Globaler Wirtschaftsrückgang vertieft Gegensätze in Genua

Als der erste Gipfel der kapitalistischen Großmächte 1975 in Rambouillet, nahe Paris, stattfand, war sein erklärtes Ziel die Koordination der Wirtschaftspolitik angesichts der bis dahin schlimmsten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit.

Wenig Zusammenarbeit wurde damals erreicht, und ein Vierteljahrhundert später hat sich die Nichtübereinstimmung zwischen den sogenannten G-7-Staaten sogar noch verschärft. Obwohl immer mehr Wirtschaftsbeobachter der Meinung sind, dass sich der schlimmste Abschwung des vergangenen Jahrzehnts und möglicherweise seit 1975 entwickelt, wurden auf dem G-8-Gipfel in Genua gerade mal 90 Minuten für eine Diskussion über die Weltwirtschaft aufgewendet. Sie diente dazu, eine Erklärung zu ratifizieren, die alle Differenzen zwischen den Großmächten zu übertüncht.

Die Erklärung beginnt mit dem Eingeständnis, dass die "globale Wirtschaft sich im letzten Jahr über Erwarten verlangsamt hat", aber im weiteren Verlauf versichert sie wiederholt: "Gesunde wirtschaftspolitische Maßnahmen und Fundamente sorgen für eine solide Wachstumsgrundlage".

In Wirklichkeit enthüllt eine Untersuchung der globalen Wirtschaft und ihrer nationalen Schlüsselkomponenten, dass die Probleme gerade in den grundlegenden Beziehungen liegen. Nimmt man zum Beispiel die Vereinigten Staaten, so ist der Niedergang nicht das Resultat einer strafferen Geldpolitik und höherer Zinsraten, diesem Auslöser früherer Rezessionen, sondern das Ergebnis einer massiven Überkapazität in den Schlüsselindustrien, besonders dem High-Tech-Bereich, und dem drastischen Absinken der Profite.

Frühere Rezessionen entzündeten sich im allgemeinen an der sinkenden Konsumentennachfrage, die zu einem Rückgang der Investitionen und Kapitalausgaben führte. Aber in diesem Fall ist die Konsumentennachfrage relativ hoch geblieben, und der Niedergang wurde durch ein schnelles Abfallen der Investitionen verursacht. Dies ist der Hauptgrund, warum - anders als bei früheren Rezessionen - Kürzungen der Zinssätze durch das Federal Reserve Board keinen neuen Aufschwung bewirken konnten.

So bemerkte der Yale-Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Garten in einem Kommentar, der am letzten Mittwoch in der New York Times erschien: "Die globale Wirtschaft ähnelt immer mehr einem Ballon, der schnell die Luft verliert. Die drei größten Wirtschaften der Welt - die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und Japan - sacken ein, und ihre gegenseitigen Finanz- und Handelsbeziehungen verstärken noch die Abwärtsspirale. Aufstrebende Märkte von Argentinien bis zur Türkei und Indonesien haben ebenfalls ernste Finanzprobleme, die sich alle durch die Verlangsamung in den weltgrößten Wirtschaften noch verschlimmern. Überall verflüchtigen sich die Gewinne und die Börsen schwächeln."

Garten appellierte an die Bush-Regierung, sich mehr an der internationalen Entwicklung auszurichten. Er warnte, dass es nur "wenige Mechanismen" gäbe, um die wachsenden Ströme von Geld und Informationen rund um die Welt zu kontrollieren, die bewirkten, dass sich der Wirtschaftsniedergang noch vertiefe und schnell ausbreite.

Ein Kommentar, der in der South China Morning Post von Hongkong erschien, trug die Überschrift: "Versammlung in Genua kündigt Beginn einer globalen Wirtschaftskrise an". Er betonte, dass der "Zauber" der Zinssenkungen nicht mehr funktioniere und die Welt "am Rand einer langen, tiefen Rezession" stehe. Er zitierte Warnungen der HSBC Bank in London, dass die "US-Rezession tiefer und länger ausfallen wird, als man zur Zeit gemeinhin erwartet", und eine Erklärung der Investment-Bank Bear Stearns, worin es heißt: "Trotz gelegentlicher Anzeichen von Spannkraft der US-Wirtschaft" sei die Welt dabei, "in eine lange Rezession" zu stürzen.

Was die Grunddaten der US-Wirtschaft betrifft - des stärksten Motors für das Weltwachstum - so finden sich gerade hier die größten Probleme. Das Zahlungsdefizit, das sich um rund 4,4 Prozent des Bruttosozialprodukts bewegt, ist auf einem historischen Höchststand, der Dollar ist überbewertet und das Niveau der Ersparnisse hat sich scharf in den negativen Bereich bewegt.

Rezessionsfördernde Kräfte in Japan

Auf der andern Seite des Pazifik befindet sich die japanische Wirtschaft, die zweitgrößte der Welt, seit zehn Jahren im Würgegriff rezessionsfördernder Kräfte, trotz der höchsten staatlichen Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft seit Kriegszeiten.

Die G-8-Wirtschaftserklärung sah sich zum Eingeständnis gezwungen, dass "sich die wirtschaftliche Aktivität in Japan weiter abgeschwächt" habe und die Preise weiter sinken würden. Sie forderte die "drastische" Durchsetzung von Reformen im finanziellen und Unternehmens-Bereich, um die Grundlage für ein mittelfristig stärkeres Wachstum zu legen, und begrüßte "die vor kurzem angekündigten Reforminitiativen, die zu diesem Endergebnis beitragen werden".

