53. Berliner Filmfestspiele Teil 3

Im Zeichen des Sisyphus

Seit Jahren ist das Bemühen junger deutscher Filmemacher zu spüren, sich unverkrampft mit Gegenwart und Geschichte auseinander zu setzen und die alten Denkschablonen aus dem Kalten Krieg zu verwerfen. Leider verbindet sich dieser positive Ansatz aber in der Regel nicht mit einem neuen gründlichen Studium historischer Fragen.

Schon in der Aufbruchsstimmung der sechziger Jahre erfolgte die Abrechnung des neuen deutschen Films mit der Nazivergangenheit der alten Generation nicht selten auf eine oberflächlich polemische Art und Weise, der es mehr um subjektive Provokation als um Klärung ging.

Ebenfalls aus ungeklärten historischen Fragen resultieren zum großen Teil die Schwierigkeiten des heutigen jungen deutschen Films, sich innerhalb der dramatischen sozialen und politischen Polarisierung der Gegenwart zu orientieren und Position zu beziehen. Die verbreitete Scheu, auf politische Fragen politisch zu antworten, führt meist ins neutral-seichte Fahrwasser des banalen "allgemein Menschlichen".

"Herr Wichmann von der CDU" von Andreas Dresen.

Aus der Froschperspektive der unpolitischen Betrachtung beobachtet Dresen im Wahlkampf 2002 den 25-jährigen Jurastudenten Henryk Wichmann, der als Bundestagskandidat in einem ostdeutschen Provinzwahlkreis, einer Hochburg der SPD, "frischen Wind" in die Politik bringen will.

Die menschliche, weniger die politische Seite von Wichmanns Wahlkampf sei für ihn interessant gewesen, erklärte der Regisseur. Schließlich habe er kein Parteiprogramm verfilmen wollen. Ihn habe der "Typus des Wahlkämpfers" interessiert, eine chancenlose Person, eine Art Don Quichote, der gegen Windmühlenflügel kämpft oder wie Sisyphus immer wieder denselben Stein hoch rollt. Diese Haltung Wichmanns sei ihm sympathisch, obwohl er mit dessen Partei eigentlich nichts zu tun habe.

Die menschliche Anerkennung von Wichmanns Hartnäckigkeit geht einher mit der Aufforderung, politische Parteien nicht ernst zu nehmen. Dresen, erklärte auf der Pressekonferenz, es wäre gut, wenn sein Film dazu beitragen würde, über die heutige Politik zu lachen.

Der Dokumentarfilm zeigt, dass Wichmann zu den primitivsten Mitteln greift, um Wählerstimmen zu gewinnen. Er verteilt Kugelschreiber, spricht bevorzugt gern Rentner an und besucht ein Seniorenheim: "Ich bin der Bundestagskandidat". Hier unterhält er sich über das Essen, über Familie und verspricht eine Reise nach Berlin zur Besichtigung des Bundestages, sollte er gewählt werden. Er empfiehlt, sich an den kleinen Dingen des Lebens zu freuen: "Es müssen nicht immer Weintrauben sein..." Wichman instruiert Parteifreunde, bei seiner Rede an den richtigen Stellen zu klatschen, und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel kommt in die Provinz, um dem jungen Politiker den Rücken zu stärken.

Dieser "Typus des Wahlkämpfers", der auch bei SPD, PDS, Grünen und zahlreichen anderen Parteien zu finden ist, ist kein ewiges, sondern ein historisches Phänomen. Erst der Niedergang von Gesellschaft und Kultur und die Unfähigkeit der bürgerlichen Politik, einen Weg nach vorn zu weisen, machen solche Politiker wie Wichmann möglich.

Es gibt zwei kurze Sequenzen in dem Film, die zeigen, dass der Bundestagskandidat nicht sonderlich bemüht ist, sich von offenen Rechts-Wählern politisch abzugrenzen. Das wirkt im Film zufällig eingestreut und geht neben Anderem, Banalem fast unter.

Wichtiger ist für Dresen mehrmals darauf hinzuweisen, dass Wichmann ständig mit starkem Wind zu kämpfen hat, wobei er mitunter wie eine Slapstick-Figur aus einem Stummfilm wirkt. Doch er fordert ja in seinem Wahlslogan "frischen Wind" in der Politik. Mit der Anspielung auf die Windmühlenflügel des Don Quichote tut der Regisseur dem literarischen "Ritter von der traurigen Gestalt" jedoch Unrecht. Dessen romantischer Idealismus ist dem engen Denken des prosaischen Realpolitikers Wichmann eher entgegengesetzt.

