"Ulbrichts Helfer"

Die Rolle von Wehrmachtsgeneralen in der DDR

Zum Mythos der DDR gehörte schon immer ihr Antifaschismus. Mit Stumpf und Stiel sei er ausgerottet worden, mitsamt seinen Wurzeln für immer beseitigt - der Faschismus in der DDR. So jedenfalls stand es in den Lehrbüchern des Geschichtsunterrichtes, so wurde es bei jeder Gelegenheit in den offiziellen Stellungnahmen der Partei- und Staatsführung verbreitet und so wird es nicht nur von Nostalgikern noch immer wiederholt.

Die Propaganda schlug tiefe Wurzeln, doch die Wirklichkeit war anders. Für ein Verständnis des Charakters der DDR und seiner Staatspartei SED (Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands) ist es daher wichtig, den tatsächlichen Beziehungen der herrschenden Schicht in der DDR zu Teilen von Hitlers Offizierscorps auf den Grund zu gehen.

Wir wollen unseren Lesern zu diesem Zwecke das Buch "Ulbrichts Helfer - Wehrmachtsoffiziere im Dienste der DDR" von Peter Joachim Lapp zur Lektüre empfehlen. Es ist im letzten Jahr erschienen und geeignet, einen Teil dieser Beziehungen zu erhellen.

In ihm wird sehr detailliert nachgezeichnet und mit zahlreichen Originaldokumenten belegt, wie ehemalige Generäle und Offiziere der deutschen Wehrmacht Schlüsselstellungen beim Aufbau der Streitkräfte in der DDR innehatten. Zwar ist es nicht grundsätzlich verwerflich und mitunter sogar unvermeidlich beim Aufbau einer Armee auf militärisches Fachpersonal auch aus den Reihen des Gegners zurückzugreifen. Auch war nicht jeder Offizier der Wehrmacht und schon gar nicht in den unteren Dienstgraden ein überzeugter Nazi.

Aber die Zusammenarbeit der frühen DDR mit hohen Wehrmachtsoffizieren beschränkte sich nicht auf militär-technisches Know-how, sondern legte den Grundstein, um den Geist deutschen und preußischen Soldatentums, "bewährte" Prinzipien des militärischen Drill und selbst äußere Umgangs- und Erscheinungsformen des deutschen Militarismus zunächst in die "Kasernierte Volkspolizei (KVP)" und nach 1956 in die "Nationale Volksarmee (NVA)" fortzuschreiben.

Schon der erste Absatz des Buches erschüttert den Glauben an den "sozialistischen Charakter" der ostdeutschen Armee. So wurde von der SED stets verschwiegen, "dass z.B.

* der erste Chef des Stabes der KVP und der NVA ein ehemaliger Generalleutnant und Armeeführer der Deutschen Wehrmacht war,

* der erste Präsident des Obersten Gerichtes der DDR als Kriegsgerichtsrat des Heeresjustizdienstes der Wehrmacht sein Brot verdient hatte und zugleich der NSDAP angehörte,...

* der erste Kommandeur der Hochschule für Offiziere der KVP und NVA ein Oberst und Ritterkreuzträger der Wehrmacht war,...

* der erste Chef der Verwaltung Motorisierung (Panzerwesen) im DDR-Innen- bzw. Verteidigungsministerium, ein Ex-Generalmajor der Wehrmacht, 1939 bis 1942 Beisitzer (ehrenamtlicher Richter) am NS-Volksgerichtshof gewesen war, der an vielen politischen Todesurteilen mitgewirkt hatte, sowie

* ein ehemaliger Obersturmführer und Oberleutnant der Waffen-SS in den fünfziger Jahren als Oberst und Divisionskommandeur eingesetzt worden war." (S.7)

Systematisch zeichnet der Autor die Stationen des Aufbaus der NVA und die Rolle der ehemaligen Wehrmachtsoffiziere nach. Dabei geht es ihm nicht darum, nachzuweisen, dass der Aufbau der Streitkräfte im Osten mehr oder weniger identisch mit dem der westdeutschen Bundeswehr war, von der man wusste, dass nahezu alle Mitglieder ihre Führungsorgane der faschistischen Wehrmacht entstammten.