Aber in Wirklichkeit sorgen die von der Koizumi-Regierung angekündigten sogenannten Reformmaßnahmen sowohl in Japan als auch international für erhebliche Vorbehalte. Staatlichen Ausgabenkürzungen und die Liquidation schlechter Kredite durch Schließung der davon abhängigen Unternehmen könnten die japanische Wirtschaft nur noch tiefer in die Rezession stoßen.

Wenn außerdem die Umstrukturierung der Banken und des Finanzsystems zu schnell vor sich geht, könnte dies zum Abzug japanischer Gelder aus dem Rest der Welt führen, vor allem aus den USA, wo sie eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung der überbordenden US-Schulden spielen.

Die Erklärung der G 8 besagt, dass die Wirtschaftstätigkeit in Europa zurückgegangen sei, hält aber gleichzeitig daran fest, dass Steuersenkungen und "Strukturreformen" ein nicht-inflationäres Wachstum begünstigen würden. Es findet sich aber kein Wort zur Zinspolitik, denn in dieser Hinsicht gibt es größere Differenzen, wobei die Europäische Zentralbank (EZB) sich ausdrücklich weigert, dem Beispiel der Federal Reserve Board zu folgen und die Zinssätze zu senken. Die EZB weigert sich nämlich unter Hinweis auf den inflationären Druck, der zum Teil aus dem im Vergleich zum Dollar sinkenden Euro resultiert, die Zinsen zu senken.

Als dies zur Sprache kam, wies Bush jedes gemeinsame Vorgehen zur Senkung des Dollar-Kurses zurück. Er erklärte, der Dollar müsse "floaten" und der Markt werde seinen Wert bestimmen.

Der einzige Hinweis auf Anzeichen wachsender Turbulenzen in den sogenannten aufstrebenden Märkten war die Empfehlung an Argentinien und die Türkei, ihre Ausgaben einzuschränken, sowie ein Appell an "die systematische Aufrechterhaltung ihrer Reformprogramme in enger Zusammenarbeit mit dem IWF".

Im Licht der Finanzkrise vor drei Jahren, die der damalige US-Präsident Clinton als ernsthafteste seit fünfzig Jahren bezeichnete, hätte man erwartet, dass in der Erklärung konkrete Verhaltensmaßnahmen für den Wiederholungsfall angeführt werden. Es gibt aber keine Übereinstimmung darüber, was dann getan werden kann oder muss. Die Bush-Regierung ist gegen Rettungsaktionen des IWF, und der Finanzminister Paul O'Neill äußerte Zweifel, ob es überhaupt so etwas wie "Ansteckungsgefahr" gebe - gemeint ist der Prozess, bei dem eine Krise in einem Sektor der Finanzmärkte (wie zum Beispiel die russische Krise im September 1998) die Stabilität des ganzen Systems bedroht.

Vor zwanzig Monaten traten die Spaltungen zwischen den Großmächten klar zutage, als das Ministertreffen der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle scheiterte. Seither hat es Bemühungen gegeben, die Handelsgespräche wieder aufzunehmen und protektionistischen und offenen Handelskriegs-Maßnahmen entgegen zu wirken.

Dementsprechend betonte die Gipfelerklärung, dass Wirtschaftswachstum eine "neue Verpflichtung für den freien Handel" benötige. Es sei ein "ökonomischer Imperativ", dass die Märkte weltweit geöffnet und die WTO gestärkt werde. Sie enthielt sogar die Zusage der G-8-Führer, sich "persönlich und gemeinsam für die Wiederaufnahme einer neuen, ehrgeizigen Runde globaler Handelsgespräche auf der vierten WTO-Ministerkonferenz in Doha, Katar, im November zu engagieren".

Aber nichts ist seit Seattle geschehen, um die Risse zwischen den großen kapitalistischen Mächten zu kitten - zum Beispiel in der Landwirtschaft, der Investitionspolitik oder der Gentechnologie - oder um die Opposition der ärmeren Länder gegen die Machenschaften des Welthandelssystems zu beschwichtigen. In Wirklichkeit verschärfen sich die Differenzen eher noch, da in Europa Besorgnis herrscht, die Bush-Regierung könnte sich vermehrt auf die Errichtung einer Freihandelsregion der beiden Amerikas konzentrieren.

Als 1975 die Wirtschaftsgipfeltreffen begannen, funktionierte der Weltkapitalismus wenigstens noch einigermaßen und bewegte sich im Rahmen der Regulierungsmechanismen der Nachkriegswirtschaft. Aber im Lauf der darauf folgenden 15 Jahre unterhöhlten das schnelle Wachstum des internationalen Finanzsystems und die Entwicklung der globalen Produktion das, was davon übrig war.

Die von diesen Prozessen entfesselten Kräfte lassen heute die Ressourcen jeder nationalen Regierung und jeder Staatengruppe zusammenschrumpfen und führen dazu, dass ihnen die Kontrolle über den Lauf der kapitalistischen Weltwirtschaft immer mehr entgleitet. Gleichzeitig vertiefen sich die Differenzen zwischen den Großmächten und werden sich mit Sicherheit noch weiter vertiefen, wenn der Niedergang der Weltwirtschaft in eine offene Rezession mündet.

Siehe auch:
G-8-Gipfel in Genua: Illusion und Wirklichkeit
(24. Juli 2001)
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