Militärgerichte, Überwachung von Anwälten

US-Präsident führt weitere Polizeistaatsmaßnahmen ein

Innerhalb wenig mehr als einer Woche hat die Bush-Regierung eine Reihe von Verordnungen erlassen, die den bisher weitreichendsten Angriff auf demokratische Rechte in der modernen Rechtsgeschichte darstellen. Die Verordnungen verletzen Schutzrechte, die in der amerikanischen Verfassung niedergelegt sind und von den Gerichten über Jahrzehnte hin verteidigt wurden.

Am Dienstag erließ Bush eine Verordnung über die Bildung spezieller Militärgerichte, die des Terrorismus Verdächtige aburteilen sollen. Nur wenige Tage vorher war bekannt gegeben worden, dass Justizminister John Ashcroft die Überwachung der Gespräche von Anwälten mit ihren Klienten in Bundesgefängnissen autorisiert habe. Davon sind auch Personen betroffen, die zwar festgenommen wurden, die aber keines Verbrechens beschuldigt werden.

Außerdem sind folgende Verordnungen erlassen worden:

  • Eine Direktive, die es dem Justizminister erlaubt, bestimmte Ausländer auf unbegrenzte Zeit festzusetzen. Davon könnten nach Angaben des Justizministeriums Hunderte Personen betroffen sein.
  • Eine Anweisung an das FBI, mehr als 5000 Personen auf "freiwilliger" Basis zu vernehmen. Betroffen sind vornehmlich Männer aus dem Nahen Osten im Alter von 18 bis 33 Jahren, die in den USA leben. Vorgebliches Ziel: Informationen über zukünftige Terrorangriffe zu erlangen.
  • Eine neue Visapolitik, von der Männer im Alter von 16 bis 45 Jahren aus 25 Ländern des Nahen Ostens und Afrikas betroffen sind. Solche Antragsteller werden intensiv unter die Lupe genommen und müssen mit langen Wartezeiten für ihre Anträge rechnen. Ihre Namen werden mit den Datenbanken des FBI abgeglichen.
  • Die Einstellung der Veröffentlichungen über die Zahl der Leute, die in den Maschen der Anti-Terrorschleppnetzfahndungen der Sicherheitsbehörden hängen geblieben sind, durch das Justizministerium. Die letzte von den Bundesbehörden veröffentlichte Zahl war 1.187.

Diese tiefgreifenden Änderungen sind durch Verordnungen der Exekutive in Kraft gesetzt worden, über die Köpfe des Volkes hinweg, ohne Diskussion oder Abstimmung im Kongress. Mit den weitrechenden Bestimmungen des Anti-Terrorgesetzes zusammengenommen, das der Kongress vergangenen Monat verabschiedet hat, stellen sie einen großen Schritte in Richtung auf die Schaffung eines institutionellen und juristischen Rahmens für einen Polizeistaat in den USA dar.

Die Bush-Regierung benutzt die Anschläge vom 11. September als Vorwand für Maßnahmen, die vor den Terrorangriffen politisch undenkbar gewesen wären. Sie sind Teil der reaktionären Ziele, die die rechtesten Teile des politischen Establishments schon lange verfolgen.

Die von Bush genehmigten Militärtribunale wären der Stolz eines jeden totalitären Staates. Nach den Bestimmungen von Bushs Anordnung können sie auf verdächtigte Nicht-Amerikaner angewandt werden und die Verfahren können in den USA, im Ausland oder sogar auf See stattfinden. Prozesse vor diesen Tribunalen sind geheim. Der Militärstaatsanwalt muss keine Informationen über die Verfahren an die Öffentlichkeit geben. Die Tribunale können bis zu lebenslänglich oder sogar die Todesstrafe verhängen.

Der Präsident wird festlegen, wer vor diese Tribunale gestellt wird. Der New York Times vom 15. November zu Folge bereitet das Pentagon schon die mögliche Überstellung von Immigranten in Militärgewahrsam vor, die gegenwärtig in Bundesgefängnissen festgehalten werden.

