Schwarz-Grüne Planspiele in Frankfurt

In Hessen war 1985 die erste rot-grüne Koalition auf Landesebene gebildet worden. Der Eintritt von Joschka Fischer in die Regierung des Sozialdemokraten Holger Börner signalisierte damals die endgültige Verwandlung der Grünen aus einer Protestbewegung in eine staatstragende Partei. Nun ist die hessische Bankenmetropole Frankfurt zum Schauplatz einer weiteren Etappe der Rechtsentwicklung der einstigen Protestpartei geworden - ihres Zusammengehens mit der konservativen CDU.

Verhandlungen über eine schwarz-grüne Koalition im Römer, dem historischen Frankfurter Rathaus, sind bis zur Ausarbeitung eines 88 Punkte umfassenden Arbeitspapiers gediehen, in dem CDU und Grüne ihre Übereinstimmung in Schlüsselfragen der Kommunalpolitik bekunden. Sie scheiterten erst im letzten Augenblick an erheblichen Widerständen an der grünen Basis und einem abtrünnigen CDU-Abgeordneten, der mit seiner Stimme einem rechtsextremen Republikaner zum Einzug in den Magistrat der Stadt verhalf.

Die Bemühungen der Grünen, ihre eigene Mitglied- und Wählerschaft auf eine Zusammenarbeit mit der CDU einzustimmen, lassen aber auch nach diesem vorübergehenden Fehlschlag nicht nach. Sie werden von hohen Vertretern der Landes- und Bundespartei unterstützt, die sich so die Option für zukünftige schwarz-grüne Koalitionen auf höchster Ebene eröffnen wollen.

Das Geschacher über die zukünftige Frankfurter Stadtregierung zieht sich bereits seit drei Monaten hin. Bei der Kommunalwahl am 18. März lag die Wahlbeteiligung bei nur 46 Prozent. Die Christdemokraten konnten prozentual die meisten Stimmen auf sich vereinen, sowohl Sozialdemokraten als auch Grüne verloren Stimmen. Rein rechnerisch würde daher nur die Zusammenarbeit zwischen CDU und SPD oder zwischen CDU und Grünen eine Mehrheit ergeben.

Da die Frankfurter SPD erst kurz vor den Wahlen per Parteitagsbeschluss die Zusammenarbeit mit der CDU aufgekündigt hatte, verstieg sie sich zu dem Vorschlag, alle größeren Parteien - CDU, SPD, FDP und Grüne - sollten sich zu einer "Koalition der Vernunft" zusammenschließen. Dies lehnten aber CDU und Grüne ab. Stattdessen signalisierte der grüne Spitzenpolitiker und ehemalige hessische Justizminister Rupert von Plottnitz nach den Kommunalwahlen: "Die Kontaktsperre zur CDU ist aufgehoben."

Als sich die amtierende CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth 14 Tage nach den Kommunalwahlen der Stichwahl zum Amt des Oberbürgermeisters stellen musste, gaben die Grünen zur Überraschung ihrer Wähler keine Empfehlung für den SPD-Kandidaten Achim Vandreike ab. Infolgedessen blieben viele grüne Wähler zu Hause. Als daraufhin Vandreike unterlag, bedankte sich der Frankfurter CDU-Parteichef Udo Corts öffentlich bei den Grünen.

Die Bundesparteiführungen sowohl der CDU (Angela Merkel) als auch der Grünen (Josef Fischer) gaben den Frankfurter Parteien zunächst freie Hand zu Verhandlungen. Lutz Sikorski, einer der dienstältesten grünen Stadtpolitiker in Frankfurt, erklärte: "Wenn es in den Verhandlungen zu befriedigenden inhaltlichen Übereinstimmungen kommt, ist die Zusammenarbeit mit der CDU der gangbare Weg."

Es begannen intensive Verhandlungen zwischen der CDU und den Grünen, die zwar nie offiziell als Koalitionsverhandlungen deklariert wurden, aber zu einer umfangreichen Übereinkunft führten, der auch die FDP zustimmte. Die Pläne für eine schwarz-grüne Koalition stießen auf einer Mitgliederversammlung der Grünen Anfang Juni allerdings auf erheblichen Widerstand, so dass eine endgültige Entscheidung erst einmal vertagt wurde, um eine Spaltung der Partei zu vermeiden.

