Chronologie eines Pogroms

Wie Scharon und die USA den Angriff auf die Palästinenser vorbereitet haben

Israelische Truppen dringen weiterhin in die Westbank ein und besetzen eine palästinensische Stadt nach der anderen - Ramallah, Dschenin, Bethlehem, Tulkarem, Kalkilja, Salfeet - wobei sie Hunderte töten und verwunden und Tausende verhaften und verprügeln. Entgegen den Behauptungen der israelischen und der amerikanischen Regierung ist dieser Angriff nicht eine unmittelbare Reaktion auf die jüngste Welle von Selbstmordanschlägen, sondern die Umsetzung einer langfristigen Strategie der Scharon-Regierung.

Die tragischen Opfer der Selbstmordattentate - tragisch hinsichtlich des Todes unschuldiger israelischer Bürger wie auch opferbereiter palästinensischer Jugendlicher - bieten der Scharon-Regierung lediglich den Vorwand, Maßnahmen zu ergreifen, die seit Jahren vorbereitet wurden, möglicherweise seit der Unterzeichnung des israelisch-palästinensischen Abkommens von 1993.

So wie George W. Bush die Terrorangriffe vom 11. September als Vorwand benutzt hat, um die amerikanische Militärmacht im ölreichen Zentralasien zu etablieren und einen neuen Krieg gegen den Irak vorzubereiten, so benutzt Scharon die Bombenanschläge von Haifa und Netanja als Anlass, die israelische Herrschaft auf der Westbank wieder zu errichten und die Infrastruktur der palästinensischen Autonomiebehörde zu zerstören.

Der israelische Generalstabsvorsitzende Schaul Mofaz soll bei einer Pressekonferenz am Dienstag zu Scharon gesagt haben: "Jetzt haben wir die Gelegenheit", der Autonomiebehörde und ihrem Präsidenten Arafat Schläge zu versetzen. "Ich weiß," antwortete Scharon, "Sei vorsichtig."

Das Vorgehen der israelischen Armee widerspricht dem erklärten Ziel ihrer Offensive. Während Scharon Arafat vorwirft, er unterdrücke den Terrorismus nicht, raubt er ihm die Machtmittel, die dazu notwenig wären. Arafat, in seinem Büro ohne Elektrizität, Wasser oder direkten Kontakt mit der Außenwelt eingesperrt, soll verzweifelte palästinensische Jugendliche abhalten, die einzige Methode des Widerstands gegen die Unterdrückung anzuwenden, die ihnen geblieben ist.

Die Behauptungen Scharons und Bushs sind offensichtlich absurd. Der Konflikt hat seit seinem Ausbruch im September 2000 mehr als 1.100 Palästinensern das Leben gekostet - gegenüber 400 Israelis. Aber die USA versuchen, die Seite, die fast dreimal so viele Männer, Frauen und Kinder verloren hat, als Aggressor hinzustellen, während die Seite, die zum großen Teil für das Töten verantwortlich ist, sich angeblich nur selbst verteidigt - obwohl sie buchstäblich ein Monopol an Waffen wie Panzern, Kampfflugzeugen und Raketen besitzt, die alle von den USA geliefert wurden.

US-Außenminister Colin Powell gab zu, dass das Vorgehen der Israelis zu mehr Terrorismus führen werde, nicht zu weniger. "Egal wie viele Panzer durch wie viele Dörfer rollen werden, am Ende wird es immer noch Selbstmordattentäter geben," sagte er. "Am Ende wird die israelische Armee... die besetzten Gebiete wieder verlassen müssen... und wird wieder vor der Notwenigkeit einer politischen Lösung stehen."

Der Kurs der israelischen Regierung kann nur im Lichte der Politik der extremen Rechten verstanden werden, die von Scharon und seinem politischen Rivalen, dem früheren Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, vertreten wird und die die Errichtung eines palästinensischen Staates kategorisch ablehnt. Die amerikanischen Medien, die als Sprachrohr für die Politik der US-Regierung dienen, blenden bei der Darstellung der aktuellen Ereignisse auf der Westbank die Geschichte und die politischen Hintergründe systematisch aus.

Das Ziel der israelischen Rechten besteht seit langem darin, die Errichtung eines palästinensischen Staates zu verunmöglichen, indem sie systematisch die soziale und politische Infrastruktur der palästinensischen Nationalbewegung zerstören. Sie gegen nach der Methode vor, durch militärische Gewalt "neue Fakten" zu schaffen, die das politische Umfeld verändern.

