Wahlen in Frankreich:

Versammlung der Sozialistischen Partei enthüllt politisches Vakuum auf der Linken

Die Sozialistische Partei (SP) erscheint seit der Niederlage ihres Kandidaten Lionel Jospin im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen vom 21. April 2001 demoralisiert, innerlich zerrissen und buchstäblich führungslos. Eine Schlagzeile von Le Monde lautete vor kurzem: "Die Linke führt einen verzettelten und pessimistischen Wahlkampf". Der Wahlkampf der SP, hieß es weiter, sei in "lokale Mikro-Kampagnen" aufgesplittert.

Ihre Kandidaten machen sich Sorgen um ihre weitere Karriere und versuchen ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die Zeitung zitiert einen SP-Funktionär mit den Worten: "Viele sagen: ‚Ich bin doch mehr wert als unser nationales Ergebnis‘, und setzen gern auf die persönliche Karte."

Der kurze Wahlkampf, der laut den gleichen Meinungsforschern die Bevölkerung weitgehend unberührt lässt, hat etwas Unwirkliches an sich. Ein Funktionär der Sozialistischen Partei warf der Regierung vor, die "Schnarchtaktik" anzuwenden (die darin bestehen soll, die ganze Kampagne in Schlaf zu versetzen) - dabei sind beide Seiten dafür verantwortlich, wenn sich überall Langeweile und Gleichgültigkeit ausbreiten.

Die Kritik von François Holland, dem jetzigen Führer der Sozialisten, an der von Chirac ernannten Interims-Regierung unter Jean-Pierre Raffarin zielte auf ganz zweitrangige Probleme. Er erklärte, Raffarin "leitet kein Ministergremium, sondern eine Wahlkampagne".

Hollande nannte die rechte Regierung "eine Regierung des Wortes, der Rede, der Ankündigung". Er beschwerte sich darüber, dass Chirac nicht wie der Präsident der Republik, sondern eher wie der "Führer einer Partei" agiere. Was für eine Enthüllung!

Die SP-Führer, die jetzt eine neue Periode der "Kohabitation" fordern - wobei der Präsident und der Regierungschef von verschiedenen Parteien gestellt werden -, lamentieren, Chirac strebe "die ganze Macht im Staat an" und die Bevölkerung müsse vor einem solchen Griff nach der Macht geschützt werden.

Solche Argumente vermeiden es tunlichst, auf die drückenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme einzugehen, die den Menschen am meisten Kopfzerbrechen bereiten. Sie sollen verhindern, dass sich die Bevölkerung unabhängig von den Parteien zusammenschließt, denn Umfragen zufolge halten 44 Prozent die Programme der offiziellen Rechten und Linken für "fast identisch". Die Gleichgültigkeit der SP gegenüber den entscheidenden Fragen - Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ungleichheit - erhärtet nur die vorherrschende Meinung von Millionen, dass die offizielle Linke keine Antwort auf ihre Probleme hat, und spielt deshalb in die Hände sowohl Chiracs als auch der ultra-rechten Nationalen Front von Jean-Marie Le Pen.

Sollte die Sozialdemokraten kurz nach ihrer Niederlage in der Präsidentschaftswahl ein Hauch von Selbstkritik gestreift haben, so hat er sich längst wieder gelegt. Als Hollande sich vor kurzem in einer Versammlung positiv über die "beträchtlichen" Errungenschaften der Jospin-Regierung äußerte, riss es die 1.500- bis 2.000-köpfige, hauptsächlich aus SP-Jugend bestehende Menge von den Stühlen. Sie applaudierte "drei Minuten lang", wie ein Pressebericht vermerkte, und skandierte: "Merci, Lionel!" Die SP-Führung scheint der Meinung zu sein, dass die französische Bevölkerung einfach undankbar und vielleicht Sankt Lionels nicht würdig sei.

