Großbritannien fordert Änderung der Genfer Flüchtlingskonvention

Letzte Woche griff der britische Innenminister Jack Straw zum wiederholten Male das Grundrecht auf Asyl an. In einer Rede auf einem Seminar unter dem Thema "Modernisierung des Asylrechts" des der Labour Partei nahestehenden Institute of Public Policy Research in London forderte er eine "Revision" der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. Er erklärte, dass die den 137 Unterzeichnerländern durch die Konvention auferlegte Verpflichtung, Flüchtlingen Asyl zu gewähren, "nicht mehr den Vorstellungen ihrer Väter entspricht".

Neue Technologien, globale Kommunikation und kostengünstiger internationaler Reiseverkehr hätten Wanderungsbewegungen über große Strecken zu einer "realistischen Option" gemacht, meinte Straw. Außerdem hätten "der Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs, der Zusammenbruch der Wirtschaft in Osteuropa, Kriege und Bürgerkriege auf dem Balkan, Irak und Iran, Afghanistan, dem Horn von Afrika und anderswo" zu "neuem Druck" auf "unser gesamtes System der Einwanderung" geführt.

Straw behauptete, die Genfer Konvention "versage" bei echten Asylbewerbern, weil sie zwar das Recht auf politisches Asyl festschreibe, aber kein Land verpflichte, diejenigen auch tatsächlich ins Land zu lassen, die das Recht beanspruchten. Daher seien Einwanderer gezwungen, illegal in das Land einzuwandern und skrupellosen "Menschenschmugglern" ausgeliefert.

Zum ersten Mal hatte der Innenminister auf dem EU-Gipfel in Lissabon Juni letzten Jahres zur Änderung der Genfer Konvention aufgerufen. Er hatte damals den schrecklichen Tod von 58 chinesischen Flüchtlingen, die man im englischen Dover erstickt in einem LKW gefunden hatte, zur Bekräftigung seiner Forderung genutzt. Straw verwies in der vergangenen Woche in London auf einen kürzlich erschienenen Bericht, der aufzeige, wie illegale Einwanderung mit dem organisierten Verbrechen und sogar Sklaverei zusammenhängt.

Straw ist durch und durch zynisch, wenn er diese furchtbaren Erscheinungen anführt. Die in seiner Rede erwähnten wirtschaftlichen und sozialen Katastrophen, von denen der größte Teil des Erdballs heimgesucht wird, sind keine Naturkatastrophen, sondern das Ergebnis der aggressiven Politik der westlichen Länder während des letzten Jahrzehnts.

Die globale Jagd nach Profit, die von den Entwicklungen im Bereich der Telekommunikation und Computertechnik erleichtert und von der militärischen Überlegenheit des Westens gestützt wird, hinterlässt eine Spur wirtschaftlicher und sozialer Verwüstung. Während das Kapital jedoch völlig frei durch die Welt ziehen kann, wird seinen Opfern dieses Recht verwehrt.

Die meisten Asylbewerber in Europa kommen aus dem ehemaligen Jugoslawien und dem Irak. Beide Länder sind erbarmungslosen Bombenangriffen von NATO-Ländern ausgesetzt gewesen - im Irak dauern sie immer noch an - durch die ihre Infrastruktur zerstört oder schwer geschädigt worden ist. Zusätzlich sind die Wirtschaften dieser Länder in den Würgegriff westlicher Sanktionen genommen worden.

Großbritannien war bei all diesen Militäroperationen und bei der Forderung nach Sanktionen der engste Verbündete der USA. Damit sollten unter dem Deckmantel der "Humanität" die Regime von Slobodan Milosevic und Saddam Hussein untergraben werden, angeblich um deren Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Gleichzeitig verweigert der Westen jedoch denen die Zuflucht, die vor den auch durch seine Politik erzeugten Krisen fliehen, und weist die Anträge von Asylbewerbern ab, die vor der Verfolgung eben jener Regime flüchten, die der Westen zu Parias erklärt hat.

Von der Genfer Konvention bis heute

Straws Verweis auf die drastische Zunahme des Menschenschmuggels ist ebenso heuchlerisch. Die verzweifelten und oftmals lebensbedrohlichen Situationen, in die Zehntausende Flüchtlinge geraten, sind nicht Ergebnis eines ungenau definierten Rechts auf Asyl, sondern seiner ständigen Unterhöhlung während der letzten zwei Jahrzehnte.

