Die Krise des Kirch-Konzerns

Poker um Medienmacht

Seit Monaten beherrschen Diskussionen über das angeschlagene Medienimperium des Dr. Leo Kirch Medien, Politik und Wirtschaft. Sie spielen mittlerweile auch eine wichtige Rolle in der Vorbereitung auf die Bundestagswahlen vom kommenden Herbst. Kanzler Gerhard Schröder hat sich persönlich eingeschaltet und sich mit Kirch, den beteiligten Gläubigern und sogar mit dem australisch-amerikanischen Medienzar Rupert Murdoch getroffen.

Gegenwärtig streiten sich Banken und Medienunternehmen, wie die Zukunft von Kirchs überschuldeter, konkursgefährdeter Unternehmensgruppe aussehen soll. Dabei werden voraussichtlich der 40-prozentige Anteil am Springer-Verlag sowie die 25-prozentige Beteiligung am profitablen spanischen Bezahlfernsehen Telecinco einen neuen Besitzer finden und damit als Kompensation für einen Teil der Kredite dienen.

Auch der Fernsehmarkt wird neu aufgeteilt werden, wobei noch intensive Verhandlungen darüber laufen, was mit Kirchs Sendern geschehen soll. Bisher existiert auf dem privaten Fernsehmarkt eine Zweiteilung zwischen der Kirch-Gruppe (SAT.1, ProSieben, Kabel 1, N24, DSF, Premiere, Neun live und drei Lokalsender) und dem Bertelsmann-Konzern (RTL, RTL2, RTL plus).

Kirchs ins Wanken geratener Mediengigant droht die feinen Verästelungen und Abhängigkeiten in der deutschen Politik- und Medienlandschaft mit bisher nicht absehbaren Folgen zu verändern. Beim Umbau des Konzerns sind nicht nur wirtschaftliche Fragen von Bedeutung, die derzeit die angestrengten Verhandlungen der Banken bestimmen. Mit Kirchs Fernsehsendern sowie einem 40prozentigen Anteil am Axel Springer Verlag geht es auch um den Einfluss auf wichtige Meinungsmacher. Springer allein beherrscht mit der Bild -Zeitung, der Welt und verschiedenen größeren Lokalblättern wie dem Hamburger Abendblatt oder der Berliner Morgenpost sowie den Magazinen Hörzu, Funkuhr oder TV-Neu mindestens ein Viertel des deutschen Zeitungsmarktes.

Aus diesem Grund haben nicht nur in Medienkreisen heftige Diskussionen darüber begonnen, welcher der großen Konzerne - Bertelsmann, die WAZ-Gruppe, Holtzbrinck oder Burda -, die den deutschen Markt zusammen mit Springer im großen und ganzen unter sich aufteilen, diesen Anteil übernimmt. Auch in Politikerkreisen und ganz besonders im Kanzleramt wird eine "nationale Lösung" favorisiert, die jedoch noch keineswegs unter Dach und Fach ist.

Rupert Murdoch, der 22 Prozent von Kirchs verlustbringendem Bezahlfernsehen Premiere World und 2,5 Prozent der KirchMedia besitzt, wird im Herbst aller Wahrscheinlichkeit nach von einer Verkaufsoption Gebrauch machen können, mit der er seine Beteiligung an Premiere World für 2 Milliarden Euro an Kirch zurückgeben kann. Kirch wird diese Summe kaum aufbringen können und dafür Teile seines Milliardenkonzerns als Ausgleich anbieten müssen. Für Murdoch, der in den letzten Monaten immer offener vom Aufbau eines europäischen Medienimperiums spricht, besteht damit eine Möglichkeit, in den deutschen Markt zu gelangen. Bisher verfügt er über großen medialen Einfluss in Australien, den USA und Großbritannien, wo er mit der Sun das britische Pendant von Bild besitzt.

Anfang Februar kam es zu einem Treffen zwischen Murdoch und Kanzler Gerhard Schröder, über dessen Inhalt allerdings keine Informationen bekannt gegeben wurden. Offensichtlich hat man sich aber auf eine Art Frieden geeinigt. Der stockkonservative Murdoch, der in den USA maßgeblich zum Einzug George W. Bushs ins Weiße Haus beigetragen hat, erklärte nun mehrfach, dass er nicht beabsichtige, sich in die deutsche Politik einzumischen.

Leo Kirchs Aufstieg...

Mit dem 75-jährigen, schwer zuckerkranken und fast erblindeten Leo Kirch werden einer der schillerndsten Figuren der jüngeren bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte die Flügel gestutzt. Wie kaum einem anderen gelang es ihm, mit anrüchigen Methoden und in Symbiose mit konservativen Kreisen in Politik, Medien und Wirtschaft einen einflussreichen Milliardenkonzern aufzubauen.