Die Krise der bestehenden politischen Ordnung spiegelt sich in der Rekordzahl der Kandidaten wider - 8.456 Kandidaten in 577 Wahlkreisen, das ist ein Durchschnitt von fast fünfzehn Bewerber pro Abgeordnetensitz (wobei sich in vielen Pariser Wahlkreisen 20 bis 25 Kandidaten bewerben). Wenn die Sozialistische Partei nun über die Zersplitterung der "Linken" klagt, dann verschließt sie die Augen davor, dass in Wirklichkeit gerade die Mitterrand-Jospin-Ära viele Menschen so enttäuscht und aufgebracht hat, dass sowohl der parlamentarischen Rechten als auch der neo-faschistischen Nationalen Front Tür und Tor geöffnet wurden.

Eine lokale Versammlung der SP im 19. Arrondissement von Paris am 4. Juni trug wenig dazu bei, dieses allgemeine Bild der Konfusion und Demoralisierung in den Reihen der Partei zu widerlegen. An der Veranstaltung, die in einer Grundschule stattfand, nahmen ungefähr hundert Personen teil, die meisten von ihnen mittleren Alters oder älter, die hauptsächlich aus der unteren Mittelklasse stammten: kleine Ladenbesitzer, Lehrer, ältere und besser gestellte Einwanderer.

Weil der Bürgermeister des Arrondissements einer der Redner war, nahm die Veranstaltung ein wenig den Charakter einer Bürgerversammlung an: In der Fragerunde brachten die Anwesenden Beschwerden vor über Schulprobleme, fehlende Jugendeinrichtungen oder eine von armen polnischen Immigranten überfüllte Wohnung, etc. Es war zwar keine Versammlung der Besserverdienenden, aber sie brachte auch bei weitem nicht die Härte zum Ausdruck, mit der die soziale Krise Millionen in Frankreich trifft.

Die fünf auf dem Podium zeigten selbstzufriedene Gesichter; unter ihnen der örtliche SP-Kandidat für die Nationalversammlung, Daniel Vaillant, ehemals Innenminister unter Jospin, sowie Daniel Marcovitch, ein Arzt und Nachrückerkandidat oder suppléant, der Vaillants Sitz übernehmen würde, falls dieser erneut Kabinettsminister würde.

Das allgemein gedämpfte und wenig enthusiastische Verhalten der Redner unterstrich den Charakter der SP und ihrer Wahlkampagne. Dies ist offensichtlich keine Organisation, die gegen die Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter kämpft, sondern eine bürgerliche Partei, die davor zittert, dass sie die Macht verlieren könnte, und den damit verbundenen Verlust ihrer Posten und Privilegien befürchtet.

Gisèle Stievenard, die Stellvertreterin des Paris Bürgermeisters, stellte zu Beginn der Versammlung die Redner vor, deren "Kompetenz und Begeisterung" sie rühmte; sie erklärte, dies seien Individuen, die "das Konkrete lieben". Über Vaillant sagte sie, er verteidige "die Gerechtigkeit und die Werte der Linken und der Republik".

Dies sind Schlagworte, die seit dem 21. April bis zum Abwinken gedankenlos von den Sozialdemokraten und den Stalinisten der Kommunistischen Partei wiederholt wurden. Stievenard erklärte nicht, was man unter diesen Werte zu verstehen habe. Sie gestand einfach, sie habe "keine Lust, noch einmal so etwas wie am 21. April zu erleben", als Jospin gegen Le Pen verloren hatte. Dies wollte in dieser Versammlung auch niemand sonst.

Roger Madec, der Bürgermeister des 19. Arrondissements, sprach als nächster und erlegte sich noch mehr Zurückhaltung auf. Er sagte, es habe sich am 5. Mai, als Chirac im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen mit 82 Prozent wieder ins Amt gewählt worden war, um "eine politische Entscheidung gegen Le Pen" gehandelt.

Weil er spürte, was ganz offensichtlich in der Luft lag, warf dieser Lokalpolitiker die rhetorische Frage auf, ob es denn "keinen Unterschied" zwischen der Linken und der Rechten in den Parlamentswahlen gebe. Als Antwort auf seine eigene Frage zählte er eine Reihe minderer Sozialreformen auf, die die SP eingeführt habe. Madec gab das Offensichtliche zu: "Dies ist nicht perfekt. Wir sind keine Engel." Seine Vorschläge, was eine neue linke Regierung tun könnte, lauteten: mehr Polizei, um das Verbrechen zu bekämpfen, und eine Erhöhung des Mindestlohnes.

