Die Fusion von Deutscher und Dresdner Bank

Kampf um weltweite Dominanz

Die am Dienstag, den 7. März, angekündigte Verschmelzung von Deutscher Bank AG und Dresdner Bank AG, Deutschlands größter beziehungsweise drittgrößter Bank, zum größten Geldhaus der Welt ist die deutsche Antwort auf den immer härteren Wettkampf um die Dominanz auf den Weltfinanzmärkten und der Auftakt zu tiefgreifenden Veränderungen der deutschen Wirtschaft.

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Rolf-Ernst Breuer, erklärte die Entscheidung für die Fusion mit den Worten: "Wir wollten nicht getrieben werden", und drückte damit eine weitverbreitete Stimmung in Wirtschaftskreisen aus, endlich selbst die Initiative gegen die immer übermächtiger werdende ausländische Konkurrenz zu ergreifen und sich von dem lästigen Ballast der "Deutschland AG" zu befreien.

Durch die Fusion entsteht das mächtigste Bankhaus der Welt mit einer Bilanzsumme von fast 2,5 Billionen Mark und einem Börsenwert von rund 150 Milliarden Mark. Damit liegt sie weit vor der zweitgrößten Bank, der amerikanischen Citygroup mit einer Bilanzsumme von 1,2 Billionen Mark, und auch noch vor den geplanten japanischen Bankzusammenschlüssen der Dai-Ichi/Fuji/Industrial Bank mit 2,4 Billionen Mark, beziehungsweise der Sumitomo/Sakura Bank mit 1,7 Billionen Mark Bilanzsumme.

Für das neue Institut ist eine Loslösung vom bei Deutscher und vor allem Dresdner Bank gewinnschwachen Mengenkundengeschäft und des damit verbundenen kostspieligen und umfangreichen Filialnetzes geplant. Von den 2.500 Filialen sollen in den nächsten Jahren 800 geschlossen und in diesem Bereich 5.900 Mitarbeiter bis zum Jahre 2002 entlassen werden.

Die vorgesehenen Umstrukturierungen führen in den Jahren 2001 und 2002 zu Entlassungen von insgesamt 16.000 der 120.000 Mitarbeiter, von denen gegenwärtig 75.000 bei der Deutschen und 45.000 bei der Dresdner Bank beschäftigt sind. Jedes Jahr sollen Kosteneinsparungen von knapp 5,9 Milliarden Mark erzielt werden.

Zu den künftigen Kernbereichen der neuen Großbank, die den Namen Deutsche Bank AG beibehalten, aber die grüne Farbe der Dresdner Bank übernehmen wird, gehören das international heiß umkämpfte Geschäft mit Investmentfonds, die Vermögensverwaltung, bei der die neu entstehende Bank den traditionsreichen Schweizer Banken den Rang ablaufen will, das Emissions- und Anleihegeschäft und das Finanzierungsgeschäft mit Firmenkunden von der Großindustrie bis zum Mittelstand, in dem die neue Bank zum mächtigsten Finanzhaus Europas wird.

Im Investmentbanking, das heißt dem Handel und der Platzierung von Wertpapieren an den internationalen Börsen, versuchten Deutsche und Dresdner Bank in den vergangenen Jahren ihre Position gegeneinander und vor allem auf den internationalen Märkten auszubauen. Infolge des immer stärkeren Konkurrenzdrucks aus Amerika, Großbritannien oder auch den Niederlanden, wo schon seit Jahren eine Konzentration in diesem Bereich stattfindet, gerieten vor allem Dresdner, aber auch Deutsche Bank in zunehmend größere Schwierigkeiten.

Die Übernahmen des Londoner Investmenthauses Morgan Grenfell 1993 oder der amerikanischen Bankers Trust 1997 brachten die Deutsche Bank zwar im Investmentbanking in die Weltspitze (z.B. achtgrößte Bank der USA), lösten jedoch ihr wichtigstes Problem nicht: die Kosten.

Bei den deutschen Banken liegt das Verhältnis der Kosten zum Ertrag durchschnittlich bei 70 Prozent, während diese Quote bei britischen Banken nur 40 bis 50 Prozent ausmacht. Bei der Eigenkapitalrendite, dem wichtigsten Maßstab für die Profitabilität an den Börsen, liegt die Deutsche Bank bei für deutsche Verhältnisse hohen 14 Prozent und die Dresdner Bank bei 8,7 Prozent. Englische Banken können im Durchschnitt 20 bis 30 Prozent vorweisen.

