Ein Interview mit Robert Hue dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs

Am 7. Juni, zwei Tage vor der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich, sprachen Reporter des WSWS mit dem Generalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei (KPF), Robert Hue, in seinem Wahlkreis Argenteuil im Norden von Paris.

Das WSWS traf Hue im Quartier des Musiciens, einem Wohngebiet, während des Wahlkampfs für seine Wiederwahl als örtlicher Parlamentsabgeordneter. Obwohl der letzte Auftritt des KPF-Spitzenkandidaten vor dem Urnengang auf großen Plakaten angekündigt worden war, war das Desinteresse der Bevölkerung unübersehbar. Als der Kandidat zur angekündigten Zeit eintraf, war außer seinen eigenen Mitarbeitern keine Menschenseele zu sehen.

Wer eine Empfangsdelegation von Parteimitgliedern, oder gar eine Abordnung aus Betrieben für den Chef der einst mächtigsten Partei Frankreichs erwartet hatte, wurde enttäuscht. Noch nicht einmal ein lokales Fernsehteam war da. Hue sprach schließlich zu Hausfrauen und Rentnern, die zufällig vorbei kamen, weil sie im nahen Supermarkt eingekauft hatten.

Argenteuil, der fünfte Wahlbezirk im Val d‘Oise, gehört zu den wegen ihrer Arbeitslosigkeit und Armut berüchtigten Pariser Banlieues. Die Arbeitslosigkeit ist dort mit 18 Prozent doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt und die sozialen Probleme in den Hochhaussiedlungen sind allgegenwärtig.

Die Zeit, als dieses Gebiet mit seinem idyllischen Seineufer große Anziehungskraft auf Künstler ausübte und zur Quelle der Inspiration impressionistischer Maler wurde, liegt weit zurück. Nur noch einige Werke der Großen wie "Die Brücke von Argenteuil" - eines der schönsten Gemälde von Claude Monet (1874) - erinnern an diese Zeit.

Heute prägen Industrieruinen das Landschaftsbild. Zwischen den Hochhäusern wechseln sich geschlossene Geschäfte, stillgelegte Jugendclubs und heruntergekommene Kneipen ab. Die Scheiben der Supermärkte sind mit Eisengittern geschützt. An den Straßenecken stehen Gruppen von Jugendlichen, denen die Langeweile und Trostlosigkeit ins Gesicht geschrieben steht. Ein Großteil der Bevölkerung hier sind Ausländer, vorwiegend Nordafrikaner.

Seit mehr als 60 Jahren ist die Stadtverwaltung von Argenteuil unter der Kontrolle der Kommunistischen Partei. Selbst die Straßennamen, vom Boulevard de Résistance über die Place P. Sémard bis zur Rue Marcel Cachin, benannt nach zwei Stalinisten der ersten Stunde, widerspiegeln diesen Einfluss.

Im April diesen Jahres löste das Wahlergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen in diesem Bezirk einen Schock in der Parteizentrale aus. Hatte die KPF bei den Parlamentswahlen 1997 noch 30,4 Prozent erreicht, sackte der Stimmenanteil von Robert Hue nach fünf Jahren Beteiligung an der Jospin-Regierung auf 9,8 Prozent ab. Der Kandidat der Nationalen Front, Jean-Marie Le Pen, lag mit 18,7 Prozent an der Spitze.

Die KPF reagierte auf diese Zurückweisung der "pluralen Linken" und ihrer eigenen Rolle als Komplize der Regierung Jospin, indem sie die Werbetrommel für den amtierenden Präsidenten Jacques Chirac rührte. In einem Leitartikel zum 1. Mai verkündete sie: "Um dies [die Niederlage Le Pens] zu erreichen, muss eines klar sein. Es ist nicht nur nötig, ihn an der Urne entscheidend zu schlagen, sondern es muss auch alles getan werden, um seinen Stimmenanteil mit Hilfe des einzigen Stimmzettels entscheidend zu senken, der dies erreichen kann, nämlich mit dem, der den Namen Jacques Chiracs trägt."

Um zu vermeiden, dass die KPF in ihrer einstigen Hochburg ein weiteres Desaster erlebt und Hue seinen Parlamentssitz verliert, entschied sich die Sozialistische Partei bei den jüngsten Parlamentswahlen, auf einen eigenen Kandidaten in Argenteuil zu verzichten und die Wahl von Hue zu unterstützen.