Ein SP-Funktionär rief darauf die Anwesenden auf, auf jeden Fall wählen zu gehen und ihre Familien und Kollegen dazu zu bringen, dasselbe zu tun, womit er implizit andeutete, dass der Grund für die Niederlage vom 21. April die Apathie in der Bevölkerung und die Missachtung ihrer Bürgerpflicht gewesen sei. Im Weiteren führte er die übliche Begründung dieser Partei für ihr Verhalten im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen vor einem Monat an: Dies sei ein "Referendum gegen die Rechtsextreme" gewesen. Im Ergebnis habe es "keine Diskussion" zwischen der parlamentarischen Rechten und Linken geben können.

"Jetzt brauchen wir diese Diskussion", sagte er. Er kritisierte den Vorschlag der Raffarin-Regierung, die Einkommenssteuer um fünf Prozent zu senken, als Geschenk an die Reichsten, und verurteilte die Ernennung von Francis Mer, einem Vertreter der Stahlindustrie und des Unternehmerverbandes MEDEF, zum Finanzminister.

Der Nachrückerkandidat, Daniel Marcovitch, versuchte ebenfalls, den Unterschied zwischen der Linken und der Rechten zu erklären. Er kritisierte, dass Kohabitation mit "Paralyse" gleichgesetzt werde, und zählte die Errungenschaften der Jospin-Regierung der letzten fünf Jahre auf. "Ist das etwa Paralyse?" Wenn die rechten Parteien die Mehrheit gewännen, erklärte er, "dann läge die ganze Macht in diesem Land in den Händen zweier Männer" (Chiracs und des gaullistischen Führers Alain Juppé).

Daniel Vaillant, der Hauptsprecher, hatte das Innenministerium von Jean-Pierre Chevènement übernommen, als dieser im August 2000 aus der Jospin-Regierung ausgetreten war. Also war er zur Zeit der Selbstmordattentate in den USA am 11. September für die Polizei und die Sicherheitskräfte verantwortlich und unterzeichnete in dieser Funktion im Namen des "Kampfs gegen Terrorismus" alle Angriffe auf demokratische Grundrechte, die die französische Regierung durchgeführt hat. Vaillant brüstet sich mit der großen Zahl an Soldaten, Gendarmen und Polizisten, die er im ganzen Land aufgeboten hat.

Er hat die Gesetze eingeführt, die der Polizei größere Vollmachten bei der Durchsuchung von Autos und beim Abhören privater Telefongespräche und E-Mails verschafften. Das neue, undemokratische Gesetz erlaubt es der Polizei, Kofferräume auf Anordnung eines Staatsanwalts in einem Terrorismusfall zu durchsuchen. 1995 ist ein ähnlicher Plan, der der Polizei die Durchsuchung geparkter Wagen in der Nähe von Demonstrationen erlaubt hätte, verworfen worden, weil er in die persönliche Freiheit eingegriffen hätte.

Als das neue Gesetz im Parlament vorgestellt wurde, behauptete Vaillant, die Terrorismus-Bekämpfung steigere die Freiheit und schränke sie nicht ein. "Kollektive Sicherheit ist nicht der Feind der individuellen Freiheit", sagte er damals. "Wir sprechen hier über die Situation vor und nach dem 11. September."

Vor kurzem hat Vaillant eine Pressekonferenz einberufen, um sich darüber zu beschweren, dass Nicolas Sarkozy, der gegenwärtige rechte Innenminister und Aspirant auf das Amt des Premiers, seine Ideen "plagiiere". Er versicherte, in verschiedenen von Sarkozy angekündigten Programmen "finde ich fast Wort für Wort die Ziele wieder, die in zwei Dokumenten über die strategische Orientierung niedergelegt sind, die schon vor acht Monaten von den Direktoren der nationalen Polizei vorbereitet wurden, und die ich Nicolas Sarkozy bei der Machtübergabe ausgehändigt habe".

