Bundesinnenminister Otto Schily legt Entwurf zur Neuregelung des Ausländergesetzes vor

Am 3. August hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) seinen Gesetzentwurf "Zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz - ZuwG)" vorgestellt. Er war als "großer Wurf" angekündigt worden, der die Zuwanderung nach Deutschland erleichtern, die unübersichtlichen und komplizierten Regelungen des Ausländerrechts vereinfachen und die rechtliche Unsicherheit vieler in Deutschland lebender Ausländer verringern sollte.

Der nun vorlegende Entwurf hat eine ganz andere Stoßrichtung. Ausländer kommen darin fast nur noch als ökonomische Größe vor. Sie werden ausschließlich nach ihrem Nutzen für die deutsche Wirtschaft beurteilt und eingeteilt. Während für einige von der Wirtschaft dringend gesuchte Spezialisten Einreise und Aufenthalt erleichtert werden, bringt der Entwurf für die überwiegende Mehrheit der Immigranten - Arbeitssuchende, Asylbewerber und Kinder - zusätzliche Erschwernisse und Schikanen.

Es mutet schon paradox an, wie zu einem Zeitpunkt, an dem mit großem Aufwand des vierzigsten Jahrestags des Mauerbaus gedacht und das "menschenverachtende Regime" der DDR gegeißelt wird, jede Achtung für Menschen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit aus dem Ausländerrecht verschwindet. Die Achtung der Menschenwürde und der Respekt vor demokratischen Grundsätzen hat bei der Ausarbeitung von Schilys Entwurf nicht die geringste Berücksichtigung gefunden.

Zweiklassenrecht

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Bestimmungen für die Erteilung eines Aufenthaltsrechts und die Erteilung einer Arbeitserlaubnis für Ausländer in Deutschland zum ersten Mal in einem Gesetz zusammengefasst werden. Die große Zahl bisheriger Aufenthaltstitel - Aufenthaltsbefugnis, Aufenthaltsbewilligung, befristete und unbefristete Aufenthaltserlaubnis und Aufenthaltsberechtigung - soll dabei auf zwei reduziert werden: eine unbefristete Niederlassungserlaubnis und eine befristete Aufenthaltserlaubnis.

Die erste Kategorie soll vor allem den von der Wirtschaft dringend benötigten, hoch qualifizierten Arbeitskräften offen stehen: Ingenieuren, Informatikern, Mathematikern und Führungspersonal für Wissenschaft und Forschung. Sie und eine begrenzte Zahl von "besonders geeigneten" Zuwanderern sollen von Anfang an die Möglichkeit eines Daueraufenthalts bekommen. So heißt es in dem Gesetzentwurf: "Für die Zuwanderung von Selbstständigen, die positive Auswirkungen auf Wirtschaft und Beschäftigung erwarten lässt, wird eine rechtliche Grundlage geschaffen. Voraussetzung ist, dass ein wirtschaftliches Interesse oder ein besonderes regionales Bedürfnis besteht."

Wer dagegen in Deutschland Arbeit sucht, ohne über entsprechende Qualifikationen zu verfügen, wird als rechtlose Manövriermaße behandelt und muss stets damit rechnen, die Aufenthaltserlaubnis wieder zu verlieren. Das gilt auch für bereits hier lebende Einwanderer.

Die ebenfalls von Schily eingesetzte Süssmuth-Kommission hatte noch vorgeschlagen, dass Neuzuwanderern, die im Zuge der Arbeitsmigration nach Deutschland kommen, eine Aufenthaltsgenehmigung von mindestens fünfjähriger Dauer erteilt wird. Davon ist im Gesetzesentwurf aber nichts mehr zu finden. Stattdessen sieht er vor, dass die Aufenthaltserlaubnis direkt an einen bestimmten Arbeitsplatz gekoppelt wird. Sollte der Bedarf in bestimmten Berufszweigen oder Regionen zurückgehen, kann sie - sogar rückwirkend - verkürzt und wieder entzogen werden.

Außerdem sieht der Entwurf vor, dass die Aufenthaltserlaubnis mit der Auflage versehen werden kann, nur in einer bestimmten Region in Deutschland leben zu dürfen. Eine solche Regelung, die das Recht auf freie Wohnortwahl außer Kraft setzt, gab es bisher nur für Asylbewerber - und auch damit stand Deutschland in Europa ziemlich isoliert da.

