Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind überall gegenwärtig

EU-Gremium veröffentlicht Jahresbericht zum Rassismus in Europa

Vor einigen Wochen hat die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) einen ersten Jahresbericht 1998 herausgegeben. Unter dem Titel "Der Wirklichkeit ins Auge sehen" soll in Teil II die aktuelle Verbreitung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den Ländern der Europäischen Union aufgezeigt werden.

Die Stelle ist erst seit 1998 tätig und stellt gleich eingangs fest, es handele sich bei ihrem Bericht "weder um ein Studie über die einzelnen Länder, noch um eine thematisch übergreifende Untersuchung". Als Quellen benutzten die Autoren vorwiegend Berichte oder Schreiben von Ämtern und Behörden auf nationaler oder europäischer Ebene. Unzureichende Statistiken nationaler Studien werden entschuldigend angeführt, und es wird darauf hingewiesen, dass nur öffentlich gewordene Fälle von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit berücksichtigt werden konnten.

Trotz dieser Mängel geht aus dem Bericht hervor, dass ganz Europa heute von einem Anstieg des Rassismus bedroht ist. Der einschlägige Teil II beginnt mit der Feststellung, "dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit überall gegenwärtig sind: kein Mitgliedsstaat ist davon ausgenommen."

Unter der Überschrift "Statistiken rassistischer Handlungen" werden einige Zahlen genannt.

In Deutschland wurden für 1998 53.000 Mitglieder extrem rechter Organisationen registriert, was einen Zuwachs von 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr ausmacht. Etwa die Hälfte der in den neuen Bundesländern begangenen Gewalttaten war rechtsextremistisch beeinflusst.

Frankreich hatte nach Angaben der staatlichen Statistik 165 Einschüchterungsversuche (Drohungen, Graffiti, Flugblätter, Beleidigungen, kleinere Straftaten usw.) zu verzeichnen, davon 81 antisemitische. Diese offiziellen Zahlen dürften Kennern der Verhältnisse als stark untertrieben erscheinen. 67 Prozent der Franzosen sprachen sich in einer nationalen Umfrage für eine strengere Kontrolle der Einwandererströme aus, 24 Prozent waren Verfechter einer vollständigen Schließung der Grenzen.

In Finnland wurden 1997 194 rassistisch motivierte Straftaten gezählt und in Schweden im darauffolgenden Jahr 591 "gegen ethnische Gruppen gerichtete Taten" (Im Jahr 1997 waren es 344; 1996 dann 281 gewesen). Zwei Eurobarometer-Umfragen zeigten, dass sich 55 Prozent der Belgier als rassistisch bezeichnen (1997) und lediglich 54 Prozent der Luxemburger von sich behaupten, keinesfalls rassistisch zu sein (1998).

Darüber hinaus ist zu erkennen, dass Einwanderer in der Arbeitswelt nach wie vor einer starken Diskriminierung ausgesetzt sind. In dänischen Unternehmen "finden 28% der Ausländer zwischen 25 und 49 Jahren aus Drittstaaten keine Arbeit, mit Spitzenwerten von 35% bei Türken und Pakistani und 60% bei den erst vor kurzem eingewanderten Personen, z.B. aus Somalia." Für zugewanderte Arbeitnehmer in Griechenland ist eine extreme Ausbeutung charakteristisch, und in Portugal "bilden die ethnischen Minderheiten ein beträchtliches Segment der armen Bevölkerung. [...] Ein hoher Prozentsatz der Roma und der Afrikaner befindet sich im Gefängnis oder erhält das staatliche Mindesteinkommen (eine allgemeine Unterstützung für die Ärmsten)."

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der staatliche Rassismus. So wird erwähnt, dass Asylbewerber in Österreich Misshandlungen seitens öffentlicher Dienststellen (Polizei und Strafvollzugsbeamte) ausgesetzt seien und "vor allem in Wien zahlreiche rassistische Vorfälle von den Polizeikräften ausgingen. Nach Angaben von NGOs neigt die Polizei im Rahmen der Bekämpfung der Kriminalität im Zusammenhang mit Drogen deutlich dazu, die Hautfarbe als hinreichenden Grund für die Verdächtigung von Personen zu betrachten."

