Großbritannien

"Linke" Gewerkschaftsführer geloben ihre Loyalität gegenüber Blair

Derek Simpson - ein ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei, der seit zehn Jahren der Labour Party angehört und sich als Linker ausgibt - ist in einer hart umkämpften Abstimmung zum Vorsitzenden der britischen Gewerkschaft Amicus gewählt worden. Der regionale Gewerkschaftsfunktionär obsiegte mit nur 406 Stimmen Vorsprung über Sir Ken Jackson, einen bekannten Gefolgsmann Blairs. Simpsons erste Amtshandlung bestand darin, seinerseits seine Loyalität gegenüber Tony Blair und seiner Regierung zu geloben.

Simpsons überraschender Wahlsieg hatte in der zweitgrößten britischen Gewerkschaft, die beinahe eine Million Techniker und Arbeiter aus dem öffentlichen Dienstleistungssektor vertritt, heftige Konflikte ausgelöst. Jacksons Unterstützer setzten eine viermalige Nachzählung der Stimmzettel durch und weigerten sich anschließend, die Niederlage ihres Mannes einzugestehen. Das Endergebnis wurde vom Gewerkschaftsvorstand nicht anerkannt und Jackson versprach, den Kampf fortzusetzen.

Jackson wurde schließlich von seinen Kollegen in der Gewerkschaftsbürokratie überredet, die Niederlage anzuerkennen, weil der Streit die Gewerkschaft vollständig zu diskreditieren drohte.

Das Wahlergebnis machte auch die Medien rasend. Rupert Murdochs Boulevardblatt Sun warnte davor, dass die Wahl von Simpson eine Rückkehr zur Militanz der 1970-er Jahre ankündige, während die seriöseren Tageszeitungen Guardian und Independent die Regierung mit hilfreichen Ratschlägen bedachten, wie einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken sei.

Aber kaum war das Wahlergebnis im vergangenen Monat bekannt geworden, erklärte Simpson gegenüber der BBC: "Ich habe niemals Mr. Blair getroffen, der [...] leider eine Freundschaft verpasst hat. Ich weiß nicht, warum er denkt, dass er keinen gewinnen kann. [...] Ich bin ein Mitglied der Labour Party und ich unterstütze die Labour Party und die Labour-Regierung."

Als Antwort hierauf lud Blair Simpson zu einem stundenlangen privaten Gespräch zu sich nach Hause ein, um eine "gute Arbeitsbeziehung" herzustellen. "Schließlich wird es mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes geben," sagte ein Sprecher des Premierministers.

In dieser Geschichte ist eine wichtige Lehre beinhaltet.

Simpsons Kandidatur wurde von der Socialist Alliance unterstützt, einem losen Zusammenschluss von radikalen Organisationen der Mittelklasse, die von sich behaupten, sie träten innerhalb der Gewerkschaften für sozialistische Politik ein.

Einige Mitglieder der Socialist Alliance befürworten eine neue Arbeiterpartei, die an die Stelle der Labour Party treten soll, während andere sich gegen einen solchen Schritt stellen. Vereint sind sie in der Überzeugung, dass eine solcher Schritt erst dann ernsthaft in Angriff genommen werden kann, wenn sie die Unterstützung von bedeutenden Teilen der Gewerkschaften genießt, die sie als an sich sozialistisch und als "natürliche" Führung der Arbeiterklasse betrachten.

Bis das der Fall ist, beschränkt sich die Socialist Alliance darauf, linke Bewegungen in den Gewerkschaften zu unterstützen und Arbeitsbeziehungen zu einer Handvoll von linken Parlamentariern der Labour Party aufzubauen in der Hoffnung, dass sie eventuell davon überzeugt werden können, die Labour Party zu verlassen und sich eine neue sozialistische Heimat zu suchen.

Simpson ist nun schon der fünfte Gewerkschaftsvorsitzende, der von der Socialist Alliance getragen wird. Obwohl nicht alle von ihnen Mitglied der Socialist Alliance sind, haben sie die Unterstützung durch die Organisation akzeptiert, um auf diesem Weg ihre Glaubwürdigkeit als Linke zu stärken.

Die Socialist Alliance begrüßte Simpsons Wahl begeistert und betrachtete ihn als weiteren Beweis dafür, dass die Gewerkschaftsbürokratie auf einen linken Kurs gebracht werden kann. Simpsons Schmusekurs gegenüber Blair bestätigt jedoch, dass diese Entwicklung als vorbeugende Maßnahme eines Teils der Bürokratie verstanden werden muss, mit deren Hilfe die Entwicklung einer wirklichen, von der Basis ausgehenden Opposition gegen die Regierung erstickt werden soll.