Zwei Tage nach dem Interview mit dem WSWS konnte Hue als gemeinsamer Kandidat von KP und SP am vergangenen Sonntag 38,6 Prozent erreichen. Er wird sich im zweiten Wahlgang wohl gegen seinen Kontrahenten Georges Mothron (UMP) durchsetzen, der 35,5 Prozent der Stimmen erzielte. Gemessen am gemeinsamen Wahlergebnis von SP und KPF vor fünf Jahren bedeutet das Ergebnis allerdings einen Rückgang von mehr als neun Prozent. Gleichzeitig ereichte die Wahlenthaltung mit 39,2 Prozent einen Höchststand.

Innerhalb seiner Partei ist Hue alles andere als unumstritten. Angesichts der dramatischen Stimmenverluste in den vergangenen Jahren werden innerhalb der KPF die Messer gewetzt und es findet ein allgemeines Hauen und Stechen statt. Auf dem letzten Parteitag im vergangenen Herbst stimmten 15 Regionalverbände - darunter so mitgliederstarke wie Seine-Saint-Denis, Val-de-Marne und Somme - gegen eine von Hue vorgeschlagenen Statutenänderung. In mehreren Presseberichten wird bereits von einer bevorstehenden Spaltung der Partei gesprochen.

Im persönlichen Gespräch wirkt Robert Hue wie ein lokaler Gewerkschaftssekretär, und nicht wie eine führender Politiker. Er scheint alle Probleme aus einem völlig beschränken Blickwinkel zu betrachten. Die historische Tragweite des gegenwärtigen politischen Umbruchs in Frankreich und die Bedeutung seines eigenen Handelns übersteigt seinen Gesichtkreis und scheint ihn nicht zu interessieren.

Wie schon oft in der Geschichte ist der Niedergang dieser Partei auch in der Auswahl ihres Führungspersonals ausgedrückt, was nicht heißen soll, dass frühere KPF-Führer, die wiederholt für einen kriminellen Verrat an der französischen und internationalen Arbeiterklasse verantwortlich waren, politische Riesen waren. Dennoch verfügten sie über gewisse politische Fähigkeiten und waren in der Lage, einen Widerhall bei den Unterdrückten zu finden, auch wenn dies auf beschränkter und demagogischer Grundlage geschah.

Der gelernte Krankenpfleger Hue schloss sich 1962, im Alter von 15 Jahren der Kommunistischen Jugend an. 1977 wurde er zum Bürgermeister von Montigny-les-Cormeilles, einem entfernten Vorort von Paris mit 17.000 Einwohnern gewählt. Zehn Jahre später zog er ins Zentralkomitee und 1990 ins Politbüro ein. 1994 wurde er Parteivorsitzender. Bis zu diesem Zeitpunkt war Robert Hue weitgehend unbekannt und hatte nur einmal für nationale Schlagzeilen gesorgt.

Im Februar 1981 rief Hue zur Gründung einer "Drogen-Wehr" auf und marschierte an der Spitze eines rassistischen Mobs vor das Haus einer marokkanischen Familie in Montigny. Die Hausbewohner verbarrikadierten sich und fürchteten um ihr Leben. Die Kommunistische Jugend hatte die Familie zuvor in Flugblättern des Drogenhandels bezichtigt, ohne die geringsten Beweise und zu Unrecht, wie sich später herausstellte.

Hues damalige Aktion war Bestandteil einer populistischen Kampagne, mit der die KPF ihren rasch schwindenden Einfluss nach dem Bruch der Union de la Gauche wettzumachen suchte. Bereits zwei Monate vor den Ereignissen in Montigny hatte der KPF-Bürgermeister eines anderen Pariser Vororts, Vitry, ein Ausländerwohnheim durch Planierraupen niederwalzen lassen. Danach erschienen Abend für Abend führende Vertreter der Partei im Fernsehen, um diesen rassistischen Vandalenakt gegen eine Welle der Empörung zu verteidigen. Profitieren konnte von dieser ausländerfeindlichen Kampagne der KPF die Nationale Front, die in den KPF-Hochburgen zu wachsen begann.