In Spanien seien 1998 unter den rassistischen Vorfällen 40 Fälle von Machtmissbrauch und Aggressionen durch Polizeibeamte erwähnt worden. "In Spanien zeigen die Verurteilungen wegen rassistischer Straftaten, dass die Urheber gleichermaßen Mitglieder der extremen Rechten oder Neonazis und Skinheads wie auch sonstige Jugendliche, Einzelpersonen oder Polizisten sein können."

Darüber hinaus "verprügelten" in Luxemburg im Sommer 1993 zwei Gendarmen einen spanischen Staatsangehörigen und im Vereinigten Königreich sei das Jahr 1998 besonders durch die Anklage gegen Polizeikräfte im Rahmen einer Untersuchung des rassistisch motivierten Verbrechens an einem jungen Schwarzen 1993 gekennzeichnet gewesen.

Der Bericht führt die Situation in Dänemark als Beispiel für die Rolle der Medien bei der Förderung rassistischer Vorurteile an. Sie verdrehten nicht nur Tatsachen, sondern verbreiteten auch falsche Fakten. "Im allgemeinen versuchen die Behörden nicht, die in den Zeitungen oder im Fernsehen verbreiteten Fehlinformationen richtigzustellen... Ferner gaben die Behörden verschiedene Erklärungen bezüglich der ‚Bekämpfung der internationalen Kriminalität‘ ab, ohne diesen Ausdruck genau zu definieren und dessen Tragweite und etwaige Entwicklung darzustellen. So kann in der Bevölkerung der Eindruck aufkommen, dass wichtige ‚internationale‘ Verbrechen von Ausländern begangen werden und folglich Ausländer als besonders gefährlich zu betrachten seien."

Allerdings kommt der Bericht über eine selektive Auflistung dieser Fakten nicht hinaus. Er versucht kaum eine gewisse Systematisierung und enthält sich weitergehender Verallgemeinerungen.

Statt dessen werden unter den Überschriften "Maßnahmen im Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" sowie "Maßnahmen der Europäischen Union" des langen und breiten die angeblich vorbildlichen Anstrengungen der Staaten und Regierungen gelobt. "Die Bundesregierung", heißt es zum Beispiel, "wird weiterhin im Rahmen des möglichen und besonders dort, wo sie Rahmenbedingungen schaffen kann, die zahlreichen Maßnahmen der Länder zur Bekämpfung des Rechtsextremismus unterstützen (zum Beispiel Sonderkommandos der Polizei)."

Bei dieser Lobhudelei wundert es nicht, dass die Fälle, in denen die staatlichen Stellen selbst zu Tätern wurden, bestenfalls beiläufig erwähnt werden. Nur unzusammenhängend werden die Todesfälle einer Nigerianerin, eines Tunesier und eines Srilanker während deren Abschiebung genannt. Kein Wort ist zu finden von Aamir O. Ageeb, Markus Omafuma, Kola Bankole oder Joy Gardener - um die bekanntesten Flüchtlinge zu nennen, die in den letzten Jahren bei ihrer Abschiebung aus einem europäischen Staat ums Leben kamen. Sie wurden gefesselt, geknebelt, mit Spritzen ruhiggestellt oder bekamen stundenlang nichts zu essen oder zu trinken.

Der Bericht kann den wirklichen Ursachen für die dargestellte Entwicklung nicht auf den Grund gehen und wirkt einfach banal, wenn uns etwa unter Punkt 1.3, "Die Opfer", die Entdeckung zuteil wird, dass sich unter diesen "im allgemeinen Bevölkerungen oder Gruppen von Fremden bzw. Eingewanderten befinden." Und wer hätte gedacht, dass viele der Täter nicht eindeutig zu identifizieren sind, weil sie Masken tragen?

