Der politische Bankrott der PLO und die Wurzeln der Hamas

Nachfolgend veröffentlichen wir den zweiten Teil einer dreiteiligen Artikelserie. Der erste Teil wurde am 9. Juli veröffentlicht.

Die zweite Niederlage der Araber gegen Israel im Jahr 1973 während des Jom-Kippur-Krieges ging mit einem Ölboykott einher, der sich gegen alle Nationen richtete, die Israel unterstützten und eine Vervierfachung der Ölpreise zur Folge hatte. Den reaktionären Feudalregimes der arabischen Halbinsel, von denen viele ihre eigenen Konflikte mit Nassers Ägypten hatten, diente das der Bereicherung und Stärkung ihres Einflusses. Vom neuen Reichtum der Ölscheichtümer profitierten auch militante islamische Gruppen und zwar direkt und indirekt.

Saudi-Arabien und die Golfstaaten pumpten Geld in die Moslembruderschaft und ähnliche Gruppen, um das Anwachsen fortschrittlicher politischer Tendenzen in der Arbeiterklasse, die ihre Herrschaft hätten bedrohen können, zu unterbinden. Die ägyptischen und jordanischen Bewegungen profitierten darüber hinaus von den Überweisungen der Arbeiter, die auf der Suche nach Arbeit an den Golf gegangen waren.

Im Iran, in Ägypten, Syrien, Saudi-Arabien, dem Sudan und Gaza begann die Unterstützung für islamische Gruppen insbesondere unter den ärmsten Schichten und der verarmten Landbevölkerung zu wachsen. Der Erfolg der religiösen Opposition gegen das tyrannische Regime des Schah im Iran und die Revolution von 1979 wurden als Beweis gewertet, dass es möglich sei, einen islamischen Staat zu errichten. Iran inspirierte und förderte den Aufbau eines Netzwerks schiitischer Gruppen, zu denen Amal und Hisbollah im Libanon, schiitische Oppositionsgruppen gegen das irakische Regime und schiitische Minderheiten in den Golfstaaten gehörten. Der Erfolg der iranischen Revolution förderte auch das Anwachsen anderer islamischer Tendenzen, einschließlich sunnitischer Gruppen.

Es gab noch einen anderen wichtigen Förderer militanter Islamistengruppen. Washington spielte eine wichtige Rolle bei ihrem Aufbau, mit der Absicht, ein Gegengewicht zum Einfluss Moskaus im Mittleren Osten und international zu schaffen. Die Islamisten sollten als politische Waffe gegen radikale Nationalisten wie die Baath-Partei in Syrien dienen, gleichzeitig aber auch Stütze für die reaktionären Monarchen von Jordanien und Saudi-Arabien sein und als ausdrücklich antikommunistische Kraft wirken, die die unterdrückten Massen mit radikaler Rhetorik ablenken und zurückhalten sollte.

Von 1980 bis 1989 organisierte die CIA für Afghanistan das größte verdeckte Hilfsprogramm der US-Geschichte, um die Sowjetunion zu destabilisieren. Sie finanzierte und bewaffnete die extremsten Mudschaheddin-Gruppen, darunter auch die von Osama bin Laden, die gegen das von der Sowjetunion unterstützte afghanische Regime in Kabul kämpften. Solche von den USA unterstützten Gruppen spielten wiederum eine entscheidende Rolle bei der militärischen Ausbildung islamistischer Kräfte in Ägypten, Saudi-Arabien, Algerien, den besetzten Gebieten in Palästina und anderswo.

Die Haltung der USA gegenüber dem islamischen Fundamentalismus begann sich nach der iranischen Revolution zu ändern, durch die der wichtigste Verbündete Amerikas und Garant ihrer Interessen am Golf gestürzt worden war. Von Anfang an nahm die iranische Revolution einen explizit anti-amerikanischen und anti-zionistischen Charakter an.

Der islamische Fundamentalismus begann nun die Interessen der USA und ihrer Verbündeten im Mittleren Osten in größerem Umfang zu beeinträchtigen. Im November 1979 besetzte eine militante Gruppe islamistischer Gegner des saudischen Regimes die große Moschee in Mekka. Die Saudis konnten den Aufstand nur unter großen Verlusten niederschlagen und mussten trotz der Hilfe jordanischer und französischer Militärberater Hunderte von Toten in Kauf nehmen.

Nur wenig später, im Jahre 1981, riefen die gleichen islamischen oppositionellen Tendenzen, die Ägyptens Präsident Sadat jahrelang gefördert hatten, zum bewaffneten Aufstand gegen ihn auf. Kurz danach wurde er von islamistischen Armeeoffizieren, die seinen Friedensvertrag mit Israel ablehnten, ermordet.

