Englands "Anti-Terror"-Maßnahmen - ein grundlegender Angriff auf die demokratischen Rechte

Die britische Labour-Regierung setzt unter dem fadenscheinigen Vorwand des Kampfs gegen den Terrorismus die weitreichendsten Angriff auf demokratische Rechte seit dem Zweiten Weltkrieg durch.

Innenminister David Blunkett erklärte am 12. November in einem beispiellosen Schritt formell den nationalen Notstand. Er tat dies, um der Regierung die Internierung von Ausländern zu ermöglichen, die als terroristische Bedrohung angesehen werden. Dazu muss Artikel 5 der europäischen Menschenrechtskonventionen außer Kraft gesetzt werden, der eine Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren verbietet. Laut Artikel 15 der Konvention sind Ausnahmen nur im Falle "eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht," möglich.

Die Ausrufung des nationalen Notstands ist der Auftakt zur Einführung zahlreicher weiterer Maßnahmen, die dem Parlament am Dienstag in einem 80 Punkte umfassenden Gesetz präsentiert wurden. Nach ersten Berichten sieht dieses Gesetz, neben der Inhaftierung von Ausländern, folgendes vor:

  • eine Verschärfung des Gesetzes über die Aufhetzung zum Rassenhass. Die Aufhetzung zu "religiösem Hass" soll ebenfalls bestraft und die Höchststrafe von zwei auf sieben Jahre erhöht werden.
  • neue Polizeivollmachten zur Einfrierung von Konten, gegen deren Inhaber ermittelt wird, zur Einsichtnahme in Bankkonten und zur Beschlagnahme von Vermögen.
  • eine Verschärfung der Gesetze über die Anstiftung zu terroristischen Straftaten im Ausland.
  • die Verpflichtung von Internetprovidern und Mobilfunkunternehmen, e-mails und Telefongespräche zu protokollieren.
  • die Verpflichtung von Flug- und Fährunternehmen, Daten über Passagiere und Fracht zu erfassen und zur Verfügung zu stellen.

Einige Minister haben außerdem vorgeschlagen, die Pässe britischer Muslime sollten eingezogen werden, wenn die Betroffenen verdächtigt werden, nach Afghanistan reisen zu wollen, um dort für die Taliban zu kämpfen. Das Gesetz soll schon in dieser Woche das Unterhaus durchlaufen und vor der Weihnachtspause alle parlamentarischen Stufen passiert haben.

Der umfassende Charakter dieser Vorschläge steht in starkem Kontrast zum Ausmaß der angeblichen Bedrohung, zu deren Bekämpfung sie dienen sollen. Die Regierung wischte Bedenken über die Auswirkungen des Gesetzes auf Grundrechte mit dem Argument vom Tisch, es seien nur etwa zwanzig Individuen betroffen und sonst müsse niemand beunruhigt sein. Dabei hatte Blunkett das Gesetz mit der Begründung vorgelegt, das "Leben der Nation" sei in Gefahr.

Schon vor der Vorlage des neuen Gesetzes gehörten die englischen Anti-Terror-Gesetze zu den schärfsten der Welt. Als letztes wurden vor zwei Jahren Gesetze erlassen, die das Verbot jeder Organisation oder Gruppe von Individuen ermöglichen, die sich für den Sturz irgend einer Regierung auf der Welt ausspricht. Sie erlauben die Inhaftierung Verdächtiger ohne Anklageerhebung für höchstens sieben Tagen. Nach dem neuen Gesetz kann jeder Ausländer, der unter diese Kategorie fällt, auf unbestimmte Zeit inhaftiert werden.

Die Bedrohung durch den Terrorismus wird zur Einführung von Maßnahmen genutzt, die die demokratischen Rechte jeder Person in England beschneiden. Die Behauptung, das neue Gesetz richte sich nur gegen zwanzig Personen, wird durch die Drohung widerlegt, die Pässe britischer Staatsbürger einzuziehen.

Ernster noch ist die Ausrufung des nationalen Notstands, die ein Regierungssprecher als "formale Prozedur" abzutun versuchte.

Es ist nicht völlig klar, welche Vollmachten die Regierung durch die Ausrufung des Notstands genau erhält, doch sind sie sehr weitreichend. So können mit Sicherheit das Streik- und Demonstrationsrecht eingeschränkt werden. Selbst die Habeaskorpusakte könnte ausgesetzt werden und damit jedes Individuum, nicht nur ausländische Staatsbürger, ohne Verhandlung inhaftiert werden.

Großbritannien hat keine geschriebene Verfassung. Briten sind keine mit unveräußerlichen, in Gesetzen definierten Rechten versehene Bürger, sondern Untertanen, denen bestimmte Privilegien von der Krone als dem Haupt des Staates garantiert werden. Somit existieren grundlegende Freiheiten nur im Negativen: man kann das machen, was nicht ausdrücklich gesetzlich verboten ist. Ist der Notstand einmal ausgerufen, kann die Regierung viele gesetzliche Schranken umgehen.

Erst im Februar führte England als letztes Mitglied der Europäischen Union (EU) die Europäische Menschenrechtskonvention ein. Damals wurde behauptet, dies würde dem Mangel an schriftlichen Verfassungsbestimmungen abhelfen. Nur wenige Monate später setzt Großbritannien diese Konvention als erster EU-Staat außer Kraft.

