Ein Porträt der Regierung Berlusconi

"Alle für einen, einer für sich"

Im Juni 2001 hat in Rom zum zweiten Mal nach 1994 eine rechte Regierung unter Leitung des Medienmagnaten Silvio Berlusconi die Amtsgeschäfte übernommen. Bestehend aus Berlusconis Forza Italia, der faschistischen Alleanza Nazionale und der separatistischen Lega Nord sprengt sie den Rahmen des bisher im Nachkriegseuropa Üblichen und Akzeptablen. Dieser Artikel untersucht die ideologischen und politischen Wurzeln der einzelnen Bestandteile der Römer Koalition und stellt abschließend die Frage nach der Ursache ihres Aufstiegs.

Berlusconis Forza Italia

Es fällt schwer, in der Geschichte eine Parallele zu Silvio Berlusconis Bewegung Forza Italia zu finden. Dass Parteien von Wirtschaftsinteressen beherrscht werden, dass einzelne Wirtschaftszweige oder sogar einzelne Unternehmen in ihnen den Ton angeben, ist nicht neu. Dass aber eine Partei vom Vorstand eines Unternehmens gegründet wird, mit diesem personell weitgehend identisch ist, sich vorrangig der Wahrnehmung seiner Interessen widmet und dennoch auf Anhieb eine nationale Wahl gewinnt, das hat es in dieser Form noch nie gegeben.

Mani pulite

Die Entstehung von Forza Italia geht auf das politische Erdbeben zurück, das zwischen 1992 und 1994 die italienische Parteienlandschaft erschütterte und die traditionellen Parteien unter einer Welle von Korruptionsskandalen begrub.

Das Vorhandensein von Korruption im italienischen Staats- und Politikapparat konnte damals niemanden überraschen, der mit den politischen Verhältnissen des Landes vertraut war. Bestechung und Vetternwirtschaft waren seit langem derart weit verbreitet, dass jeder Bescheid wusste, der mit den Behörden politisch oder geschäftlich in Kontakt stand. Kleine und mittlere Beamte wurden regelmäßig erwischt, angeklagt und verurteilt, doch dem System der Korruption als solchem tat dies keinen Abbruch und die politisch Verantwortlichen blieben ungeschoren. Ging der Verfolgungseifer eines Richters oder Staatsanwalts einmal zu weit, so wurde ihm der Fall entzogen, oder er wurde versetzt. Akten, Beweisstücke und manchmal auch Zeugen verschwanden. Und brachte dies alles nichts, dann scheiterte das Verfahren am Parlament. Giulio Andreotti, vielfacher Minister und Regierungschef, musste siebenundzwanzig Mal vor dem Immunitätsausschuss erscheinen - und kam siebenundzwanzig Mal ungeschoren davon.

Der Grund für diese Verhältnisse lag in der besonderen Situation Nachkriegsitaliens. Wirtschaftlich schwach, aber mit einer selbstbewussten Abeiterklasse und der größten Kommunistischen Partei Westeuropas ausgestattet, nahm das Land im Kalten Krieg eine Schlüsselstellung ein. Eine Regierungsbeteiligung der Kommunistischen Partei und eine mögliche Annäherung Italiens an Moskau sollte angesichts der zentralen strategischen Lage am Mittelmeer um jeden Preis verhindert werden. Das verschaffte den Christdemokraten eine Art Garantieanspruch auf die Macht. Von 1946 bis 1992 saßen sie ununterbrochen als stärkste Fraktion in der Regierung.

Die Methoden zur Sicherung ihres Machtanspruchs reichten von der wirtschaftlichen und politischen Einflussnahme der USA über die Agitation des katholischen Klerus bis hin zu einem Netz von Verschwörungen und Intrigen, in die neben geheimen politischen Zirkeln und Geheimdiensten auch der Vatikan, die Mafia und die Finanzelite verstrickt waren. Die Untersuchungen, Berichte, literarischen Werke und Filme, die sich um die Aufklärung dieser Verschwörungen und der damit verbundenen plötzlichen Todesfälle, unaufgeklärten Morde und blutigen Terroranschläge bemühten, füllen inzwischen ganze Regale - ohne dass sie viel bewirkt hätten.

Die Democrazia Cristiana selbst war weniger eine politische Partei als ein Klüngel von Interessengruppen, die sich wechselseitig befehdeten und gegeneinander intrigierten. Ihr anhaltender Einfluss beruhte auf der Fähigkeit, die jeweilige Klientel mit gut dotierten Posten im Staatsapparat, staatlichen Subventionen und Aufträgen zu versorgen. Als die Christdemokraten langsam an Unterstützung verloren, gesellten sich andere Parteien hinzu - allen voran die Sozialistische unter Bettino Craxi, der wiederholt der Regierung vorstand, obwohl seine Partei bei keiner Wahlen über einen Stimmenanteil von 14 Prozent hinaus gelangte.

Die einzige Partei, die nicht an diesem Reigen teilnahm, war die Kommunistische. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie keine staatstragende Rolle gespielt hätte. Im Gegenteil, sie war das verlässlichste Element im politischen System. Obwohl sie, abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel nach dem Sturze Mussolinis, stets von der Regierung ausgeschlossen blieb, trug sie wesentlich zum Erhalt und zur Festigung der Staatsmacht bei.