Zwar wird Blair mit Sicherheit Jackson vermissen - der Amicus-Führer galt als vollendeter Ausdruck von Blairs New Labour innerhalb der Gewerkschaften und erwarb sich seine ersten Sporen als Vertreter der Elektriker-Gewerkschaft EEPTU, als er während der Arbeitskämpfe der Drucker 1986 den Streikbruch organisierte. Doch keine der jüngsten Veränderungen in den Gewerkschaftsvorständen stellt eine Grundlage für eine politische Rebellion gegen das pro-kapitalistische Programm der Labour Party dar.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten funktionieren die Gewerkschaften als das wichtigste Instrument, mit dem die herrschende Klasse die Einschränkungen bei Lebensstandard und Arbeitsbedingungen durchsetzt und die Sozialleistungen demontiert. Jacksons eigene Biografie zeigt, dass die Gewerkschaften mit der Konsolidierung ihrer Beziehungen zur Geschäftswelt und zu Unternehmerkreisen den Weg dafür gebahnt haben, dass die Labour Party ihr sozialreformistisches Programm fallen ließ.

Vor allem nach dem einjährigen Bergarbeiterstreik 1984-85, als sich die Labour Party und die Gewerkschaften weigerten, Unterstützung zur Verteidigung der Bergarbeiter zu organisieren, und damit die Niederlage der Kumpel vorbereiteten, sind die Gewerkschaften für ihre Mitglieder zu regelrechten Gefängnissen geworden, in denen Arbeitskämpfe erstickt und Diktate der Unternehmer durchgesetzt werden. Dies ist der Grund dafür, warum die britischen Arbeiter heute im westeuropäischen Vergleich die längsten Arbeitszeiten für den geringsten Lohn ableisten und es in Großbritannien so wenig Arbeitskämpfe gibt wie niemals zuvor.

Ein unmittelbares Ergebnis dieses korporativen Kurses, der auf der direkten Zusammenarbeit der Gewerkschaften mit den Arbeitgebern und der Regierung basiert, ist die steile Abnahme der Mitgliedschaft in den Gewerkschaften. Waren früher zwölf Millionen Arbeiter in Großbritannien gewerkschaftlich organisiert, so sind es heute nur noch sieben Millionen, da viele voller Abscheu ihre Mitgliedschaft aufgekündigt haben. Wegen der Feigheit der Gewerkschaftsbürokratie sind die meisten neu entstandenen Arbeitsplätze im wachsenden und in höchsten Maße durch Ausbeutung gekennzeichneten Dienstleistungssektor ohne gewerkschaftliche Vertretung. Großbritannien kann damit prahlen, dass es die Heimstatt der Niedriglohnarbeit in Europa ist.

Während Blairs erster Amtszeit sorgten hauptsächlich die Gewerkschaften dafür, dass die Labour-Regierung bedeutende Kürzungen im öffentlichen Sektor durchführen konnte und gleichzeitig die Gehälter der Angestellten im öffentlichen Dienst so niedrig gehalten wurden, dass viele von ihnen heute auf staatliche Zulagen angewiesen sind, um zu überleben. Unter der Labour-Regierung hat es sogar noch weniger Arbeitskämpfe gegeben als unter der konservativen Premierministerin Margaret Thatcher.

Aber nach fünf Jahren der sozialen Härte klingt das Flehen der Gewerkschaften, die Arbeiter sollten Blair "eine Chance" geben, recht abgedroschen. Die zunehmende Unzufriedenheit mit der Regierung zeigte sich an der hohen Wahlenthaltung bei den kommunalen und nationalen Wahlen. Es kommt auch vermehrt zu Streiks, mit denen Arbeiter, vor allem die im öffentlichen Dienst, gegen die Löhne an der Armutsgrenze, die miserablen Arbeitsbedingungen und die Privatisierungspolitik der Regierung protestieren.

Die Gesamtzahl an verlorenen Arbeitstagen in den vergangenen zwölf Monaten beträgt ungefähr drei Millionen. Diese verblassen allerdings angesichts der 19,5 Millionen verlorenen Arbeitstage während der Massenbewegung gegen die Labour-Regierung im Jahre 1979 und den 27,1 Millionen verlorenen Arbeitstagen im Zuge der Auseinandersetzungen mit der Tory-Regierung im Jahre 1984.

Nichtsdestotrotz fürchten Teile der Gewerkschaftsbürokratie, dass sich dies schnell ändern könnte. Nachdem sie von Blair durch seine offene Gleichgültigkeit hinsichtlich ihrer Bedeutung vor den Kopf gestoßen wurden und weil sie sich sehr bewusst sind, dass eine Konfrontation zwischen Arbeitern und Labour eine ernste Bedrohung für das britische Kapital darstellen und ihren eigenen privilegierten Lebensstil gefährden würde, nehmen einige Gewerkschaftsführer eine neue Haltung ein und positionieren sich als loyale Kritiker der Regierung.

Warnungen des Gewerkschaftsdachverbands TUC

In den vergangenen Wochen hat sogar der Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes TUC John Monks öffentlich den Premierminister davor gewarnt, dass die Unterstützung der Labour-Regierung "ausblutet" und dringender Handlungsbedarf besteht. Kurz danach kündigte John Edmonds von der GMB bei einem Überraschungsauftritt auf einem Treffen der Socialist Campaign Group, die aus Parlamentsabgeordneten der Labour Party besteht, am 20. Juli an, dass er gekommen sei, "um New Labour zu beerdigen, nicht um die Partei zu loben", und verkündete gar: "New Labour ist schon tot."