Die Genfer Konvention wurde nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust in Kraft gesetzt, durch die 40 Millionen Menschen in Europa heimatlos geworden waren. Das Wissen darum, dass die entwickelten kapitalistischen Länder sich geweigert hatten, ihre Grenzen denjenigen zu öffnen, die vor faschistischer Verfolgung geflohen sind, führte zu der weitverbreiteten Stimmung, dass Flüchtlinge niemals mehr abgewiesen werden sollten.

Diese demokratischen Forderungen gingen in die Konvention ein, in der bestimmt wurde, dass allen Asylbewerbern - d.h. allen, die eine begründete Angst vor Verfolgung haben - bestimmte unantastbare Rechte garantiert werden sollten, besonders das auf Schutz und Zuflucht.

Die Väter der Konvention hatten jedoch auch noch andere politische Erwägungen im Sinn. Mit der Garantie des Asylrechts konnte der Westen gegenüber den Regimes in der Sowjetunion und dem Ostblock seinen demokratischen Charakter herausstellen und politischen Dissidenten des Stalinismus die Tür offen halten. Die UNO-Menschenrechtskommission gibt denn auch zu: "Seit Ende der 50er Jahre definierte das amerikanische Recht einen Flüchtling als jemanden, der vor dem Kommunismus oder aus einem Land des Nahen Ostens flüchtet. Die Flüchtlingspolitik war fast vollständig außenpolitischen Interessen untergeordnet."

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Staaten Osteuropas fühlten sich die Großmächte von den demokratischen Bürden einer früheren Zeit "befreit". Besonders die USA haben im Bereich der Außenpolitik zunehmend zu militärischen Mitteln gegriffen, um sich die Kontrolle über strategische Regionen wie den Nahen Osten oder den Balkan zu sichern.

In den westlichen Ländern selbst sind die Arbeitsmärkte nach Rezession, Entwicklung globaler Produktion und wachsender internationaler Konkurrenz völlig umstrukturiert worden. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Löhne gingen zurück und einheimische Arbeiter füllten zunehmend die bisher Einwanderern vorbehaltenen Bereiche, womit der legalen Einwanderung ein weiterer Zugang verbaut wurde.

Die Zahl der Asylsuchenden stieg steil an - von unter 70.000 1983 auf über 200.000 im Jahr 1989 allein in Europa. Die größten Zuwächse kamen aus dem früheren Ostblock. Diese Entwicklung begann, als Tausende vor den stalinistischen Regimes flüchteten, und setzte sich fort, als der Restauration des Kapitalismus soziale Verelendung, Bürgerkriege und ethnische Konflikte folgten.

1990 wurden bedeutende Einschränkungen des Asylrechts vorgenommen. In diesem Jahr führten die USA die Politik des "zeitweilig geschützten Status" ein und hebelten damit das historische Recht auf dauerhafte Niederlassung und Erwerb der Staatsangehörigkeit nach einer bestimmten Zeit aus. 1996 wurden weitere rechtliche Kriterien aufgestellt, um zu bestimmen, ob die Ankömmlinge an der amerikanischen Staatsgrenze eine "begründete Angst" vor Verfolgung hatten. Das bedeutete, dass jeder Flüchtling schon vor dem eigentlichen Asylverfahren den Beamten an der Grenze gegenüber seinen oder ihren Verfolgungsfall beweisen musste. Bei Ablehnung wurden sie abgeschoben.

Dazu ließen die USA ihre Politik wiederaufleben, Asylsuchende zu internieren, womit unmittelbar nach Kriegsende aufgehört worden war. Die zum Asylverfahren zugelassenen wurden interniert. Die Einwanderungsbehörde hält heute schätzungsweise 13.500 Menschen interniert, darunter eine unbekannte Anzahl von Asylbewerbern. Viele von ihnen werden ins Gefängnis gesperrt, und der Kontakt zu ihrer Familie oder einem Rechtsbeistand wird ihnen verweigert.

