Die österreichische Spitzelaffäre

Enge Verbindung zwischen Haiders Freiheitlichen und Polizei

Die Freiheitliche Partei (FPÖ) Jörg Haiders hatte jahrelang Zugang zu geheimen Polizeidaten. Sie benutzte diese Daten, um politischen Gegner zu diffamieren und ihre ausländerfeindlichen Kampagnen zu untermauern. Zugang zu den Daten verschaffte sie sich über Mitglieder einer parteinahen Gewerkschaft, die sich für ihre Spitzeldienste bezahlen ließen. Neben dem Kärtner Landeshauptmann und starken Mann der FPÖ, Jörg Haider, stehen etliche weitere hochrangige Parteimitglieder im Verdacht, sich illegal Daten beschafft zu haben.

Das ist das bisherige Ergebnis der sogenannten "Spitzelaffäre", die seit Wochen die österreichische Öffentlichkeit beschäftigt. Der Skandal macht deutlich, dass die rechte FPÖ, deren Eintritt in die österreichische Bundesregierund 1999 europäische Sanktionen auslöste, seit langem über enge Beziehungen zum Staatsapparat verfügt.

Ende September hatten die Aussagen eines ehemaligen Mitglieds der FPÖ-Polizeigewerkschaft, Josef Kleindienst, den Stein ins Rollen gebracht. Kleindienst gab zu, für die FPÖ Daten aus dem Polizeicomputer über den österreichischen Künstler André Heller und andere Personen besorgt zu haben. Die Informationen dienten dann als Grundlage für verleumderische Artikel, die meist im rechtslastigen Boulevard-Blatt Kronen-Zeitung erschienen. Auch andere Beamte, so Kleindienst, hätten die Freiheitlichen mit Daten versorgt und seit Jahren regelmäßig Geld von der Partei erhalten.

Darauf hin leitete Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) ein Ermittlungsverfahren ein und die Wirtschaftspolizei begann mit der Vernehmung von Kleindienst. Seither hat sich die Affäre rasant ausgeweitet. Vorerhebungen gegen Haider und weitere FPÖ-Spitzenpolitiker wurden eingeleitet, teilweise sogar ihre politische Immunität aufgehoben. Hausdurchsuchungen bei vierzehn verdächtigen Polizisten, die allesamt der Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher (AUF) - der Exekutivgewerkschaft der FPÖ - angehören, wurden durchgeführt. Im Zuge dieser Ermittlungen kamen Fakten zu Tage, die erahnen lassen, welche Ausmaße die Zusammenarbeit zwischen Staatsapparat und FPÖ hat.

Der Wiener FPÖ-Obmann Hilmar Kabas baute in Zusammenarbeit mit dem Landesparteisekretär Michael Kreissl in der Hauptstadt ein regelrechtes Spitzelnetz auf. Nach Untersuchungsergebnissen gab es mehrere Beamte, die für verschiedene Bezirke Wiens zuständig waren und FPÖ-Politikern als Ansprechpartner dienten.

Kabas Hauptinteresse galt Daten über Ausländer und Asylbewerber sowie über Rauschgiftdelikte. Mit Hilfe der illegal beschafften Informationen versuchte er gezielt, Asylsuchende als Drogenhändler darzustellen. Er war des öfteren bereits wenige Stunden nach einer Drogenrazzia über Verhaftungen und sichergestellte Drogen unterrichtet. Über eine groß angelegte Drogenrazzia gegen Schwarzafrikaner (Operation Spring) im letzten Jahr war er im voraus informiert. Die FPÖ startete darauf hin eine Anzeigenkampagne gegen schwarzafrikanische Drogendealer - und schrieb sich die anschließend erfolgende Razzia als eigenes Verdienst gut.

Im Verlauf der Ermittlungen konnte nachgewiesen werden, dass Kabas über vertrauliches Aktenmaterial über die Operation Spring verfügte. Er besaß auch vertrauliche Informationen über einen Zivilprozess, den die Caritas gegen ihn selbst führte, weil er behauptet hatte, diese sei eine Hochburg der schwarzafrikanischen Drogenmafia.

Ähnliches kam auch bei den Untersuchungen gegen weitere Spitzenpolitiker der Freiheitlichen zu Tage. Der AUF-Funktionär und Leibwächter Haiders, Horst Binder, gilt als Vermittler zwischen Polizei und Freiheitlichen. L. Mayerhofer, niederösterreichischer Landtagsabgeordneter und Polizist, war bereits im Vorjahr wegen Datenklau angeklagt worden. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt und erst im Zuge des jetzigen Verfahrens wieder aufgerollt.

Der Salzburger Landesobmann Karl Schnell, gegen den ebenso Ermittlungen laufen, hat laut der Aussage von Kleindienst "mehr brisante Akten gelagert, als am örtlichen Gendarmerieposten vorhanden sind". Schnell und der Landtagsabgeordnete Karl Naderer sollen über Beamte mehrfach Auskünfte eingeholt und diese im Wahlkampf verwendet haben.

