Parlamentswahl in Großbritannien: herrschende Kreise weiterhin über Europa gespalten

Die Konservative Partei hatte die Opposition gegen Großbritanniens Beitritt zum Euro, der gemeinsamen Währung der Mehrheit der Europäischen Union (EU), in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfs gestellt. Weil Meinungsumfragen regelmäßig eine große Mehrheit gegen den Beitritt zum Euro ergeben, hofften die Tories, mit diesem Thema ihre minimalen Wahlchancen zu verbessern - jedoch vergebens. Sie werden weiterhin auf dem niedrigsten Tief aller Zeiten gehandelt, obwohl mehrere nationale Zeitungen, darunter auch Rupert Murdochs Sun, sie in dieser Frage unterstützen.

Die Meinungsumfragen zeigen auch, dass der Euro für die meisten Wähler ganz unten auf der Prioritätenliste rangiert. Grundlegende Fragen wie das Bildungs- und Gesundheitswesen werden als wesentlich wichtiger angesehen. Hauptsächlich aus diesem Grund konnte der Appell an Nationalismus den tiefgehenden Popularitätsverlust nicht wettmachen, den sich die Tories in ihrer achtzehnjährigen Regierungszeit - durch ihre ständigen Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter und auf demokratische Rechte - zugezogen hatten. Selbst die Koalition aus Geschäftsleuten und Labour- wie Tory-Politikern, die die Kampagne "Rettet das Pfund" organisierte, distanzierte sich von den Tories, um sich nicht zu diskreditieren.

Diese Feststellungen sollten aber nicht als Unterstützung für die im Großen und Ganzen pro-europäische Linie der Labour Party missverstanden werden. Die britische herrschende Klasse ist in ihrer Haltung zu Europa tief gespalten, und jede ernsthafte Debatte würde die Risse bei den Tories und auch bei Labour schnell offenbaren.

Die Übernahme des Euro ist eine zentrale Frage, die großen Einfluss auf Großbritanniens wirtschaftliche, politische, soziale und sogar militärische Zukunft haben wird.

Die offizielle Einführung des Euro im Januar 1999 und sein Einsatz als gemeinsames Zahlungsmittel in den meisten EU-Ländern ab 2002 drückt die Entschlossenheit der auf dem Kontinent tonangebenden Kreise aus, einen gemeinsamen europäischen Markt zu schaffen. Mit dem Euro reagiert Europa auf die Herausforderungen der Globalisierung und des Konkurrenzkampfs mit den USA und Asien. Das zentrale Ziel der europäischen Regierungen ist die Überwindung der Schranken, die die Aufteilung Europas in eine Vielzahl nationaler Ökonomien mit sich bringt: verschiedene Währungen, unterschiedliche Geld- und Fiskalpolitik, zahlreiche Zölle und andere Hemmnisse für Handel und Investitionen.

Im Moment nehmen zwölf Staaten an der Einheitswährung teil: Belgien, Deutschland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal und Finnland. Für eine Übergangsperiode wurde eine einheitliche Währungspolitik für die Eurozone unter der Europäischen Zentralbank beschlossen, alle neuen Staatsschulden werden in Euro gehandelt, und die Finanzmärkte haben bereits auf die neue Währung umgestellt. Spätestens am 28. April 2002 verlieren alle nationalen Währungen ihre Gültigkeit und werden endgültig durch den Euro ersetzt.

Neben der Einheitswährung soll auch die eigenständige militärische Schlagkraft Europas ausgebaut und sollen die osteuropäischen Länder in den Einflussbereich der EU integriert werden. Diese Pläne haben die ohnehin angespannten Beziehungen der wichtigsten europäischen Machte zu den USA in einer ganzen Reihe von Handels- und militärischen Fragen weiter verschlechtert.