Von 1943 bis 1947 hatte sich die Kommunistische Partei an einer Allparteienregierung beteiligt, die nach dem Zusammenbruch des Faschismus den Staatsapparat wieder festigte und verhinderte, dass sich in Italien eine sozialistische Gesellschaft entwickelte, wie dies viele Mitglieder der Resistenza, des bewaffneten Widerstands gegen die Faschisten, erhofft hatten. Danach vereinte die KP regelmäßig ein Viertel bis ein Drittel der Wählerstimmen auf sich. Ihr Einfluss ging aber noch wesentlich weiter. Sie war eine gesellschaftliche Institution. In jeder Stadt und jedem größeren Dorf besaß sie eine Casa del Popolo, in der sich das gesellschaftliche Leben von Teilen der arbeitenden Bevölkerung abspielte. Der größte Gewerkschaftsdachverband, die Confederazione generale italiana del lavoro (CGIL), stand unter ihrem Einfluss. Filmemacher, Autoren und Intellektuelle von Weltruhm bekannten sich zu ihr. Und das Fest ihrer Tageszeitung Unitá gehörte in zahlreichen Städten zu den jährlichen Großereignissen.

Nie und zu keinem Zeitpunkt hätte die Führung der Kommunistischen Partei erwogen, ihren enormen Einfluss zu nutzen, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. Ihre Loyalität gegenüber dem italienischen Staat war, bei aller kommunistischen Rhetorik, unerschütterlich. Am anschaulichsten manifestierten sich die wirklichen politischen Verhältnisse in einem Ritual, das sich alljährlich im Frühjahr wiederholte: Am 25. April marschierten die Führer der Kommunistischen Partei, Seite an Seite mit den Vertretern der Regierungsparteien und geschmückt mit den Landesfarben, an der Spitze langer Demonstrationszüge durch die Straßen, um des Höhepunkts der Resistenza zu gedenken und ihre Treue zur Republik zu bekunden. Eine Woche später, am 1. Mai, marschierten dieselben KP-Führer durch dieselben Straßen, wiederum an der Spitze langer Demonstrationszüge - aber diesmal unter roten Fahnen mit Hammer und Sichel, um ihren Protest gegen die Regierung auszudrücken und wortreich den Sozialismus zu fordern.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion entzog diesen festgefahrenen Verhältnissen den Boden. Die Kommunistische Partei reagierte darauf, indem sie sich der letzten kommunistischen Symbole entledigte. 1990 ließ sie den alten Parteinamen fallen, nannte sich Partei der Demokratischen Linken (PDS) und orientierte sich an der internationalen Sozialdemokratie, später sogar an den amerikanischen Demokraten. Die Christdemokraten und ihre Regierungspartner mussten ihrerseits feststellen, dass sie nicht länger unverzichtbar waren. Zum einen entfiel mit dem Ende des Kalten Krieges auch die Gefahr einer Annäherung an Moskau, zum andern wurde Tangentopoli - das kostspielige System von Schmiergeldzahlungen und gegenseitigen Gefälligkeiten - zum Hindernis für den Erfolg Italiens in der globalen Wirtschaft.

Der Anstoß zum Zusammenbruch des alten Parteiensystems ging schließlich von eher konservativen Staatsanwälten aus, die sich als Vorkämpfer für saubere Verhältnisse verstanden, sich der Tragweite ihres Handelns jedoch kaum bewusst waren. Exemplarisch ist ihr bekanntester Vertreter, Antonio di Pietro. Der Staatsanwalt aus dem wirtschaftlich rückständigen Kalabrien weist für das bäuerliche Milieu typische Charakterzüge auf: Hartnäckigkeit und Sturheit, die zwar zum beharrlichen und unbeirrbaren Strafverfolger befähigen, sich aber selten mit politischer Weitsicht paaren.

Im Frühjahr 1992 startete eine Gruppe von Mailänder Staatsanwälten die Kampagne "saubere Hände" - Mani pulite. Sie überzogen Politiker, Beamte und Wirtschaftsbosse mit Ermittlungsverfahren und steckten sie in Untersuchungshaft. Einmal hinter Gittern, begannen viele zu singen. So wurde ein dichtes Netz von Schmiergeldzahlungen aufgedeckt, das die Haupteinnahmequelle der Regierungsparteien bildete. Auf dem Höhepunkt von Mani pulite liefen über 6.000 Ermittlungsverfahren, rund 3.000 Verdächtigte saßen in Untersuchungshaft, darunter Spitzenvertreter aus Politik und Wirtschaft. Anders als früher gelang es ihnen nicht, die Ermittlungen zu stoppen. Die Presse griff die Verfahren auf, die Prozesse wurden live im Fernsehen übertragen und die Staatsanwälte avancierten zu gefeierten Medienstars. Die Enthüllungen hielten zwei Jahre lang die gesamte Nation in Atem und deckten die Brüchigkeit des alten Parteiengefüges auf, bis es schließlich wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrach.

Schon die Parlamentswahl vom April 1992 hatten eine tiefe Krise offenbart. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg erhielten die Christdemokraten zusammen mit ihren Verbündeten keine Mehrheit mehr. Auch die zur PDS umgewandelte Kommunistische Partei musste herbe Verluste einstecken, und die erstmals antretende Lega Nord erreichte im Norden des Landes auf Anhieb zwischen 13 und 18 Prozent. Zwei Jahre später waren die Christdemokraten und die Sozialisten von der Bildfläche verschwunden. Die Wahl gewann eine Partei, die es 1992 noch gar nicht gegeben hatte - Forza Italia. Silvio Berlusconi wurde im Bündnis mit Faschisten und Lega Nord zum Regierungschef gewählt. Ironischerweise hatte Mani pulite damit einem Mann an die Spitze des Staates verholfen, der wie kein anderer durch den Filz des alten Systems groß geworden war.