Die Beschuldigten werden kein Recht auf Berufung haben und werden kein amerikanisches Staats- oder Bundesgericht, kein ausländisches Gericht und auch keinen internationalen Gerichtshof, wie den Internationalen Gerichtshof in den Haag, anrufen dürfen. Das bedeutet, dass ein Verdächtiger auf George W. Bushs Anweisung festgenommen, im Ausland in einem Geheimprozess vor Gericht gestellt und hingerichtet werden könnte.

Die Verurteilung bedarf keines einstimmigen Urteils. Die Angeklagten können von einer zweidrittel Mehrheit der Militärrichter, die vom Verteidigungsminister ernannt werden, verurteilt werden. Über die Qualifikation dieser Richter wir in der Verordnung nichts gesagt, und ihre Identität kann vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden. Das wäre mit maskierten Armeeoffizieren in lateinamerikanischen Militärgerichten vergleichbar, wie bei dem Prozess gegen die linke amerikanische Journalistin Lori Berenson, der kürzlich in Peru stattfand.

Die Tribunale müssen die Schuld nicht zweifelsfrei beweisen und müssen bei der Beweisführung nicht den üblichen Regeln folgen. Diese Lizenz für Schauprozesse verletzt nicht nur die grundlegendsten Rechtsprinzipien und die Prozessordnung, wie sie vor Zivilgerichten gelten, sondern sogar die für Militärgerichte geltenden Regeln.

Der Präsident des nationalen Instituts der Militärjustiz, Eugene R. Fidell, erklärte dazu: "Die Beschuldigten vor einem solchen Gericht hätten dramatisch weniger Rechte als ein Angeklagter vor einem Kriegsgericht."

Im Vergleich zu dem Vorgehen, das in Bushs Verordnung niedergelegt ist, war der Prozess gegen Abdullah Öcalan, den Führer der kurdischen PKK, der 1999 vor einem türkischen Militärgericht stattfand und weltweit als Schauprozess verurteilt wurde, geradezu ein Modell für die Einhaltung der Strafprozessordnung. Beim Öcalan-Prozess waren die Medien und internationale Beobachter zugelassen und der Angeklagte konnte gegen das Todesurteil Berufung vor einem türkischen Zivilgericht einlegen.

Bushs Militärtribunale und die anderen Anti-Terrormaßnahmen verletzen eines der grundlegendsten demokratischen Prinzipien der amerikanischen Justiz: die Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils. Jetzt können Angeklagte ihres Rechts auf einen fairen Prozess auf Gutdünken des Präsidenten beraubt werden. Wenn der Präsident einen Ausländer als des Terrorismus verdächtig benennt, kann er an das Militär übergeben, in einem Schnellverfahren verurteilt und hingerichtet werden.

Vizepräsident Dick Cheney verteidigte Bushs Anordnung mit den Worten, dass Terrorismus-Verdächtige "nicht die gleichen Garantien und den gleichen Schutz verdienen, die für amerikanische Bürger in einem normalen Justizverfahren gelten", und dass ein Militärgericht "garantiert, dass diese Individuen die Behandlung erfahren, die sie unserer Meinung nach verdienen".

Die Verordnung nennt zwar ausdrücklich Osama bin Ladens Al-Qaeda-Netzwerk als Zielgruppe, aber diese Gerichte können gegen jeden Nicht-Amerikaner eingesetzt werden, dem Verbindungen zum Terrorismus vorgeworfen werden. Man sollte nicht vergessen, dass Bush, der über die absolute Entscheidungsgewalt verfügt, wer vor diese Gerichte gestellt wird, sein Gerechtigkeitsempfinden und sein Mitgefühl bei den 152 Hinrichtungen bewiesen hat, die in seiner fünfjährigen Amtszeit als Gouverneur von Texas unter seiner Verantwortung vollstreckt wurden.