Großbritanniens Haltung zu diesen Konflikten war stets ambivalent. Daher rührt das Bemühen, die Debatte über den Beitritt Großbritanniens zum Euro auf rein ökonomische Fragen zu beschränken. Dennoch drohen die Konflikte zwischen den verschiedenen Teilen des Establishments beständig diese Selbstbeschränkung zu sprengen.

Der vielleicht größte Fehler der Tories in ihrem Wahlkampf bestand darin, die frühere Premierministerin Margaret Thatcher wieder aus der Versenkung zu holen, um nach Möglichkeit die Stammwählerschaft der Tories zu mobilisieren. Bis dahin war trotz hitziger Debatten der Unterschied zwischen den Positionen der Tories und der Labour Party zum Euro wenig nuanciert und eher vage gewesen. Obwohl die Tories sich als patriotische Verteidiger des Pfunds und Gegner der "Brüsseler Bürokratie" darzustellen versuchten, war ihre Position bis dahin einigermaßen gedämpft, um keines der beiden Lager in der Wirtschaft zu verprellen. Dort stehen diejenigen, die dem Euro bei der ersten sich bietenden Gelegenheit beitreten wollen, denjenigen gegenüber, die vor allem negative Auswirkungen fürchten.

Als Antwort stellte Labour einen "Fünf-Punkte-Test" für die Bereitschaft Großbritanniens auf, dem Euro beizutreten; dabei geht es um das Zinsniveau und andere Finanzkriterien, die eine ausreichende Konvergenz der britischen Wirtschaft und der Eurozone belegen sollen. Premierminister Blair verspricht, dass ein Referendum erst dann abgehalten wird, wenn diese Kriterien erfüllt sind. Die Konservative Partei wiederum sieht sich nicht in der Lage, eine Zustimmung zum Euro definitiv auszuschließen, und besteht lediglich darauf, sie nicht während der nächsten fünfjährigen Legislaturperiode zu erteilen.

Darüber hinaus wollen sich beide Parteien nicht festlegen, weil es im gesamten politischen Spektrum sowohl Eurobefürworter und als auch -gegner gibt. Thatcher zerschlug diesen politischen Konsens, als sie auf Wahlveranstaltungen Ende Mai verkündete, dass sie dem Euro "niemals, nie" beitreten würde.

Ihre Rede war in äußerst chauvinistischem Ton gehalten und verband Feindseligkeit gegen Europa mit ausländerfeindlichen Tiraden. Sie verlangte die Erhaltung des "britischen Charakters" und forderte, Großbritannien dürfe kein "Kuschelland" für Asylbewerber werden. Angeblich widmete sich ihre Rede den historischen Fragen, die bis dahin unter den Teppich gekehrt worden waren.

"Unsere Währung zu behalten ist nicht nur, wie Labour es erscheinen lassen möchte, eine lediglich wirtschaftliche Frage - obwohl auch das wirtschaftliche Argument mit jedem Tag, den der Euro kränker wird, an Gewicht verliert... Das Pfund aufzugeben, die Fähigkeit, uns selbst zu regieren, aufzugeben, wäre Verrat an allem, wofür vergangene Generationen lebten und starben. Es würde auch bedeuten, Amerika den Rücken zu kehren, dem Führer der englischsprachigen Völker, dem auch Europa - das sollte nicht vergessen werden - seine Freiheit verdankt."

In einem späteren Interview mit der Daily Mail warf Thatcher Blair mangelndes Geschichtsbewusstsein vor. Ihre eigene Position fasste sie in plumpen antieuropäischen Chauvinismus: "Mein ganzes Leben lang kamen unsere Probleme, unsere Kriege vom europäischen Festland. Mein ganzes Leben lang haben die englischsprachigen Völker der Welt die Freiheit verteidigt." "Deutschland hat eine andere Sichtweise, eine andere Philosophie" als Großbritannien und Amerika.