"In Volkspolizei und Volksarmee taten maximal 5 Prozent ehemalige Wehrmachtsoffiziere Dienst, meistens lag dieser Prozentsatz sogar darunter. Quantitativ kann also da kaum etwas verglichen werden zwischen BRD und DDR. Aber: Qualitativ spielte die kleine Gruppe der ‘Ehemaligen' eine weitaus größere Rolle in KVP und NVA als zu DDR-Zeiten zugegeben." (S.9)

Der Grundstein wurde gelegt, als im Frühjahr und Sommer 1943, besonders nach der Niederlage der 6. Armee unter Generalfeldmarschall Friedrich Paulus bei Stalingrad im Winter 1942/43 und der gescheiterten Sommeroffensive im Kursker Bogen 1943, eine Reihe von Generalen und Offizieren der deutschen Armee begannen, sich von Hitler abzuwenden, weil sie ahnten, dass eine Niederlage Hitlers eine Zerschlagung Deutschlands nach sich ziehen konnte.

Diese Veränderung nutzten die Stalinisten, indem sie mit der Gründung des "Nationalkomitee Freies Deutschland" (NKFD) und später mit dem "Bund Deutscher Offiziere" (BDO) versuchten, gefangengesetzte Offiziere für ihre Zwecke zu sammeln und einzusetzen. Während des Krieges bestanden diese Zwecke vornehmlich in Frontorganisationen, die Propaganda- und Zersetzungsarbeit gegen die Wehrmacht betrieben. Jedoch sollten die Mitglieder der beiden Vereinigungen erst nach dem Kriege und nach deren Auflösung 1945 besondere Bedeutung erlangen.

1945/46 verblieben eine Reihe von "Ehemaligen" in der damaligen "Sowjetischen Besatzungszone" (SBZ) und fanden als "Kader" in den Verwaltungen, Betrieben, Massenorganisationen, an Hoch- und Fachschulen, im Pressebereich sowie der Deutschen Volkspolizei (DVP) Verwendung. Schon dies sagt einiges über den Charakter der künftigen herrschenden Schicht in der DDR aus, wenn man dagegen hält, dass zur gleichen Zeit die zahllosen "Antifaschistischen Komitees", die nach Kriegsende spontan in den wichtigsten Regionen Ostdeutschlands entstanden, um mit den Nazi- und Kriegsverbrechern vor Ort abzurechnen, von der KPD-Führung als ultralinks denunziert, aufgelöst und durch Verwaltungen ersetzt wurden, in denen sich teilweise alte Wehrmachtsoffiziere wiederfanden.

Der gezielte Aufbau ostdeutscher, militärischer Institutionen, der durch die Vereinbarungen des Potsdamer Abkommens vom 2. August 1945 eigentlich untersagt war, wurde Mitte des Jahres 1948 in Angriff genommen. Dies war zum einen eine Reaktion auf den anwachsenden kalten Krieg und der damit verbundenen Anbindung Westdeutschlands an die politischen und militärischen Strukturen Amerikas und Westeuropas, zum anderen auf die sukzessive Rückführung großer Teile der Sowjetarmee in die Sowjetunion.

Laut sowjetischem Regierungsbeschluss vom 2. Juli 1948 sollten 10.000 Mann nach militärischen Standards ausgebildet werden, wobei die Hälfte davon sowie die gesamte Führungsmannschaft (100 Offiziere und fünf Generale) aus deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion bestehen sollte.

Im September des selben Jahres traf diese Führungsmannschaft in der SBZ ein, bis Anfang Oktober war das Gros der Truppe mit 4.774 Mann angekommen. Unter dem Dach der "Deutschen Verwaltung des Innern" (DVdI) wurde so die "Hauptabteilung Grenzpolizei/Bereitschaften" geschaffen. Damit war das Fundament für die ostdeutschen Polizeitruppen gelegt.