Silvio Berlusconi: Bauunternehmer ...

Als Silvio Berlusconi 1936 in Mailand geboren wurde, deutete wenig darauf hin, dass er einst der reichste Mann Italiens und Regierungschef sein würde. Sein Vater, leitender Angestellter einer kleinen Privatbank, entstammte dem gehobenen Mittelstand. Silvio absolvierte das Gymnasium sowie ein Jura-Studium und legte bereits in jungen Jahren ein beträchtliches unternehmerisches und kommunikatives Talent an den Tag. Er machte seinen Klassenkameraden gegen Bezahlung die Hausaufgaben, verkaufte Staubsauger und jobbte als Alleinunterhalter auf Kreuzfahrtschiffen und in Strandlokalen. Auch seine Examensarbeit über den "Werbevertrag für das Inserat" lag im Trend seiner zukünftigen Karriere.

Mit fünfundzwanzig Jahren gründete er eine eigene kleine Baufirma, finanziert mit dem Geld des Vaters und abgesichert durch eine Bürgschaft der Bank, in der der Vater tätig war. Zwei Jahre später begann ein rasanter Aufstieg, der sich mit unternehmerischem Geschick und Verkaufstalent allein nicht mehr erklären ließ. Der 27-Jährige baute in Brugherio am Rande von Mailand ein nobles Wohnviertel für viertausend Personen. Bauträger war die Gruppe Edilnord, in die Berlusconi seine Arbeit einbrachte. Das Kapital stammte zu nahezu hundert Prozent von einer in der Schweiz ansässigen Finanzierungsgesellschaft, über deren Hintermänner nichts bekannt ist. 1968 kaufte Edilnord erneut ein riesiges Gelände in einem Mailänder Vorort, auf dem - nachdem durch eine Gesetzesänderung hinderliche Bauvorschriften beiseite geräumt worden waren - in den folgenden zehn Jahren eine Siedlung für 10.000 Bewohner entstand: Milano 2 mit 2.500 Wohnungen. Zu Edilnord waren im Laufe der siebziger Jahre weitere Unternehmen hinzugekommen und aus einem unübersichtlichen Geflecht von Firmen, Scheinfirmen, Partner- und Tochterunternehmen kristallisierte sich schließlich Berlusconis bis heute existierende Holding Fininvest heraus. Der knapp Vierzigjährige war nun einer der größten Bauunternehmer der Republik.

Es gibt viele Mutmaßungen darüber, woher das Kapital für Berlusconis Firmenimperium und seine gigantischen Bauvorhaben stammte. Zahlreiche Spuren führen zur berüchtigten Geheimloge Propaganda 2, in der sich unter Leitung des ehemaligen Faschisten Licio Gelli die Interessen hoher Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Streitkräften, Geheimdienst und Mafia bündelten und deren Spur sich durch nahezu alle Skandale, Putschversuche, Attentate und ungeklärten politischen Verbrechen der sechziger und siebziger Jahre zieht. Propaganda 2 war bestrebt, durch Einflussnahme auf Regierung, Staatsapparat und Medien ein Vordringen der Kommunistischen Partei zu verhindern. Gleichzeitig betrieb sie umfangreiche ökonomische Aktivitäten, die vom Kassieren von Schmiergeldern für Geschäftsabschlüsse mit Behörden und Staatsunternehmen über die Kontrolle der Kreditvergabe durch die Banken bis zu illegalen Devisenexporten reichten. Ziel dieser Aktivitäten war es, mit hohem Finanzaufwand Personen zu fördern und in führenden Stellungen zu platzieren, die die autoritären und wirtschaftsfreundlichen Auffassungen der Loge teilten.

Die Existenz von Propaganda 2 wurde 1981 entdeckt und löste eine Serie von parlamentarischen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren und Prozessen aus. Berlusconis genaue Beziehung zu Propaganda 2 wurde aber nie restlos geklärt. Als gesichert gilt, dass er eine Zeit lang Mitglied der Loge war. Sein Aufnahmedatum (der 26. Januar 1978) und seine Mitgliedsnummer (1816) sind bekannt. Auch Querverbindungen zwischen Berlusconis Hausbanken und Propaganda 2 sind dokumentiert. Es gibt sogar Vermutungen, Berlusconi habe seine Geschäftstätigkeit lediglich als Strohmann der Loge betrieben. Bewiesen ist dies aber nicht.

Auch Verbindungen zwischen Berlusconi und der Mafia sind vielfach vermutet und durch starke Indizien belegt worden. So hatte der 1992 von der Mafia ermordete Staatsanwalt und Mafiajäger Paolo Borsellino in seinem letzten Interview Berlusconi mit bekannten Mafiafiguren in Verbindung gebracht. Einer von ihnen, Vittorio Mangano, der als einflussreicher Mafiaboss und Drogenhändler gilt, war 1974 über ein Jahr lag in Berlusconis Haushalt beschäftigt, angeblich als Stallmeister und Chauffeur. Ein anderer, Marcello dell'Utri, Top-Manager und Vertrauensanwalt in Berlusconis Firmenimperium, stand mehrmals wegen Mafia-Verdachts vor Gericht. Der Kronzeuge Salvatore Cancemi warf Berlusconi und dell'Utri während eines Gerichtsprozesses sogar vor, sie hätten dem Mafia-Boss Totò Riina Geld für tödliche Attentate auf zwei Staatsanwälte gegeben - was beide heftig bestritten.