Großbritannien, Europa und Amerika

Großbritanniens Haltung zu Europa kann nur im historischen Rahmen verstanden werden. Thatcher appellierte direkt an die historische Gegnerschaft zwischen Großbritannien und Deutschland und an die politische Zusammenarbeit mit den USA in der Nachkriegszeit; dies verband sie mit ihrer Standardforderung nach nationaler Souveränität und unbeschränktem internationalen Freihandel.

Großbritanniens Beziehung zu Europa war in den letzten fünfzig Jahren von einer starken Aversion auf beiden Seiten geprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die herrschende Klasse Großbritanniens, wie das übrige Westeuropa, finanziell bankrott und von massiven Kapitalspritzen der USA unter dem Marshallplan abhängig. Die Suez-Krise von 1956, in der die USA Großbritannien demütigten und die amerikanische Vorherrschaft im Nahen Osten sicherten, unterstrich die politischen Realitäten, die der Verlust des Empires für Großbritannien bedeutete.

Die britische herrschende Klasse musste neue ökonomische und politische Strategien entwickeln, um ihre Interessen gegen ihre internationalen Rivalen, besonders Frankreich und die USA, im Rahmen des Wiederaufbaus aber auch gegen Deutschland und Japan zu verteidigen.

Der kalte Krieg ermöglichte es Großbritannien, auf Weltebene eine größere Rolle zu spielen, als es seinem ökonomischen und militärischen Gewicht eigentlich entsprach. Da Europa und besonders Deutschland zweitgeteilt waren, gebärdete sich das Vereinigte Königreich auf dem Kontinent und in der Nato als treuester Vasall der USA und erhielt dadurch Zugang zu Atomwaffen und andere Vergünstigungen. Die britische herrschende Klasse sah die Beteiligung an der europäischen Wirtschaft als wesentlich an. Aber sie war mit dem zentralen politischen Ziel verbunden, zu verhindern, dass Deutschland jemals wieder Europa beherrschen und sich zu einer Weltmacht entwickeln konnte. Der Führer der Tory Party, Harold Macmillan, fasste dies 1949 in die Worte: "Die einzige Garantie liegt darin, die Seele des deutschen Volkes für den Westen zu gewinnen. Wenn Deutschland als freies und gleiches Mitglied einem westeuropäischen System beitritt, dann wird es auch möglich sein, die deutsche Schwerindustrie zu kontrollieren."

Mit Unterstützung der USA strebte Großbritannien die Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, Vorgängerin der EU) an, um die wachsende ökonomische und politische Macht Deutschlands unter Kontrolle zu halten und um sicherzustellen, dass Europa stramm auf antisowjetischem Kurs blieb. 1963 und 1967 blockierte Frankreichs Präsident De Gaulle mit einem Veto den Beitritt Großbritanniens. Schließlich trat England 1973 unter dem konservativen Premierminister Edward Heath der EWG bei. Seitdem wächst die Bedeutung Europas für den britischen Handel und britische Investitionen. Obwohl Thatcher Europa weniger enthusiastisch begegnete als ihr Vorgänger Heath, unterzeichnete sie 1986 das Gesetz für ein einheitliches Europa, das zur Bildung des Europäischen Binnenmarktes 1992 führte.

Thatchers Haltung gegenüber Europa war von ihrer Haltung zum Freihandel geprägt und sollte den transnationalen Konzernen ungehinderten Zugang zu den Märkten zu ermöglichen. Sie unterstützte jede Maßnahme, die den Abbau von Zollbarrieren und die freie Bewegung von Kapital in ganz Europa zum Ziel hatte, bekämpfte alle Gesetze, die die Handlungsfreiheit der Unternehmen einengten, und verlangte eine Befeiung von den minimalen Reformen der Arbeitsgesetzgebung, die in der "Sozialcharta" der EU enthalten waren.