Die bisher recht stark variierenden Schätzungen über den tatsächlichen Schuldenstand von Kirchs verschachtelten Unternehmen haben sich bei 6,5 Milliarden Euro eingependelt. Davon hat allein die Bayerische Landesbank, die sich zur Hälfte im Besitz des CSU-regierten bayerischen Freistaates befindet, 1,9 Milliarden in ihren Büchern zu stehen - bei einem Gesamtkreditvolumen der Bank von 16 Milliarden!

Kirchs letzter Coup, an dem er sich übernehmen sollte, ist in dieser Hinsicht bezeichnend. Für 1,8 Milliarden Euro erwarb er im vergangenen Jahr 75 Prozent an der Vermarktungsgesellschaft der Formel 1 von seinem früheren Getreuen Thomas Haffa und dessen in finanzielle Not geratenem Medienunternehmen EM.TV. Zur Finanzierung dieses Geschäfts fanden sich jedoch keine privaten Banken mehr, und Kirch ließ daraufhin seine Verbindungen in die bayerische Staatskanzlei spielen. Deren Chef, Erwin Huber, erklärte dazu gegenüber der Presse lapidar, dass der "Einsatz der Landesregierung notwendig" war und sich die Landesbank mit über einer Milliarde Euro an der Finanzierung beteiligt habe.

Wie sehr Aufstieg und Fall Kirchs aufs engste mit konservativen Politikerkreisen in Bayern und auf Bundesebene verbunden waren (wobei auch einige Politiker aus der SPD und sogar aus der DDR beteiligt waren), deckt der Journalist Michael Radtke in seinem Buch Außer Kontrolle: Die Medienmacht des Leo Kirch anhand jahrelanger Recherchen über dessen Werdegang auf.

Radtke zeigt detailliert, wie es dem späteren Duz-Freund von Helmut Kohl und des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß nach der Gründung von ARD und ZDF 1959 bzw. 1961 gelang, sich nach wagemutigen Manövern als im Grunde überflüssiger Zwischenhändler für Filme aus Hollywood zu etablieren.

Als Zulieferer von Unterhaltungsfilmen nahm Kirch bald eine Monopolstellung für das gesamte deutschsprachige Fernsehen, einschließlich Österreichs und der Schweiz, ein. Über seine Kompagnons in den Gremien der Sender verschaffte er sich eine unangefochtene Position mit sicheren Gewinnen auf Kosten der Gebührenzahler. In einige Sparten wurden in manchen Jahren bis zu 100 Prozent der gesendeten Filme über ihn bezogen. Dafür stehen unter anderem Namen wie Joseph Viehöver, der ehemalige Programmdirektor des ZDF, Karl Holzamer, damaliger Chef des ZDF, Dieter Stolte, dessen Nachfolger, Gerd Bacher, vom ORF und späterer Kohl-Berater, sowie Helmut Kohl selbst, der in den 70er Jahren als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz Chef des Verwaltungsrates im ZDF war. Fast alle waren oder sind CDU-Mitglieder.

Ein besonders pikanter Fall dürfte der des Helmut Oeller sein, des früheren Fernsehdirektors des Bayerischen Rundfunks. Oeller war notorisch rechtslastig. Unter seiner Ägide wurde in Bayern die Politsatiresendung Scheibenwischer aus dem ARD-Programm ausgeblendet und Franz Schönhuber als Programmdirektor beschäftigt. Schönhuber, der erst entlassen wurde, nachdem er sich 1982 im Buch Ich war dabei öffentlich zu seiner Vergangenheit in Hitlers SS-Leibstandarte bekannt hatte, gründete 1983 die rechtsextremen Republikaner, denen er bis 1994 vorstand.

Oeller galt als einer der hartnäckigsten Kirch-Leute in der ARD und musste sich Mitte der 80-er Jahre sogar vor Gericht wegen Bestechung durch Kirch beim Ankauf eines Filmpaketes für 54 Millionen DM verantworten. Dabei soll er 2,7 Millionen kassiert haben. Er wurde zwar nicht verurteilt, die Beweislage hinterlässt aber Radtke zufolge - wie bei einigen anderen Verfahren im Zusammenhang mit Leo Kirch auch - einen recht merkwürdigen Nachgeschmack.

Mit Kohls Regierungsübernahme im September 1982 brach für Kirch "das Jahrzehnt der Gier" (Radtke) an. Er avancierte zum milliardenschweren Medientycoon. Die neue Bundesregierung machte sich schnellstmöglich an die Einführung des Privatfernsehens, und Kirch, der als einer der ersten Bescheid wusste, konnte rechtzeitig mit den Vorbereitungen beginnen, Scheinfirmen gründen und seine Mittelsmänner in Position bringen. So gelang es ihm, innerhalb weniger Jahre die nahezu vollständige Kontrolle über den damals entstandenen Sender SAT.1 zu erlangen. Der Filmverleih an seinen eigenen Sender kam einer Lizenz zum Gelddrucken gleich. ZDF-Intendant Dieter Stolte, der jahrelang das Engagement mit Kirch damit begründet hatte, dass dieser nicht Konkurrent, sondern nur Lieferant sei, fand nichts Anstößiges dabei, weiterhin Exklusivgeschäfte mit Kirch zu betreiben.