Das größte Augenmerk in der Affäre gilt Jörg Haider. Auch er wurde schwer belastet. Bereits 1995 hatte er AUF-Mitglieder damit beauftragt, für eine Sondersitzung des Parlaments mit dem Thema "Wie sicher ist Österreich" Datenbestände auf straffällig gewordene Asylsuchende zu durchsuchen. Mit Hilfe dieser Daten wollte er nachweisen, dass aufgrund der "nicht funktionierenden Abschiebepraxis verurteilte ausländische Schwerverbrecher scharenweise in Österreich herumlaufen", wie er damals sagte. Dergleichen oder ähnliche Fälle dürfte es noch viele geben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, das Haider ein "Dauerdelikt" begangen habe.

Auch der gegenwärtige Justizminister Dieter Böhmdorfer (FPÖ) ist tief in die Affäre verstrickt. Dies ist besonders brisant, da er als Justizminister Dienstherr der ermittelnden Staatsanwälte und für die Aufklärung und Bestrafung der Datendiebstähle zuständig ist.

Bevor er Minister wurde, hatte Böhmdorfer Haider und weitere FPÖ-Mitglieder in zahlreichen Verfahren als Anwalt vertreten und sich dabei auf Aktenmaterial aus Polizeicomputern gestützt. Böhmdorfer und seine Mandanten verfügten auf diese Weise über polizeiliches Insiderwissen, dass sie in Prozessen gegen Kritiker einsetzten konnten. Teilweise hatten sie sogar Zugang zu Akten, die vermutlich auch von der Polizei auf nicht legalem Weg erworben worden waren.

Die Zeitschrift Falter beschreibt dies so: "In Böhmdorfers Akten findet sich ein grundrechtlicher Super-Gau: Polizisten schnüffeln politisch missliebigen Personen nach, sammeln eifrig Daten über deren politische Gesinnung. Die FPÖ bekommt diese Daten in die Hand und führt unter der Leitung jenes Mannes, den sie später zum Justizminister ernennt, politische Prozesse."

Die FPÖ-Politiker, die unter Beschuss geraten sind, versuchen sich teils dadurch zu rechtfertigen, dass sie die Opposition ähnlicher Delikte beschuldigen. Seither wird auch in diese Richtung ermittelt - mit Erfolg. Der SPÖ-Abgeordnete Rudolf Schober wird verdächtigt, Abfragen im Polizeicomputer für die SPÖ in Auftrag gegeben zu haben. Weitere Ermittlungen bei den Sozialdemokraten und deren Umfeld sind zu erwarten.

Der frühere sozialdemokratische Innenminister Karl Schlögl, ein Duzfreund Haiders, scheint außerdem seit langem von den Praktiken der FPÖ gewusst zu haben. 1997 hatte ihm Haider in einem Brief mitgeteilt, dass er über "Auszüge aus Polizeicomputern" in drei Bundesländern verfüge. Schlögl versuchte gar nicht, Haider zu belangen, und ließ die ganze Sache unter den Tisch fallen. Dabei dürfte die Angst, dass Untersuchungen auch die eigene Partei belasten könnten, eine Rolle gespielt haben.

Die "Spitzelaffäre" zeigt deutlich, wie tief vernetzt Polizei, Justiz und die extreme Rechte in Österreich sind. Die FPÖ, die Ausländer, Asylsuchende, Linke und Kritiker unablässig als Verbrecher und Terroristen darstellt, hat sich die angeblichen Beweise dafür durch kriminelle Machenschaften beschafft und den Datenschutz für die Bevölkerung gründlich unterhöhlt. Keine der etablierten Parteien kann sich für eine lückenlose Aufklärung einsetzen, ohne befürchten zu müssen, selbst in den Skandal hinein gezogen zu werden.

Die "Spitzelaffäre" spielt sich vor dem Hintergrund einer massiven Krise sowohl der Freiheitlichen als auch die Regierungskoalition insgesamt ab. Die FPÖ verdankte ihre Wahlerfolge einer Kombination von ausländerfeindlicher Rhetorik und sozialer Demagogie im Interesse "des kleinen Mannes". Seit sie in der Regierung sitzt und eine unsoziale Politik mitträgt, die in krassem Gegensatz zu dieser Demagogie steht, verliert sie zunehmend an Unterstützung. Laut Umfragen hat sie rund ein Viertel ihrer Anhängerschaft eingebüßt.

Angesichts dieser Entwicklung beginnt nun das Hauen und Stechen innerhalb der FPÖ und der Regierung. Ein Auseinanderbrechen der Koalition von Freiheitlichen und Volkspartei und eine Rückkehr der Volkspartei zu ihrem alten Koalitionspartner, den Sozialdemokraten, wird immer wahrscheinlicher. Es hat bereits entsprechende Sondierungsgespräche gegeben. Innerhalb der FPÖ werden Forderungen lauter, dass Haider, der sich im Frühjahr nach Kärnten zurückgezogen und den Parteivorsitz seiner Statthalterin Susanne Riess-Passer übergeben hatte, in die Bundespolitik zurückkehrt.

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