Am 19. Juni brachte dann die Wahl des rechtsextremen Republikaners Andreas König in den ehrenamtlichen Magistrat der Stadt die Koalitionspläne endgültig zum Stillstand. Entgegen vorherigen Absprachen hatte offensichtlich ein CDU- oder FDP-Abgeordneter seine Stimme König gegeben, der bis 1992 selbst noch Mitglied der CDU gewesen war. Die Grünen kündigten daraufhin die Koalitionsgespräche auf. Dies war offensichtlich auch das Ziel des "Abtrünnigen".

Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. So hat sich Daniel Cohn-Bendit - jahrelang Leiter des Frankfurter "Amts für multikulturelle Angelegenheiten", jetziger Europa-Abgeordneter für die französischen Grünen und vehementer Befürworter einer "schwarz-grünen" Koalition - sofort nach den jüngsten Ereignissen in der Frankfurter Rundschau zu Wort gemeldet. Er erklärt, das jetzige Scheitern sei dem Umstand geschuldet, dass "die Grünen versäumt haben, zu erklären, warum sie ausgerechnet mit denen zusammenarbeiten wollen, die ihr politischer Haupt-Gegner im Wahlkampf waren". "Das Zusammengehen der beiden Parteien hätte in der Stadt ganz anders vorbereitet werden müssen. Man hätte ganz anders dafür werben müssen."

Die CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth schloss sich dieser Sichtweise nur einen Tag später, ebenfalls in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau,an. Während Roth jetzt wieder Gespräche mit der SPD führen wird, wird die Parteiführung der Grünen in den nächsten Wochen und Monaten verstärkt für eine Zusammenarbeit mit der CDU werben. Diesmal "ganz anders".

Das Bemühen der Grünen um ein Zusammengehen mit der CDU, das offensichtlich die Unterstützung höchster Kreise der Bundespartei genießt, ist zum Teil auf taktische Überlegungen zurückzuführen. Die Grünen versuchen sich so aus der babylonischen Gefangenschaft der SPD zu befreien, der nach dem Führungswechsel in der FDP auch die Liberalen und nach dem Regierungswechsel in Berlin die PDS als möglicher Koalitionspartner zur Verfügung stehen.

Auf Seiten der CDU gibt es ähnliche Überlegungen. Nachdem die FDP ihre feste Bindung an die CDU gelöst hat, eröffnet ihr eine Koalition mit den Grünen neue Möglichkeiten, an die Macht zurückzukehren. In kleineren Kommunen gibt es schon seit längerem eine Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen. Es ist aber bemerkenswert, dass kürzlich in Saarbrücken erstmals auch in einer Landeshauptstadt eine solche Koalition zustande kam. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, Mitglied im CDU-Bundesvorstand, hatte sich dabei intensiv in die Verhandlungen eingeschaltet und auch sein hessischer Kollege Robert Koch hatte sie intensiv verfolgt.

Wichtiger als diese taktischen Überlegungen sind aber die politischen Ansichten und Konzeptionen der Grünen, die jenen der CDU immer ähnlicher werden. Schon seit mehreren Jahren gibt es tiefgehende inhaltliche Gemeinsamkeiten zwischen den politischen Zielen der CDU und einem wachsenden Teil der Grünen. "Die jüngeren Dienstleistungsbürger in beiden Parteien fühlen sich zueinander hingezogen", wie die Frankfurter Rundschau schreibt.

Im Internet-Diskussionsforum der Frankfurter Grünen meldete sich eine "Linda" zu Wort: "Als Grüne schäme ich mich: Einige von uns scheinen immer noch nicht zu begreifen, dass man endlich in der Realität ankommen muss!... Die Birkenstock-Träger gehören endlich abgelöst! Sie sollen den Weg freimachen für junge Idealisten, welche noch andere Optionen kennen, als nur Rot-Grün und verrückte 68er-Ideale... JA ZU SCHWARZ-GRÜN! JA ZU EINER MODERNEN GRÜNEN PARTEI! Ja zu Kuhn, Nein zu Roth (Claudia)!" (Hervorhebungen im Original)

Ein Artikel der Süddeutschen Zeitung wies vor kurzem darauf hin, wie in der Führungsebene der Grünen neoliberale Vorstellungen und die Wahrung von Mittelstandsinteressen zunehmend Einfluss gewinnen. Am Beispiel dreier prominenter Grüner - Oswald Metzger, Christine Scheel und Margareta Wolf - demonstrierte die Zeitung, dass Unternehmergremien wie beispielsweise die Industrie- und Handelskammer sich vor dieser Partei nicht mehr fürchten.