Die offiziellen Begründungen, die die Bush-Regierung für diese Militärgerichte liefert, sind nicht stichhaltig. Die wichtigste Begründung ist, dass Verfahren gegen Terroristen vor Zivilgerichten amerikanische Agenten in Gefahr bringen könnten. Diese Behauptung wird das Vorhandensein von Bestimmungen widerlegt, die es Bundesgerichten erlauben, sensible Informationen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu behandeln.

In Wirklichkeit geht es der Regierung darum, der amerikanischen Bevölkerung die Wahrheit über ihre eigenen Operationen vorzuenthalten. Geheime Schnellgerichte würden es den Behörden ermöglichen, die Öffentlichkeit weiter im Dunkeln tappen zu lassen.

Militärgerichte würden vor allem zwei Zielen dienen:

Erstens wäre die Regierung in der Lage, Leute wie bin Laden, denen sie terroristische Verbrechen vorwirft, ohne Beweis anzuklagen und zu verurteilen. Verschiedene Sprecher der Regierung haben seit dem 11. September zugegeben, dass sie nicht genügend Beweise haben, um bin Laden vor einem Gericht zu überführen. Das Urteil eines geheimen Militärgerichts, das von vornherein feststeht und dem Angeklagten keine Rechte einräumt, würde es der Regierung ermöglichen, ihre Anschuldigungen für "bewiesen" zu erklären, ohne dass sie sich dem Risiko einer Überprüfung durch die Öffentlichkeit und einer unabhängigen Kontrolle aussetzen muss.

Eine solche juristische Farce hätte offensichtliche politische Vorteile, weil die Rechtfertigung der Bush-Rgierung für ihren Krieg gegen Afghanistan von der Behauptung abhängt, dass bin Laden und Al-Qaeda für die Angriffe vom 11. September verantwortlich sind und das Taliban Regime sie unterstützt und schützt. Ein öffentlicher Prozess, der zeigen würde, dass die Regierung keine wirklichen Beweise dafür hat, dass bin Laden und Al Qaeda die Flugzeuganschläge organisiert haben, hätte sowohl in den USA wie auch im Ausland ernste politische Folgen.

Zweitens würde ein nicht öffentlicher Militärprozess verhindern, dass Informationen durchsickern, die die Regierungsversion der Katastrophe vom 11. September in Frage stellen. Nach wie vor gibt es zahlreiche unbeantwortete Fragen über die merkwürdigen Umstände, unter denen Männer, die bereits als islamistische Terroristen identifiziert worden waren, einen derart komplexen Angriff auf strategische Zentren der US-Wirtschaft und des Militärs durchführen konnten, ohne dass die amerikanischen Geheimdienste angeblich etwas darüber wussten.

Ein normales Gerichtsverfahren könnte Hinweise ans Licht bringen, dass die amerikanischen Behörden vielleicht gar nicht so uninformiert über die terroristische Verschwörung waren, wie sie behaupten, oder dass im Vorfeld sogar Kontakte zwischen einigen Tätern und amerikanischen Geheimagenten bestanden. Auf die eine oder andere Weise würde ein normaler Prozess mit Sicherheit politisch schädliche Informationen über den größten Sicherheits-Gau der amerikanischen Innenpolitik an den Tag bringen.

Die Autorisierung von geheimen Militärgerichten ist eine offensichtliche Verletzung der "Bill of Rights", der amerikanischen Verfassung, die sich auf alle Personen erstreckt und nicht nur auf Staatsbürger. Nach heutigem Recht kann jedermann in den Vereinigten Staaten, ob Staatsbürger oder nicht, einen Habeas Corpus-Antrag stellen und sich an einen Richter wenden.

Bushs Einführung von Militärgerichten wird bestimmt juristisch überprüft werden und vor dem Obersten Gerichtshof landen. Es ist aber wahrscheinlich, dass die rechte Mehrheit dieses Gerichts die Maßnahme gut heißen wird.