Weder der Notstand noch das neue Gesetz sind kurzzeitige Maßnahmen, die nach der Niederlage der Taliban oder der Ergreifung Bin Ladens rückgängig gemacht werden. Beide bleiben mindestens ein Jahr in Kraft, bevor über ihre Fortdauer entschieden wird. In Anbetracht der Tatsache, dass nach Aussage von Regierungsvertretern der sogenannte "Krieg gegen den Terrorismus" möglicherweise Jahrzehnte dauern wird und innerhalb der herrschenden Kreise offen über eine Ausweitung des Krieges auf den Irak und andere angebliche Sponsoren des Terrorismus debattiert wird, wäre es aber unsinnig anzunehmen, dass die Maßnahmen dann zurück genommen werden.

Als Großbritannien 1971 erstmals ein zeitlich befristetes Antiterrorgesetz einführte - und damit verbunden Internierungen in Nordirland -, wurde es ganz selbstverständlich Jahr für Jahr verlängert. Unter diesem Gesetz wurden Hunderte unschuldiger Menschen ergriffen, inhaftiert und in einigen Fällen gefoltert. Seither hat sich Großbritannien den Ruf als Land mit der schlimmste der Menschenrechtslage in Westeuropa erworben. Die meisten Bestimmungen des Antiterrorgesetzes sind in permanente Gesetze integriert worden, seit Labour 1997 an die Macht kam, und benötigen keine jährliche Verlängerung mehr. Ihre Anwendung geht weit über den Irlandkonflikt hinaus.

Wie schon in früheren Fällen, hat die Blair-Regierung wieder die Vorreiterrolle bei den Angriffen auf Grundrechte eingenommen. Aber ähnliche Angriffe gibt es in jedem Land. Von Deutschland bis Südafrika wiederholen die Regierungen Blairs Behauptung, der durch die Bush-Regierung nach dem 11. September ausgerufene Krieg gegen den Terrorismus erfordere die Aussetzung grundlegender demokratischer Rechte. Worin die konkrete terroristische Bedrohung für viele Staaten besteht, wird nie konkret erklärt. Das legt die Vermutung nahe, dass es um grundlegendere Fragen geht.

Die herrschende Klasse Großbritanniens unterstützt den Krieg gegen den Terrorismus, weil sie die Bombardierung Afghanistans als Auftakt zur Neuaufteilung der ölreichen Regionen Zentralasiens und des Nahen Ostens zwischen den imperialistischen Mächten betrachtet und eigene Ansprüche auf die Beute erhebt. Dies wird umso dringender, als der britische Kapitalismus aufgrund der sich verschärfenden Weltrezession in tiefen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt. Angesichts einer Vielzahl vom Bankrott bedrohter Unternehmen wird die Sicherung ausgedehnter neuer Profitquellen, wie ihn die Öl- und Gasvorräte darstellen, zu einer Überlebensfrage.

Die Geschichte hat wieder und wieder bewiesen, dass die demokratischen Rechte zu den ersten Opfern eines Krieges zählen. Die sozialen Beziehungen in England sind äußerst angespannt. Die Blair-Regierung hat während der vergangenen vier Jahre systematisch den Sozialstaat zerstört, die öffentlichen Ausgaben reduziert und die Löhne gesenkt. Gleichzeitig wurden Millionen Pfund für militärische Unternehmungen ausgegeben, um die Interessen des englischen Imperialismus in Übersee zu verteidigen.

Das Ausmaß der Angriffe Labours auf demokratische Rechte wird von der Angst der Regierung diktiert, dass die Opposition gegen die Zerstörung des Lebensstandard mit der wachsenden Anti-Kriegs-Haltung verschmelzen könnte. Deshalb setzt sich Labour mit dem Argument, die Nationale Sicherheit habe Vorrang vor demokratischen Rechten, über die Bedenken von Bürgerrechtsgruppen hinweg. Der Sprecher des Premierministers sagte: "Es wird dagegen Einwände geben, aber wir sind absolut entschlossen, für das richtige Gleichgewicht zwischen Menschenrechten, die wichtig sind, und dem Recht der Gesellschaft frei von Terror zu leben zu sorgen." Innenminister Blunkett fügte hinzu: "Wir könnten in einer Spaßwelt leben, freiheitlich, wo jeder tut, was er möchte, wo wir an das Gute in jedermann glauben - und dann vernichten sie uns."

Die jüngsten Maßnahmen der Labour-Regierung unterstreichen das Fehlen jeder Bindung der herrschenden Elite Englands an demokratische Rechte. Die Vorschläge stießen im Parlament auf keinen nennenswerten Widerstand. Selbst Zeitungen wie der Guardian, die die Maßnahmen kritisieren, beschränken sich auf den respektvollen Appell an die Regierung, behutsam vorzugehen. Wie bereits üblich, hüllen sich die Gewerkschaften in ohrenbetäubendes Schweigen.

Wer die Grundrechte ernsthaft verteidigen will, muss die politische Bedeutung des Fehlens einer ernsthaften demokratischen Geisteshaltung innerhalb des Establishments verstehen. Die Verantwortung für die Verteidigung demokratischer Rechte liegt ausschließlich auf den Schultern der Arbeiterklasse, die beginnen muss, unabhängig von ihren alten Parteien und Organisationen zu handeln. Arbeiter müssen alle Versuche zurückweisen, ihre hart erkämpften Freiheiten zu opfern. Sie haben kein Interesse am Bestreben der englischen Elite, sich auch in Zukunft auf Kosten der Arbeiter und unterdrückten Massen der Welt zu bereichern. Echte Demokratie, Frieden und Wohlstand können nur durch den vereinten Kampf der internationalen Arbeiterklasse für den Sozialismus erreicht werden.

Siehe auch:
Warum Blair den amerikanischen Kriegskurs unterstützt
(6. Oktober 2001)
Loading