Der Artikel unter dem Titel "Trio neoliberale" ( Süddeutsche Zeitung, 19. April 2001) schildert, wie Margareta Wolf als Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium und Mittelstandsbeauftragte darauf achtet, dass "Beamte beim Schreiben neuer Gesetze die Interessen von Metzgermeistern und Computertüftlern nicht vergessen", und zitiert Oswald Metzger, den Haushaltsexperten der Grünen, mit den Worten: "Wir Grüne haben nicht das Bild vom kaltherzigen Unternehmer im Kopf wie Gewerkschaften und Sozialdemokraten." Oswald Metzger tritt für eine schwarz-grüne Landtagskoalition in Baden-Württemberg und für einen Finanzminister namens Oswald Metzger ein.

Über Christine Scheel heißt es in dem Artikel: "Heute klopfen alle bei ihr an, Arbeitgeber, Banker, Handelsvertreter oder Versicherungsmanager. Sie wissen, ein Besuch bei Frau Scheel lohnt sich. ‚Die kann was bewegen‘, urteilen Lobbyisten in Berlin... Sie hat sich gestählt im Kampf an der Steuerfront, nicht selten auf Seiten der Unternehmen und gegen Finanzminister Eichel."

Auch in der Ausländerpolitik weist das Programm der Grünen auffällige Parallelen zu dem der CDU auf: Während die CDU eine Zuwanderung von Ausländern gestaffelt nach Arbeitsqualifikationen vorschlägt, erklärte der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rezzo Schlauch: "Es wäre gut, wenn die Zuwanderung nach dem jeweiligen Bedarf an Arbeitskräften geregelt werden würde. Zum Beispiel im Pflegebereich oder in der Landwirtschaft." Schlauch sieht in dem Zuwanderungskonzept der CDU eine "mögliche Basis für einen parteiübergreifenden Konsens".

In Frankfurt geben die neoliberalen "Dienstleistungsbürger" im Kreisverband der Grünen den Ton an. Schon seit den frühen neunziger Jahren, als Tom Königs als grüner Frankfurter Finanzdezernent die Beziehungen zur Bankenwelt verbesserte, gibt es Annäherungen und Übereinstimmung in einer ganzen Reihe politischer Ziele, wie der Verschlankung der Stadtverwaltung, der Privatisierung von Einrichtungen wie der öffentlichen Versorgungsunternehmen, der Messe und der Kulturbetriebe, sowie in der Drogen- und der Ausländerpolitik.

Am deutlichsten brachte das Daniel Cohn-Bendit in einem Gastbeitrag der Frankfurter Rundschau zum Ausdruck. Er schrieb am 28. April: "Es gibt Ansätze, die sich wohl mit den Christdemokraten besser realisieren lassen. Nämlich da, wo der staatsregulatorische Ansatz der Sozialdemokratie nicht funktioniert."

Cohn-Bendit erklärt, wie man die Ausländer- mit der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik sinnvoll verknüpfen könne: "Inzwischen hat auch die CDU erkannt, dass die demographische Entwicklung Zuwanderung bitter nötig macht. Zunächst müssen alle Asylbewerber, die Arbeit haben, ein verfestigtes Bleiberecht erhalten. Frankfurt sollte sich so an die Spitze des Konsenses zwischen Ausländer- und Wirtschaftspolitik setzen und einen modernen Weg beschreiten, den der staatsdirigistische sozialdemokratische Ansatz kaum tragen wird."

In der Kulturpolitik sollten die Grünen laut Cohn-Bendit gemeinsam mit der CDU "das Hin und Her seit Hilmar Hoffmann" [SPD-Kulturdezernent der 70er Jahre] beenden, indem sie einerseits die "unternehmerische Selbständigkeit der Kulturunternehmen stärken und zugleich avantgardistische Minderheiten- und Off-Off-Kultur fördern. Dies wäre sinnvolle Liberalisierung mit dem Ziel, Kultur kostengünstiger anzubieten, und der Chance, aufregende avantgardistische Angebote zu unterbreiten."

