Verfassungsschutz auf der Anklagebank

Berliner Landgericht verurteilt Neo-Nazi Toni Stadler

Am 11. November verurteilte die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin den Neonazi Toni Stadler zu zwei Jahren Haft auf vier Jahre Bewährung. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich der 28-Jährige aus Cottbus der Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig gemacht hat.

Stadler betreibt einen rechtsextremistischen Szene-Laden und war unter anderem an der Herstellung und dem Vertrieb der Musik-CD "Noten des Hasses" beteiligt, die zu Kinderschändung, Vergewaltigung und Mord an Ausländern und Andersdenkenden aufruft. Selbst Stadlers Anwalt bezeichnete die von seinem Mandanten vertriebenen CDs als "Ekel erregende, vulgäre Erzeugnisse, die in ihrer Gemeinheit und Brutalität eine neue Dimension erreicht haben".

Das Urteil gegen Stadler fiel relativ milde aus, weil ein zweiter Verantwortlicher nicht mit auf der Anklagebank saß - der Brandenburger Verfassungsschutz. Stadler arbeitete seit zwei Jahren als V-Mann für das Landesamt für Verfassungsschutz und beging seine Straftaten mit dessen Wissen und Rückendeckung.

Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte sich zwar bemüht, auch Stadlers V-Mann-Führer anzuklagen, der nur unter dem Decknamen Michael Bartok bekannt ist. Um den Klarnamen des Agenten zu erfahren, drohte sie sogar mit der Durchsuchung der Potsdamer Verfassungsschutzbehörde. Aber auf Weisung der Berliner Generalstaatsanwaltschaft musste sie das Verfahren gegen Bartok schließlich ins brandenburgische Cottbus abgeben, wo es bisher zu keiner Anklage gekommen ist und vermutlich auch nie kommen wird.

Die Urteilsbegründung des Berliner Landgerichts bedeutete trotzdem eine schallende Ohrfeige für den Brandenburger Verfassungsschutz.

Der Vorsitzende Richter Hans-Jürgen Brüning begründete das milde Urteil damit, dass sich die Straftaten des Angeklagten "in ganz erheblichen Umfang relativieren", weil sein Handeln vom Brandenburgischen Verfassungsschutz "gedeckt und geschützt" worden sei. Die Straftaten seien "unter den Augen und in Kenntnis einer staatlichen Behörde" verübt worden. Der Verfassungsschutz habe es "in der Hand gehabt, die Tat im Keim zu ersticken". Er sei "nicht berechtigt, Straftaten zu erlauben, auch nicht für integere Fernziele", sagte der Richter.

Brüning schloss die Urteilsbegründung mit dem für einen Richter höchst ungewöhnlichen Ruf nach einer parlamentarischen Untersuchung. Eine endgültige Aufarbeitung des Falles könne nur "im Rahmen eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Brandenburg stattfinden".

Die Einsetzung eines derartigen Ausschusses ist allerdings höchst unwahrscheinlich. Sowohl die CDU wie die SPD, die in Brandenburg gemeinsam die Regierung bilden, stellten sich voll hinter den Verfassungsschutz und wiesen jegliche Kritik an dessen Chef, Heiner Wegesin, zurück.

Als Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg das Vorgehen des Verfassungsschutzes als gesetzeswidrig bezeichnete, bekam er sofort einen Maulkorb umgehängt. Justizministerin Barbara Richstein (CDU) untersagte ihm jede weitere öffentliche Aussage zu der Angelegenheit.

Der für den Verfassungsschutz verantwortliche Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) reagierte auf das Berliner Urteil mit einer Richterschelte, wie man sie bisher nur aus dem Italien Silvio Berlusconis kennt. Er warf Gericht und Staatsanwaltschaft vor, sie hätten eine "Art politischen Prozess" geführt. Sein Sprecher Heiko Homburg sprach sogar von einem "Schauprozess gegen den brandenburgischen Verfassungsschutz".

Dem widersprachen sowohl der Berliner wie der Brandenburger Landesverband des Deutschen Richterbunds. Sie bescheinigten Staatsanwaltschaft und Gericht, sie hätten die Ermittlungen und den Prozess gegen Stadler "streng nach rechtsstaatlichen Grundsätzen" geführt.