Das hatte zu einer Situation geführt, in der die Deutsche Bank trotz ihrer Bilanzsumme von 1,6 Billionen Mark selbst schon als Übernahmekandidat auf den internationalen Finanzmärkten angesehen wurde und nun trotz aller Verlautbarungen von einer "Ehe unter Gleichen" die Dresdner Bank übernommen hat.

Nach angelsächsischen Maßstäben sind viele der deutschen Banken schon seit längerem in die Kategorie "Übernahmekandidat" gefallen. Sie weisen die in dieser Hinsicht typischen Charakteristika auf: geringe Eigenkapitalrendite und hohe Kostenblöcke, teilweise unwirtschaftliche Industriebeteiligungen und teurer Ballast, wie das Kleinkundengeschäft. Als weitere Fusions- bzw. Übernahmekandidaten werden bereits jetzt die Commerzbank AG und die bayrische HypoVereinsbank gehandelt.

Den deutschen Privatbanken ist es in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen, trotz größter Anstrengungen mit Werbung und Filialpräsenz ihr Privatkundengeschäft gegenüber den Sparkassen und Genossenschaftsbanken wesentlich auszubauen. 1998 verfügten letztere immer noch zusammengenommen über einen Anteil von nahezu 80 Prozent.

Daher ist die Ausgliederung des Filialgeschäftes in die Bank 24, die innerhalb von drei Jahren an die Börse gehen soll, einer der Hauptpunkte des Fusionsvertrages. Der Versicherungskonzern Allianz AG, bei dem die Fäden der Fusion zusammenliefen, weil er mit knapp 5 Prozent an der Deutschen Bank AG und mit 21,7 Prozent an der Dresdner Bank AG beteiligt ist, beabsichtigt mit 49 Prozent Minderheitsaktionär der neuen Bank 24 zu werden, um über deren Strukturen seine Versicherungen, Investmentfonds und Kapitalanlagen zu verkaufen.

Für das Bankensystem Deutschlands ist diese Fusion von einschneidender Bedeutung. Die klassische deutsche Universalbank mit ihrer umfassenden Produktpalette sieht der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank AG, Rolf-Ernst Breuer, "am Ende". "In der deutschen Finanzwelt wird nach der Fusion nichts mehr so sein, wie es einmal war", kommentiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung( FAZ). Und: "Endlich kommt neues Wettbewerbsverhalten nach Deutschland", lobt Charles Calomiris, von der New Yorker Columbia University: "Die deutschen Banken hatten ein gemeinsames Monopol, bei dem sich niemand weh getan hat."

Wirtschaftskommentatoren beschreiben diesen Schritt als "Konzentration auf eigene Stärken im internationalen Wettbewerb", mit der "größte Kostensenkungsmöglichkeiten und erhebliche Ertragspotentiale" im Finanzbereich erzielt werden können. Nach englischer und amerikanischer Erfahrung aus den vergangenen Jahren sind wirtschaftlich nur noch Banken tragbar, die sich auf nicht viel mehr als einen Kernbereicht konzentrieren und in diesem zum Global Player aufsteigen. Diese "Erfahrung werden auch die deutschen Banken in den nächsten Jahren machen müssen", schreibt das Handelsblatt.

Ein Schritt zu weiterer Expansion

Die Fusion mit der Dresdner Bank ist für Breuer deshalb nur ein "erster Schritt zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und weiterer Expansion", um die notwendige Größe für beabsichtigte Übernahmen im amerikanischen Investmentbanking zu erreichen. Gerüchten zufolge soll schon in den kommenden zwei Jahren ein solches Vorhaben verwirklicht werden, bei dem eine der drei führenden amerikanischen Investmenthäuser Goldman Sachs, Meryll Lynch oder Morgan Stanley Dean Winter übernommen werden sollen.

Trotz der hohen Bilanzsumme ist die Marktkapitalisierung dafür aber noch zu gering. Profitabilitätssteigerungen durch Kostensenkungen und die Auflösung von stillen Reserven durch Verkäufe von Industriebeteiligungen in Höhe von 65 Milliarden Mark sollen die Bank dazu in die Lage versetzen. Mit "Wir sind ein Powerhaus. Wir haben Pulver" kündigt Breuer den aggressiven Kurs der Bank im internationalen Übernahmepoker an.

