeitsplätze in diesen Behörden. So kann die Schule "selbst entscheiden, ob sie aus ihrem Budget nach Bedarf Sozialarbeiterinnen, handwerkliche oder künstlerische Berufe oder zur Entlastung der Lehrkräfte zusätzliche Kräfte für Verwaltungs- und Betreuungsaufgaben einstellt". Sie "kann im Rahmen ihrer Budgetverantwortung neue Arbeitszeitmodelle einführen und erproben". "Für die Stellenausschreibung und -besetzung ist die Schule selbst verantwortlich."

Aber nicht nur die "Stellenbewirtschaftung" wird Aufgabe der Schulen sein. "Die Schulen entscheiden im Rahmen ihres Gesamtbudgets auch über den Einsatz der Finanzmittel für Ausstattung und Gebäude (Reinigung, Umbau, Erweiterung)."

Man stelle sich das Ergebnis dieser Politik in der Praxis vor. Lehrkräfte könnten einen Teil ihrer Verwaltungs- und Aufsichtsaufgaben an andere - niedriger bezahlte - Berufsgruppen abgeben wie etwa Sozialarbeiterinnen oder Verwaltungsangestellte. Dies könnte zu einer Ersparnis von Lehrkräften und somit im Personalbudget führen. Aus Kostengründen könnte die Reinigung oder Renovierung der Schule von Schülern, Eltern und Lehrern übernommen werden, etwa in einer pädagogisch wertvollen Projektwoche unter dem Motto "Wir verschönern unsere Schule". Der "Innovationskraft" der Schulen ist keine Grenze gesteckt. Im Gegenteil: in eigens - zusätzlich - eingerichteten Innovations- bzw. Projektfonds steht Geld zur Verfügung, um das sich die Schulen bewerben können. Da in diesen Fonds auch Gelder fliessen können, die sonst für Schulen nicht zur Verfügung stehen, wie beispielsweise aus der Wirtschaftsförderung, steht zu vermuten, dass verschiedene Kooperationen mit der Wirtschaft als innovativ angesehen werden.

In der Tat wird an mehreren Stellen des grünen Schulprojekts genau dies angeregt. Bereits jetzt wird an nordrhein-westfälischen Schulen wie auch in anderen Bundesländern von Unternehmen geworben. Im Frühjahr hatte die rot-grüne Landesregierung dies erlaubt, um so die Ausstattung der Schulen zu verbessern. Jetzt prangen in den ersten Schulen Werbeflächen von Sponsoren. Ausgenommen ist nur die Reklame von Tabak- und Alkoholkonzernen sowie von Fast-Food-Ketten.

Ein jeweils auf die einzelne Schule zugeschnittenes Programm, das von den Schulen mit einer zu schaffenden "Projektsteuergruppe" vereinbart werden soll, kann dann konkrete Zielvereinbarungen beinhalten, um zum Beispiel diese "neue[n] Formen der Zusammenarbeit mit den Betrieben der Region" zu festigen. Dies könne - neben der bereits durchgesetzten Werbung in Schulen - etwa in der stärkeren Verzahnung von Schule und außerschulischen Lernorten geschehen. "Ein besonderer Innovationsfonds wird für die Ausstattung der Schulen mit zukunftsfähigen Technologien gebildet. In diesen Fonds sollen nicht nur Mittel des Landes und der Schulträger, sondern auch Mittel der regionalen Wirtschaftsverbände und Unternehmen eingebracht werden." Welche Gegenleistungen die Schule zu erbringen hat, wird nicht erwähnt.

Darüber hinaus sollen die Schulen regelmäßig intern und extern geprüft werden. "Von einem guten Ergebnis kann (z. B. über die Projektfonds) auch eine bessere Finanzausstattung für die Schule abhängig gemacht werden."

Zwar frisieren die Grünen diese an Markt, Wettbewerb und Wirtschaft ausgerichtete Schulpolitik mit der Garantie von "Mindeststandards", die beispielsweise bei der Mindeststundenzahl oder der Höchstzahl von Schülern pro Klasse zu gelten haben. Doch nur zwei Sätze (!) weiter heißt es: "Über begrenzte Experimentierklauseln haben die Schulen auch die Möglichkeit, im Rahmen ihres Schulprogramms von den Mindeststandards abweichende Regelungen zu treffen."

Auch ihre Garantie für ein verlässliches Unterrichtsangebot entpuppt sich als zynische Ablenkung. "Insbesondere durch... die gezielte Einübung von Methoden des Selbstlernens wird es möglich, auch kurzfristigen Ausfall von Lehrkräften durch eine sinnvollere Organisation des Unterrichts aufzufangen (z. B. selbständige Wochenplanarbeit, langfristig konzipierte Projektarbeit, klassenübergreifend geplanten Unterricht, verschiedene Formen der Freiarbeit)." Hier werden pädagogische Schlagworte wie die der sogenannten Schlüsselqualifikation "Lernen lernen", "klassenübergreifender Unterricht", "Projektarbeit" oder "Freiarbeit" in ihr Gegenteil verkehrt. Wenn Lehrkräfte ausfallen, sollen Schüler halt selbst lernen oder mit einer anderen Klasse zusammengelegt werden.

Selbst ihr weitreichendstes Versprechen, mehrere Hundert zusätzliche Lehrkräfte einzustellen, verblasst nach Lektüre des grünen Programms. Denn damit wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, der die Schulbildung und -politik nach und nach den Interessen des Marktes und der Wirtschaft unterwirft und somit dazu führt, Lehrerstellen aus Kostengründen abzubauen.

Siehe auch:
Das neue Hochschulrahmengesetz in NRW
(5. Oktober 1999)
Gewerkschaftsnaher Bildungsrat fordert Kommerzialisierung der Bildung
( 25. November 1998)
Schulverkäufe in Berlin
( 19. November 1998)
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