Außer Zweifel stehen dagegen Berlusconis enge Beziehungen zu Sozialistenchef Bettino Craxi. Noch 1992, kurz vor der Gründung von Forza Italia, warb Berlusconi persönlich in einem Wahlwerbespot für die Sozialistische Partei. 1984 war Craxi sogar Taufpate von Berlusconis Tochter Barbara. Craxi hatte 1976 die Führung der Sozialisten übernommen und war dafür verantwortlich, dass die Partei, die bisher eher dem linken Lager zugerechnet wurde, eine Koalition mit den Christdemokraten einging. Ab 1980 waren die Sozialisten an jeder Regierung beteiligt, Craxi selbst von 1983 bis 1987 Regierungschef. Neben dem Christdemokraten Giulio Andreotti war er eine der beiden Symbolfiguren von Tangentopoli, des Geflechts von Bestechung und Schmiergeldzahlungen, gegen das sich Mani pulite richtete. Er entzog sich schließlich der italienischen Justiz, indem er nach Tunesien flüchtete, wo er im Exil starb.

Die Beziehung zu Craxi war für Berlusconis Vorwärtskommen unerlässlich. Bereits als Bauunternehmer hätte er in Mailand, das als Hochburg der Sozialisten galt, anders kaum reüssieren können. Völlig unverzichtbar wurde sie aber für den Aufbau seines Medienimperiums, der weitgehend im gesetzesfreien Raum erfolgte und auf die schützende Hand der Politik angewiesen war.

... und Medienmogul

Berlusconis Aufstieg zum Fernsehmogul begann damit, dass er für die Siedlung Milano 2 eine eigene Kabelstation einrichtete und zu diesem Zweck den Sender Telemilano gründete. Ende der siebziger Jahre stieg er dann in großem Stil ins Mediengeschäft ein. Zu diesem Zeitpunkt waren durch zwei Gerichtsurteile die Regeln für private Fernsehsender auf lokaler Ebene aufgehoben worden, was zu chaotischen Verhältnissen führte. Zeitweilig existierten in Italien 350 Fernsehstationen mit 15.000 Beschäftigten. Berlusconi gelang es, die lokalen Sender zu kontrollieren, indem er auf einen Schlag zahlreiche Filme, Fernsehfilme und Serien erwarb und auf diesem Gebiet bald über eine Art Monopol verfügte. Gleichzeitig kaufte er eigene Sender sowie Presse- und Verlagshäuser.

So wuchs Fininvest innerhalb weniger Jahre zum zwölftgrößten Medienkonzern der Welt heran. Berlusconi war bald Herr über die drei größten privaten Fernsehsender des Landes, Canale 5, Retequattro und Italia 1, die vorwiegend Unterhaltung auf niedrigstem Niveau boten - Game-Shows, Seifenopern und sexuell anzügliche Sendungen zur Quotensteigerung. Außerdem besaß er das Verlagshaus Mondadori, über das er die auflagenstarken Wochenmagazine Epoca und Panorama kontrollierte, sowie die Tageszeitungen Giornale Nuovo und La Notte. Zusätzlich gehören Bauunternehmen, Banken, Versicherungsgesellschaften, eine Filmproduktionsfirma, ein Videoverleih und der Spitzen-Fußballverein AC Milano zu Berlusconis Imperium.

Wiederum ist unklar, woher Milliardenbeträge kamen, die für diese rasche Expansion benötigt wurden. Ein großer Teil bestand einfach aus Schulden. Doch selbst um derart hohe Kredite zu erhalten, war ein großes Maß an Protektion erforderlich. Auffällig ist, dass Berlusconis Einstieg ins Mediengeschäft ziemlich exakt einem Szenario entsprach, das Propaganda 2 zuvor entwickelt hatte, um das Monopol des ihrer Meinung nach zu linkslastigen staatlichen Fernsehens RAI zu brechen.

1991 wurde Berlusconis Monopolstellung im Bereich des privaten Fernsehens juristisch abgesichert. Nach jahrelangem Tauziehen beschloss das Parlament ein Gesetz zur Neuordnung des Fernsehens, das dem Eigentümer von Fininvest auf den Leib geschneidert war. Zu verdanken hatte er dies Sozialistenchef Craxi, der sich unermüdlich allen Versuchen widersetzt hatte, die Medienmacht seines Freundes zu beschneiden. Das Gesetz legte fest, dass 25 Prozent der verfügbaren Sendefrequenzen privaten Anbietern vorbehalten bleiben, die über ein nationales Programm verfügen. Dafür kam nur Berlusconi in Frage, da es sonst keine nationalen Privatsender gab. Die Möglichkeiten der lokalen Programmanbieter wurden dagegen drastisch eingeschränkt. Auch eine ursprünglich vorgesehen Klausel, die den parallelen Besitz von nationalen Fernseh- und Printmedien untersagte, wurde im Verlauf des Gesetzesverfahrens derart verwässert, dass Berlusconi davon nicht mehr betroffen war.

Forza Italia

Der Kollaps des alten Parteiensystems bedrohte die Existenz von Berlusconis Medienimperium. Es war Ende 1992 mit 4.500 Mrd. Lire (rund 2,3 Mrd. Euro) überschuldet, stand medienrechtlich auf unsicherem Boden und geriet zunehmend selbst ins Fadenkreuz der Ermittler von Mani pulite. Das Wegfallen der politischen Protektion drohte es wie ein Kartenhaus zu Fall zu bringen. Unter diesen Umständen trat Berlusconi die Flucht nach vorn an und ging selbst in die Politik.