Im Libanon, wo Einheiten der USA offen den von Israel eingesetzten und von den Maroniten gestützten Präsidenten Amin Gemayel unterstützten, zerstörte der Islamische Jihad im April 1983 die amerikanische Botschaft. Im Oktober verwüstete ein weiterer Selbstmordanschlag die Kaserne der US-Marines. In den Jahren darauf nahmen schiitische Milizen Amerikaner und andere westliche Staatsangehörige als Geiseln, während die Hisbollah die israelischen Besatzungstruppen im Südlibanon angriff. Schließlich musste Reagan 1984 zugeben, dass die Position der USA nicht mehr haltbar sei, und zog die US-Truppen aus dem Libanon ab.

Der Aufstieg des politischen Islam in den besetzten Gebieten

Nachdem die PLO seit September 1982 auf Tunis beschränkt war und ohne Unterstützung der Sowjetbürokratie und der arabischen bürgerlichen Staaten auskommen musste, nahm Arafats Anteil am Kampf der Massen in den besetzten Gebieten immer mehr ab. Zunehmend wurde er in der Bevölkerung mit Passivität und Korruption identifiziert. Unter Bedingungen, wo die Palästinenser aus dem Blickfeld der arabischen Regimes verschwunden waren, hatte er den bewaffneten Kampf zugunsten diplomatischer Manöver so gut wie aufgegeben.

Die arabische Gipfelkonferenz in Amman im November 1987, die hauptsächlich wegen des iranisch-irakischen Krieges einberufen worden war, schenkte der palästinensischen Frage keine sonderliche Beachtung und verabschiedete keine größere Resolution in Bezug auf Palästina. Die PLO wurde zunehmend von mörderischen Konflikten zerrissen, die in den Straßen von Paris und London ausgetragen wurden.

Die Bruderschaft war wieder einmal in der Lage, das politische Vakuum auszufüllen, das der säkulare Nationalismus hinterlassen hatte. Mit großzügigen Geldmitteln half ihr dabei die arabische Bourgeoisie, die die palästinensische Frage als gefährliche Quelle radikaler antiimperialistischer Stimmungen und Bedrohung ihrer eigenen privilegierten Stellung betrachtete. Sie alle versuchten die Bruderschaft als Gegengewicht zur PLO und Instrument zur Spaltung der palästinensischen Arbeiterklasse aufzubauen.

Von Jordanien unterstützt schlossen sich die Moslembrüder in Gaza mit denen der Westbank zusammen und wurden Teil der Moslembruderschaft Jordaniens. Die Bruderschaft setzte das Geld von Saudi-Arabien und der jordanischen Monarchie dazu ein, ihr Netzwerk von Moscheen, Kulturorganisationen und sozialen Einrichtungen aufzubauen, die den ärmsten Palästinensern das Leben erleichterten.

Der Führer der Brüder in Gaza war Scheich Ahmad Yasin, ein 1936 im Mandat Palästina geborener Lehrer. Er kam aus einer wohlhabenden Landbesitzerfamilie, die 1948 geflohen war und sich in einem Flüchtlingslager in Gaza niedergelassen hatte. 1973 gründete er den Islamischen Kongress als Frontorganisation für die Bruderschaft, die alle religiösen, bildungsmäßigen und sozialen Aktivitäten kontrollierte.

Das Hauptziel der Bruderschaft war die "Entwicklung der islamischen Persönlichkeit". Trotz ihres Aufrufs zur Vernichtung des Staates Israel - wenn der richtige Zeitpunkt gekommen sei - hielt sie sich von allen Aktivitäten gegen die Besatzung fern. Vorrang räumte sie dem Kulturkampf gegen den "atheistischen" säkularen Nationalismus der PLO ein.

Scheich Yasin machte aus seiner Abneigung gegen Jassir Arafat niemals einen Hehl. "Schweinefleischfresser und Weinsäufer" war seine verächtliche Bezeichnung der säkularen PLO-Führung. Noch feindseliger war er gegen den Kommunismus und linksnationalistische Fraktionen wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP).

Aus diesem Grund erhielten die Moslembrüder zusätzliche Unterstützung von unerwarteter Seite: Israel. Der zionistische Staat und seine Sicherheitskräfte förderten die Bruderschaft nach Kräften als Alternative zur PLO. Die Ablehnung des Terrorismus und Betonung sozialer und Bildungsarbeit der Brüder führte dazu, dass sie trotz ihrer Aufrufe zur Vernichtung Israels als gegenüber der PLO bevorzugt eingestuft wurde. Die israelischen Besatzungsbehörden sahen die islamischen Gruppen als nützliches Instrument an, Zwietracht unter den Palästinensern zu sähen.