Scharon und Netanjahu lehnten das Osloer Abkommens von 1993 ab und ein Anhänger ihrer unnachgiebigen Linie, ein faschistischer Student, ermordete 1995 Itzak Rabin, den Ministerpräsidenten, der das Abkommen mit Arafat und der PLO unterzeichnet hatte.

Netanjahu war der politische Nutznießer des Mordes. Er kam im folgenden Jahr an die Macht. Seine Regierung, in der Scharon Bau- und Entwicklungsminister war, förderte intensiv den Bau jüdischer Siedlungen auf der Westbank. In den acht Jahren seit 1993 kamen mehr jüdische Siedler ins Westjordanland als in den 26 Jahren vorher, in denen Israel das Gebiet direkt kontrollierte. Das ist eine Anklage gegen den Oslo-Prozess selbst und zeigt den Bankrott von Arafats Politik.

Die Welle von Selbstmordattentaten ist das zwangsläufige Ergebnis des Versagens der Autonomiebehörde. Diese Behörde konnte weder die Ausweitung der Siedlungen und die Beschlagnahme palästinensischen Landes verhindern, noch das wirtschaftliche und soziale Leben in den Gebieten entwickeln, die von Israel umzingelt waren.

Die Scharon-Regierung hat, wie die Vorgeschichte zeigt, diese Verzweiflungstaten bewusst provoziert, um die Öffentlichkeit in Israel und weltweit zu verwirren und einzuschüchtern und eine Grundlage für immer neue Forderungen an Arafat zu schaffen. Dieser Prozess erreicht jetzt mit der Dämonisierung des 72-jährigen palästinensischen Führers und der offenen Diskussion über seine Vertreibung oder Ermordung seinen Höhepunkt.

Scharons und Bushs Forderungen würde einen palästinensischen Staat unmöglich machen, es sei denn in der Form eines Quisling-Regimes, das die palästinensische Bevölkerung im Interesse des zionistischen Regimes kontrolliert. Sie wollen sicherstellen, dass jeder Nachfolger Arafats eine Marionette oder gar ein direkter Agent des israelischen Geheimdiensts Mossad ist.

Kalkulierte Provokationen

Die Wiederbesetzung der Westbank durch die israelische Armee ist der Höhepunkt einer provokativen und gewaltsamen Kampagne, die vor zwei Jahren nach dem Scheitern des Vermittlungsversuchs der USA in Camp David zwischen Arafat und dem damaligen Ministerpräsidenten Ehud Barak einsetzte. Die Gespräche brachen im Juli 2000 zusammen, und Barak verlor noch im gleichen Monat seine parlamentarische Mehrheit; das war der Anfang vom Ende seiner Regierung.

Seit dem Beginn der palästinensischen Intifada im September 2000 standen drei Faktoren in ständigen Wechselwirkung: Provokationen von militärischen und faschistischen Elementen in Israel, der palästinensische Widerstand gegen die Unterdrückung und die Einflussnahme der Vereinigten Staaten.

28. September 2000- Ariel Scharon besucht, begleitet von Dutzenden schwerbewaffneter Bodyguards und geschützt von Hunderten israelischer Soldaten, provokativ den Tempelberg. Obwohl Scharon zu diesem Zeitpunkt nicht in der Regierung ist, wird der Führer des Likud-Blocks de facto als offizieller Vertreter des zionistischen Regimes behandelt. Als überall auf der Westbank und im Gazastreifen Unruhen als Reaktion auf diese Provokation ausbrechen, erklärt Barak seine Solidarität mit Scharon und verurteilt Arafat, weil er die Proteste nicht unterdrücke. Das wird zum Muster für das weitere Vorgehen in den folgenden 18 Monaten.

Scharon hatte seine Initiative, die sorgfältig auf größtmögliche Störwirkung angelegt war, zu einem Zeitpunkt ergriffen, an dem Arafats Entscheidung, die formelle Ausrufung eines unabhängigen Palästinenserstaates erneut zu verschieben, die nationalistische Stimmung unter den Palästinensern angefacht hatte. Der Likud-Führer kalkulierte auch, dass eine US-Intervention gegen ihn angesichts des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs unwahrscheinlich sei, da der den Umfragen nach führende republikanische Kandidat die US-Regierung für ihre zu weitgehende Einmischung in den israelisch-palästinensischen Konflikt kritisierte.