Der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) wies Rücktrittsforderungen an Schönbohm zurück und distanzierte sich von der Kritik am Verfassungsschutz. Brandenburg, sagte er, brauche einen "leistungsfähigen" und keinen "gläsernen" Verfassungsschutz.

Der Prozess gegen Stadler hat anschaulich gezeigt, zu welchen "Leistungen" die Behörde fähig ist. Die Grenze zwischen Observation und Provokation wurde hier eindeutig überschritten. "Ohne Hilfe des Verfassungsschutzes in Brandenburg wäre die rechtsextremistische CD der Neonaziband White Aryan Rebels nicht zu Stande gekommen", fasste der Berliner Oberstaatsanwalt Jürgen Heinke die Fakten zusammen.

Stadler brachte seine Kontakte zum Verfassungsschutz auf die prägnante Formel: "Eine Hand wäscht die andere." Er habe für seine Arbeit außer Spesen keine Zuwendungen erhalten. Sein Lohn sei die Deckung seiner Arbeit durch den Verfassungsschutz gewesen.

V-Mann-Führer Bartok hatte seinen Schützling wiederholt vor polizeilichen Maßnahmen behütet. So hatte er Stadler kurz vor einer Hausdurchsuchung einen neuen, "sauberen" Computer zur Verfügung gestellt, ihm ein angeblich abhörsicheres Handy gegeben und ihm schließlich empfohlen, einen auswärtigen Lagerraum anzuschaffen, anstatt die illegale Ware daheim zu stapeln.

Über die Geschäfte und internationalen Beziehungen Stadlers wusste der Verfassungsschutz laut Stadlers Aussage vor Gericht bestens Bescheid. Er sei erst aufgefordert worden, den Verkauf der Hass-CD zu stoppen, als die Auflage von 2.800 Stück zu 80 Prozent veräußert war. Gemeinsam habe man dann besprochen, eine zweite Auflage zu pressen, diese dann aber irgendwo beschlagnahmen zu lassen. Ihm sei dabei zugesichert worden, dass seinen Kameraden nichts passieren würde.

Neben Stadler waren zwei weitere Männer an der Produktion der CD beteiligt: Lars Burmeister, ein langjähriger Berliner Neonazi-Kader, der als Verantwortlicher für die Liedtexte im September zu einer 22-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde, und Mirko Hesse, ein weiterer V-Mann, der für das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitete. Zwei der drei Produzenten der inkriminierten CD standen also in staatlichem Dienst.

Selbst nach seiner Verhaftung stellte der Verfassungsschutz die Zusammenarbeit mit Stadler nicht ein. Zur Überraschung aller Anwesenden - einschließlich seines eigenen Verteidigers Klaus Linten - verwandelte er sein Schlusswort vor Gericht in ein glühendes Plädoyer für den Brandenburger Verfassungsschutz. Dieser habe "ein professionelles Hintergrundwissen, das von anderen gar nicht beurteilt werden könne", sagte er.

Derart wohlformulierte Sätze waren bisher aus dem Mund des eher einfach gestrickten Angeklagten nicht zu hören. Beobachter vermuten daher, dass sie von jemand anderem formuliert wurden. Zwei Beamte des Verfassungsschutzes hatten Stadler einige Tage vor Prozessbeginn in der Untersuchungshaft besucht. Nach dem Prozess wurde Stadler, der zuvor vier Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, direkt aus dem Gerichtssaal ins Zeugenschutzprogramm des brandenburgischen Landeskriminalamts überführt.

Das Berliner Urteil im Stadler-Prozess könnte direkte Auswirkungen auf das NPD-Verbotsverfahren haben, das gegenwärtig vor dem Bundesverfassungsgericht läuft. Es ist ins Stocken geraten, nachdem bekannt wurde, dass die NPD bis in die Führungsgremien massiv von V-Leuten durchsetzt ist. Die Partei argumentiert, dass es sich dabei um "agents provocateurs" handle, die die Partei in eine gewalttätige Ecke drängten.

Siehe auch:
Jeder siebte NPD-Funktionär arbeitet für den Verfassungsschutz
(12. Oktober 2002)
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - Januar/Februar 2003 enthalten.)
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