Forza Italia entstand - genauso wie das Wohnviertel Milano 2 und Berlusconis Fernsehnetz - als Unternehmenszweig von Fininvest. Im Herbst 1993, lange bevor die Partei erstmals öffentlich in Erscheinung trat, plante eine Gruppe führender Konzernmanager Wahlkampf und Strategie. Die firmeneigene Werbeagentur Publiatalia stellte das politische Führungspersonal und entwickelte das Parteiprogramm, das vom hauseigenen Meinungsforschungsinstitut Diakron getestet und entsprechend den Umfragen modifiziert wurde.

Auch die Wahlkandidaten wurden wie die Angestellten eines Unternehmens ausgewählt. Eigens eingestellte Headhunter prüften die Bewerber nach Produktivitätskriterien. Gefragt waren Fähigkeiten als Verkäufer, vorherige politische Erfahrungen dagegen nicht erforderlich. Wer die Vorauswahl überstand, wurde von der Parteiführung auf die politische Eignung getestet. Auch hier ging es um Äußerlichkeiten, Bart- und Brillenträger hatten wenig Chancen. Den Auserwählten wurden von den Marketingstrategen der Parteizentrale die Wahlkampfthemen und das richtige Image verpasst. Herausragenden Wahlkämpfern winkten Prämien - Fernreisen, Freikarten für Fußballspiele und als Höchstpreis ein Wochenende in der Privatvilla Berlusconis.

Eine Basis für die Partei wurde nach dem Vorbild der - wegen ihres Rassismus und Antisemitismus notorischen - italienischen Fußballfanclubs organisiert: Forza Italia Clubs, die Fähnchen, Pins, Krawatten und Bildchen ihres Gurus in der Farbe der italienischen Trikolore vertreiben, politisch aber nichts zu sagen haben. Auch der Name Forza Italia ("Los Italien!") stammt aus der Welt des Fußballs. Es ist der Schlachtruf der Fans der italienischen Nationalmannschaft. Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass auch Berlusconis Fernsehsender ganz in den Dienst von Forza Italia und ihres Wahlkampfs gestellt wurden

Die Kontrolle über Forza Italia liegt bis heute in den Händen Berlusconis, um den ein regelrechter Führerkult getrieben wird. Ein erster Parteikongress fand erst 1998, vier Jahre nach der Gründung der Partei statt. Berlusconi stützt sich auf eine Handvoll Vertrauensmänner, die seinen Aufstieg zum Teil seit frühester Jugend begleitet hatten und die sich sowohl in seiner ersten wie auch in seiner zweiten Regierung auf wichtigen Ministerposten wiederfanden.

Ein typisches Beispiel ist Cesare Previti, ein enger Vertrauter und Anwalt Berlusconis, der vor der Gründung von Forza Italia mit der faschistischen MSI sympathisiert hatte. Schon Cesares Vater, der Steuerberater Umberto Previti, hatte als Geschäftsführer und Kommanditist in Berlusconis Baukonzernen eine wichtige Rolle gespielt. Der Junior war Justitiar von Fininvest. 1994 übernahm er das Amt des Verteidigungsministers. Berlusconi hatte ihn eigentlich zum Justizminister machen wollen, aber das scheiterte an der öffentlichen Empörung. Previti hinderte das allerdings nicht daran, vom Sessel des Verteidigungsministers aus die Staatsanwälte von Mani pulite mit Presseattacken und gerichtlichen Anzeigen zu überhäufen. 2001 konnte er nicht wieder Minister werden, weil ihm wegen Richterbestechung der Prozess gemacht wurde.

Rein wirtschaftlich betrachtet war Forza Italia für Fininvest eine lohnende Investition. Sie gewann 1994 mit 21 Prozent der Stimmen die Wahl und Berlusconi wurde Regierungschef. Als die Regierungskoalition sieben Monate später zerbrach und Berlusconi zurücktrat, war Fininvest saniert. Finanzminister Giulio Tremonti hatte für ein Steuergesetz gesorgt, das Berlusconis Firmenimperium um eine zweistellige Millionensumme entlastete und vor dem Kollaps rettete. Tremonti sitzt übrigens inzwischen erneut in der Regierung. An der Spitze eines stark erweiterten Wirtschaftsministerium ist er für die Verwirklichung der von Berlusconi angekündigten liberalen Reformen und massiven Steuersenkungen verantwortlich.

Das Programm von Forza Italia

Es wäre maßlos übertrieben, von einem Parteiprogramm Forza Italias im herkömmlichen Sinne zu sprechen. Die politischen Äußerungen und Aufrufe der Partei bestehen aus sorgfältig zubereiteten Werbehäppchen, die ganz auf die Wirkung beim Publikum berechnet sind und aufgrund der neuesten Meinungsumfragen ständig korrigiert werden. Die durch Berlusconi verkündete und von seinen Helfern und Fernsehkanälen tausendfach reproduzierte Botschaft soll an das Gefühl und nicht an den Verstand appellieren. Die Verpackung ist wichtiger als der Inhalt. Dabei wird nichts dem Zufall überlassen. Jeder Auftritt, jede Äußerung eines Kandidaten wird bis ins letzte Detail geplant, muss von den Marketingspezialisten in der Parteizentrale abgesegnet werden.

Dennoch verfügt Forza Italia über eine unverwechselbare Zielsetzung.