Kommentare der Beisitzenden Richterin Sandra Day O'Connor - die im Gericht allgemein als eine "Wechselkandidatin" angesehen wird - nach den Terrorangriffen deuten darauf hin, dass es hinter den Kulissen Diskussionen über die Zulassung von "Militärtribunalen" gegeben hat. In einer Rede am 30. September sagte O'Connor, die Terrorangriffe "werden uns veranlassen, einige unserer Gesetze zur Überwachung von Kriminellen, über Abhörmaßnahmen, zur Einwanderung usw. noch einmal zu überdenken". Sie fuhr fort: "Es ist möglich, ja wahrscheinlich, dass wir uns in unserer Reaktion auf die Bedrohung der nationalen Sicherheit bei der Strafverfolgung mehr auf internationales Kriegsrecht stützen werden, als auf unsere gehüteten verfassungsmäßigen Standards."

Wie zu erwarten verteidigen die faschistoiden Leitartikler des Wall Street Journal die Militärgerichte mit der Begründung, sie entsprächen "dem gesunden Menschenverstand" und böten eine Möglichkeit, "einen wesentlichen Teil der Kriegsanstrengung vor den Exzessen des amerikanischen Justizsystems zu schützen". Das Journal, das die Meinung wichtiger Teile der Wirtschaftelite wiedergibt, fügt in einem Kommentar vom 16. September hinzu: "Wollen wir wirklich Leuten, die entschlossen sind, die USA zu zerstören, das Recht geben, Beweise auf der Grundlage der Regelung, dass keine illegal erworbene Beweismittel erlaubt sind, aus dem Prozess raus zu halten?"

Allerdings hat Bushs Salve von Verordnungen auch in Teilen des politischen Establishments und der Presse ein gewisses Unwohlsein hervorgerufen. Am 15. November schrieb der langjährige republikanische Kämpe William Safire in einer Kolumne der New York Times unter dem Titel "Diktatorische Macht": "Ein Präsident der Vereinigten Staaten hat sich soeben mit diktatorischer Machtfülle ausgestattet und das amerikanische Rechtssystem durch militärische Femegerichte ersetzt." "Von welchen juristischen Vorstellungen nährt sich unser Cäsar?" fragt Safire.

In einem Kommentar vom 16. November in der Times heißt es unter der Überschrift "Ein Hohn auf die Gerechtigkeit": "Mit einem Federstrich kippt Mr. Bush das Regelwerk der amerikanischen Justiz, das mühevoll in zwei Jahrhunderten aufgebaut worden ist."

Dass die Times, die sich in der letzten Zeit durch ihre Lobpreisungen von Bushs "staatsmännischem Auftreten" und seiner politischen "Reife" selbst erniedrigt hat, sich veranlasst sieht, einen derart pointierten Kommentar zu schreiben, bezeugt den enormen Umfang und die Tiefe des Angriffs der Bush-Regierung auf die demokratischen Rechte.

Einige Senatoren aus beiden Parteien haben Anhörungen zu der Einrichtung von Militärtribunalen, der Überwachung von Gesprächen zwischen Anwalt und Klient und anderen Maßnahmen der Bush-Regierung gefordert, die ohne Beteiligung des Kongresses eingeführt worden sind. Die breite Bevölkerung kann jedoch für den Kampf gegen den Angriff auf demokratische Rechte kein Vertrauen in die liberalen Medien oder die Demokraten setzen. Sie haben sich ständig an die Kampagne der reaktionärsten Schichten der herrschenden Elite, die demokratischen Rechte einzuschränken, angepasst.

Auch wenn sich die gegenwärtige Serie anti-demokratischer Maßnahmen hauptsächlich gegen Nicht-Amerikaner aus dem Nahen Osten richtet, stellen sie einen grundlegenden Angriff auf die Grundrechte der gesamten Bevölkerung dar. Diese Angriffe werden eher früher als später auch auf amerikanische Staatsbürger ausgedehnt werden, besonders diejenigen, die sich gegen die Politik der Regierung wenden.

Siehe auch:
Bush's Krieg im eignen Land: ein schleichender Staatsstreich
(10. November 2001)
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