Der Zeitpunkt des Besuchs auf dem Tempelberg war auch durch das Interesse bestimmt, inoffizielle Gespräche zwischen der Autonomiebehörde, Barak und der Clinton-Regierung zu sabotieren, die nach dem Scheitern von Camp David insgeheim wieder aufgenommen worden waren. Einem späteren Bericht der New York Times, einer entschieden pro-israelischen Zeitung, zu Folge, hatten die Geheimgespräche schon beachtliche Fortschritte gemacht, und am 27. September lud Clinton die Unterhändler der Israelis und der Palästinenser wieder nach Washington ein. Scharon war durch seine Kontakte zum Militär und Geheimdienst mit Sicherheit über diese Manöver informiert. Am nächsten Tag führte sein Besuch auf dem Tempelberg zu Unruhen, die mit scharfer polizeilicher und militärischer Unterdrückung beantwortet wurden. Die Intifada hatte begonnen, und die von den USA vermittelten Gespräche wurden erst im Dezember wieder aufgenommen, als Clinton schon fast handlungsunfähig und Barak kaum in einer besseren Lage war.

Scharon an der Macht

6. Februar 2001 - In einer Direktwahl für das Amt des Ministerpräsidenten, die Barak zwei Jahre vor Ablauf seiner Amtszeit anberaumt hat, siegt Scharon knapp und bildet eine Koalitionsregierung seines Likud-Blocks mit mehreren rechten, religiösen Parteien und einem großen Teil der Arbeitspartei, mit Schimon Peres als Außenminister. Scharons Sieg ist nicht so sehr Ausdruck eines Anwachsens rechter Stimmungen in Israel, als des Zusammenbruchs der sogenannten "Linken" nach dem Scheitern der Camp David Gespräche, wie auch nach dem Aufschwung des palästinensischen Widerstands auf der Westbank und in Gaza mit Hunderten Toten schon nach vier Monaten. Die Übernahme der Regierung durch den selben General, den man im ganzen Nahen Osten mit den Massakern an palästinensischen Flüchtlingen während der Invasion im Libanon 1982 identifizierte, und der Hauptbefürworter einer verstärkten zionistischer Siedlungs- und Enteignungspolitik auf der Westbank war, stellt ein klares Signal dar, dass das israelische Regime mit den brutalsten Methoden gegen die Palästinenser vorzugehen beabsichtigt.

20. März 2001 - Scharon besucht Bush im Weißen Haus, wo er die Nützlichkeit Israels für die USA hervorhebt und seine Bereitschaft betont, den Terrorismus zu bekämpfen und eine harte Linie gegen Iran und Irak zu unterstützen. Bush antwortet, er werde "nicht versuchen, einen Frieden zu erzwingen", während ein weiterer Sprecher des Weißen Hauses erklärt: "Wir haben eine besondere Beziehung zu Israel." Der Charakter dieser Beziehung wird schnell deutlich, als die Bush-Regierung gemeinsam mit Israels die Entsendung einer Beobachtertruppe der Vereinten Nationen in die Westbank und nach Gaza ablehnt und Israel erlaubt, von den USA gelieferte Kampfflugzeuge gegen palästinensische Ziele einzusetzen. Bush selbst erklärt, dass eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen davon abhänge, dass Arafat den Widerstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung beende. Drei Wochen später findet mit der Invasion des Flüchtlingslagers Khan Younis im Gazastreifen vom 13. April der erste große israelische Bodenangriff gegen die Intifada statt.

12. Juli 2001 - Ein britisches außenpolitisches Journal veröffentlicht den Entwurf eines israelischen Militärplans mit Namen "berechtigte Rache", der als Reaktion auf terroristische Angriffe wie den Selbstmordanschlag auf eine Diskothek in Tel Aviv die Invasion der Westbank fordert. Der Angriff soll nach dem nächsten Selbstmordattentat erfolgen und bis zu einem Monat dauern, Tausende palästinensische Opfer kosten und mit der Entwaffnung oder Internierung von 40.000 palästinensischen Kämpfern und Polizisten enden, quasi des gesamten Apparats der Autonomiebehörde. Um den notwendigen Vorwand zu liefern soll nach Presseberichten die systematische Ermordung palästinensischer Führer fortgesetzt werden, die schon im vorausgegangenen Herbst begonnen hatte. Das stereotype Ereignismuster sieht folgendermaßen aus: Israelischer Mordanschlag, Selbstmordattentat, israelische Militäraktion.