Vor allem war Thatcher gegen die Vorherrschaft Deutschlands und Frankreichs in Europa, und sie sah die Mitgliedschaft im Gemeinsamen Markt als Plattform, um die britischen Interessen in Europa zu vertreten, ohne dabei die "special relationship" mit den USA aufzugeben. 1988 erklärte sie in einer Rede in Brügge: "Wir haben den Einfluss des Staates nicht erfolgreich zurückgedrängt, um ihn auf europäischer Ebene durch die Vorherrschaft eines europäischen Superstaates von Brüssel aus wieder gestärkt zu sehen."

Der Zusammenbruch der stalinistischen Regime 1989/90 in Osteuropa und die Wiedervereinigung Deutschlands änderten das Kräfteverhältnis in Europa unwiderruflich. Deutschland war nun das größte Land in der EU, und seine Position als der wirtschaftlich bestimmende Faktor in Europa wurde gestärkt. Die Tory-Rechte schloss, dass Deutschland in den europäischen Institutionen jetzt so bestimmend geworden sei, dass Großbritannien dem Euro nicht beitreten solle und eine Neuverhandlung der Verträge mit der EU verlangen oder sie ganz kündigen solle. Aber Thatcher konnte die Mehrheit ihrer Partei nicht von diesem Kurs überzeugen und wurde 1990 als Vorsitzende abgelöst.

Der "Schwarze Mittwoch" des 13. September 1992 enthüllte die Schwäche, die der britischen Wirtschaft zugrunde lag. Die Tories wurden wegen massiver Spekulationen gegen das Pfund gezwungen, aus der Währungsschlange, dem Vorläufer des Euro, auszuscheren. Seitdem trat der rechte Thatcher-Flügel der Tory Partei noch militanter gegen einen Beitritt zum Euro auf; Thatchers Nachfolger John Major und William Hague mussten zwischen den zwei zerstrittenen Fraktionen balancieren.

Die Frage der politischen Zukunft Europas ist mit den konkurrierenden Vorschlägen des deutschen Kanzlers Gerhard Schröder, des französischen Premierministers Lionel Jospin und des Kommissionspräsidenten Romano Prodi zur Weiterentwicklung der EU-Institutionen im Rahmen der Osterweiterung im letzten Monat wieder in den Vordergrund getreten. Die Tory-Rechten betrachten diese Vorschläge ebenso wie die Pläne für eine gemeinsame europäische Armee außerhalb der Nato als Weg zu einem "EU-Superstaat", der von Deutschland dominiert werden würde. Typisch für diese Haltung waren die Bemerkungen des rechten Tory-Abgeordneten Sir Peter Tapsell, der Schröder mit den Nazis verglich. Er sagte, Großbritannien habe "vielleicht Hitlers ‚Mein Kampf‘ nicht rechtzeitig gelesen, aber es gibt bei Gott keine Entschuldigung, Schröders Plan [für die europäische Integration] nicht zu studieren."

Gleichzeitig wird befürchtet, dass die republikanische Regierung der USA einen isolationistischeren Kurs fahren und Großbritannien plötzlich zwischen allen Stühlen sitzen könnte.

Thatchers Wahlkampfrede war eine erhebliche Eskalation der Kampagne der Rechten gegen Europa. Ihr aggressiv antieuropäischer Ton führte fast zum Übertritt des früheren Handelsministers der Tories, Anthony Nelson, zur Labour Party. Ohne Zweifel wird es in Zukunft weitere Spaltungen und Übertritte geben.

Das Finanzkapital und der Euro

Thatchers Beschwörung der angloamerikanischen Beziehungen hängt mit dem Wunsch zusammen, Großbritannien weiterhin eine führende Rolle in der Weltarena und in Europa zu sichern. Die Schwierigkeit der Tory-Rechten besteht darin, dass ihre Argumente ihre alten Freunde in der Industrie nicht mehr überzeugen und auch in den USA nur noch geringe Unterstützung finden. Die Spaltungen in der herrschenden Elite drehen sich um die Frage, inwieweit die Entwicklung internationaler Investitionen und des internationalen Handels mit einer weiteren europäischen Integration vereinbar sind.