Da ist als erstes der hysterische Antikommunismus, der alle öffentlichen Auftritte Berlusconis begleitet und sich bis zum Verfolgungswahn steigert - angefangen bei ständigen Attacken auf das öffentliche Fernsehen RAI bis hin zur Beschimpfung von Richtern und Staatsanwälten als "rote Roben". Angesichts des Untergangs der Sowjetunion und der Kommunistischen Partei Italiens nimmt sich dieser Antikommunismus etwas merkwürdig aus. Er wirkt wie ein verstaubtes Relikt aus dem Kalten Krieg. Dennoch hat er einen rationalen Kern. Er richtet sich gegen alles, was auch nur im entferntesten nach einem Eingriff des Staates in das blindwütige Walten des Marktes riecht. Vor allem wendet er sich gegen jede staatliche Maßnahme mit dem Ziel, mehr soziale Gleichheit herzustellen.

Oder wie es Berlusconi selbst in einer Rede formulierte: "Sie glauben nicht an den Markt, sie glauben nicht an den Profit, sie glauben nicht an das Individuum. Sie glauben nicht, dass die Welt sich durch den freien Beitrag so vieler voneinander ganz verschiedener Menschen verbessern kann. Deshalb sind wir gezwungen, uns ihnen entgegenzustellen. Denn wir glauben an das Individuum, an die Familie, an das Unternehmertum, an den Wettbewerb, an den Fortschritt, an die Effizienz, an den freien Markt und an die Solidarität, die Tochter der Gerechtigkeit und der Freiheit."

Pol der Freiheiten nannte Berlusconi das Bündnis, mit dem die Rechtskoalition zur Wahl antrat. Aber Forza Italia kennt nur eine Freiheit, die Freiheit des Ellbogens, die Befreiung des Individuums - oder genauer, Silvio Berlusconis - von jeder Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Gesellschaft als ganzer. "Alle für einen, einer für sich", wurde das Motto der Berlusconi-Partei einmal scherzhaft genannt.

Und hier sind wir bereits beim zweiten Element des Programms von Forza Italia. Berlusconi hat mit zwanzigjähriger Verspätung den Thatcherismus auf italienischen Boden verpflanzt. Der berüchtigte Ausspruch der Eisernen Lady, es gebe keine Gesellschaft, sondern nur Individuen, könnte ebenso gut von ihm stammen. Unter Berlusconis engsten Mitarbeitern finden sich ausgeprägte Vertreter jener monetaristischen Schule, die schon Margaret Thatcher und Ronald Reagan die wirtschaftpolitischen Stichworte geliefert hatte.

An erster Stelle ist hier Antonio Martino zu nennen, der 1994 maßgeblich an der Formulierung des Wahlprogramms von Forza Italia beteiligt war, in der ersten Regierung Berlusconi das Außenressort leitete und inzwischen als Verteidigungsminister amtiert. Martino hat bei Milton Friedman in Chicago Wirtschaftswissenschaften studiert und dabei eng mit dem Wortführer des Monetarismus zusammengearbeitet. Auch der Jurist und Steuerexperte Giulio Tremonti, in der ersten Regierung Berlusconi Finanzminister und inzwischen Leiter des zusammengelegten Ressorts für Wirtschaft und Finanzen, gehört in diese Kategorie. Er hat sich als Vorreiter für Steuersenkungen auf Vermögen, Gewinne und Spitzeneinkommen einen Namen gemacht.

Die Glaubenssätze der Monetaristen prägen auch die programmatischen Erklärungen von Forza Italia. Zentrale Anliegen des aus 45 Punkten bestehenden Parteiprogramms, das später auf 100 Punkte erweitert wurde, sind: Verschlankung des Staats, Begrenzung der Staatsausgaben, Steuerreduzierung, Rückzug des Staates aus der Wirtschaft, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Stärkung der kleinen und mittleren Unternehmen sowie Umbau des Sozialsystems und der Familienförderung. Wie in allen rechten Programmen geht der Rückzug des Staats aus der Wirtschaft mit seiner Stärkung im Bereich der Innenpolitik einher: Mehr Ordnung, mehr Sicherheit und ein Präsidialsystem, das die Exekutive auf Kosten der Legislative stärkt.

Im Wahlkampf reicherte Berlusconi dieses wässrige Suppe aus der Küche des Monetarismus mit ebenso übertriebenen wie haltlosen populistischen Versprechungen an. So gelobte er großartig, er werde eine Million neue Arbeitsplätze schaffen, ohne auch nur andeutungsweise zu erläutern, woher diese kommen und wie sie entstehen sollen.

Nach außen tritt die zentral gelenkte Forza Italia im Gewand der Bürgerbewegung auf. Einer ihrer ersten Aufrufe, der noch vor der offiziellen Gründung von "unabhängigen" Professoren herausgegeben wurde, ist mit "Bürger zum Gegenangriff" überschrieben. Er fordert die Rückeroberung der Politik durch den einfachen Bürger und lästert gegen Parteien und Intellektuelle, die alle Rechte an sich gerissen hätten. Auch die Parteistruktur - unzählige Clubs (im Februar 1994 gab es bereits 2.500) statt Orts- und Landesverbände - soll Bürgernähe vortäuschen, verschleiert aber nur den autoritären Charakter der Partei. Die Club- Mitglieder haben kein Mitsprachrecht, sie können weder das Programm noch die Kandidatenauswahl beeinflussen, ja noch nicht einmal politische Diskussionen sind vorgesehen.