Der frühere Militärgouverneur von Gaza, General Itzhak Segev, erklärte, wie er die islamische Bewegung als Gegengewicht zur PLO und den Stalinisten finanziert hatte. Dem Journalisten Graham Usher zufolge sagte er: "Die israelische Regierung stellt mir ein Budget zur Verfügung und wir verteilen finanzielle Hilfe an islamische Gruppen über Moscheen und religiöse Schulen, um ein Instrument zu schaffen, das gegen die linken Kräfte, die die PLO unterstützen, bestehen kann."

David Shipler, ein früherer Korrespondent der New York Times, schrieb: "1980, als islamische Extremisten das Büro des Roten Halbmonds in Gaza anzündeten, dem der Kommunist und PLO-Unterstützer Dr. Haidar Abdel-Schafi vorstand, tat die israelische Armee nichts. Sie griff erst ein, als der Mob zu seinem Haus marschierte und ihn persönlich bedrohte."

Bereits 1978 warnte der Bevollmächtigte der Moslemischen waqf, des religiösen Glaubens, Israel davor, den Islamischen Kongress zu registrieren und somit anzuerkennen und ihm damit die Kontrolle über die waqf zu verschaffen. Die waqf umfasste Ländereien, Unternehmen und Geschäfte, die insgesamt etwa 10 Prozent der Wirtschaft des Gazastreifens ausgemacht haben sollen. Israel ignorierte diesen Rat und erteilte der Frontorganisation der Moslembrüder 1979 eine Lizenz.

Innerhalb eines Jahrzehnts baute Yasin den Islamischen Kongress zu einer mächtigen religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Institution im Gazastreifen auf. Er entwickelte ein Netzwerk von Wohlfahrtseinrichtungen um die Moscheen herum, von denen viele als Zentren des gesellschaftlichen Lebens fungierten. Die Anzahl der Moscheen im Gazastreifen verdreifachte sich zwischen 1967 und 1987 von 200 auf 600, während sich die Anzahl der Gläubigen verdoppelte. In der Westbank stieg die Zahl der Moscheen im selben Zeitraum von 400 auf 750. Die Frauen wurden angehalten Kopftücher und Mäntel zu tragen und junge Männer zum Tragen von Bärten aufgefordert. Mit Sportvereinen wurden Jugendliche geködert und an den Islamischen Kongress gebunden.

Die Bruderschaft bemühte sich um Jugendliche in den Dörfern und Flüchtlingslagern, um Schüler, Lehrer, Beamte und insbesondere die Armen. Von Arbeitern und Frauen in Gewerkschaften und Berufsverbänden hielt sie sich eher fern. Während sie Gewalt gegen Israel ablehnte, "bis die Zeit reif ist", demolierten ihre jugendlichen Anhänger Läden, Cafés und Geschäfte, in denen Alkohol verkauft wurde. Sie bedrohten die Bevölkerung und schüchterten sie ein, um sie zur Rückkehr zu angeblich traditionell islamischen Lebensweisen zu zwingen und sie von westlicher Musik, Gewohnheiten und Lebensweise abzubringen.

Sie unternahm organisierte Angriffe auf die PLO und ihre Organisationen und lieferte sich Schlägereien mit Unterstützern der PLO und linken Gruppen in den Universitäten. Nach einer Reihe besonders gewalttätiger Zusammenstöße zwischen 1982 und 1986 übernahm sie Al Azhar, die Islamische Universität von Gaza, die sie in einem Mini-Bürgerkrieg gegen die PFLP und deren stalinistischen Anhänger von Unterstützern der PLO säuberte. Den Lehrkörper und die Studentenschaft machte sie so zu einer Reserve von 700 "Soldaten". Erst als die Fatah deutlich machte, dass sie nicht länger abseits stehen und zusehen würde, wie ihre Unterstützer solcherart dezimiert wurden, griff Israel ein und stoppte die Kämpfe.

Die Moslembrüder und die Intifada

Im Dezember 1987 brach zur völligen Überraschung der Brüder eine spontane Rebellion palästinensischer Jugendlicher und Arbeiter aus. Die Intifada war das Ergebnis der harten Bedingungen der israelischen Besatzung und der immer schlechteren wirtschaftlichen Situation. In Gaza waren die Lebensbedingungen unerträglich. Im Jahr 1986 lebten dort 634.000 Palästinenser, zusammengedrängt auf einem schmalen Sandstreifen von 45 km Länge und zwischen 5,5 und 13 km Breite. Die Bevölkerung wuchs mit einer Rate von 4,3 Prozent jedes Jahr. Im Jahr 1988 waren 59 Prozent der Bevölkerung unter 19 Jahre alt und 76,9 Prozent unter 29. Heute wird die Bevölkerung um 50 Prozent auf etwa eine Million Menschen angewachsen sein.