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WSWS: Was denken Sie über die gegenwärtige Wahlkampagne? Welches Ergebnis erwarten Sie?

Robert Hue: Es ist eine merkwürdige Wahlkampagne, weil das Ergebnis der vorangegangenen Präsidentenwahl alles durcheinander gebracht hat. Die Anwesenheit der extremen Rechten Le Pens und die Abwesenheit der Linken in der zweiten Runde hat zuerst einen großen Schock ausgelöst. Dann gab es eine große Reaktion, die alle außer der extremen Rechten dazu gebracht hat, Chirac zu wählen. Ich selbst habe für Chirac gestimmt, aber nicht für Chirac, sondern um die Rechte zu blockieren und die Werte der Republik zu bewahren. Ich sage das alles, weil die jetzige Kampagne etwas verstümmelt ist, da Chirac vergessen hat, dass er durch alle gewählt wurde, die die republikanischen Werte verteidigen, und die Kampagne parteiisch nach rechts lenkt.

WSWS: Wie sind die drastischen Stimmenverluste der Kommunistischen Partei zu erklären?

Hue: Es gibt starke Stimmenverluste für die Kommunistische Partei, die etwa den Verlusten der Sozialistischen Partei entsprechen. Wir waren mit Lionel Jospin in der Regierung und Lionel Jospin ist eingebrochen, weil die Politik der Linken von der einfachen Bevölkerung nicht verstanden und anerkannt wurde. Und wir innerhalb der Regierung hätten die Sozialistische Partei gerne viel aktiver zu einer anderen Politik gedrängt und haben das nicht geschafft. Daher gab es diesen Einbruch. Aber sehen Sie Sich die heutigen Meinungsumfragen an, zwei Tage vor der Wahl ist die Kommunistische Partei bereits wieder auf 6 Prozent gestiegen.

WSWS: Es gibt Presseberichte, wonach eine beträchtliche Anzahl frühere KPF-Wähler jetzt für die Nationale Front stimmen. Wie erklären Sie Sich das?

Hue: Nein, nein! Das stimmt nicht. Nein, nein - es gab eine hohe Enthaltung unter kommunistischen Wählern. Es gab unter allen Wählerschichten - sozialistischen, kommunistischen, grünen - Teile, die protestiert haben, sei es mit Le Pen, sei es durch eine Stimmabgabe für die extreme Linke, aber es gibt keinerlei Umfragen, die belegen, dass es eine bemerkenswerte Bewegung von der Kommunistischen Partei zu Le Pen gab. Das stimmt nicht. Unsere Schwierigkeit, die Schwächung der Kommunistischen Partei, liegt woanders. Die Kommunistische Partei hätte in dieser Wahl mit 6 Prozent rechnen können. Zwei, drei Tage vor der Wahl gaben ihr die Umfragen 6 Prozent. Aber mindestens 1 bis 1,5 Prozent der Wähler der Kommunistischen Partei haben für Jospin gestimmt, weil sie Angst vor dem Aufstieg der extremen Rechten hatten, und ein anderer Teil hat sich enthalten. So sieht die Wirklichkeit aus.

WSWS: Eine Ihrer Wahlparolen lautet "Frankreich, das seid Ihr". Wie stehen Sie zum Nationalismus?

Hue: Wir sind grundlegend anti-nationalistisch. Wenn wir sagen "Frankreich, das seid Ihr", sollen die Franzosen das Gefühl haben, dass es nicht um die Frage der Ausländer geht, sondern um die Frage der Bürgerbeteiligung. Die Franzosen haben der Elite in dieser Wahl eine Abfuhr erteilt. Sie wollten nicht, dass Frankreich für die an der Spitze, für die Führer steht. Unsere Parole soll daher aussagen, für uns bedeutet Frankreich nicht die Entscheidungsträger, die Technokraten, sondern ihr, die Bürgerinnen und Bürger.

WSWS: Wie beurteilen sie die gesamte Erfahrung der Sowjetunion?