Der "Bürger", auf den das Programm von Forza Italia letztlich abzielt, entstammt eindeutig dem gehobenen Mittelstand. Diese verhältnismäßig kleine, aber einflussreiche gesellschaftliche Schicht ist die eigentliche Zielgruppe und soziale Basis der Berlusconi-Partei. Auch die meisten ihrer Funktionäre stammen aus dem Kreis von Unternehmern, Selbständigen, Freiberuflern und Angestellten.

Der althergebrachte Unternehmerverband Confindustria hat sich zwar lange Zeit gegen den Emporkömmling Berlusconi gesträubt und die Mitte-Links-Koalition unterstützt, in der Vertrauensleute der Wirtschaft - wie der ehemalige Chef des Staatskonzerns IRI Romano Prodi oder die Notenbankchefs Carlo Azeglio Ciampi und Lamberto Dini - eine maßgebliche Rolle spielten, aber im Frühjahr 2001 stellte auch er sich auf Berlusconis Seite. Anlässlich eines Wahlkampfauftritts vor dem Verbandskongress wurde der Medienzar frenetisch bejubelt. Er revanchierte sich, indem er sich als hundertprozentiger Mann der Wirtschaft gab ("Ich werde euer Unternehmer von Italien sein") und den völligen Gleichklang der Interessen betonte ("Man fragt sich, ob ich euer Programm abgeschrieben habe oder umgekehrt.").

Vorangegangen war ein Kurs- und Führungswechsel bei Confindustria. Erstmals wurde der Verband nicht von einem Vertreter der Großindustrie aus dem Norden, sondern von einem Vertreter der Kleinunternehmer aus dem Süden geführt. Dem liegt ein Strukturwandel in der italienischen Wirtschaft zugrunde. Als Folge des verschärften globalen Wettbewerbs und der Ausgliederung immer weiterer Unternehmensteile hat das Gewicht der Kleinunternehmen stark zugenommen. Großkonzerne mit über 500 Arbeitskräften beschäftigen heute nur noch 15 Prozent aller italienischen Arbeitnehmer. Vor zwanzig Jahren waren es noch 30 Prozent. (In Frankreich sind es heute noch 43, in Deutschland sogar 56 Prozent.) Rund drei Viertel aller italienischen Arbeitnehmer entfällt auf Kleinbetriebe mit weniger als 100 Beschäftigten. Für die Besitzer dieser Kleinunternehmen, die sich im Börsenboom und Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre teilweise stark bereichert haben, die aber gleichzeitig unter einem ständigen Wettbewerbsdruck stehen, sind Steuern und Sozialabgaben ein rotes Tuch. Sie bilden die soziale Basis, die Berlusconi mobilisieren will, um einen rabiaten Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik durchzusetzen.

Macht und Medien

Eine Darstellung von Forza Italia wäre nicht abgeschlossen, ohne auf die enge Verzahnung von politischer und medialer Macht einzugehen, die Berlusconi in Personalunion verkörpert. Spätestens seit Joseph Goebbels als Propagandaminister des Dritten Reichs Radio, Presse, Film und Kultur gleichschaltete und in den Dienst der nationalsozialistischen Machterhaltung stellte, gelten von der Regierung kontrollierte Medien als untrügliches Kennzeichen einer totalitären Diktatur. Berlusconi ist zwar nicht Goebbels und Forza Italia nicht die NSDAP, aber demokratische Skrupel hinsichtlich der Freiheit der Medien sind auch ihnen völlig fremd.

Das beginnt dabei, dass Berlusconi als Regierungschef (und mittlerweile auch noch Außenminister) die drei wichtigsten Privatsender des Landes besitzt und kontrolliert, erschöpft sich damit aber keineswegs. Als Oppositionsführer und erst Recht als Regierungschef führt Berlusconi eine permanente Vendetta gegen linke Journalisten und Kulturschaffende - wobei er unter Linken alle versteht, die mit seiner Politik nicht einverstanden sind. Vor allem das öffentliche Fernsehen RAI ist ihm ein Dorn im Auge. Seine Kampagne gegen die RAI nahm in jüngster Zeit hysterische Züge an. Er hat die Führung des Senders sowohl in seiner ersten als auch in seiner zweiten Amtszeit ausgewechselt und drohte kürzlich unumwunden, die gesamte Spitze des Senders müsse wegen missliebiger politischer Ausrichtung den Hut nehmen. Der Sender habe sich "bei den vergangenen Wahlen skandalös verhalten" und eine "Kampagne gegen die Demokratie" geführt, behauptete er dreist. Er sei dabei zum Opfer einer politischen Mordkampagne geworden - "Killeraggio", wie er es nannte. Auch die Leiter der wichtigsten kulturellen Institutionen des Landes - Museen und sogar das Filmfestival von Venedig - wurden mit eigenen Parteigängern besetzt, nicht selten mit Geschäftsleuten, die von Kultur wenig Ahnung haben.

Die drei Fernsehprogramme des Berlusconi-Senders Mediaset - Italia 1, Retequattro und Canale 5 - verfügen zusammen über einen Marktanteil von 45 Prozent, etwa gleich viel wie die drei öffentlichen Programme der RAI. Die restlichen 10 Prozent entfallen auf kleinere, meist lokale Anstalten. Ohne diese TV-Macht wäre der rasante politische Aufstieg Berlusconis kaum denkbar gewesen. Sein Firmenimperium wurde zum integralen Bestandteil seiner Wahlkampfmaschinerie. Forza Italia gab Milliarden Lire für Werbespots aus, die umgehend als Einnahmen zurück in die Kassen von Berlusconis Marketingfirmen und Fernsehkanälen flossen. Hinzu kam die kostenlose Propaganda, die pausenlos über Nachrichtensendungen, Talkshows und Unterhaltungssendungen auf das Publikum des italienischen Fernsehens einrieselte. So überschlug sich der Nachrichtenredakteur von Retequattro, Emilio Fede, in schamlosen Lobhudeleien für seinen Chef und übertrug die erste Parteikonferenz von Forza Italia - eine Convention im amerikanischen Stil - in voller Länge.