In dieser Frage konnten sich die Eliten aus Wirtschaft und Politik nicht auf einen Konsens einigen. Ungeachtet der Euroskeptiker, welche die EU als quasi sozialistischen Staat darstellen, ist es den sozialdemokratischen Regierungen Europas gelungen, attraktive ökonomische und politische Rahmenbedingungen für das internationale Kapital herzustellen. Die Sozialstaaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt wurden, um Revolutionen zu verhindern, werden heute wieder abgeschafft. Zur Vorbereitung des Euro wurden auf dem Maastricht-Gipfel 1991 einschneidende Kürzungsmaßnahmen beschlossen, um überall in Kontinentaleuropa die Staatsausgaben deutlich zu senken. Die Polarisierung zwischen einer reichen Oberschicht und der breiten Bevölkerungsmasse schreitet in ganz Europa voran, wenn sie auch noch nicht ein solches Ausmaß erreicht hat wie in Großbritannien und den USA.

Die "Umstrukturierung" der Industrie, d. h. der Abbau des Kündigungsschutzes, und die Zerstörung der Sozialsysteme sind in Kontinentaleuropa langsamer vonstatten gegangen als in Großbritannien und den USA. Dennoch kann man nicht von einem "sozialen Europa" im Gegensatz zum "angelsächsischen" Kapitalismus sprechen. Die Zerstörung der sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse und die Senkung der Löhne und Arbeitsschutzbestimmungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner sind Bestandteil eines internationalen Prozesses, den die Bourgeoisie unabhängig davon, wer die Regierung stellt, in allen Ländern vorantreibt. Die Zeitschrift Economist schrieb dazu: "Die Hemmnisse für die Wirtschaft in Europa haben sich während der vergangenen zwei Jahre im Verhältnis zu den USA nicht vergrößert, im Gegenteil, die europäischen Wirtschaften sind weitaus rascher flexibilisiert worden, als die meisten Beobachter erwartet hatten."

Dennoch bleibt vom Standpunkt des Big Business aus noch vieles zu tun. Die europäische Industrie und Landwirtschaft müssen weiter rationalisiert werden, was unweigerlich zum Abbau Zehntausender Arbeitsplätze führen wird. Die noch verbliebenen sozialen Leistungen - betreffend Krankenversicherung, Arbeitslosengeld und Renten - gelten den Reichen und den Großkonzernen als lästige Bürde, die durch öffentliche Kürzungen abzubauen ist.

Dieser Faktor trug zum ständigen Absinken des Euro gegenüber dem Dollar bei. Wurde der Euro bei seiner Einführung mit 1,17 Dollar gehandelt, so steht er jetzt unter 0,90 Dollar. Das schnellere Wachstum der US-Wirtschaft und insbesondere der Wall Street hat sowohl das Finanzkapital als auch die Spekulanten angezogen. In ihren Augen vollzog sich die Restrukturierung der europäischen Unternehmen und Finanzinstitutionen zu langsam. Gleichzeitig konnte das Pfund seinen relativ hohen Kurs gegen den Euro halten, da London trotz der Konkurrenz Frankfurts, des Sitzes der Europäischen Zentralbank, seine Stellung als größtes Finanzzentrum Europas halten konnte. Die produzierende Industrie in Großbritannien beschwert sich zwar, dass das hohe Pfund ein Exporthindernis darstelle; sie erbringt jedoch im Vergleich zum Finanz- und Dienstleistungssektor einen immer geringeren Teil der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Trotz des hohen Pfundkurses und trotz seiner Stellung außerhalb der Eurozone zieht Großbritannien die meisten Investitionen an, die innerhalb Europas getätigt werden: 39 Prozent der Direktinvestitionen fließen in das Vereinigte Königreich. Als Niedriglohnland genießt es einen Wettbewerbsvorteil. Nach der Niederlage des Bergarbeiterstreiks und weiterer großer Arbeitskämpfe in den achtziger Jahren wurden den britischen Arbeitern geringe Bezahlung, erbärmliche Sozialversicherungsleistungen, flexible Arbeitszeiten und eine längere Arbeitswoche aufgezwungen als im übrigen Europa. Die gesteigerte Ausbeutung der Arbeiterklasse ließ den langjährigen Rückgang des britischen Bruttosozialprodukts im europäischen Vergleich seit Mitte der neunziger Jahre in einen Anstieg umschlagen.

