Einige Lehren aus der Geschichte der iranischen Arbeiterbewegung

Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen Vortrag, mit dem Justus Leicht vor einigen Wochen eine Diskussionsveranstaltung in Frankfurt / Main einleitete. Er formuliert einige programmatische Thesen, die sich aus einer Analyse der iranischen Geschichte im Lichte des Marxismus ergeben.

Die Krise des islamischen Regimes im Iran hat sich in den letzten Monaten dramatisch zugespitzt. Die Wahlen zum Parlament im Februar waren trotz ihrer sorgfältigen Beschränkung auf systemtreue Kandidaten ein eindeutiges Plebiszit gegen das bestehende Regime. Nicht um ihres eigenen politischen Programms willen ist die Fraktion der sogenannten "Reformer" um Präsident Khatami mit großer Mehrheit gewählt worden, sondern aufgrund weit verbreiteter Unzufriedenheit mit einem System, das mit Unterdrückung, Armut und Korruption identifiziert wird. Gleichzeitig gab es eine nahezu ununterbrochene Folge von kleineren und größeren Streiks, Protesten und Studentendemonstrationen.

Die Fraktion der sogenannten "Hardliner" oder "Konservativen", die wenig Einfluss in der Bevölkerung hat und neben weiten Bereichen der Wirtschaft vor allem den Staatsapparat, die Justiz und das staatliche Fernsehen kontrolliert, hat darauf mit einer aggressiven Kampagne reagiert: Verbot von über einem Dutzend Zeitungen, Verhaftungen, Mobilisierung der paramilitärischen Milizen, Schüren von Antisemitismus durch einen Schauprozess gegen Juden wegen angeblicher Spionage für Israel und Fremdenfeindlichkeit gegen Afghanen, die als Drogenhändler und illegale Arbeiter dargestellt werden.

Die Reaktion der "Reformer" bestand darin, vor dem Druck der Rechten systematisch zurückzuweichen: Die Aufklärung der Hintergründe der "mysteriösen Mordserie" Ende 1998 an prominenten Intellektuellen wie Darioush Fouruhar wurde Anfang diesen Jahres ergebnislos eingestellt.

Präsident Khatami wurde nicht müde, die Bevölkerung zu "Ruhe und Ordnung" aufzurufen, während Zeitungen verboten und protestierende Studenten zusammengeschlagen wurden. Als erste Amtshandlung des neuen Parlaments fand eine Pilgerfahrt zum Grab von Ayatollah Khomeini statt, wo die "Reformer" dem verstorbenen Vater der islamischen Republik ihre Referenz erwiesen.

In jüngster Zeit haben Studentenvertreter zunehmend auch Khatami kritisiert. Um nicht schon von vornherein jede Glaubwürdigkeit zu verlieren, soll im neuen Parlament eine Lockerung des Presserechts und eine Einschränkung des Rechts der Sicherheitskräfte, Universitätsgelände zu betreten, eingebracht werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden entsprechende Gesetzentwürfe vom konservativ dominierten Wächterrat blockiert werden. Neue Konflikte und Proteste sind unvermeidlich.

Alle Fragen und Probleme, mit denen die Arbeiter, Bauern und Intellektuellen des Iran während des gesamten 20. Jahrhunderts konfrontiert waren, stellen sich heute erneut in aller Schärfe. Es ist deshalb notwendig, die grundlegenden Lehren aus der tragischen Geschichte der iranischen Arbeiterbewegung zu ziehen. Nur dann ist ein erfolgversprechender Kampf für eine bessere Zukunft möglich.

Selbst ein sehr kurzer Rückblick auf die Geschichte des Iran im 20. Jahrhundert macht deutlich, dass die iranische Bourgeoisie unfähig ist, die Probleme des Landes - Armut, Unterdrückung, Rückständigkeit und die Vorherrschaft des Imperialismus - zu lösen, ganz gleich, ob ihre Vertreter nun mit Maßanzug, Militäruniform oder langen Bärten und geistlichen Gewändern daherkommen.