Dieser "sozialistische" Kandidat, der sich brüstet, sein Vater sei ein Arbeiter gewesen, der "die Kommunisten gewählt" habe, widmet einen großen Teil seiner Kampagne der Pflege seiner Glaubwürdigkeit als zuverlässiger Statthalter des französischen Imperialismus und kapitalistischen Staates.

In seiner Rede am 4. Juni präsentierte Vaillant eine Mischung aus vagen Reden über ausgeführte Reformen und einer Rhetorik von Recht und Ordnung, wie sie für den Wahlkampf der offiziellen Linken typisch ist. Er begann damit, sich über die Anzahl der Billigwohnungen in seinem Wahlkreis auszulassen. "Hört auf, Ghettos zu schaffen", sagte er. Unter Hinweisen auf "kommende Unwägbarkeiten" plädierte der ehemalige Minister für mehr "Sicherheit" und mehr Vollmachten für die Polizei.

Er erklärte, es habe ihn "fast krank gemacht, für Chirac zu stimmen". Er bezog sich darauf, was das letzte Mal passiert war, als ein rechter Präsident und eine rechte Parlamentsmehrheit zusammengekommen waren: Der Ausbruch von Massenstreiks, die schließlich zur Niederlage der Juppé-Regierung von 1997 geführt hatten. Die unausgesprochene Warnung war klar: ein Sieg für das Chirac-Lager in den Parlamentswahlen würde die Gefahr neuer sozialer Erhebungen mit sich bringen, die die bestehende gesellschaftliche und politische Ordnung gefährden könnten.

Vaillant wiederholte seine übliche Argumentationsschiene - dass ein Sieg für die Linke keine "Kohabitation" bedeuten würde, sondern eine "institutionelle Koexistenz". Der Präsident "ist dazu da, zu präsidieren, nicht zu regieren". Er warnte vor "einem Präsidenten der Republik, der gleichzeitig Verteidigungsminister, Innenminister und Minister von allem ist". Vaillant schloss bombastisch mit einem Aufruf zur Erneuerung des "Respekts gegenüber den eigenen Eltern, der Gesellschaft und der Zivilisation".

Die Versammlung im 19. Arrondissement brachte einige politische Tatsachen zum Ausdruck: Die erste - die niemand, nicht einmal die sogenannte "äußere Linke" zugeben will - besteht darin, dass die Sozialistische Partei restlos in das politische Establishment integriert ist. Sie ist eines der wichtigsten Instrumente der bürgerlichen Herrschaft in Frankreich. Von einer "Linken" zu sprechen, der diese Partei angehört, ist ein Betrug. Es ist nichts Linkes oder Oppositionelles an ihr. Wie Vaillants Bemerkung über das kurze Leben der Juppé-Regierung noch einmal deutlich zeigte, bestehen zwischen der SP und dem Chirac-Lager vor allem taktische Differenzen darüber, wie die Bedürfnisse des französischen Kapitalismus am besten befriedigt werden können.

Die SP ist keine "Arbeiterpartei" und unter den heutigen, unsicheren Bedingungen auch keine Partei der Sozialreformen, nicht einmal der bescheidensten. Es ist eine Organisation, die sich mit ihrer Gleichgültigkeit und ablehnenden Haltung gegenüber den drängenden Bedürfnissen der Arbeiter, Arbeitslosen, Jugendlichen und Immigranten den wohlverdienten Hass von Millionen zugezogen hat.

Vor diesem politischen und sozialen Hintergrund konnten Le Pen und seine Nationale Front, die demagogisch die Probleme der Arbeitslosigkeit und Armut aufgreifen, sich unter den unterdrückten Schichten der Bevölkerung, auch unter Arbeitern, Gehör verschaffen. Man kann die Dynamik des heutigen Wahlkampfes in Frankreich nicht verstehen, ohne den Verrat an der arbeitenden Bevölkerung zu berücksichtigen, den die Sozialistische und die Kommunistische Partei begangen haben. Das wichtigste politische Problem ist die Krise der Perspektive und Führung der Arbeiterklasse.

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