1. Türkische Filmfestspiele in Frankfurt/Main

Zeichen der Hoffnung - und viele Fragen

Teil 2

Vom 27. bis-30. April fanden in Frankfurt die Ersten Türkischen Filmtage statt, bei denen acht Filme neueren Datums gezeigt wurden. Wir setzen hier die Besprechung der Filme fort.

"Lebewohl Morgen"

In dem 1998 von Reis Celik gedrehten Film geht es um den Studentenführer Deniz Gezmis, der 1971 von einem Gericht der Militärjunta zum Tode verurteilt und im Jahr darauf mit zwei anderen Mitgliedern der von ihm geführten Gruppe "Volksbefreiungsarmee der Türkei" (THKO) hingerichtet wurde. Der Film basiert teilweise auf den Memoiren seines Rechtsanwaltes. Er beginnt mit der Zwangsräumung eines Armenviertels in der Gegenwart. Dabei kommt eine Mauer zum Vorschein, auf dem als Graffiti eine große türkische Fahne und Bilder von Gezmis und der THKO zu sehen sind. Ein Mann erinnert sich in den Trümmern der zerstörten Häuser wehmütig an die alten Zeiten.

Der übrige Teil des Films dreht sich um den Gerichtsprozess und Rückblenden auf die Aktivitäten der THKO, beginnend mit der Ergreifung von Gezmis und seinen Freunden. In einem kleinen Dorf wird Gezmis von einem aufgebrachten Mob, Polizisten und Soldaten gestellt. Er erklärt pathetisch: "Ich ergebe mich nur der ruhmreichen Türkischen Armee, die einstmals gegen den Imperialismus gekämpft hat." Als er im Militärjeep weggefahren wird und wütende Dörfler dem Wagen nachlaufen, fragt ihn der Offizier: "Wo ist denn dein Volk, das du befreien willst?" Gezmis antwortet lächelnd: "Das Volk ist doch hinter mir."

Diese ersten Szenen lassen bereits Schlimmstes in Bezug auf den Film befürchten. Weiter geht es mit den Gerichtsverhandlungen und der Gefangenschaft der THKO. Dass ihre Mitglieder in der Haft und vor Gericht gefoltert und misshandelt wurden, erwähnt der Film nicht. Die einzige Aktion, die der Ankläger des Militärtribunals den Angeklagten vorwerfen kann, ist die Entführung vier amerikanischer Soldaten, die sie später wieder freiließen. Ansonsten wird ihnen "Kommunismus" und "Separatismus" vorgeworfen. Die Angeklagten beschuldigen im Gegenzug das herrschende Regime des Faschismus, des Verrats am Kemalismus und des Ausverkaufs der Türkei an den amerikanischen Imperialismus. Ihr patriotisches Ziel sei Demokratie, Brüderlichkeit der Türken und Kurden und nationale Unabhängigkeit der Türkei.

Als Gezmis eine abwertende Äußerung eines amerikanischen Politikers aus dem Jahr 1920 über den späteren Staatsgründer Kemal Atatürk zitiert und fragt: "Wäre dieser Mann nicht der Richtige zum Entführen gewesen?" muss der Vorsitzende Richter in seiner Militäruniform unwillkürlich kurz zustimmend lächeln. Auch später, bei der Hinrichtung, scheint der Offizier sich einer leisen Sympathie für Gezmis und seine Gruppe nicht erwehren zu können.

Der Film hinterlässt einen mehr als schalen Nachgeschmack. Deniz Gezmis ist neben Mahir Cayan und Ibrahim Kaypakkaya eine der Ikonenfiguren des kleinbürgerlichen Radikalismus der Türkei, nicht unähnlich dem Mythos, der um Che Guevara geschaffen wurde. "Lebewohl Morgen" ist kein Versuch, sich mit diesem Mythos kritisch auseinander zu setzen, sondern ihn vielmehr zu befestigen. Welche Tragik, soll sich der Zuschauer wohl denken.