In die 80-er Jahre fällt auch der Coup im Springerkonzern. 1985 starb Axel Cäsar Springer, der diesen Pressekonzern 1946 gegründet und als wichtigsten konservativen Meinungsmacher der Bundesrepublik etabliert hatte. Springer wollte eine Beteiligung Kirchs, den er als mafiosen "Kriminellen" bezeichnete, aber auf keinen Fall zulassen. Mit allerlei Manövern, Intrigen, juristischen Tricks, seinem Netz von Vertrauensleuten auf Banken- und Politikerebene und der offensichtlich maßgeblichen Unterstützung Kohls gelang es ihm letztendlich aber doch, eine über 40-prozentige Beteiligung zu bekommen.

Zwischen Kanzleramt und Springerverlag fand ein Personalaustausch statt. Der mittlerweile verstorbene Vorstandsvorsitzende von Springer, Günter Wille, zog ins Kanzleramt und Kohls Medienberater Andreas Fritzenkötter in den Verlag. Radtke zufolge hatte Kohl nun "bei SAT.1 und beim wichtigsten deutschen Boulevard-Titel, der Bild freie Bahn". Der damalige FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff sah SAT.1 1994 zur "Wahlwerbeveranstaltung für den Kanzler" degenerieren. Der Sender finanzierte darüber hinaus 1994 für Kohl und einen 80-köpfigen Tross eine Reise zur Fußballweltmeisterschaft nach Chicago für 250.000 DM.

... und Fall

Während Kirch mit der gleichen Methode weitere Sender wie ProSieben aufbaute, schwebte ihm die Errichtung eines deutschen Bezahlfernsehen nach amerikanischem Vorbild vor, über das er seine Filme direkt verkaufen kann. Gleichzeitig träumte er von der Beherrschung des Sportfernsehens und exklusiver Übertragungsrechte von Olympiaden, der Fußball-Bundesliga und der Formel 1. In überhitzten Verhandlungen erwarb er für Rekordbeträge die Rechte an Fußball- und Formel-1-Übertragungen und stürzte seinen Konzern gemeinsam mit dem permanent defizitären Bezahlfernsehen Premiere World in die gegenwärtige Schuldensituation. Nun droht er seine Helfershelfer in Politik und Banken mit in den Abgrund zu reißen.

Es ist bezeichnend, dass sich Bundeskanzler Schröder unter diesen Umständen bemüht, den Konzern zu retten. Der Spiegel hatte noch Anfang Februar geschrieben, dass eine Kirch-Pleite für Schröders Herausforderer Edmund Stoiber "eine Katastrophe" wäre. Der CSU-Vorsitzende und bayrische Ministerpräsident könnte sich aufgrund der engen Verzahnung zwischen Kirch und der Bayerischen Landesbank kaum mehr Chancen auf einen Wahlsieg ausrechnen. Aber Schröder denkt gar nicht daran, dies politisch auszunutzen.

Das hat nichts mit Fair Play zu tun. Vielmehr trägt die SPD eine Mitverantwortung für den Aufstieg Kirchs, war sie doch genauso wie die CDU/CSU in den Medienräten vertreten, die diesen Aufstieg erst ermöglicht haben. Sie hat im Prinzip nichts dagegen einzuwenden, dass milliardenschwere Privatkonzerne die Medienlandschaft dominieren, obwohl dies dem Prinzip der Meinungsfreiheit ins Gesicht schlägt. Das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen hat sogar den Vorreiter bei der Einführung des Privatfernsehens gespielt.

Wenn sie sich gegen die enge Verzahnung von Union und Medien wendet, dann höchstens, um ihren eigenen Einfluss bei den großen Medienkonzernen zu stärken. Hatte sie während der Bundestagswahlen 1994 noch angekündigt, sich "gesetzgeberisch" mit dem Fall Kohl-Kirch zu beschäftigen, so ist seit der Regierungsübernahme 1998 davon nichts mehr zu hören.

Auch Schröders Eingreifen in der Kirch-Krise ist vom Ziel bestimmt, den eigenen Einfluss auf die Medien zu erhöhen. Als erstes hatte er versucht, Kirchs Springer-Anteil dem SPD-nahen WAZ-Konzern zuzuschanzen. Sein ehemaliger, über einen Korruptionsskandal gestürzter Kanzleramtsminister Bodo Hombach hat dort kürzlich den Posten des Geschäftsführers angetreten. Nachdem dieser Versuch vorerst gescheitert war, versuchte er sich in Geheimgesprächen mit Murdoch zu arrangieren. Schließlich hatte Murdoch auch seinen Freund Tony Blair unterstützt, nachdem dieser die Labour-Party auf einen neoliberalen Kurs gebracht hatte.

Siehe auch:
Britische Medien entfachen Lynchjustiz-Atmosphäre wegen Kindesmissbrauchs
(22. August 2000)
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