Das ist die Fortsetzung einer jahrzehntelangen Politik des israelischen Staates, der versucht hat, die palästinensische nationale Bewegung durch die Ermordung beinahe jedes herausragenden PLO-Führers mit Ausnahme von Arafat selbst zu zerstören.

Bestätigung der Politik der Mordanschläge

1. August 2001 - Am Tag, nachdem israelische Geschosse ein von der militanten islamischen Organisation Hamas genutztes Gebäude in Nablus zerstört hat - wobei acht Menschen, darunter zwei kleine Jungen und zwei hohe politische Hamas-Führer, getötet wurden - bekräftigt das israelische Kriegskabinett auf einem fünfstündigen Treffen die Politik der systematischen Eliminierung palästinensischer Führer und Kämpfer. Die Morde lösen die größten politischen Proteste der Intifada aus, mehr als 100.000 Menschen nehmen an der Beerdigung teil und rufen nach Rache. Die Morde provozieren nicht nur erneute palästinensische Terrorangriffe, sondern torpedieren auch eine neue Runde diplomatischer Initiativen zur Lösung des Konflikts. Auf dem G-8 Gipfel in Genua am 21.-22. Juli hatten die europäischen Mächte eine Resolution durchgesetzt, der auch die USA zögernd zustimmten. Diese Resolution schlug die Entsendung internationaler Beobachter vor, die das israelische Militär und die Palästinenser auf der Westbank und im Gazastreifen trennen sollten. Die dreiste, öffentlich verkündete Politik staatlich organisierter Morde der Scharon-Regierung vereitelt praktisch die europäische Initiative. Sechs Tage nach der Kabinettssitzung gibt die israelische Armee bekannt, sie werde nun jede "Zurückhaltung" aufgeben und den Soldaten Schießerlaubnis geben, auch ohne dass zuerst auf sie geschossen worden sei. Scharon gibt dieser Politik den an Orwells "Neusprech" erinnernden Namen: "aktive Selbstverteidigung".

28. August 2001 - Abu Ali Mustafa, der Führer der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PLFP), wird vom israelischen Militär in der Westbankstadt Ramallah ermordet. Mustafa war der fünfthöchste Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der höchstgestellte Palästinenser, der unter der israelischen Politik, arabische Führer zu töten, ermordet wurde. Die Ermordung findet wenige Tage statt, nachdem US-Vizepräsident Richard Cheney die israelische Politik, politische Gegner zu ermorden, öffentlich verteidigt und unterstützt hat. In einem Kommentar vom 7. September - vier Tage vor den Terrorangriffen auf das World Trade Center - erklärte das World Socialist Web Site, dass die Politik der Mordanschläge darauf abziele, "die politische Infrastruktur der palästinensischen nationalen Bewegung zu zerstören". Der Artikel schloss: "Durch den Einsatz solcher Mittel versucht Israel, jeden organisierten und politisch angeleiteten Kampf gegen seine Besatzung in den palästinensischen Gebieten zu unterbinden.... Die Botschaft der israelischen Behörden ist unmissverständlich: Wer sich mit Israel nicht ins Einvernehmen setzt, wird nicht überleben."

Die Auswirkungen des 11. September

21. September 2001 - Auf Druck der USA kommt ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde zustande. Nach den Terrorangriffen vom 11. September auf das World Trade Center kommt es zeitweilig zu Unstimmigkeiten zwischen der USA und der israelischen Politik. Israelische Regierungsbeamte bezeichnen Arafat als Ebenbild von Osama bin Laden, und Scharon bereitet offen den Krieg vor. Er wird jedoch von der Bush-Regierung abrupt zurückgepfiffen, weil diese die Unterstützung der arabischen Staaten für ihren bevorstehenden Krieg gegen Afghanistan braucht. Dementsprechend schlagen sich die USA auf die Seite von Schimon Peres, dem Führer der Arbeitspartei, der öffentlich führende israelische Armeeoffiziere beschuldigt, die Ermordung Arafats zu planen, und davor warnt, dass in diesem Fall der Palästinenserführer nur von radikaleren Nationalisten und Islamisten ersetzt würde. Am 4. Oktober reist Bush nach New York zu einer Rede vor den Vereinten Nationen, wo er als erster US-Präsident überhaupt zur Bildung eines unabhängigen palästinensischen Staates aufruft. Scharon antwortet mit einer wütenden Tirade, in der er Arafat mit Hitler vergleicht und die USA und Bush persönlich der "Appeasement"-Politik wie in München 1938 beschuldigt. Nachdem Scharon sich zu einer Entschuldigung gezwungen sieht und die Militäroperationen auf dem Westjordanland einschränkt, kritisiert Armeechef Schaul Mofaz diese Entscheidung in aller Öffentlichkeit, während zwei extreme zionistische Parteien Scharons Koalitionsregierung verlassen.