Hue: Die Sowjetunion ist zusammengebrochen. Für mich ist das, was sich nach den siebziger Jahren in der Sowjetunion abspielte, kein Kommunismus, und ich war, ich bin äußerst feindlich gegenüber dem, was der Stalinismus war. Seit ich in der Führung der Kommunistischen Partei bin, habe ich mich für die Zurückweisung des Stalinismus eingesetzt. Wir sind der Ansicht, dass der Stalinismus nicht nur eine Plage für die betroffenen Völker war, sondern auch für den Kommunismus selbst. Im Namen des Kommunismus wurden Dinge getan, die mit dem Kommunismus nichts zu tun haben. Der Kommunismus ist etwas anderes. Er ist eine Bewegung, eine Haltung, die auf das Teilen abzielt. Er ist nicht Bürokratie, Dominanz des Staates, Stalins Verbrechen.

WSWS: Was ist Ihre Haltung zu Trotzki?

Hue: Wissen Sie, ich bin nicht in einer trotzkistischen Kultur aufgewachsen. Ich habe keine Meinung. Trotzki spielte eine Rolle in der russischen Revolution. Jene, die sich heute in Frankreich auf den Trotzkismus berufen, sind, wie soll ich sagen, oft Gruppen, die am Rand stehen, die von Extremen geprägt sind, die sich nicht an den Institutionen beteiligen wollen. Der Trotzkismus hat heute in Frankerich keine große Bedeutung. Es gibt Gruppen, die sich auf Trotzki berufen, aber sie setzen Trotzki nicht auf ihre Plakate.

WSWS: Eine weitere Frage. Vor zwanzig Jahren, Anfang der achtziger Jahre, hat sich die Kommunistische Partei gegen Einwanderer gewarnt und ein Immigrationsstopp gefordert...

Hue: Nein, nein.

WSWS: Der Bürgermeister von Vitry sur Somme hat zum Beispiel ein Immigrantenheim durch einen Bagger zerstören lassen, und Sie haben als Bürgermeister von Montigny-les-Cormeilles eine nordafrikanische Familie als Drogendealer denunziert. Verteidigen Sie diese Vorgehensweise oder anerkennen Sie mittlerweile, dass sie zum Anwachsen immigrantenfeindlicher Stimmungen beigetragen hat?

Hue: Nein, nein! Die Leute, die behauptet haben, das richte sich gegen Immigranten, haben das inszeniert. In Wirklichkeit sagte die Kommunistische Partei damals: "Man kann nicht alle Immigranten am selben Ort zusammenpferchen." Es war ein Kampf gegen die Ghettos, aber die Rechte und selbst ein Teil der Sozialistischen Partei hat das gegen die Kommunistische Partei gewendet und behauptet: "Das richtet sich gegen die Immigration". Dabei gab es nie eine Partei wie unsere, die derart offen für die Immigration ist. Gerade in den kommunistisch geführten Städten leben oft sehr viele Immigranten, und wir haben eine internationalistische Haltung. Wir waren eine äußerst anti-kolonialistische Partei, gegen die Kolonialkriege, und unsere Beziehung zu den Immigranten ist daher sehr positiv. Das waren nur Kampagnen gegen uns, ohne wirkliche Bedeutung, ich kann Ihnen das versichern.

WSWS: Wie sehen Sie die Zukunft der Kommunistischen Partei in Frankreich?

Hue: Meines Erachtens hat diese Partei eine Zukunft in der tiefgreifenden Veränderung, die ich begonnen habe und die ich "Mutation der Kommunistischen Partei" nenne - eine Politik der Öffnung, des modernen Kommunismus in einem Gesellschaftsprojekt, das die finanzielle Logik unserer Zeit angreift, d.h. das sich gegen die kapitalistische Globalisierung wendet.

Ich glaube, diese Partei hat eine große Zukunft, weil keine andere Partei, außer den populistischen und extrem rechten, in diesen schwierigen Wohngebieten anwesend sein kann. Wir haben die Aufgabe, auf neue Weise nahe bei den Leuten zu sein, die sich in Schwierigkeiten befinden, und diese Veränderungen mit ihnen durchzuführen. Es ist schwierig, aber ich sehe die Zukunft der Kommunistischen Partei in dieser Richtung.

Siehe auch:
Robert Hue und die Fäulnis des französischen Stalinismus. Ein Kommentar zu Hues Interview mit dem WSWS
(15. Juni 2002)
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