Dabei fehlte es im Gazastreifen an der elementaren Infrastruktur, um schon die bereits existierende Bevölkerung versorgen zu können. Es gab eine mangelhafte Versorgung mit sauberem Trinkwasser. Sanitäre Einrichtungen existierten nicht und es gab wenig Land, ob für Wohnungen, Landwirtschaft, Schulen oder Krankenhäuser. Damit nicht genug, behielt sich Israel "Staatsland" für die wenigen jüdischen Siedler in dem Gebiet vor, etwa 2.500 Menschen. Während die Siedler lediglich 0,4 Prozent der Bevölkerung ausmachten, waren ihnen bereits 28 Prozent des Staatslandes zugesprochen worden, die ihnen jedoch nicht ausreichen.

Die palästinensische Wirtschaft wurde vollständig den Bestrebungen Israels untergeordnet, die eigene Industrie zu schützen und den Binnenmarkt frei von Wettbewerb aus den besetzten Gebieten zu halten. Palästinensische Bauern wurden aus dem Markt gedrängt und ihre Kredit beschränkt, womit ihre Ertrag pro Hektar und dem folgend auch die bebaubare Landfläche zurückgingen. Soweit Industrie vorhanden war, konnte sie weder in Israel noch in Jordanien einen Markt finden, nachdem Jordanien ein Embargo über die Einfuhr von in den besetzten Gebieten hergestellten Gütern verhängt hatte.

Dadurch waren die Palästinenser fast vollständig darauf angewiesen, Arbeit in Israel zu finden. Aber selbst dabei wurden sie von der Zivilverwaltung behindert, bei der sie Dokumente für Einreise und Arbeit beantragen mussten. Die israelischen Verteidigungskorrespondenten Zeev Schiff und Ehud Yaari gaben in ihrem Buch "Die Intifada" zu: "Das Ergebnis war, dass auf verschiedene Arten, so schmerzhaft es auch einzugestehen ist, eine Art,Sklavenmarkt' in den besetzten Gebieten entstand."

Als die Intifada im Dezember 1987 ausbrach, wurde die Hauptlast des Widerstands gegen die zionistische Herrschaft von den palästinensischen Arbeitern und Jugendlichen getragen, nicht von den Guerillas der PLO. Die Bruderschaft stand nun vor einem Dilemma: Behielt sie ihre Anpassung an Israel und damit auch dessen Schutz bei, würde sie die Kontrolle über die Palästinenser an die Vereinte Union der Nationalen Führung (UNLU) verlieren, die von der PLO zur Koordinierung und Kontrolle des Aufstands organisiert worden war.

Die Brüder entschieden sich dafür, die Islamische Widerstandsbewegung, bekannt unter ihrer arabischen Abkürzung Hamas, zu gründen. Sie sollte eine islamische politische Organisation sein, mit der die Energien der palästinensischen Arbeiterklasse abgelenkt und in religiöse Kanäle geleitet werden sollten.

Ihre im August 1988 veröffentlichte Konvention, die im Wesentlichen ihre Gründungscharta darstellte, vermischte Nationalismus mit Religion und nacktem Antisemitismus. Sie forderte einen rein islamischen palästinensischen Staat und wies die Forderung der PLO nach einem demokratischen und säkularen Staat als antiislamisch zurück. Territorialer Nationalismus, der früher als Götzendienst gegolten hatte, wurde zur religiösen Pflicht bzw. als Jihad erklärt. Sie rief zur Vernichtung Israels auf und setzte den politischen Zionismus fälschlich mit dem jüdischen Volk gleich, in Israel wie anderswo. Die Juden wurden als geheime Drahtzieher sowohl für die Französische Revolution als auch für die kommunistische Revolution beschuldigt, für zwei Weltkriege, für den Aufbau des Völkerbunds und der UNO als geheime Organe der Weltherrschaft und vor allem als Zerstörer des islamischen Kalifats.

Die Charta schloss explizit eine direkte Konfrontation mit der PLO aus und positionierte sich stattdessen als alternative Führung des palästinensischen Volkes. Zu diesem Zweck organisierte sich die Hamas unabhängig von der UNLU, verteilte eigene Flugblätter und rief eigene Streiks aus, oft an religiösen Feiertagen. Sie schüchterte Geschäftsleute und Händler ein und steckte deren Geschäfte in Brand oder demolierte sie, wenn sie sich ihren Streiks nicht anschlossen. Sie weigerte sich, die PLO als "einzig legitime Führung" zu akzeptieren.

Hamas tat wenig gegen die israelischen Besatzungsbehörden, weshalb Israel sich auch nicht in die von der Hamas organisierten Streiks einmischte. Tatsächlich traf sich der israelische Verteidigungsminister Itzhak Rabin im Sommer 1988 sogar zu Gesprächen mit führenden Islamisten.

Wird fortgesetzt

Teil 3
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