Wer will die banale Tatsache bestreiten, dass letzterer menschliche Qualitäten wie Beharrlichkeit und Ausdauer aufweisen kann. Doch die allgemein humanistische Haltung, die Dresen einem Menschen gegenüber an den Tag legt, der für soziale Kürzungen eintritt, nur "nützliche Ausländer" akzeptiert und gegen "investorenfeindlichen" Umweltschutz argumentiert, ist mehr als fragwürdig.

Dresen hat auch in seinen früheren Filmen wie Nachtgestalten, Die Polizistin oder Halbe Treppe stets seine Sympathie für Verlierer gezeigt. Sie standen allerdings in einem sozialen Kontext. In seinem letzten Film Halbe Treppe konnten die Figuren dem Teufelskreis des düsteren Alltags nur noch mit Hilfe eines romantisch-märchenhaften Regieeinfalls entfliehen. Eine Gruppe Straßenmusiker mit kraftvollem osteuropäischem Sound taucht immer wieder im Film auf und schafft eine Atmosphäre, in der sich die Akteure ihren vagen Hoffnungen, Träumen und Utopien hingeben können.

In Herr Wichmann von der CDU steht der Verlierer jenseits eines sozialen Zusammenhanges. Wichmann erscheint als schicksalhafte Symbolfigur des ewig "menschlichen Verlierers". Gleichzeitig fängt der Film ständig die politische Wirklichkeit im Wahlkampf ein, und zeigt damit auch den reaktionären, rechten Politiker Wichmann.

Nicht zuletzt wegen dieser Zwiespältigkeit hinterlässt der Film einen unbefriedigenden Eindruck.

"Bernau liegt am Meer" von Martina Döcker

Mit Bernau liegt am Meer hat die Regisseurin Martina Döcker das Porträt eines jungen Rechtsradikalen Anfang zwanzig gedreht, der in der kleinen ostdeutschen Stadt Bernau bei Berlin lebt und seit Jahren unter der ständigen Aufsicht von Sozialarbeitern, Polizei und Jugendgericht steht. Am Ende des Films sehen alle einen Fortschritt darin, dass Daniel nicht mehr zu unmittelbarer Gewalt bereit ist. Rechtsradikal ist er nach wie vor. Hauptsache, er wird nicht mehr kriminell, meint der alte Polizist, den Daniel als Freund vorstellt: "Die Gedanken sind frei."

Daniel beschimpft in einem Wutausbruch Bundeskanzler Schröder. Er unterstütze die Regime im Nahen Osten wie Israel finanziell, obwohl Deutschland mit seinen sozialen Problemen die Gelder selber brauche. Wenn Deutschland den Regimes dort mit finanziellem Boykott drohen würde, wären die Kriege in der Region längst beendet. Aber es traue sich keiner, um nicht als Antisemit zu gelten. Der ältere Polizist gibt zu bedenken, Deutschland könne bestimmten Ländern nicht einfach die Gelder entziehen, die ihrerseits den Ölhahn zudrehen könnten. Deutschland müsse gegenüber anderen Nationen wieder mehr Gewicht bekommen, erklärt Daniel, wie "früher".

Der Film zeigt, wie unmittelbar politisch der Alltag unter dem zunehmenden Druck sozialer Spannungen geworden ist. Den objektiven Fakten des Filmmaterials steht, ähnlich wie bei Dresen, das subjektive Bemühen der Regisseurin um die Betonung rein "menschlicher" Aspekte im Wege. Daniels rechtsextremistische Haltung versucht sie immer wieder vom psychologischen Standpunkt eines "falschen" Denkens aus zu erklären.

Besonders hilflos wirkt sie, als sie ihm sagt, sie finde das "furchtbar", was er über die Juden von sich gebe, das passe gar nicht zu ihm, er habe ja auch gute Seiten. Immer wieder taucht eindringlich (und aufdringlich) Daniels Kopf in Großaufnahme auf. Zwischen einzelnen Szenen stellt die Regisseurin Daniel, der Streetworkerin und dem Richter Fragen wie bei einem psychologischen Test. Zum Beispiel will sie wissen, was ihnen beim Wort Haut spontan einfalle oder wann sie Glück empfunden hätten. Daniel erklärt, bei der Geburt seines Sohnes am glücklichsten gewesen zu sein.

Vor ein paar Jahren schrieb Martina Döcker, nach einem Theaterstück von Thomas Strittmatter, das Drehbuch zu dem interessanten Spielfilm Viehjud Levi (Regie: Didi Danquart), der davon handelt, wie sich durch die Nazis, die in Form eines Reparaturtrupps der deutschen Reichsbahn in ein fern abgelegenes Schwarzwalddorf kommen, die Beziehung der Dorfbewohner zu einem alteingesessenen jüdischen Händler verändert.