Die folgende, umständliche, in ihrer bürokratischen Hilflosigkeit geradezu lächerlich wirkende Aufdröselung der Tatsache, dass im allgemeinen Menschen anderer Hautfarbe oder Herkunft Opfer des Rassismus werden, zeigt den beschränkten Charakter des Berichtes besonders deutlich. Die beauftragte Stelle kann keine ernsthafte Ursachenforschung treiben, ohne sich selbst, die Politik der EU und vor allem der einzelnen Mitgliedstaaten in Frage zu stellen.

Die heutigen Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind eng verwachsen mit den ökonomischen Bedingungen in der Europäischen Union selbst. In nahezu jedem Mitgliedstaat ist über kurz oder lang eine sozialdemokratische Regierung an die Macht gekommen und führt nun die heftigsten sozialen Angriffe auf die Bevölkerung durch. Überall in Europa ist der Übergang von einer Politik des sozialen Ausgleichs zu der einer sozialen Konfrontation zu beobachten. Dem sozialen Konsens ist die ökonomische Grundlage entzogen worden und die Sozialdemokratie legt ein enormes Tempo vor beim Abbau von demokratischen Rechten und anderen Errungenschaften der arbeitenden Bevölkerung.

Nicht selten setzt sie dabei die rassistischen Forderungen rechtsextremer Parteien in politische Praxis um - mit der Begründung den Rechten dadurch den Wind aus den Segeln zu nehmen und sie überflüssig zu machen. So zum Beispiel, wenn sich der bisherige sozialdemokratische Innenminister Österreichs damit brüstet, die sogenannte Nettozuwanderung gegen Null gedrückt zu haben, oder der deutsche Innenminister inzwischen das Recht auf Asyl komplett in Frage stellt. Dadurch werden nur in immer stärkerem Maße die Rechten auf den Plan gerufen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Entwicklung ist das Wiedererwachen des Militarismus in Europa. Beim Versuch, die enormen finanziellen Summen für eine militärische Aufrüstung freizumachen, erweisen sich Sozialstaat und sozialer Ausgleich nur als unnötiger Ballast. Zudem müssen die nationalen Regierungen, um aggressiv nach außen auftreten zu können, die öffentliche Meinung im eigenen Land hinter sich bringen. Das Schüren rassistischer Vorurteile ist zu diesem Zweck unvermeidlich, um Feindbilder zu schaffen und kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Da der Bericht dieser Entwicklung keinerlei Rechnung trägt, kann er über die Ursachen des Rassismus nur oberflächlich spekulieren. So erwähnt er beispielsweise einen Zusammenhang zwischen Rassismus und Einwanderung, kann dann aber keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen der Einwandererzahl und der Anzahl rassistischer Taten feststellen und führt als nächstes - beinahe überrascht - einen Gegenbeweis am Beispiel einer Umfrage in Frankreich an: "Die Meinungsumfrage in Frankreich hat gezeigt, dass in denjenigen Kommunen, in denen es die wenigsten Zuwanderer gibt, das Gefühl der Angst vor Fremden am stärksten ist. Die Fremdenfeindlichkeit ist in solchen Stadtteilen gering, in denen viele Ausländer verschiedener Nationen mit Einheimischen zusammenleben."

Entsprechend kurz greift dann auch die Perspektive am Ende des Berichtes: eine repressivere Gesetzgebung seitens des Staates sowie verschiedene Veranstaltungen, Aktionsbündnisse, Fortbildungen, Wettbewerbe, Ausstellungen und Projekte zum Thema Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.

Doch eine Aufklärung von oben, die nicht von einer spürbaren Verbesserung der sozialen Lage und von einer von Grund auf geänderten Ausländerpolitik der Staaten und Regierungen selbst begleitet wird, kann nicht greifen und läuft lediglich darauf hinaus, denen ganz unten in heuchlerischer Weise Moral zu predigen.

Wie kurzsichtig diese Perspektive ist, zeigen nicht zuletzt die jüngsten Wahlergebnisse eines deutschen Bundeslands, in dem ca. ein Jahr zuvor die Initiative "Tolerantes Brandenburg" zusammen mit einer besonderen Mobilen Eingreiftruppe gegen Gewalt ins Leben gerufen worden war: Die rechtsextreme DVU erhielt erstmals Einzug in den brandenburgischen Landtag.

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