Gewöhnliche Arbeitsimmigranten sollen zwar laut dem Gesetzentwurf ebenfalls einen sichereren Aufenthaltsstatus erwerben können, die Hürden dafür liegen aber enorm hoch. Voraussetzungen sind eine ununterbrochene sozialversicherungspflichtige Arbeitstätigkeit von mindestens fünf Jahren und "ausreichende" Deutschkenntnisse - was angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Lage kaum zu erfüllen sein dürfte.

Diese Neuregelung trifft auch bereits hier lebende Einwanderer. Die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis soll zukünftig von der Teilname an Integrationskursen abhängig gemacht werden. Wer noch keine sechs Jahre in Deutschland lebt, ist zur Teilnahme an solchen Kursen verpflichtet. Für Schichtarbeiter, Beschäftigte mit unregelmäßigen Arbeitszeiten oder Eltern mit Kleinkindern dürfte dies zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringen.

Besonders krass zeigt sich der Zweiklassencharakter des neuen Rechts bei den Regelungen über den Kindernachzug.

"Hochqualifizierten mit einer Niederlassungserlaubnis soll der Kindernachzug bis zu einem Alter von 18 Jahren ermöglicht werden," heißt es in dem Entwurf, und allgemein soll gelten: "Ein Anspruch auf Nachzug von Kindern bis zum 18. Lebensjahr ist generell bei Einreise im Familienverband vorgesehen."

Diese Bedingung - die gemeinsame Einreise der gesamten Familie - ist für Flüchtlinge und ärmere Arbeitsimmigranten kaum zu erfüllen. Wollen sie ihre Kinder später nachholen, haben sie nur noch bis zum 12 Lebensjahr einen Anspruch darauf. Der Nachzug älterer Kinder liegt im Ermessen der Behörden und soll vom Vorliegen ausreichender deutscher Sprachkenntnisse abhängig gemacht werden. Ziel der Differenzierung sei es, heißt es in dem Entwurf, "eine möglichst frühzeitige Integration der Kinder in Deutschland sicherzustellen".

Diese Herabsetzung des Nachzugsalters für Kinder auf 12 Jahre verstößt gegen die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen und gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der deutschen Verfassung - der allerdings gerade in Bezug auf die Behandlung von Ausländern und Asylsuchenden in vielerlei Hinsicht verletzt wird. Sie richtet sich auch gegen die sehr bescheidenen Vorschläge der EU-Kommission, den Familiennachzug europaweit zu vereinheitlichen und zu erleichtern. Die EU sieht ein Nachzugsalter von 18 Jahren und einen etwas weiteren Familienbegriff vor, was allerdings schon bisher auf deutschen Widerstand stieß. Sollte Schilys Vorschlag Gesetz werden, würde dies eine europäische Regelung endgültig blockieren, da die EU-Richtlinien in diesen Fragen Einstimmigkeit verlangen.

Der unmenschliche Charakter einer derart restriktiven Nahzugsregelung trat unter anderem schon nach dem schweren Erdbeben vor zwei Jahren in der Türkei zu Tage. Arbeitern aus der Türkei, die teilweise in der zweiten und dritten Generation in Deutschland leben, durften schwer verletzte Verwandte oder Freunde, verwaiste Kinder oder ältere Menschen, die ihre Kinder verloren hatten, nicht zu sich holen.

Weitere Einschränkung des Asylrechts

Schilys Gesetzentwurf sieht die Schaffung eines neuen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vor. Die vorrangige Aufgabe dieser Behörde ist die Steuerung der Zuwanderung nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarkts in enger Abstimmung mit den Arbeitsämtern, den Ausländerbehörden und den deutschen Auslandsvertretungen.

Sie führt die Auswahlverfahren durch, aufgrund derer entschieden wird, wer nach Deutschland kommen darf, und entwickelt Integrationsprogramme. Sie ist auch für die Führung des Ausländerzentralregisters zuständig und für die Umsetzung von "Maßnahmen zur Förderung der freiwilligen Rückkehr" von abgelehnten Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie von Ausländern, deren Aufenthaltsstatus zeitlich befristet war. Darüber hinaus obliegen ihr Forschungs- und Beratungsaufgaben, die Erstellung eines jährlichen Gutachtens zur Migrationslage und daraus folgender Empfehlungen zur Höchstzahl der benötigten und erwünschten Zuwanderer.

Auch das bisherige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge soll in der neuen Behörde aufgehen. Politisch Verfolgte gelten in Zukunft nur noch als eine Kategorie von Zuwanderern, die zudem rechtlich am schlechtesten dasteht und am stärksten diskriminiert wird. Schon dadurch wird das Asylrecht, das aufgrund der Erfahrungen der NS-Zeit im Grundgesetz verankert worden war, als demokratisches Grundrecht weitgehend liquidiert.

