Fleischskandale weiten sich aus

Während die öffentliche Diskussion um Auswirkungen und Konsequenzen der Rinderseuche BSE noch in vollem Gange ist, eröffnen sich der Bevölkerung weitere Einblicke in die Perversionen der profitorientierten Fleischproduktion.

So wurde jetzt publik, dass Schweine in Deutschland weit über die gesetzlichen Regelungen hinaus und vollkommen unkontrolliert mit Antibiotika und Hormonen gefüttert werden. Allein der vom Gesetz genehmigte, krankheitsvorbeugende Einsatz der Antibiose erreicht in Deutschland ein Volumen von 1500 Tonnen jährlich.

Ein Nebeneffekt dieser Medikamente, die eigentlich Erkrankungen der in Massen gehaltenen Tiere vorbeugen sollen, führte zu deren illegalem Einsatz als Mastmittel. Denn Antibiotika fördern das Fleischwachstum der Tiere, sparen so dem Bauern teures Futtermittel und sorgen für schnelleren Umsatz. Dazu kommt der florierende Absatz der "Autobahn-Tierärzte", die auf Autobahnraststätten Medikamente an Mast- und Zuchtbauern verkaufen. Ein jetzt aufgedeckter Ring von Medikamentenhändlern, der in Süddeutschland und Österreich aktiv war, soll allein in dieser Region schätzungsweise 1500 Landwirte versorgt haben. Gegen diese wurde jetzt Anzeige erstattet. Insgesamt sollen zwei Drittel der Schweinemastbetriebe und rund 30 Prozent der Zuchtbetriebe Medikamente über die erlaubten Regelungen hinaus eingesetzt haben.

Neben den Antibiotika wurden auch generell verbotene Hormonpräparate verfüttert, die einen anabolen Effekt haben, also das Muskelwachstum fördern. Bereits normal gemästete Schweine erreichen in 180 Tagen ihr Mastendgewicht von 100 Kilogramm und jede Verkürzung dieser Frist durch den Einsatz der verbotenen Medikamente erhöht den Gewinn beim Verkauf.

Die Gefahren der Antibiotika gehen dabei weniger vom Fleisch selber aus, denn die Schweine scheiden den Wirkstoff praktisch vollständig wieder aus. Doch durch die Ausscheidungen, als Gülle auf die Felder gebracht, wandern die Antibiotika ins Grundwasser und bilden ein enormes Gefahrenpotential. Die größte Gefahr liegt in der Herausbildung neuer gegen Antibiotika resistenter Bakterienstämme. Infektionen, deren Bekämpfung noch vor kurzem kein Problem war, können dann tödlich verlaufen.

Alle bakteriellen Erreger, die in permanenten Kontakt mit den Medikamenten kommen, können eine Resistenz gegen die gesamte Wirkstoffgruppe ausbilden. Demnach können Erreger, die auch den Menschen infizieren, gegen die gesamte Antibiotikagruppe resistent werden, die ähnliche Wirkstoffzusammensetzungen hat wie das in der Mast verwendete Medikament. Laut Süddeutsche Zeitung vom 22. Januar besteht beim Tod einer Frau in Dänemark möglicherweise ein solcher Zusammenhang. Die Frau war an einer eigentlich harmlosen Salmonellen-Erkrankung gestorben. Der Salmonellentyp, der bei ihr zum Tode führte, war gegen fünf gängige Antibiotika resistent und konnte daher nicht mehr bekämpft werden.

Die Wirkung der verfütterten Hormone dagegen kann kaum abgeschätzt werden. Sie lagern sich nicht nur im Tier an, sondern können auch zu Erbgutschädigungen führen und stehen im Verdacht Krebs zu erregen.

Die rund 180.000 deutschen Schweinemast- und Zuchtbetriebe stehen national wie international unter enormem Konkurrenzdruck. Durch sinkende Erträge für Schweinefleisch in den letzten Jahren (die Preise sanken von 3,29 DM pro Kilo Fleisch im Jahr 1984/85 auf 1,61 DM pro Kilo Fleisch im Jahr 1998/99), kommen gerade die Kleinbetriebe in Existenzschwierigkeiten. Während vor allem in den Niederlanden, mit ca. 15 Millionen Tieren zweitgrößter Schweinefleischproduzent Europas hinter der BRD, bereits über 20 Prozent der Betriebe die Schwelle zum Großbetrieb mit 1000 und mehr Tieren überschritten haben, sind es in Deutschland erst 1,7 Prozent. Erst der im Zuge der BSE-Krise gestiegene Absatz von Schweinefleisch und die um rund drei Prozent gestiegenen Verkaufspreise schienen den Kleinbetrieben in Deutschland zu einer Besserung ihrer Situation zu verhelfen.

Obwohl die jetzt zurückgetretene bayerische Gesundheitsministerin Barbara Stamm (CSU) seit mindestens August 1999 über die Praktiken des illegalen Medikamentenhandels in Süddeutschland und Österreich informiert war, hielt sie ihre schützende Hand über den sowieso schon gebeutelten Markt. Erst recht in Zeiten des wachsenden Schweinefleischabsatzes wollte niemand der verantwortlichen Politiker einen Zusammenbruch des Marktes riskieren. Erst als die Tierärztekammer mit dem Bericht an das Ministerium aus dem Jahr 1999 an die Öffentlichkeit ging und parallel dazu eine Tierschutzorganisation Anzeige gegen die in den Medikamentenhandel verstrickten Ärzte und Bauern erstattete, konnte die bayerische Landesregierung die Desinformation der Bevölkerung nicht mehr aufrecht erhalten.

Ebenso wie die Bundesministerien für Landwirtschaft und Gesundheit im Vorfeld der BSE-Krise durch ihre Politik der Beschwichtigung nur im Interesse der Rindfleisch produzierenden Betriebe handelten, stellte sich auch Barbara Stamm mit ihrem Landesgesundheitsministerium in den Dienst der Landwirtschaft. Das Recht der Verbraucher auf Informationen über gesundheitsgefährdende Risiken spielte weder bei BSE noch bei hormonverseuchtem Schweinefleisch oder den Gefahren medikamentenresistenter Krankheitserreger eine Rolle.

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