Mit einer solchen Fusion könnte die neue Bank auch in den USA zur Nummer eins aufsteigen und wird den schon seit Jahren international stattfindenden Großfusionen eine neue Aggressivität verleihen. 1996 vollzogen die Chemical Banking Corp. und Chase Manhatten Corp. die größte Fusion in der amerikanischen Bankengeschichte. Im gleichen Jahr verschmolzen sich die Bank of Tokyo und die Mitsubishi Bank zum weltweit größten Bankkonzern, und 1997 wurde mit der United Bank of Switzerland die größte Bank Europas geschaffen. Erst im Oktober 1999 wurde die Absicht erklärt aus den Banken Industrial Bank of Japan, Fuji Bank Ltd. und Dai-Ichi Kangyo Bankd Ltd. wiederum das größte Bankhaus der Welt zu schmieden.

Innerhalb von Deutschland wird die Schaffung der neuen Großbank eine regelrechte Fusionswelle in dem schon seit längerem zögerlich stattfindenden Prozess von Bankenverschmelzungen auslösen. Bisher haben sich 1997 nur die Bayrische Vereinsbank und die Bayrische Hypotheken- und Wechselbank unter großen Schwierigkeiten zur zweitgrößten deutschen Bank, der HypoVereinsbank, zusammengeschlossen, während Fusionsvorhaben um die Commerzbank AG, die BHF-Bank, die Bankgesellschaft Berlin AG, die Norddeutsche Landesbank und die Dresdner Bank AG nicht über Planungen und Absichtserklärungen hinausgekommen sind.

Für die Beschäftigten der gesamten Branche werden die Auswirkungen davon gravierend sein. Der sich jetzt zuspitzende Konkurrenzkampf, zu dessen einzigem Kriterium der Marktwert eines Unternehmens geworden ist, lässt keinen Spielraum mehr für soziale Zugeständnisse am Arbeitsplatz. Entlassungen werden noch in viel größerem Ausmaß als bei der neuen Deutschen Bank im gesamten Bankenbereich auf der Tagesordnung stehen. So haben selbst die Sparkassen, die über die Bundesländer mit dem Staat verbunden waren und zum Teil beamtengleiche Arbeitsbedingungen boten, drastische Steigerungen in der Produktivität des Kleinkundengeschäftes angekündigt. Gleichzeitig will die Hypo-Vereinsbank AG in den nächsten Jahren 7.000 weitere Stellen abbauen.

Unter Nutzung der modernsten Technik werden in diesem Kampf ums "Fressen und gefressen werden" radikal die alten Strukturen aufgebrochen, und die Banken verlieren einem Kommentar der Welt zufolge sogar ihre traditionelle Funktion als Kapitalsammelstellen zur Finanzierung der Industrie: "Das Fusionsfieber im deutschen Bankgewerbe ist keine Aufwallung von Stärke - es ist ein Symptom für Schwäche. Entgegen der landläufigen Meinung akkumulieren die Banken keineswegs Macht, sie sind dabei, sie zu verlieren. Nicht mehr die Banken, sondern die Börsen sammeln Kapital, verbinden Sparer mit Investoren und verteilen volkswirtschaftliche Ressourcen. Das Volk wird zusehends zur autonomen Aktionärsversammlung und entmachtet die Banken ihrer klassischen Funktion als Intermediäre, als Schaltzentralen und Informationspools. ‚Nur Spießer brauchen noch Banken‘, heißt es in der frechen Welt der New Economy. Im Bankenjargon spricht man gelehrt von ‚Disintermediation‘ - existenzbedrohend ist beides".

Ende der "Deutschland AG"

Eine Konsequenz daraus ist tatsächlich das Ende der "Deutschland AG" mit den engen Beziehungen zwischen Banken, Industrie und Politik, über die buchstäblich der gesamte wirtschaftliche und soziale Konsens, das sogenannte Modell der "Sozialpartnerschaft", aufrechterhalten wurde. Die deutschen Chefetagen sind praktisch eine Welt für sich. Fast jeder Bankvorstand sitzt gemeinsam mit Politikern und Gewerkschaftsvertretern in mehreren Aufsichtsräten der großen deutschen Industrieunternehmen, wo gemeinsam über rituelle "harte Verhandlungen" und darauffolgendes Einvernehmen die Sicherung des sozialen Friedens aber auch die Rettung eines in Not geratenen Unternehmens geregelt wird.