Das Eckpunktepapier des Bundesinnenministeriums enthält in den Abschnitten "Humanitäre Aufnahme", "Ausreisepflicht", "Sozialleistungen" und "Asylverfahren" zahlreiche Hinweise darauf, wie in Zukunft mit Flüchtlingen umgegangen werden soll.

Schon in den vergangenen Jahren waren aufgrund der äußerst restriktive Asylgewährung nur etwa 10 bis 15 Prozent der Asylbewerber, meist nach jahrelangen Verfahren, anerkannt worden. Zusätzlich leben in Deutschland etwa 250.000 "Geduldete", deren Asylantrag zwar abgelehnt wurde, die aber aufgrund der Lage in ihrem Land nicht ausgewiesen oder abgeschoben werden konnten. Nahezu einem Viertel von ihnen war die Duldung bereits 1997 oder früher erteilt worden.

Gegen sie soll nun verstärkt vorgegangen, die "Duldung" als "zweitklassiger Aufenthaltstitel" abgeschafft werden. In Schilys Eckpunktepapier heißt es dazu: "Der Entwurf der Neuregelung differenziert nunmehr zwischen Personen, die nicht zurückkehren können und solchen, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren wollen." (Hervorhebungen im Original) Wer ohne eigenes Verschulden nicht zurückkehren kann, soll ein befristetes Aufenthaltsrecht erhalten, alle anderen dagegen verstärkt abgeschoben werden.

Als Grund, den Aufenthalt zu verweigern, gilt unabhängig von der Klage im Heimatland auch, "wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich oder zumutbar ist oder wenn der Ausländer die Ausreisehindernisse selbst zu vertreten hat (z.B. durch Verschleierung von Identität oder Staatsangehörigkeit)."

Wer sich der Ausreise widersetzt, wird unter Druck gesetzt oder bestraft. So sollen Ausreisepflichtige in Zukunft nur noch etwa 70 Prozent des Sozialhilferegelsatzes und eine beschränkte medizinische Versorgung (ärztliche Behandlung nur in akuten Fällen und nicht bei Krankheiten oder Problemen aus der Zeit vor der Einreise nach Deutschland) erhalten. Eine entsprechende Regelung gilt für Asylbewerber schon seit 1993, allerdings beschränkt auf drei Jahre. Nun soll sie für Ausreisepflichtige und Asylbewerber zeitlich unbefristet gelten.

Weiter soll der Aufenthalt von ausreisepflichtigen Personen räumlich beschränkt und ihre Einweisung in Abschiebegefängnisse ermöglicht werden. Ziel dieser Maßnahmen ist es, wie es in dem Papier zynisch heißt, "die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise zu fördern und die Beschaffung von Heimreisedokumenten zu beschleunigen".

Schon jetzt werden jährlich etwa 30.000 Menschen allein auf dem Luftweg aus Deutschland abgeschoben. Um die Überwachung von Ausländern noch effektiver zu gestalten, sollen Angehörigen von Zuwanderern in "einzelnen Problemstaaten" bereits beim Antrag auf ein deutsches Visum die Fingerabdrücke und ein Foto abgenommen werden. Darüber hinaus soll künftig bestraft werden, wer falsche Angaben über seine Identität und Staatsangehörigkeit macht.

Auch bei den anerkannten Asylberechtigten soll es einschneidende Veränderungen geben. Die Asylberechtigung soll nämlich zunächst nur auf drei Jahre befristet erteilt werden. Vor Erteilung eines Daueraufenthaltsrechts müssen die Voraussetzungen erneut überprüft werden, die Anerkennung kann widerrufen werden. Die Überprüfung soll auf der Grundlage der Lageberichte des Auswärtigen Amtes erfolgen, die oft von außenpolitischen Rücksichtsnahmen beeinflusst sind.

Ein weiterer Passus des Gesetzentwurfs kommt einem politischen Betätigungsverbot für Asylsuchende gleich. Asyl und "kleines Asyl" werden ausgeschlossen, "wenn der Ausländer ohne Verfolgungshintergrund aus seinem Herkunftsland ausreist und erst durch selbstgeschaffene (subjektive) Nachfluchtgründe eine Verfolgung im Herkunftsland auslöst". Konkret bedeutet dies, dass etwa ein Kurde aus der Türkei, der sich in Deutschland an einer Demonstration gegen die Hinrichtung des PKK-Führers Abdullah Öcalan oder gegen das Verbot der PKK durch die deutschen Behörden beteiligt und deshalb in der Türkei mit Verfolgung rechnen muss, automatisch sein Recht auf Asyl verwirkt.

