Öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr...

...und was davon zu halten ist

Am Freitag den 15. Oktober soll in der Stuttgarter Innenstadt um 15 Uhr ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr stattfinden. Über 1000 Rekruten der 10. Panzerdivision aus Sigmaringen und anderer Einheiten aus Baden-Württemberg sollen unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) zwischen Schlossplatz und dem Neuen Schloss feierlich ihre Treue auf die Bundesrepublik Deutschland geloben.

Bundeswehrauftritte mit Paraden, Zapfenstreich und Gelöbnis, noch dazu an öffentlichen Orten, scheinen in Mode gekommen zu sein. 1998 fanden an die 100 Gelöbnisse statt. In diesem Jahr ist die Stuttgarter Zeremonie nur eine von über 150 Veranstaltungen dieser Art.

Die Reden von Regierungsvertretern oder auch Berichte in diversen Zeitungen haben nicht dazu beigetragen, die Bedeutung solcher Auftritte zu erhellen, sie haben sie eher verschleiert. So wird verkündet, dass sich die Kasernen für die Bevölkerung öffnen und umgekehrt die Bundeswehr in der Bevölkerung präsent sein solle. Der Wuppertaler Bürgermeister Richter (SPD) erklärte seine Zustimmung zu einem Gelöbnis in der Barmer Innenstadt mit den Worten: "Die Bundeswehr als Wehrpflichtarmee ist Teil der Gesellschaft. Deshalb dürfen wir die Soldaten nicht schamhaft in den Kasernen verstecken." Der ehemalige Verteidigungsminister Rühe (CDU) sah in den von ihm organisierten Gelöbnissen sogar "einen Akt der Verbundenheit mit der Bevölkerung".

Solche Aussagen stellen die Dinge auf den Kopf, denn wie die Frankfurter Rundschau unlängst treffend feststellte, gehört in der Demokratie die Armee nicht auf die Straße, sondern in die Kaserne.

Wie in zahlreichen anderen Fragen haben die Grünen auch in dieser eine Kehrtwende um 180 Grad vollzogen. Jahrelang hatten sie sich in der Öffentlichkeit gegen solche Auftritte gewandt und sogar Proteste dagegen organisiert. Noch im Juni vorigen Jahres war Jürgen Trittin, inzwischen Umweltminister im Kabinett Schröder, als Hauptredner auf einer Demonstration gegen ein Gelöbnis in Berlin aufgetreten.

"Selbst in Preußen haben Gelöbnisse und Vereidigungen im Kasernenhof stattgefunden," sagte Trittin damals. "Es hat nur eine Zeit in Deutschland gegeben, wo öffentlich gelobt und vereidigt wurde, und das waren nicht die Zeiten der Demokratie, sondern des blanken faschistischen Terrors. Wer am Jahrestag von Lidice (1942 richtete die Wehrmacht in dem tschechischen Ort ein Massaker an, bei dem alle Einwohner ermordet oder verschleppt wurden. Lidice wurde völlig zerstört - die Red.), hier ein Gelöbnis veranstaltet und sich dabei auf Traditionen beruft, der stellt die Bundeswehr selbst in die Tradition der Wehrmacht, und deswegen mit allem Nachdruck: Nein zu dieser Tradition."

Ein gutes Jahr später, anlässlich eines Gelöbnisses am 20. Juli in Berlin, erklärte Trittins Parteifreundin und verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer: "Die Bundeswehr demonstriert damit, dass sie nicht in der Tradition der Wehrmacht steht."

Was hat sich in diesem Jahr verändert? Die Bundeswehr hat sich unter aktiver Mitwirkung des grünen Aushängeschildes und deutschen Außenministers Joschka Fischer erstmals an einem Angriffskrieg beteiligt - mit verheerenden Folgen für die jugoslawische Bevölkerung, einschließlich jener des Kosovo. Die Grünen sind von einer Friedens- zur Kriegspartei geworden. Dass Trittins Ausführungen von 1998 viel eher den Tatsachen entsprachen als jene Beers von 1999 beweist ein Blick in die Geschichte von Gelöbnissen.

Ursprünglich entstand der Eid im germanischen Heidentum. Beim Sprechen einer Eidesformel musste ein Gegenstand berührt werden, bei dem geschworen wurde. Die Germanen gingen davon aus, dass erst durch die Berührung mit dem Schwert ein gewisser Zauber des Eides erzeugt und eine Verbindung mit den Eidmächten hergestellt werde. Davon abgeleitet ist es heute noch in vielen Armeen Brauch, auf Waffen oder Fahnen zu schwören. So bekennen sich die Soldaten zur soldatischen Pflichterfüllung.

Vereidigungen fanden in Deutschland eigentlich zu allen Zeiten statt und die Soldaten schworen entweder auf Gott, auf die Verfassung (ab 1919) oder auf "den Führer" (ab 1934). Während diese Zeremonien ursprünglich in den Kasernenhöfen stattfanden, suchten erstmals die Nazis den Weg in die Öffentlichkeit. Das militärische Zeremoniell auf öffentlichen Plätzen diente im Dritten Reich sowohl der Traditionsbildung als auch der militärischen Propaganda und stellte somit eine Vorbereitung der Bevölkerung auf den Angriffskrieg dar.