Zentrale Figur in dieser Einheit wie auch in den nachfolgenden Entwicklungsstufen bis zur NVA war, mit einigen Unterbrechungen, der ehemalige Generalleutnant der Wehrmacht Vincenz Müller, Armeeführer im Zweiten Weltkrieg und Ritterkreuzträger. Mit seiner Biographie, vom Frontoffizier im Ersten Weltkrieg über das Reichswehrministerium als enger Mitarbeiter des Generals von Schleicher bis zum Stabsoffizier und schließlich General der Wehrmacht, verkörperte er wie kein Zweiter in den Reihen der "Ehemaligen" den deutschen Militarismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Als Chef des Stabes der Volkspolizei, erneut im Range eines Generals, wurde er am 1. Oktober 1948 zum zweitwichtigsten Mann beim Aufbau der militärischen Einheiten im Osten Deutschlands. Drei weitere ehemalige Generalmajore der Wehrmacht besetzten die Stabschefposten auf Länderebene in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen während die 100 Offiziere der ersten Stunde, auf die gesamte SBZ verteilt, Stabspositionen und Funktionen in Lehreinrichtungen übernahmen. Damit war gewährleistet, dass die auf zentraler Ebene, besonders von Müller, entwickelten Formen der neuen Truppe in den Regionen und dem heranzuziehenden Kader verankert wurden.

Der Umfang der VP-Bereitschaften wuchs schnell und hatte ein Jahr später die Stärke von etwa 35.000 Mann erreicht, als in einer nächsten Stufe die "Hauptverwaltung für Ausbildung" (HVA) gebildet wurde, die die Basis für die künftigen Landstreitkräfte darstellte. In dem siebenköpfigen Führungsgremium der HVA befanden sich wiederum vier "Ehemalige", zwei Ex-Generalmajore und zwei Ex-Majore im Generalstab der Wehrmacht.

Dabei blieb die Leitung dieser Abteilung, wie der meisten anderen auch, in den Händen alter KPD/SED-Kader, während der Posten des Stabschefs oder der Chefs für Versorgung oder für Inspektion der VP und damit das eigentliche operative Geschäft, die praktische Durchführung des Aufbaus der Streitkräfte den "Generalen" an die Hand gegeben wurde.

Worin dieses Geschäft bestand, fasst der Autor des Buches in Bezug auf Vincenz Müller wie folgt zusammen:

"Müller selbst bemüht sich in den ersten Monaten seiner Dienstzeit im KVP-Stab, den militärisch-organisatorischen Aufbau voranzutreiben, die Fachausbildung zu vervollkommnen, die inneren Strukturen der KVP-Einheiten zu entwerfen sowie allgemein die materielle und personelle Sicherstellung der Truppe zu gewährleisten. Er greift dabei auf seine Erfahrungen aus Wehrmachtszeiten zurück; dafür hat man ihn seiner Meinung nach ‘eingekauft'." (S.50)

Noch konkreter gehen diese Bemühungen Müllers aus regelmäßigen Berichten seines 1. Stellvertreters und ständigen Schattens Bernhard Bechler an das Ministerium für Staatssicherheit hervor. Darin erregt sich Bechler, ebenfalls ein ehemaliger Wehrmachtsmajor und inzwischen zum Generalmajor der KVP aufgestiegen, dass sein Vorgesetzter ständig Vorschriften missachte, und sich dabei auf einen sowjetischen General berufe, "der ihm gesagt haben soll, dass er eine der deutschen Tradition entsprechende innere Ordnung einführen soll." Außerdem versuche Müller alles, "um uns dazu zu veranlassen, neue Vorschriften, die sich auf die Linie faschistischer Vorschriften stützen, auszuarbeiten." (S.56)

Im Aufbau der Marine stützte sich die DDR auf den ehemaligen "nationalsozialistischen Führungsoffizier" (NSFO) der Kriegsmarine Oberleutnant Heinz Neukirchen. Er wurde 1951 nach sowjetischer Gefangenschaft, bei der Seepolizei als Stabschef eingesetzt. Bis 1964 sollte er es noch zum Chef der Volksmarine und zum Vizeadmiral bringen. Auch im zivilen Ruhestand setzte er seine Karriere fort und übernahm beim VEB Seeverkehr und Hafenwirtschaft den Posten als Generaldirektor.