Die Konservativen führen diese Faktoren als Argumente gegen die Einführung des Euro an. Andere Teile der herrschenden Klasse verweisen jedoch auf dieselben Faktoren, um den Beitritt Großbritanniens zum Euro zu fordern. Das amerikanische Wall Street Journal, Sprachrohr der raffgierigsten Teile des US-Finanzkapitals, lässt erkennen, welche Überlegungen die Haltung der Blair-Regierung gegenüber der europäischen Integration bestimmen.

In einem vor kurzem erschienenen Editorial wird zunächst beifällig vermerkt, dass sich Thatchers Philosophie des freien Marktes in ganz Großbritannien durchgesetzt habe. "Wenn doch nur andere europäische Länder eine Thatcher gehabt hätten", heißt es. Hinsichtlich des Euro mache Thatcher jedoch einen Fehler. Blair müsse ihr mit den Argumenten des freien Marktes entgegentreten. Die fünf Testfragen der Regierung zur Wirtschaft, warnt das Wall Street Journal, "beantworten die Einwände der Eurogegner nicht wirklich".

Großbritannien solle der Eurozone mit dem Ziel beitreten, diese zu dominieren, anstatt sich aus Angst, andere könnten diese Rolle übernehmen, davon fern zu halten. Europa müsse nicht notwendigerweise unter den Fittichen einer pro-deutschen Europäischen Zentralbank verbleiben, meint das Wall Street Journal. In einer einheitlichen Währungszone, so die Zeitung, "sucht das Geld frei von währungsbedingten Risiken nach einer Anlage". Die Kreditnachfrage der Unternehmen, nicht die Europäische Zentralbank bestimme über den Geldfluss. Der Beitritt zur Eurozone bedeute nicht den Verzicht darauf, sich selbst zu regieren, sondern "die in London beschlossene Geldpolitik würde ein gesteigertes Gewicht erhalten, indem sie ein unternehmerfreundliches Umfeld erzeugt". Mit anderen Worten, Blair solle in Europa für die Sache des freien Marktes eintreten, und das geringere Steuerniveau in Großbritannien werde als Zugpferd amerikanische Investoren in die Eurozone locken.

Die Analyse des Wall Street Journal ist durchaus unvollständig. Sie übergeht die Handelskonflikte zwischen den USA und der EU. Außerdem fehlen die vielfältigen politischen Meinungsverschiedenheiten, die von den Themen Irak und Nordkorea bis hin zu dem höchst umstrittenen amerikanischen Raketenabwehrsystem im Weltraum reichen. Doch diejenigen Schichten, für die das Wall Street Journal spricht, sind jedenfalls der Ansicht, dass ihren Interessen am besten gedient ist, wenn der US-amerikanische Handel und die US-amerikanischen Banken ungehinderten Zugang zu den europäischen Märkten haben.