Das bedeutet nicht, dass die nationale Bourgeoisie niemals ein Interesse an der Entwicklung des Landes oder an der Unabhängigkeit vom Imperialismus gezeigt hätte. Ganz im Gegenteil. Die ersten bürgerlichen Publikationen Anfang des 20. Jahrhunderts sprachen stets nur sehr verächtlich von der Religion und diskutierten intensiv Wege, die feudale Zersplitterung und Unterentwicklung zu überwinden. Doch bereits in der "konstitutionellen Revolution" von 1906 - fast zeitgleich mit der russischen von 1905 - erschöpfte sich die revolutionäre Initiative der Bourgeoisie darin, sich in der britischen Botschaft zu verstecken. Von deren Garten aus drohten ihre Führer, so lange nicht herauszukommen, bis der Schah konstitutionelle Reformen durchführe. Als das Schah-Regime 1920 durch heftige soziale Unruhen im Gefolge der russischen Oktoberrevolution (1917) erneut erschüttert wurde, setzten die politischen Führer der Bourgeoisie auf den General Reza Khan Pahlevi, der 1921 mit Hilfe des britischen Imperialismus einen Staatsstreich durchführte und sich 1925 selbst auf den Pfauenthron setzte.

Es gibt einige bemerkenswerte Parallelen zwischen der Politik von Reza Khan und dem Begründer der modernen bürgerlichen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk. Beide sparten anfangs nicht mit "links" und "antiimperialistisch" klingender Demagogie. Beide wurden von den Stalinisten, die sich Mitte der zwanziger Jahre in der sowjetischen Regierung durchzusetzen begannen, als "revolutionäre Führer" angepriesen. Beide versuchten, die feudale und religiöse Rückständigkeit ihrer Länder zu überwinden und unter dem Schutz des Staates eine kapitalistische Entwicklung der Wirtschaft in Gang zu bringen.

In diesem Bemühen stießen sie jedoch sehr bald auf das Problem, dass der wirtschaftliche Aufbau das gesellschaftliche Gewicht der Arbeiterklasse sowie die Gegensätze zwischen besitzenden und besitzlosen Klassen in Stadt und Land vergrößerte. Angesichts dieses sozialen Sprengstoffs griffen die Machthaber auf die traditionellen Säulen der gesellschaftlichen Unterdrückung zurück. Nur so konnten sie sich gegenüber der Masse der unteren Klassen behaupten.

Statt die Macht der Geistlichkeit und der Grundbesitzer zu brechen und die religiösen und nationalen Minderheiten im Land zu befreien, setzten sie auf Unterdrückung und Chauvinismus. Nicht zufällig übernahm Reza Khan - wie Kemal - aus Mussolinis faschistischem Italien das Verbot aller unabhängigen Organisationen der Arbeiter und Bauern. Und nicht zufällig gab er Persien den Namen "Iran", um damit auf die höhere "arische Rasse" der Perser hinzuweisen. Sich selbst gab er den unbescheidenen Beinamen "Sonne der arischen Rasse".

Nicht besser war es Anfang der 50er Jahre um Premier Mohamed Mossadeg bestellt, der für die Nationalisierung der Anglo-Iranischen Ölgesellschaft berühmt geworden ist. Die Verstaatlichung des verhassten Ölkonzerns rief verständlicherweise große Begeisterung in der Bevölkerung hervor. Mossadeg suchte aber nicht dort, sondern in Washington gegen Großbritannien Unterstützung. Er setzte darauf, eine imperialistische Macht gegen die andere auszuspielen.

Die USA ließen sich jedoch von London überzeugen, Mossadeg zu stürzen. Grund dafür war weniger die Angst vor Mossadeg selbst als die Furcht vor dem Masseneinfluss der Tudeh, der moskau-orientierten stalinistischen Partei Irans, die damals weit mehr Menschen mobilisieren konnte als Mossadegs "Nationale Front". Nach einem ersten Fehlschlag des Putsches floh der Schah aus dem Land, Massen von Tudeh-Anhängern stürmten auf die Strassen und rissen die Königsstatuen nieder. Mossadeg wandte sich daraufhin wiederum an die USA und folgte deren "Rat", die Bevölkerung - seine einzige Basis - mit Militärgewalt niederzuschlagen. Anschließend war es Armee und Schah natürlich ein leichtes, mit ihm selbst fertig zu werden. Möglich war dies, weil die Tudeh, nachdem die Nationale Front ihr Angebot zu einer "breiten Einheit" abgelehnt hatte, nicht zum Widerstand gegen den Schah mobilisiert hatte. Deshalb wurde zur freudigen Überraschung der CIA der Putsch, mit dem der US-Geheimdienst den Schah zurückholte, doch noch zum Erfolg.

Man sollte anmerken, dass der Klerus den Schah beim Putsch von 1953 und noch einige Zeit danach unterstützte. Das begann sich erst zu ändern, als die Öffnung und Modernisierung der nationalen Wirtschaft gegenüber den internationalen Konzernen durch den Schah die soziale und ökonomische Basis der Geistlichkeit selbst bedrohte - nämlich den sogenannten Basar, die traditionellen Händler und Kaufleute, die der internationalen Konkurrenz ebenso wenig gewachsen waren wie die Bauern, die zunehmend in den Städten ihr Auskommen suchen mussten.