19. Oktober 2001- Tourismusminister Rehavam Ze'evi wird in seinem Hotelzimmer in Jerusalem erschossen, angeblich von einem palästinensischen Attentäter, der die Ermordung von PFLP-Führer Abu Ali Mustafa rächen will. In Anbetracht der Tatsache, dass Ze'evi sich gerade erst gegen die Regierung Scharon gewandt hatte und sie stürzen wollte, werden durch seine plötzliche Entfernung von der politischen Bühne zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: es gibt einen Vorwand für weitere israelische Militäraggression, während gleichzeitig ein Dorn im Auge der Regierung entfernt worden ist. Ze'evis Nationale Unionspartei war zudem auf der diplomatischen Bühne immer etwas peinlich, da sie offen zur Vertreibung von drei Millionen Palästinensern aus der Westbank und dem Gazastreifen aufrief. Zudem ist die Forderung, alle Verantwortlichen für die Ermordung Ze'evis zu verhaften, seither eine der wichtigsten Forderungen, die Scharon an die Autonomiebehörde und Arafat richtet.

5. Dezember 2001- Das israelische Sicherheitskabinett bezeichnet die Palästinensische Autonomiebehörde formell als Gebilde, das den Terror unterstützt und "dementsprechend behandelt werden muss". Die Erklärung des Kabinetts bezeichnet außerdem die Tansim-Miliz und Arafats Elitetruppe Force 17, seine Leibgarde, als terroristische Organisationen. Die Minister der Arbeitspartei verlassen den Raum, bevor die Resolution verabschiedet wird. Außenminister Schimon Peres beschuldigt die Regierung des Versuchs "die Palästinensische Selbstverwaltung zu zerstören".

Der Vorwand für den Schritt der Regierung waren eine Reihe von Selbstmordanschlägen, zu denen sich Hamas und der Islamische Jihad bekannten, die damit die Ermordung des führenden Hamas-Mitglieds Mahmoud Abu Hanoud rächen wollten. Der wirkliche Grund ist der anfängliche militärische Erfolg des amerikanischen Krieges gegen Afghanistan. Die Bush-Regierung und ihre israelischen Klienten halten es nun für möglich, offener gegen die Palästinenser vorzugehen, nachdem die arabischen Regime des Nahen Ostens nicht länger als Basen für die Bombardierung gebraucht werden und anscheinend durch das Schicksal des Taliban-Regimes eingeschüchtert sind. In einer Fernsehansprache an die Nation vergleicht Scharon wiederholt Israels Konflikt mit den Palästinensern mit dem "Krieg gegen den Terrorismus" der USA. Einen Tag später signalisiert die Bush-Regierung ihre Unterstützung, indem sie die Gelder der "Holy Land Foundation" (Stiftung Heiliges Land) und weiterer Wohltätigkeitsorganisationen beschlagnahmt, die Opfer des Palästinakonflikts unterstützen.

Krieg ohne Ende oder Grenze

13. Dezember 2001 - Scharon kündigt öffentlich an, dass Israel Arafat nicht mehr als Verhandlungspartner anerkennt, womit er formell die Oslo-Verträge von 1993 und die Perspektive einer Verhandlungslösung mit den Palästinensern aufkündigt. Wieder dient ein Selbstmordanschlag, diesmal auf einen Bus, bei dem am Tag zuvor zehn Israelis getötet wurden, als Vorwand für eine Aktion, für die Scharon seit der Unterzeichnung der Oslo-Verträge wiederholt eingetreten war. Scharon erklärt seinem Kabinett: "Für uns existiert Arafat nicht mehr. Punkt." Arafat wird faktisch unter Hausarrest gestellt, man erlaubte ihm nicht, die Umgebung seines Hauptquartiers in Ramallah zu verlassen. Drei Wochen später, am 3. Januar 2002, behauptet Israel, ein Schiff mit Waffen vom Iran für die Palästinensische Autonomiebehörde abgefangen zu haben. Selbst wenn das wahr sein sollte - und es gibt erhebliche Zweifel daran -, so halten die Waffen an Bord der Karine A einem Vergleich mit den High-Tech-Waffen im Wert von vielen Milliarden Dollar, die Israel jedes Jahr aus den USA bekommt, bei weitem nicht stand.