Obwohl Berlusconi vor der letzten Wahl versprochen hatte, innerhalb von hundert Tagen den Interessenkonflikt zwischen seiner Position als TV-Magnat und Regierungschef zu lösen, ist in dieser Hinsicht nichts geschehen. Stattdessen hat die Regierungsmehrheit im Parlament ein Gesetz verabschiedet, das es Berlusconi ausdrücklich erlaubt, sein Firmenimperium zu behalten. Er darf es lediglich nicht persönlich leiten und muss dafür Geschäftsführer einsetzen - die wiederum aus seinem engsten Freundeskreis und seiner Familie stammen.

Berlusconis Medienmonopol dient ihm aber nicht nur als schlagkräftiges politisches Instrument im Wahlkampf, es hat auch wesentlich dazu beigetragen, das gesellschaftliche Klima zu erzeugen, das seinen politischen Aufstieg überhaupt erst möglich machte. In dieser Hinsicht gibt es starke Parallelen zu anderen Medienmagnaten, wie Rupert Murdoch in Großbritannien und den USA oder Leo Kirch in Deutschland.

Die Vorstellung, dass das Fernsehen und andere Medien zur Hebung des allgemeinen kulturellen Niveaus der Gesellschaft beitragen könnte, ist allen drei völlig fremd. Stattdessen strahlen sie rund um die Uhr Programme in den Äther, welche die rückständigsten und primitivsten Vorstellungen schüren. Berlusconi erzielt seine Einschaltquoten vor allem durch unbekleidete Mädchen, billige Unterhaltungsshows und Seifenopern (was die ansonsten so prüde katholische Kirche nicht vom Schulterschluss mit dem Medienmagnaten abhält). Bei Murdoch ist es exzessive Gewalt und bei Kirch eine Kombination von allem. Selbst harmlose Sportsendungen werden zum Werbeträger für hemmungslosen Chauvinismus umfunktioniert.

Dabei handelt es sich nicht einfach um ein Nebenprodukt der Kommerzialisierung, um ein Angebot auf eine ohnehin vorhandene Nachfrage. Vielmehr finden wir hier eine andere Facette jenes Antikommunismus, jener Ablehnung jeglicher gesellschaftlicher Verantwortung im Namen eines darwinistische aufgefassten Individualismus, der die Ideologie von Forza Italia insgesamt prägt.

Die sozialistische, und insbesondere die marxistisch geprägte sozialistische Bewegung hatte ihre Aufgabe einst darin gesehen, das kulturelle Niveau der arbeitenden Bevölkerung zu heben. Das ist ein untrennbarer Bestandteil ihrer Perspektive, die Gegensätze zwischen den Klassen aufzuheben und die Produzenten zum Herrn der Gesellschaft zu machen. Die deutsche Sozialdemokratie unter August Bebel hatte in dieser Hinsicht einst Vorbildliches geleistet. In unzähligen Bildungsvereinen und Publikationen brachte sie ihren Mitgliedern nicht nur die Werke von Marx und Engels und die Grundbegriffe von Politik und Klassenkampf nahe, sondern auch Goethe, Schiller, Heine, Balzac, Tolstoi, Beethoven und Schubert, um nur einige zu nennen.

Derartige Bemühungen stießen nicht nur auf den Widerstand der herrschenden Kreise, die sie mit den Mitteln der Staatsgewalt und allen verfügbaren ideologischen Waffen - Aberglaube, Religion, und Nationalismus - bekämpften. Sie wurden auch von den bürokratischen Apparaten zurückgewiesen, die sich erst in den sozialdemokratischen und später, unter Stalin, in den kommunistischen Parteien breit machten. Dass Berlusconi von Bettino Craxi, dem Chef der italienischen Sozialdemokraten großgezogen wurde, ist in diesem Zusammenhang betrachtet ebenso wenig ein Zufall, wie das enge Verhältnis, das den britischen Labour-Führer Tony Blair mit Rupert Murdoch verbindet.

Man kann die kulturelle Mission von Berlusconis Medienimperium in einem Begriff zusammenfassen: Volksverdummung. Wie im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen stehen Berlusconi und Forza Italia auch im kulturellen Bereich für Rückschritt und Reaktion auf ganzer Linie.

Quellen

Für diese Serie hat sich der Autor, außer auf die eigenen Erfahrungen aus jahrelanger Beschäftigung mit dem Thema, vorwiegend auf folgende Quellen gestützt:

- Paul Ginsborg, "A History of Contemporary Italy. Society and Politics 1943-1998", Penguin 1990

- Mario G. Losano, "Sonne in der Tasche. Italienische Politik seit 1992", München 1995

- Friederike Hausmann, "Kleine Geschichte Italiens von 1943 bis heute", Berlin 1997

- Christian Christen, "Italiens Modernisierung von Rechts. Berlusconi, Bossi, Fini oder die Zerschlagung des Wohlfahrtsstaates", Berlin 2001

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