1993 unterschrieben die EU-Länder den Vertrag von Maastricht. Im Bereich der Wirtschaft wurden dadurch Beschränkungen für den Verkehr von Kapital, Handel und Dienstleistungen aufgehoben, während auf dem Gebiet der Einwanderungspolitik die "Festung Europa" geschaffen wurde. Nur Monate zuvor hatten die Westmächte die sogenannte Londoner Resolution beschlossen. Nachdem die Anträge auf Asyl im Jahr 1992 auf 700.000 angestiegen waren - vor allem aufgrund des Bürgerkrieges in Bosnien - definierte die EG das Asylrecht um. Es wurden mehrere Kategorien von Asylbewerbern eingeführt, darunter auch solche, deren Anträge von vornherein für "offensichtlich unbegründet" erklärt wurden. Die "Drittstaatenregelung" wurde eingeführt. Diese bedeutete, dass jedem Flüchtling, der über ein "sicheres" Drittland eingereist war, der Asylantrag abgelehnt und er dorthin zurückgeschickt werden konnte. Die meisten dieser Länder waren in Osteuropa, wo somit eine Art "Pufferzone" gegen Einwanderung entlang der EU-Grenzen gezogen wurde. Nachdem sie jahrelang die osteuropäischen Staaten angeklagt hatten, ihren Bürgern die Reisefreiheit zu verwehren, schlug die EU den Menschen in diesen Ländern die Tür vor der Nase zu.

Im Jahr 1993 änderte dann Deutschland, wo mehr als 60 Prozent aller Asylanträge der EU gestellt wurden, seine Verfassung und schaffte das uneingeschränkte Recht auf Asyl ab. Das wurde zur Grundlage der "Gemeinsamen Erklärung" der EU 1996. Damit wurde eine restriktive Interpretation der Genfer Konvention eingeführt, nach der nur denjenigen Asylrecht zugestanden wurde, die Verfolgung durch einen Staat nachweisen konnten. Diese Bestimmung, die von Frankreich, Deutschland, Italien und der Schweiz umgesetzt wurde, hatte zur Folge, dass Anträge aus Ländern wie Somalia und Afghanistan, in denen keine zentrale staatliche Autorität mehr existierte, automatisch abgelehnt wurden.

Der Vertrag von Amsterdam verpflichtete die EU-Länder, innerhalb von fünf Jahren eine gemeinsame Zuwanderungs- und Asylpolitik zu entwickeln. Von diesem Zeitpunkt an wurde Zuwanderungspolitik hauptsächlich als koordinierte europaweite Polizeiaktion betrieben, mit dem Ziel, Europas Grenzen abzuschotten. Alle normalen Einreisewege wurden durch die Einführung der Visumspflicht dicht gemacht und Firmen oder Individuen harte Strafen angedroht, wenn sie sogenannte "Illegale" in Lastwagen, Zügen, Schiffen, Flugzeugen und seit kurzem sogar Privatwagen transportieren.

Professor Guy Gordon-Gill zufolge, Experte für internationales Flüchtlingsrecht an der Universität Oxford, kommen nur 0,3 Prozent aller Flüchtlinge in die Nähe der EU. Die meisten Flüchtlinge in Afrika werden z.B. in Nachbarländern in Lagern gehalten. Da ihnen keine erlaubten Wege in den Westen offen stehen, haben nur diejenigen eine Chance, die das Geld zur Bezahlung von Schmugglern aufbringen können oder verzweifelt genug sind, andere Wege zu versuchen - etwa sich an die Fahrwerke von Flugzeugen zu klammern. Und selbst dann stehen ihnen Flüchtlingslager oder sogar Abschiebegefängnisse für unbestimmte Zeiträume bevor. Sie werden von hier nach da verschoben und gezwungen, von geringsten Sozialhilfen zu leben.

Die Genfer Konvention wird inzwischen als unzumutbare Belastung betrachtet

Etwa 50 Jahre nach Verabschiedung der Genfer Konvention wird in jedem fortgeschrittenen Land das Recht auf eine anständige Unterkunft, Sozialleistungen etc. beschnitten. Die herrschende Klasse, die schon ihren eigenen Bürgern viele demokratische Rechte nicht mehr garantieren will, ist noch viel weniger bereit, diese Asylsuchenden zuzugestehen.

Heute wird der Asylbegriff generell mit dem Begriff der "illegalen Einwanderung", d.h. Einwanderung aus wirtschaftlichen Gründen gleichgesetzt. Dieser Versuch von verschiedenen Regierungen, diejenigen vom Asylrecht auszuschließen, die ihr oft schreckliches Los zu verbessern suchen, ist zutiefst reaktionär. Außerdem ist es unmöglich, eine eindeutige Grenze zwischen Wirtschafts- und politischen Flüchtlingen zu ziehen, wenn man das vielfältige Zusammenspiel beider Faktoren berücksichtigt. Asylsuchende werden als "illegale Einwanderer" bezeichnet, um die Asylthematik zu einem Gegenstand des Strafrechts zu machen, damit potentielle Asylsuchende eingeschüchtert und verängstigt werden.