Die Modernisierung und starke Industrialisierung des Landes, die sogenannte "Weiße Revolution", die in den frühen sechziger Jahren eingeleitet wurde, kam nur einer kleinen Clique um den Schah, in- und ausländischen Kapitalisten und Grundbesitzern zugute. Sie integrierte den Iran jedoch auch in die Weltwirtschaft und brachte deren potenzielle Totengräber hervor - das städtische Proletariat wuchs bis Mitte der siebziger Jahre enorm an.

Nicht der politischen Stärke und Weitsichtigkeit von Khomeini, sondern der nationalistischen Politik des Stalinismus war es zu verdanken, dass der Schah nicht durch die Arbeiterklasse und armen Bauern, sondern die Mullahs und Basarhändler gestürzt wurde. In diesem Zusammenhang sei hier noch einmal daran erinnert, dass etwa die Tudeh-Partei und die Volksmojahedin damals im Namen des "Islamischen Sozialismus" und des "Antiimperialismus" Khomeini bzw. Bani-Sadr, den ersten Präsidenten der "Islamischen Republik Iran" unterstützten.

Khomeini war ein Vertreter der nationalen Bourgeoisie: Während er die Linke zu Tausenden massakrierte, jede unabhängige Regung der Arbeiterklasse in Blut erstickte und alle Bestrebungen z.B. der Kurden nach etwas Autonomie brutal unterdrückte, nationalisierte er die Banken und Schlüsselindustrien einschließlich des Öls, schottete die Wirtschaft nach außen ab und baute eine gewisse Infrastruktur, vor allem ein Bildungswesen auf, das breiten Schichten zugute kam.

Gerade die Entwicklung der nationalen Wirtschaft steigerte jedoch die Abhängigkeit des Iran von der Technologie und den Märkten des Weltmarktes immer mehr. Deshalb kam es bereits in den ersten Jahren der islamischen Republik zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Kreise über die Wirtschaftspolitik, die Rolle des Staates in der Wirtschaft und die Öffnung gegenüber dem internationalen Kapital. Der Krieg gegen Irak überdeckte das Problem zwar vorübergehend, blutete aber gleichzeitig das Land aus und stellte es anschließend umso schärfer.

Die Schwäche der iranischen Bourgeoisie - die aus der Unmöglichkeit einer nationalen Entwicklung im Rahmen der zunehmend globalisierten kapitalistischen Weltwirtschaft resultiert - ist eine Erklärung für den brutalen Eroberungskrieg, den Iran nach seiner erfolgreichen Verteidigung ab 1982 führte, für die verdeckte militärische Zusammenarbeit mit den USA und Israel trotz aller Demagogie "gegen US-Imperialismus und Zionismus" (aufgedeckt in der "Iran-Contra-Affäre") und auch für die späteren Zickzacks der iranischen Außenpolitik von Khomeinis Tod bis heute.

Diese Unmöglichkeit ist auch der Kern des Dilemmas, in dem das Regime heute steckt: Das Land ist dem Bankrott nahe, weil es immer noch stark von der Weltwirtschaft isoliert ist. Ein Ausbruch aus dieser Isolation auf kapitalistischer Grundlage, wie ihn Khatami versucht und dessen Notwendigkeit im Prinzip auch seine Gegenspieler bejahen, erfordert eine vollständige Unterwerfung unter den Imperialismus und die wirtschaftliche Öffnung des Iran gegenüber den Raubtieren des internationalen Kapitals.

Eine solche Wendung jedoch macht nicht nur einschneidende Angriffe auf den ohnehin niedrigen Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung des Iran unaufschiebbar, sondern bedroht gleichzeitig die Pfründe und Privilegien eines Teils des Klerus und der Basarhändler, der sogenannten "Mafia der Macht". Die Führer der "Reformer" wie der "Hardliner" wissen das - es ist der Grund für ihre Konflikte ebenso wie für ihre demonstrative Eintracht gegenüber jeder Bedrohung von unten. Die Arbeiter und Studenten des Iran müssen es ebenfalls verstehen und die politische Konsequenz ziehen: Ein fortschrittlicher Ausweg ist nur möglich auf der Grundlage einer sozialistischen Perspektive, die sich die Abschaffung des Kapitalismus und Imperialismus zum Ziel setzt und dazu die Unterdrückten aller Nationalitäten und Religionen des gesamten Nahen Ostens vereint.

Siehe auch:
Weitere Artikel zum Iran sowie zum aktuellen Staatsbesuch Khatamis
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