Den Kern der neuen Einheiten bildete jedoch die HVA, die bis 1952 auf cirka 55.000 Mann anwuchs. Am 1. Juli 1952 gingen aus den Polizeiverbänden der HVA die Kasernierte Volkspolizei (KVP) und damit die ersten regulären ostdeutschen Streitkräfte hervor. Auch in diesen spielte der inzwischen zum Generalleutnant ernannte Vincenz Müller die erste Geige.

Als 1. Stellvertreter des Ministers des Inneren und wiederum Chef des Stabes war er nunmehr die militärische Nummer Eins in der DDR und direkt dem damaligen Innenminister Willi Stoph unterstellt. Bis Ende des selben Jahres war der Gesamtpersonalstand der Kasernierten Volkspolizei auf über 90.000 Mann angewachsen.

Ihre erste Bewährungsprobe sollte die KVP nur ein knappes Jahr nach ihrer Gründung bestehen und bei dieser Gelegenheit offenbaren, gegen wen sie gerichtet war. An der Seite der sowjetischen Panzer beteiligte sie sich an der Niederschlagung des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 und sicherte so den Fortbestand der Herrschaft der stalinistischen Bürokratie in der DDR.

Während die SED-Führung den Aufstand als faschistische Konterrevolution denunzierte, war der Einfluss der ehemaligen Wehrmachtsoffiziere in der KVP Ende 1953 höher als je zuvor. Sie stellten neben dem Stabschef einen der beiden Stellvertreter, dazu vier von sieben Stabschefs der Bereitschaften, 40 Prozent der Stellvertreter der Bereitschaftsleiter und 75 Prozent aller Leiter von Militärschulen.

Das Jahr 1953 stellte gleichzeitig den Wendepunkt in der Zusammenarbeit mit den Wehrmachtsoffizieren dar. Die Verschärfung des Kalten Kriegs und die damit verbundene engere Bindung der DDR an die Sowjetunion führte zu Spannungen. Der Aufbau der DDR-Streitkräfte war in seinen wesentlichen Phasen vollzogen und der Stern der "Ehemaligen" begann zu sinken.

Das Buch enthält noch eine ganze Reihe konkreter Details, die in ihrer Gesamtheit den Einfluss der Wehrmacht beim Aufbau ostdeutschen Militärs Gestalt annehmen lassen. Ergänzt ist es durch eine reiche Auswahl von Kurzbiographien ehemaliger Wehrmachtsangehöriger.

Eine Behandlung des Buches wäre unvollständig, wenn man nicht auch einige Worte über seinen Autor und dessen eigene Einschätzung verlieren würde. Obwohl er die Beziehung der SED zur Wehrmacht sehr deutlich herausarbeitet, war sein eigentliches Ziel die Rehabilitation der ehemaligen Generale und Offiziere.

Peter Joachim Lapp, der als junger Mann vier Jahre in einem DDR-Gefängnis verbrachte und später im Westen knapp 20 Jahre als Redakteur beim Deutschlandfunk beschäftigt war, trägt eine recht unverhohlene Sympathie mit den "Kameraden" zur Schau. Er versucht die Karrieren der "Ehemaligen" als ein tragisches Schicksal darzustellen, die zuerst von Hitler verraten und schließlich von den Stalinisten benutzt, verbraucht und weggeworfen worden seien.

Ulbrichts Helfer von Peter Joachim Lapp, Bernard & Graefe Verlag, Bonn 2000, ISBN 3-7637-6209-4

Loading