Jack Straw will aber noch einen Schritt weitergehen, denn selbst die minimalen rechtlichen Vorgaben der Genfer Konvention für die Gewährung von Asyl sind für deren Unterzeichner zu einer Belastung geworden, die sie nicht länger hinnehmen wollen. Die Blair-Regierung hat alles mögliche versucht, um das Asylrecht zu beseitigen. Etwa 80 Prozent aller Asylanträge in Großbritannien werden heute routinemäßig abgelehnt. Dennoch stellten hier im Jahr 2000 76.000 Personen Asylanträge, womit Großbritannien europaweit die höchste Zahl aufwies.

Labour schreibt diesen Anstieg dem zunehmenden Missverhältnis zwischen den formalen Erfordernissen der Genfer Konvention und Änderungen im jeweiligen nationalen Recht zu, das EU-Länder anwenden, um Asylsuchende von einem Land zum anderen weiter zu schicken.

In den letzten Monaten hat der Oberste Gerichtshof in zwei Fällen zugunsten von Antragstellern entschieden. Die Regierung, so die Richter, habe die Rechte der Antragssteller, wie sie in der Konvention niedergelegt sind, missachtet. Als Ergebnis aus einem dieser Fälle stehen der Regierung Entschädigungszahlungen für bis zu 1000 Asylsuchende ins Haus, die zwischen 1994 und 1999 strafrechtlich verfolgt wurden, weil sie ohne gültige Papiere angetroffen wurden. In seinem Urteil betonte der Lord Richter Simon Brown, dass nach Artikel 31 der Genfer Konvention Asylsuchende nicht dafür bestraft werden dürfen, dass sie illegal in ein Land einreisen. Weiter führte er aus, dass die Kombination von Visumspflicht und Haftungsvorschriften der Transportunternehmen "es für Flüchtlinge nahezu unmöglich gemacht (hat), ohne falsche Papiere in Zufluchtsländer einzureisen".

Im Dezember 2000 entschied der Oberste Gerichtshof in einem zweiten Fall, Straw habe ungesetzlich gehandelt, als er versuchte, zwei Asylsuchende in die Drittländer abzuschieben, durch die sie auf ihrer Reise nach Großbritannien gekommen waren - Frankreich und Deutschland. Da der Innenminister gewusst habe, dass beide Länder das Asylrecht restriktiv anwendeten, habe er auch gewusst, dass die Gesuche der Antragsteller nicht fair behandelt würden, meinte das Gericht.

Vor Gericht argumentierte Straw, dass die Konvention "eine Bandbreite zulässiger Bedeutungen" beinhalte. Der Oberste Gerichtshof verwarf diese Ansicht mit der Begründung, die Konvention habe eine "wirklich selbständige und internationale Bedeutung". Das Recht auf Schutz vor Verfolgung sei uneingeschränkt und stünde über nationalem Recht. Wenn es ungesetzlich sei, einen Asylsuchenden direkt in das Land seiner Herkunft zurückzuschicken, weil er dort verfolgt wird, dann sei es genauso ungesetzlich, ihn in ein Drittland zurückzuschicken, von dem bekannt ist, dass es ihn abweisen wird.

Diese richterlichen Entscheidungen haben Straws Bemühungen, die Genfer Konvention zu "modifizieren", verstärkt. Er schlägt die Einführung von drei Kategorien vor, nach denen Asylanträge entschieden werden sollten. Die erste Kategorie würde Antragsteller aus Ländern wie den USA beinhalten, von denen keine Anträge "unterstützt werden sollten". Die zweite Kategorie, zu der nicht genannte Länder gehören, unter denen sich aber auch China befinden soll, würde von der "Annahme ausgehen, dass der Antrag unbegründet ist", falls er in dem Land gestellt wird, in dem der Antragsteller Asyl beantragt. Die dritte Kategorie, ebenfalls nicht genauer erklärt, würde Staaten beinhalten, aus denen Asylsuchende automatisch anerkannt würden.

Mit seinen Vorschlägen will Straw sicherstellen, dass Asylanträge nicht im Zufluchtsland des Flüchtlings gestellt werden können, sondern nur im nächstgelegenen "sicheren" Land auf ihrer Reise. So müssten Afghanen, die vor dem Taliban-Regime fliehen, im Nachbarland Pakistan, wo sie bis zum Antragsbescheid in eigens eingerichteten Zonen festgehalten würden, den Flüchtlingsstatus der Vereinten Nationen beantragen.