Das letzte große Beispiel dieser Art war die Rettung des Holzmann-Konzerns im vergangenen Herbst. Die Sorge in den Finanzkreisen, dass die Bundesregierung an dieser Politik festhalten könnte, löste heftige Debatten über die gesamte Wettbewerbsfähigkeit Europas aus und ließ den Kurs des Euros gegenüber dem Dollar empfindlich sinken.

Das ist der Grund für die Euphorie in den wichtigsten Wirtschafts- und Finanzzeitungen, in denen es nach Ankündigung der Bankenfusion hieß, dass dieser "Paukenschlag" und "Überraschungscoup" die "überfälligen Konsolidierungsmaßnahmen" in Deutschland einleite.

Die Verflechtungen und gegenseitigen Beteiligungen in Höhe von insgesamt fast 300 Milliarden Mark in Deutschland sind zu einem Klotz am Bein von Konzernen wie der Allianz AG, der Deutsche Bank AG oder der Münchener Rückversicherung AG geworden. Sie sind an nahezu allen namhaften deutschen Unternehmen beteiligt und für die Konzentration auf ihre jeweiligen Kernbereiche auf die damit gebundenen Finanzmittel angewiesen.

So hat die deutsche Allianz AG, die mit 100 Milliarden Mark an Versicherungsprämien im Jahre 1999 der weltweit größte Versicherer und mittlerweile auch einer der größten Vermögensverwalter der Welt ist, die sukzessive Auflösung ihrer stillen Reserven in Höhe von 100 Milliarden Mark angekündigt. Diese sind zum Teil in Industriebeteiligungen angelegt und sollen durch Entflechtung für weitere Übernahmen eingesetzt werden.

Die Allianz will damit ihre internationale Führungsposition weiter ausbauen und den eingeschlagenen Kurs mit größerem Nachdruck fortsetzen. Erst 1999 hat sie für 4,4 Milliarden Mark die US-Vermögensverwaltungsgesellschaft Pimco gekauft und wird im Zuge der Fusion der Deutschen Bank deren Fondsgesellschaft DWS übernehmen, die mit einem 24prozentigen Marktanteil und über 150 Milliarden Mark an Einlagen die größte Fondsgesellschaft Deutschlands und führend in Europa ist. Im Versicherungsbereich werden bereits Übernahmegespräche mit der US-Versicherung Pacific Life geführt und die Übernahme eines britischen Lebensversicherers beabsichtigt. Auch in Frankreich werden potentielle Übernahmekandidaten gesucht.

Die betroffenen Industrieunternehmen, die in Deutschland mit ihren teilweise nach Zehntausenden zählenden Belegschaften nach wie vor eine große Rolle spielen, werden damit ebenfalls direkt dem Übernahmepoker an den Börsen ausgeliefert, wenn sie nicht in der Lage sind, durch radikale Kostensenkungen ihren Börsenwert mit hoher Profitabilität aufrechtzuerhalten.

Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung der von der rot-grünen Bundesregierung am 21. Dezember 1999 vorgelegten Steuerreform immer deutlicher. Der Wegfall der 50prozentigen Steuer auf Veräußerungsgewinne von Kapitalgesellschaften macht den Weg frei für eine Umorganisierung der deutschen Wirtschaft zu einem aggressiven Mitspieler im Kampf um die Neuaufteilung der Weltmärkte. Nicht feindliche ausländische Übernahmen wie die von Mannesmann durch die britische Vodaphone Air Touch sollen das Geschehen bestimmen, sondern der Spieß soll umgedreht werden. Nicht umsonst fordert die FAZ: "Die Politik ... darf diesem ‚Gründergeist‘ nicht wieder Zügel anlegen."

Opfer wird wie schon in Amerika oder Großbritannien die arbeitende Bevölkerung sein, auf deren Rücken dieser Kampf ausgetragen werden soll. Sie wird mit einem bisher unbekanntem Ausmaß an Betriebsschließungen, Massenentlassungen, Kurzzeitjobs und Billiglöhnen konfrontiert sein und die absehbaren Folgen für das darauf beruhende Renten- und Sozialsystem zu tragen haben.

Siehe auch:
Vodafone schluckt Mannesmann
(10. Februar 2000)
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