Pikant ist dabei, dass sowohl die Frankfurter CDU als auch die hessische insgesamt am äußersten rechten Flügel der Union stehen und bis zum Hals in den Spendenskandal der CDU verstrickt sind. Noch im Kommunalwahlkampf hatten die Grünen die "mafiosen Strukturen" innerhalb der Partei angeprangert, mit der sie seit der Wahl zusammengehen wollen.

Die Frankfurter CDU hatte jahrelang massiv von den Schwarzgeldmillionen aus der Schweiz und aus Lichtenstein profitiert. Hier wurde dieses Geld als angebliche "jüdische Vermächtnisse" deklariert. Als Roland Koch im Februar 1999 durch eine ausländerfeindliche Kampagne gegen die geplante doppelte Staatsbürgerschaft der rot-grünen Bundesregierung den Landtagswahlkampf bestritt und gewann, hatte er die volle Unterstützung der Frankfurter CDU.

Der Frankfurter CDU-Verhandlungsführer bei den Gesprächen mit den Grünen, Udo Corts, ist in seiner Funktion als Staatssekretär von Roland Koch dafür verantwortlich, dass eine geheime Verfassungsschutz-Akte aus den 70er Jahren über die Gruppe "Revolutionärer Kampf" der Presse zugespielt und zu massiven Vorwürfen gegen den grünen Bundesaußenminister Josef Fischer benutzt wurde, der damals dieser Gruppe angehörte. Das hat Fischer selbst allerdings nicht daran gehindert, wenn auch sehr diplomatisch ein Zusammengehen mit der CDU zu unterstützen.

Auch in dem 88 Punkte umfassenden Arbeitspapier, auf das sich Frankfurter CDU und Grüne geeinigt haben, kommt die politische Übereinstimmung in vielen Fragen zum Ausdruck.

"Die Zahl der hoheitlichen Sicherheitskräfte wird deutlich erhöht", heißt es dort (Hervorhebung im Original). "Die Ausländerbehörde soll sich zu einem kundenorientierten Dienstleister hin entwickeln."

In Fragen der Verwaltung, Wirtschaft und Beschäftigung beziehen CDU und Grüne klar Position: "Die Stadtverwaltung muss sich in den nächsten Jahren auf die Herausforderungen der Zukunft und den Wettbewerb der Regionen einstellen. Zur Schaffung von Synergien und zur Kostenreduzierung gilt es, die Aufgabenwahrnehmung durch die öffentliche Hand auf den Prüfstand zu stellen, Verwaltungsabläufe zu optimieren und grundlegende Reformen anzustreben" - eine inzwischen bekannte Umschreibung für Arbeitsplatzabbau und Steigerung des Arbeitsumfangs eines jeden verbliebenen Beschäftigten.

In der Wirtschaft setzt man auf großzügige finanzielle Unterstützung. Die wichtigste Einkommensquelle der Stadt, die Gewerbesteuer, soll um über 4 Prozent gesenkt werden. Den Betrieben und Konzernen der Stadt soll so eine zweistellige Millionensumme zukommen. Außerdem planen CDU und Grüne: "Ausbau von Existenzgründungsprogrammen,... Relevant: Neue Medien, IT, Start-up´s (Anschubfinanzierung, Patenschaften organisieren), Umwelttechnologie, Handwerk... Wagniskapital zur Verfügung stellen: Durch Wagniskapitalbeteiligungen soll die regionale Wirtschaftsstruktur nachhaltig verbessert und qualifizierte Arbeitsplätze mit langfristig hoher Wertschöpfung geschaffen werden."

Für die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger setzt man hingegen auf geringqualifizierte Arbeit und Druck: "Über neue Wege nachdenken, Vermittlungsagenturen vermitteln gegen Provision Langzeitarbeitslose in den 1. Arbeitsmarkt, Vermittlungsanreize: Gesellschaft,belohnen‘ für Vermittlung, Lohnkostenzuschüsse für Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger für einfache Dienstleistungen."

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