Edmonds trat bei einer Versammlung gemeinsam mit dem Veteran unter den linken Labour-Abgeordneten Tony Benn und drei Gewerkschaftsführern, Bob Crow, Dave Prentis und Billy Hayes auf. Unter der Überschrift Nach New Labour warnte die Versammlung Blair, dass seine linke Flanke gefährlich ungeschützt sei, und rief zu einer Rückkehr zu "alten Labour-Werten" auf.

Solche Ratschläge werden auf taube Ohren stoßen. Selbst wenn Blair sich mit der Sorge tragen würde, dass seinem Projekt New Labour die Luft ausgeht (wofür es bislang noch keine Anzeichen gibt), unterliegen solche Fragen nicht seiner Kontrolle. Die Regierungspolitik wird von den Interessen der Wirtschaftsführer und Reichen bestimmt, die jedes Zugeständnis an die Arbeiterklasse als unerträgliche Besteuerung ihres Reichtums und ihrer Privilegien ansehen. Jede Art von Sozialreform kann nur als Nebenprodukt einer revolutionären, sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse erreicht werden.

Dass derartig diskreditierte Einzelpersonen wie Edmonds und die sich immer weiter lichtenden Reihen der Socialist Campaign Group Teil eines Sicherheitsventils gegen eine Opposition von Seiten der Arbeiter sein sollen, ist ein Hinweis auf die extreme Schwäche der Labour-Bürokratie. Dies ist auch der Grund für die Bereitschaft von solchen Leuten wie Simpson, die Socialist Alliance als Wahlhelfer zu akzeptieren - ihre Behauptung, dass es möglich sei den alten todgeweihten Organisationen neues Leben einzuhauchen, bietet einen Deckmantel für die Bemühungen der Bürokratie, den Klassenkampf unter ihrer Kontrolle zu halten.

Die Stimmabgabe für die Socialist Alliance und andere angebliche Linke ist nur ein beschränkter und verzerrter Ausdruck der Opposition von Gewerkschaftsmitgliedern gegen den Verrat der rechten Bürokraten. Wenn behauptet wird, dass dies eine grundlegende "linke Wiedergeburt" der Gewerkschaften darstelle, wird dabei verschwiegen, dass der Aufstieg von Simpson und Konsorten nicht das Ergebnis einer enthusiastischen Unterstützungswelle ist sondern vor allem auf die Entfremdung von Millionen von Arbeitern vom bürokratischen Gewerkschaftsapparat zurückgeführt werden muss.

In den Wahlen zum Vorstand von Amicus beispielsweise haben ungefähr 75 Prozent der Mitgliedschaft nicht einmal ihre Stimme abgegeben, und Jackson und Simpson trennte weniger als ein Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei anderen Wahlen ist die Enthaltungsquote ähnlich hoch gewesen. Lokale Gewerkschaftsversammlungen werden nur spärlich besucht und sind regelmäßig nicht beschlussfähig.

Die politischen Konsequenzen der Allianz zwischen den kleinbürgerlichen Radikalen und der Gewerkschaftsbürokratie wurden in der vergangenen Woche offensichtlich, als ein Deal zwischen den Gewerkschaften und den Kommunalverwaltungen vereinbart wurde. Über eine Million Arbeiter streikten im vergangenen Monat für 24 Stunden, um gegen die niedrigen Löhne zu protestieren und eine Lohnerhöhung von sechs Prozent durchzusetzen. Während in herrschenden Kreisen befürchtet wurde, dass ein weiterer, für den 14. August angesetzter Streik andere Arbeiter ermutigen könnte, ihrerseits Lohnforderungen zu stellen, führten die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes Schlichtungsverhandlungen.

Die Gespräche endeten mit der Behauptung der Gewerkschaften, sie hätten ein großartiges Verhandlungsergebnis erzielt, das die Grundlage für eine "Überwindung des Niedriglohns" sei. Sie gaben bekannt, das sie von allen weiteren Aktionen absehen wollten. Sie hatten eine dürftige Lohnerhöhung von drei Prozent für dieses Jahr akzeptiert, wobei im kommenden Jahr möglicherweise 3,5 Prozent drin sind. Bei einem separaten Deal haben die Gewerkschaften auch einer zusätzlichen Lohnsteigerung um ein Prozent ab Oktober für die unterste Lohngruppe zugestimmt - ein lächerlicher Betrag, der effektiv einen Stundenlohn von fünf Pfund (etwa 7,8 Euro) als akzeptables Einkommen gutheißt.

Siehe auch:
Wahlen in Großbritannien: Die Socialist Alliance und die Socialist Labour Party - keine Alternative zu Blairs New Labour
(30. Mai 2001)
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