Unbestreitbar haben die Mitglieder der THKO Mut und Opferbereitschaft bewiesen. Damit standen sie allerdings nicht allein. Genauer gesagt, am Willen, ohne Rücksicht auf die eigene Person zu kämpfen und dabei auch den Tod in Kauf zu nehmen, hat es gerade in der Türkei in den letzten Jahrzehnten nicht gemangelt. Die meisten politischen Tendenzen dort, auch ausgesprochen reaktionäre, können sich auf eine große, oft in die Tausende gehende Zahl von "Märtyrern" berufen.

In den siebziger Jahren sind unzählige Guerillagruppen wie die THKO entstanden, die türkischen oder kurdischen Nationalismus in unterschiedlicher Weise mit Stalinismus, Maoismus und Castroismus mischten. Die THKO etwa sah sich buchstäblich gleichzeitig als "marxistisch-leninistisch" und als die wahren Patrioten und Erben Atatürks. Bezeichnenderweise geht der Film darauf nicht ein, sondern stellt es so dar, als ob der "Marxismus-Leninismus" nur eine Beschimpfung der Presse gewesen wäre. Dem war jedoch nicht so. Tatsächlich hatten die zahllosen Varianten des stalinistischen "Marxismus-Leninismus" zwar nichts mit der Politik und den Theorien von Marx und Lenin zu tun. Gerade deshalb allerdings konnte damit allen möglichen nationalistischen Konzepten ein linker Deckmantel verpasst und die Massenbewegung der Arbeiter, Bauern und Studenten in unfruchtbare Kanäle gelenkt und letztlich auf die Schlachtbank der Militärs geführt werden.

Wie in anderen Ländern sind auch in der Türkei die ex-radikalen Tendenzen aus den sechziger und siebziger Jahren nach dem politischen Bankrott ihrer eigenen Politik zu dem Schluss gekommen, jede Politik, die sich irgendwie an der Arbeiterklasse oder einer revolutionären, sozialistischen Perspektive orientiert, sei zum Scheitern verurteilt. Der "Kampf für Demokratie" soll deshalb nicht mehr mit Hilfe von Gewehrkugeln, sondern mit Hilfe der Europäischen Union geführt werden. Die Armee wird nicht mehr in Frage gestellt. "Lebewohl Morgen" versucht die 68er wie Deniz Gezmis als die verlorenen Söhne der türkischen Bourgeoisie zu "rehabilitieren". Diese Darstellung entspricht einem bestimmten gesellschaftlichen Bedürfnis. Die überlebenden Söhne wollen heimkehren.

"Propaganda" und "Bootsmann"

Auch "Propaganda" (1999) von Sinan Cetin spielt in der Vergangenheit und beruht auf einer wahren Geschichte. Im Jahr 1948 kehrt Mehti in sein Dorf in der Südosttürkei an der syrischen Grenze heim. Er kommt aus Ankara und trägt die schmucke Uniform eines Zollbeamten. Mitten durch karge Wüstenlandschaft lässt er kilometerlang Stacheldraht ziehen: die Staatsgrenze. Sie verläuft trotz mehrmaligem Nachmessen genau durch das Dorf. An die einzige Strasse stellt Mehti sein Zollhäuschen (samt Gefängnis) und Schlagbaum. Nun braucht jeder Dorfbewohner einen Pass, um in die andere Hälfte zu kommen. Diese wissen jedoch nicht einmal was das ist und wofür es gut sein soll. Der Einzige mit Pass ist ein Gauner "mit guten Beziehungen nach Ankara" wie er selbst sagt.