22. Januar 2002- Israelische Panzer und gepanzerte Fahrzeuge kreisen Arafats Hauptquartier in Ramallah ein, die erste einer Reihe von Besetzungen der größten palästinensischen Stadt in diesem Jahr. Israelische Truppen kapern die Radiostation "Stimme von Palästina" und sprengen sie in die Luft. Über andere Städte im Westjordanland, darunter Kalkiliah, Dschenin und Nablus wird eine Blockade verhängt, und Kampfflugzeuge greifen palästinensische Regierungsgebäude in Tulkarem an. Der offizielle Vorwand ist ein Terrorangriff, bei dem sechs Menschen bei einer jüdischen Beschneidungsfeier in Hadera getötet wurden. Der Anschlag folgte der Ermordung von Raed al-Karmi, einem Führer der Al-Aqsa Brigaden, einer Miliz von Arafats Fatah. Die Scharon-Regierung bestreitet, den Anschlag durchgeführt zu haben, die New York Times zitiert allerdings einen ranghohen politischen Beamten, der "zugab, dass Israel bei dem Tod eine Rolle gespielt hatte".

5. Februar 2002- In einem Interview mit der israelischen Zeitung Maariv meint Scharon: "Im Libanon hatten wir eine Übereinkunft, Jassir Arafat nicht zu liquidieren... Im Grunde tut es mir leid, dass wir ihn nicht liquidiert haben." 1982 hatte Scharon als israelischer Verteidigungsminister Israels Einmarsch in den Libanon und die Vertreibung der PLO aus dem Land befehligt. Das Interview fällt mit der Ankündigung der israelischen Regierung zusammen, Jerusalem komplett mit Wachtürmen, Kameras, Gräben und weiteren Straßensperren von der Westbank abzuriegeln. Dies solle dazu dienen, die Stadt von der "arabischen Bedrängnis" um sie herum abzuschirmen, wie ein Minister es ausdrückt. Scharons dreiste Rede über Mord ist eine Reaktion auf die Rede von Bush zur Lage der Nation am 29. Januar, in der er die "Achse des Bösen" angriff und klarmachte, dass die USA unausweichlich einen Krieg im Nahen Osten anstreben.

8. März 2002- Dies ist der gewaltsamste Tag seit Beginn des Konflikts vor 17 Monaten. Die israelische Armee fällt in palästinensische Städte und Flüchtlingslager ein und tötet 40 Menschen. Panzer hindern Krankenwagen daran, den Verwundeten und Sterbenden zu helfen. In einer Woche werden 108 Palästinenser und 36 Israelis getötet, während die israelische Armee nahezu ständig in die Flüchtlingslager einrückt. Die Eskalation des Konflikts ist Scharons Antwort auf ein Angebot Saudi-Arabiens, dass die arabischen Länder gegen einen israelischen Rückzug aus den besetzten Gebieten Israel anerkennen würden. Scharon verkündet eine Politik, "ständigen militärischen Druck" auf die palästinensische Führung auszuüben, und betont: "Erst wenn sie geschlagen sind, werden wir Gespräche führen können.... Die Palästinensische Autonomiebehörde wird den Terror nicht bekämpfen, weil sie selbst der Terror ist."

28. März 2002- Die israelische Armee fällt in Ramallah ein und umzingelt Arafats Hauptquartier. In den darauffolgenden Tagen werden immer mehr Städte im Westjordanland in einer Militäroperation besetzt, die weder Ende noch Grenzen zu kennen scheint. Mehr als tausend Palästinenser werden in der ersten Woche der Invasion verhaftet, Dutzende getötet und Hunderte verwundet. Scharon ruft dazu auf, Arafat aus dem Westjordanland auszuweisen und lebenslang ins Exil zu schicken. In der rechten Presse und von Politikern der Knesset kommen sogar Rufe nach noch drastischeren Maßnahmen: Ausweisung aller Verwandten von Selbstmordattentätern, Tötung Zehntausender Palästinenser, um den Widerstand im Blut zu ertränken, die Deportation der gesamten Bevölkerung des Westjordanlandes - einiger Millionen Menschen - und Unterdrückung jeder politischen Opposition gegen Kriegsverbrechen unter israelischen Arabern und der jüdischen Bevölkerung.

Siehe auch:
Israelische Armee belagert Arafats Amtssitz
(3. April 2002)
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