Straws Plan würde praktisch jede Migration beenden, außer für jene, die von den jeweiligen Ländern "eingeladen" werden, wie etwa ausgebildete Informatiker. Ebenso würden ständige Flüchtlingslager eingerichtet, die denen ähneln, in welchen Tausende von vertriebenen Palästinensern im Nahen Osten hausen, und ganze Länder in Garnisonsstaaten verwandeln.

Verteidigt das Recht auf Asyl

Zwar ist noch offen, was aus Straws Vorschlägen wird; jedoch haben sie bereits ein positives Echo in Deutschland, Frankreich, Italien, Australien und Kanada gefunden. In der zweiten Februarwoche stellte Premierminister Blair bei einem Treffen mit dem französischen Ministerpräsidenten Jacques Chirac seine Vorschläge für "bilaterale Rückführung" vor. Danach würden Flüchtlinge, die in Großbritannien über den Kanaltunnel einreisen, sofort wieder nach Frankreich abgeschoben. Anfang des Monats legten Blair und der italienische Premier Guiliano Amato in einem gemeinsam verfassten Artikel in der britischen Zeitung Observer ihre Pläne offen, die Asylpolitik weiter zu koordinieren und dabei vor allem Sicherheitsvorkehrungen und Geheimdienstaktivitäten zu stärken.

Leo Trotzki, der russische Sozialist und Gegner Stalins, schrieb über den Platz des Asylrechts im vorgeblich demokratischen System des Westens, als ihm im Juni 1929 als Verbannter in der Türkei vom britischen Innenminister Joseph Clynes die Einreise nach Großbritannien untersagt wurde.

Clynes verteidigte seine Haltung, Trotzki das Asyl zu verweigern, mit ähnlichen Argumenten wie Straw sie vorbringt: Das Recht auf Asyl bedeute nicht das Recht eines Flüchtlings, Asyl zu beantragen, sondern das Recht des Staates, es zu verwehren. "Die Feststellung Clynes‘ ist deshalb bemerkenswert, weil sie mit einer Handbewegung die Grundlagen der sogenannten Demokratie abtut", schrieb Trotzki. "Weshalb aber blieb Clynes bei den ersten Anfängen seiner Theorie des Staatsrechts stehen? Schade. Das Asylrecht ist ja nur ein Bestandteil des Systems der Demokratie. Weder seiner historischen Entstehung noch seiner juristischen Natur nach unterscheidet es sich von der Wort- und Versammlungsfreiheit und so weiter."

Aus Clynes‘ Kriterien, fuhr Trotzki fort, ergebe sich, dass etwa das Recht auf Meinungsfreiheit nicht das "Recht der Bürger ist, den einen oder anderen ihrer Gedanken zu äußern, sondern das Recht des Staates, seinen Untertanen zu verbieten, Gedanken zu haben" (Leo Trotzki, Mein Leben, Berlin 1990, S. 512 ff)

Die Haltung der Sozialdemokraten gegenüber dem Führer der russischen Revolution wird beinahe generell auf die angewandt, die heute 70 Jahre späte, Asyl suchen. Auch Trotzkis Warnungen über die Folgen einer Einschränkung des Rechts auf Asyl für die demokratischen Rechte im allgemeinen sind mehr als bestätigt worden. Die Gesetzgebung der Blair-Regierung zum Streikrecht, zum Zugang zum Internet und zur Informationsfreiheit etwa ist so geartet, dass sie demokratische Rechte einschränkt, anstatt sie zu wahren.

Dass das so ist, sagt sehr viel über das Stadium aus, das die Klassenbeziehungen in England und international erreicht haben. Die Verarmung der großen Mehrheit der Weltbevölkerung, gekoppelt mit der Anhäufung obszönen Reichtums einer privilegierten Minderheit, ist unvereinbar mit der Aufrechterhaltung bisheriger demokratischer Normen. Daher beseitigt die herrschende Klasse in jedem Land alle Regelungen, die aus ihrer Sicht das ungebremste Profitstreben behindern, während sie nationale Spaltungen und Fremdenfeindlichkeit fördert. Das Recht auf Protest, Organisierung und Bewegungsfreiheit wird beseitigt, während sich gleichzeitig der Staat immer größere Befugnisse einräumt. Die arbeitende Bevölkerung muss unabhängig von den politischen Vertretern der Wirtschaft handeln, um das demokratische Recht auf Asyl zu verteidigen, und alle Maßnahmen der Regierungen gegen Einwanderer zurückweisen.

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