Den Bauern geht der Ernst, wenn auch nicht der Sinn der Sache mit der Grenze erst richtig auf, als Mehti auf den Dorfirren schießen lässt, der sich über die Grenze lustig macht. Nun müssen sie schmuggeln und ihr Vieh auf Umwegen heimlich über die Grenze treiben. Aber auch Mehti wird nicht glücklich mit seiner "verantwortungsvollen Aufgabe". Sein bester Freund Rahim, der Dorfarzt, wohnt nämlich auf der anderen Seite, ebenso wie dessen schöne Tochter Filiz, die Mehtis Sohn liebt. Mehti wird zunehmend seinen menschlichen Gefühlen und seiner Pflicht gegenüber dem Staat zerrissen. Schließlich kommt es zur Eskalation. Der Film ist eine beißende Satire auf die Unsinnig- und Unmenschlichkeit des Nationalstaats.

Einmal fragt Mehti Rahim rhetorisch: "Was wäre denn ohne den Staat?" Dieser fragt trocken zurück: "Ja, was denn?", worauf Mehti keine Antwort weiß. Gerade die arme Bauernbevölkerung im kurdischen Südostanatolien hat den Nationalstaat kaum als etwas anderes erlebt, denn als eine fremde, bösartige Macht, die sie auseinanderreißt, unter patriotischen Phrasen schikaniert und unterdrückt. Der Sieg der Kemalisten im nationalen Befreiungskrieg 1922, mit dem der türkische Nationalstaat geschaffen wurde, konnte keine geeinte Nation hervorbringen. Denn das hätte die soziale Befreiung der Arbeiter- und Bauernmassen erfordert - und dadurch den Nationalstaat wieder in Frage gestellt. Der Film geht den Ursachen von Chauvinismus und staatlicher Unterdrückung nicht näher auf den Grund. Die Schlussszene scheint sogar die (unrichtige) Erklärung anzudeuten, man müsse nur zu den angeblichen Idealen des Befreiungskrieges zurückkehren und sie dem dadurch geschaffenen real existierenden Staat entgegenstellen. Was bleibt, ist dennoch eine hervorragende Politsatire, die nicht nur für die Türkei äußerst zeitgemäß ist.

"Der Bootsmann" (1999) von Biket Ilhan spielt in der Gegenwart, ein modernes Märchen. Die Hauptfigur Kayikci (türkisch für Bootsmann, niemand kennt seinen wirklichen Namen), ein taubstummer türkischer Fischer, liebt die schöne griechische Ex-Sängerin Evdokia. Um ihr seine Liebe zu beweisen, schwimmt er wie in der antiken Sage von Hera und Leandros eines Nachts hinüber zur griechischen Insel, wo sie lebt. Die Polizei greift ihn auf, er wird verhört und als türkischer Spion verdächtigt. Dank Evdokia kommt er zwar wieder frei. Doch deren eifersüchtiger Verehrer, ein trunksüchtiger Journalist, bemüht sich, mittels der griechischen Medien Stimmung gegen Kayikci zu machen und auch Evdokias Familie unter Druck zu setzen. Wieder zurück, ergeht es ihm nicht besser. Reis, für den bereits die meisten Fischer arbeiten müssen, setzt seine ökonomische Macht und die türkischen Medien ein, um Kayikci als griechischen Spion darzustellen. Auf beiden Seiten gibt es aber auch Freunde, die den beiden helfen. "Der Bootsmann" ist ein wunderbarer, wenn auch vielleicht etwas naiv erscheinender Film, ein mal romantisches, mal lustiges Plädoyer gegen nationale Borniertheit und über die Kraft von Liebe und Freundschaft.

Insgesamt gibt es bei den gezeigten Filmen viele Zeichen der Hoffnung: Abscheu über Chauvinismus und staatliche Unterdrückung, ernsthaftes Interesse und Sympathie für das Leben und die Probleme der einfachen Bevölkerung. Was dem türkischen Film zu schaffen macht, sind ungelöste historische und politische Fragen, die noch aufgearbeitet werden müssen.

Siehe auch:
1. Türkische Filmfestspiele in Frankfurt/Main - Teil 1
(11. Mai 2000)
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