Bei der Gründung der Bundeswehr Mitte der fünfziger Jahre wurde in den Soldatengesetzen die Vereidigung wieder verankert. Nach langwierigen und heftigen Diskussionen über den Missbrauch des Fahneneides durch die Nazis entschloss man sich aber, den Eid nur für freiwillig dienende Soldaten einzuführen, ähnlich dem Beamteneid. Wehrpflichtige hingegen sollten nur ein Gelöbnis ablegen. Das Gelöbnis kann jeder Soldat verweigern, ohne mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen zu müssen. Eid und Gelöbnis werden heute nicht auf die Verfassung, sondern auf die Bundesrepublik Deutschland abgelegt. Sie stellen nur eine ritualisierte Handlung dar, zumal alle Rechte, Pflichten und Konsequenzen bei Zuwiderhandlung im Soldatenrecht geregelt sind.

Die Aufwertung der Gelöbnisse zu pompösen öffentlichen Zeremonien hängt eng mit der neuen Rolle der Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts 1990 zusammen. Hatte sie bisher ausschließlich der Landesverteidigung gedient, ohne dass es jemals zum Ernstfall kam, wird sie nun in eine Interventionstruppe verwandelt. In einem viel zitierten Strategiepapier, das der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Naumann 1992 verfasst hatte und das später in die verteidigungspolitischen Richtlinien einfloss, heißt es, dass zu den neuen Aufgaben der Bundeswehr "die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" und die "Einflussnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse im Sinne unserer Interessen" gehören. Der Kosovokrieg war nach diversen Kurzeinsätzen nicht nur der Höhepunkt dieser Entwicklung, er führte der Regierung auch die unausweichliche Notwendigkeit erhöhter Rüstungsausgaben vor Augen, will sie ihrer Großmachtpolitik in Zukunft militärisch Nachdruck verleihen.

Diese kostspielige Aufrüstung und Umstrukturierung der Armee, für die laut Verteidigungsminister Scharping (SPD) mindestens 20 Milliarden Mark benötigt werden, kann angesichts drastischer Sparmaßnahmen in allen Sozialbereichen nicht so ohne weiteres durchgesetzt werden. Bisher gibt es in der breiten Bevölkerung auch wenig Bereitschaft, ihre Söhne für die Interessen der deutschen Wirtschaft wieder in den Tod zu schicken. Deshalb versucht die rot-grüne Regierung mit Gelöbnissen und anderen militärischen Zeremonien - zudem werden die Wehrpflichtigen neuerdings in vielen Kasernen angewiesen, ihre An- und Abfahrten zum Heimatort in Dienstkleidung durchzuführen - den Einfluss der Armee in der Gesellschaft zu stärken und die öffentliche Meinung auf wachsende Rüstungsausgaben sowie auf Kriegseinsätze in den nächsten Jahren vorzubereiten.

Damit aber nicht genug. Neben der internationalen Rolle wird versucht, das innenpolitische Gewicht der Bundeswehr zu heben, ja die Militärkaste zu einem Stützpfeiler der politischen Herrschaft zu machen. In diesem Zusammenhang ist auch die Demonstration von rund 5000 Bundeswehrsoldaten und Offizieren in Uniform am 11. September in Berlin zu sehen. Während Armeeangehörige bisher zu strikter politischer Neutralität verpflichtet waren, machten hier die Redner deutlich, dass die Militärs ab nun nicht mehr nur zusehen werden, wie gewählte Vertreter des Volkes Politik machen: "Die Zeit des stummen Erduldens politischer Willensbildungsprozesse ist vorbei!" Die Soldaten demonstrierten für höhere Rüstungsausgaben und dagegen, dass das Sparpaket der Bundesregierung auch den Verteidigungshaushalt trifft.

Jeder, der sich dieser Militarisierung der Gesellschaft widersetzt, muss in Zukunft damit rechnen, dass ihm der deutsche Staat mit aller Härte entgegentritt. So erging es etwa 20 jungen Leuten, die das Gelöbnis am 20. Juli dieses Jahres in Berlin "störten". Sie hatten sich von eingeladenen Freunden der Rekruten die Einladungskarten besorgt und waren mit dem offiziellen Shuttle-Bus von der Julius-Leber-Kaserne im Wedding zum Veranstaltungsort gefahren. Dort entkleideten sich ca. 15 von ihnen völlig und spannten mitgebrachte Regenschirme auf, auf denen antimilitaristische Parolen standen.

Die Demonstranten wurden verhaftet und geschlagen, sechs von ihnen mussten sich in ärztliche Behandlung begeben, eine 16-Jährige erlitt einen Schock. Anschließend wurden ihre Wohnungen und die Geschäftsstelle der "Jungdemokraten/Junge Linke" durchsucht. Um sie zu isolieren und einzuschüchtern, wurden teilweise sogar die Wohnungen ihrer engsten Vertrauten, wie z.B. der Eltern durchsucht. Nach dem Willen der Bundeswehr und von Berliner Politikern soll gegen die "Täter" hart vorgegangen werden. Bußgeldverfahren und Prozesse werden gerade eingeleitet. Die politische Jugendorganisation der "Jungdemokraten" soll gegebenenfalls sogar die städtischen Zuschüsse von 39.000 DM jährlich verlieren.

Siehe auch:
Die Bundeswehr als Rüstungslobby - Soldaten demonstrieren gegen Kürzungen im Verteidigungshaushalt
(15. September)
Der Kosovokrieg
( 14. September 1999)
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