Für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa

Im wahrscheinlichen Falle ihrer Wiederwahl wird die Labour-Regierung gezwungen sein, das heiße Eisen Europa endlich anzufassen. Sie muss ein Referendum über die Einführung der Einheitswährung vorbereiten. Die Arbeiterklasse kann dabei weder mit "Ja" noch mit "Nein" stimmen. Beide Seiten der offiziellen Debatte über den Euro verteidigen den Wirtschaftsliberalismus. Beide treten für die Zerstörung jeglicher Arbeitsplatzsicherheit und für die weitere Privatisierung der Gesundheitsdienste, des Bildungswesens und der Rentenversicherungen ein. Die britische Öffentlichkeit wird lediglich vor die Alternative gestellt, entweder die EU-Institutionen und den Euro zu akzeptieren oder das Pfund und den britischen Nationalstaat zu verteidigen. Wenn die Eurogegner etwas umfassendere Fragen ansprechen als Labour, dann nur von dem Standpunkt aus, den Reichtum und die internationale Position einer winzigen Elite zu verteidigen. Unter diesen Voraussetzungen dient ein Referendum nur dazu, eine von zwei reaktionären Alternativen zu unterstützen.

Die gemeinsamen Interessen der arbeitenden Bevölkerung in ganz Europa kommen nicht zur Sprache. Überall ist sie mit wachsender sozialer Ungleichheit und mit Angriffen auf den Sozialstaat konfrontiert. Wenn soziale Fragen überhaupt angesprochen werden, so ausschließlich zu dem Zweck, die Interessen der Arbeiter mit der unternehmerfreundlichen Politik der sozialdemokratischen Parteien Europas gleichzusetzen.

Wenn Politiker wie der französische Premierminister Jospin ein angeblich "soziales Europa" dem "angelsächsischen Kapitalismus" nach amerikanischem Modell entgegenstellen, dann verbreiten sie Lügen. Hinter dem Gerede von "Sozialstandards" steht der Versuch, die arbeitende Bevölkerung an die nationalen und europäischen Institutionen zu binden und sie gegen die Bevölkerung in anderen Teilen der Welt, insbesondere gegen die amerikanischen Arbeiter aufzuhetzen. Gleichzeitig wird die Restrukturierung der Industrie und der Sozialabbau, die in den USA bereits vollzogen wurden, auch auf dem europäischen Kontinent zur Norm.

Ebenso wenig kann die Arbeiterklasse die Forderung nach dem Schutz der "nationalen Souveränität" als Garanten für demokratische Rechte gegenüber der EU-Bürokratie unterstützen. Die nationalen Gegensätze innerhalb Europas haben bereits zu zwei Weltkriegen geführt. Die harmonische Vereinigung des Kontinents wäre ein historischer Fortschritt. Unter dem Profitsystem, in dem verfeindende Finanzinstitutionen und deren politische Vertreter die politische Agenda diktieren, kann sie jedoch nicht verwirklicht werden. Eine progressive Überwindung der nationalen Spaltungen in Europa ist nur möglich, wenn die nach zig Millionen zählende arbeitende Bevölkerung in ganz Europa auf der Grundlage einer sozialistischen Politik zusammengeschlossen wird und sich gemeinsam gegen die transnationalen Konzerne und Banken wendet.

Es liegt nicht im Interesse der Arbeiterklasse, sich der Globalisierung der Produktion und der durch die neuen Technologien ermöglichten gesteigerten Produktivität entgegenzustellen. Der Sozialismus kann nur verwirklicht werden, wenn das riesige produktive Potenzial der Menschheit, das sich heute auf globaler Ebene entwickelt, dem Zugriff der privaten Konzerne entzogen wird. Die arbeitende Bevölkerung sollte die Schlüsselbereiche der Produktion und des Wirtschaftslebens in ihren demokratischen Besitz und unter ihre demokratische Kontrolle nehmen, um auf diese Weise ein Europa zu verhindern, das von ausschließlich am Profit orientierten Konzernen und Finanzinstitutionen beherrscht wird. Das veraltete System von Nationalstaaten und nationalen Teilungen in Europa sollte abgeschafft werden. Priorität sollte dem raschen Ausbau des Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesens eingeräumt werden, um die Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung zu befriedigen. Das Eintreten für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa in diesem Sinne ist die einzige Antwort auf die Eurobefürworter und auf die Eurogegner in den britischen Wahlen.

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