Eine geringe Verbesserung, die in erster Linie der Rücksicht auf die Sozialhilfekassen der Kommunen geschuldet sein dürfte, gibt es lediglich für Inhaber des sogenannten "kleinen Asyls". Sie erhalten - wie bisher nur die Asylberechtigten - ungehinderten Zugang zum Arbeitsmarkt.

Ansonsten ist in Schilys Gesetzesentwurf nicht die Spur eines Vorschlags zu finden, der die Lage von Flüchtlingen verbessern könnte, obwohl entsprechende Schritte auch international immer wieder angemahnt werden.

So wird nichtstaatliche Verfolgung in Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten nicht als Asylgrund anerkannt. Die deutschen Regelungen bleiben in dieser Hinsicht selbst hinter der Genfer Flüchtlingskonvention zurück, was sowohl von Flüchtlingshilfeorganisationen wie auch von Vertretern des UNHCR scharf kritisiert wird. Als der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Ruud Lubbers, anlässlich einer Feier zum 50. Jahrestags der Genfer Flüchtlingskonvention im Juni forderte, dies zu ändern, wies ihn Bundesinnenminister Otto Schily schroff zurück.

Selbst der Nachweis staatlicher Verfolgung reicht in Deutschland nicht aus, um als Asylberechtigter anerkannt zu werden. Der Flüchtling muss außerdem beweisen, dass die ihm drohende Gefahr über jene hinausgeht, der die Bevölkerung seines Herkunftslandes "allgemein ausgesetzt ist".

Wer Asyl beantragt und abschlägig beschieden wird, soll damit automatisch das Recht, als Zuwanderer in Deutschland aufgenommen zu werden, verwirken, selbst wenn er für den eigenen Lebensunterhalt aufkommt und seine Familie hier heimisch geworden ist. Ausdrücklich heißt es in dem Papier: "Ein Wechsel vom Asylverfahren in die Zuwanderung aus Erwerbsgründen wird ausgeschlossen. Hierauf werden die Asylantragsteller hingewiesen." Die Asylverfahren selbst sollen durch Weisungsabhängigkeit der Asylentscheider und den verstärkten Einsatz von Einzelrichtern bei Widerspruchsverfahren beschleunigt werden.

Auch den geschätzten 500.000 bis 1 Million Menschen, die sich mangels anderer Möglichkeiten illegal in Deutschland aufhalten, wird in Schilys Entwurf kein Weg angeboten, ihren Aufenthalt zu legalisieren.

Die Zeit, in der das deutsche Asylrecht als vorbildlich galt, ist längst vorbei. Sollte Schilys Entwurf tatsächlich Gesetz werden, bliebe selbst von den Überresten des ursprünglichen Rechts praktisch nichts mehr übrig.

Schily ist in seinem Gesetzentwurf fast vollständig auf die Forderungen der Union eingegangen, die seit geraumer Zeit eine weitere Einschränkung des Asylrechts, beschleunigte Abschiebungen und die Herabsetzung des Nachzugsalters für Kinder auf 10 Jahre fordert. Dennoch ist eine Zustimmung der Unionsparteien zu diesem Gesetz fraglich.

Anfangs wurde der Entwurf in Unionskreisen begrüßt und einige CSU-Politiker kündigten an, sie würden Schily einen Aufnahmeantrag für die Mitgliedschaft in der CSU zusenden. Kurze Zeit später kamen dann neue Forderungen vom bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und seinem hessischen Kollegen Roland Koch (CDU). Sie betrachten Schilys Zugeständnisse als Chance, die rot-grüne Koalition noch weiter nach rechts zu treiben, und wollen sich eine Kampagne gegen Ausländer und Flüchtlinge auf jeden Fall für den nächsten Bundestagswahlkampf offen halten.

Siehe auch:
SPD sucht Übereinstimmung mit CDU/CSU
(7. Juni 2001)
Mangelnde Deutschkenntnisse als Ausweisungsgrund
( 20. April 2001)
CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz fordert politisches Betätigungsverbot für Asylsuchende
( 10. März 2001)
Großbritannien fordert Änderung der Genfer Flüchtlingskonvention
( 22. Februar 2001)
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