In diesem sehenswerten Film gerieten zwei Figuren auffällig flach: der leitende Ingenieur und seine Sekretärin bzw. Geliebte. Auch hier wurden dem Zuschauer so eindringlich Charaktereigenschaften und psychische Besonderheiten der Figuren aufgedrängt, dass dem Zuschauer gar nichts weiter übrig bleibt, als deren Nazizugehörigkeit ausschließlich daran festzumachen.

Aber Charaktere entwickeln sich nicht im luftleeren Raum, sondern erhalten den sozialen und politischen Stempel ihrer Zeit aufgedrückt. Jede Zeit schafft so ihre eigenen, einmaligen historischen Charaktere. Das fragwürdige Suchen nach ewigen Wahrheiten über das aggressive Wesen des Menschen (wie in Bernau liegt am Meer) oder nach dem sexuell motivierten Drang nach Unterwerfung und Machtausübung (wie bei Viehjud Levi) beruhen dagegen auf groben Simplifizierungen der menschlichen Persönlichkeit und ihrer Beziehung zur Gesellschaft.

"Sie haben Knut" von Stefan Krohmer

Dieser Film will provozieren, nicht klären. Er nimmt die vielfältigen Phrasen der Alternativ-Linken Anfang der achtziger Jahre aufs Korn, die der 1971 geborene Regisseur als "Betroffenheits-fanatische Labersäcke" bezeichnet.

Ingo, ein inzwischen etwas gesetzter Vertreter der 68-er Studentengeneration, will mit seiner jungen Lebensgefährtin Nadja ein paar ruhige Tage auf einer einsamen Skihütte verbringen, um ihre gemeinsame Beziehung zu klären. Plötzlich schneit eine Gruppe junger linker Protest-Aktivisten herein, die Nadjas Bruder Knut hierher zum Winterurlaub eingeladen hat.

Fast alles spielt sich im engen Rahmen der Hütte ab. Man schnappt Sprachfetzen auf, kurze Bemerkungen und erlebt viele kleine Episoden. Hinter dem verbalen Radikalismus der Akteure offenbart sich eine Palette von persönlichem Opportunismus. Die Betonung von Toleranz und persönlicher Entfaltung sowie scheinbare politische Prinzipienfestigkeit erweisen sich als Deckmantel für engstirnigen persönlichen Eigennutz, Eitelkeit, Unentschlossenheit, Pessimismus und Feigheit.

Der Verzweiflungsausbruch eines angehenden Lehrers, dem sein Sohn Lars nur Verachtung entgegenbringt, zeigt den allgemeinen Zustand der Gruppe an. Die ständigen kleinlichen Diskussionen und Streitereien lenken vor der ernüchternden Wahrheit ab, dass die Protagonisten im Grunde genommen keine tragenden Ideale mehr haben und unfähig sind, irgend jemanden durch vorwärtsweisende anregende Ideen zu beeindrucken. Ingo hat seine Desillusionierung schon länger hinter sich und will inzwischen ein normales bürgerliches Leben führen. "Wir waren alle Idioten, jeder auf seine Weise", stellt er zum Ende des Films fest: "Das Beste, was das letzte Jahrzehnt gebracht hat, war Nadja."

Selbst Knut, der die andern mitreißt und unermüdlich, auch unabhängig von der Gruppe, von Protestaktion zu Protestaktion zu hetzen scheint, überspielt durch seine übersteigerte Aktivität eigene Zweifel. Sehr überzeugt klingt es nicht, als er Ingo auffordert, seinen Pessimismus abzulegen und in die Politik zu gehen. Die Filmemacher deuten hier die innere politische Deprimiertheit Knuts an.

Der etwa dreizehnjährige Lars, der in diesem Milieu aufwächst, spürt die Heuchelei und Unehrlichkeit der Erwachsenen. Er verachtet diese Leute, außer Knut, vollständig. Seine Reaktion auf das widersprüchliche Verhalten zwischen Toleranz und autoritärem Gehabe ist Aggressivität und Zynismus. Mit Vorliebe verprügelt er die Kühe beim Bauern mit einer Holzlatte. Zum Ende des Films hat er einen andern Jungen dazu gebracht, ebenfalls auf diese Weise gewalttätig zu werden.

Schade ist, dass Krohmers Beobachtungen, die auf eigene Kindheitserfahrungen zurückgehen, sich nur auf die phrasenreiche Begleitmusik der damaligen Friedensbewegung konzentrieren. Während er in einem Interview erklärte, es habe in der Protestbewegung auch viele ehrliche Leute gegeben, verleitet sein Film dazu, die ganze damalige Protestbewegung nicht ernst zu nehmen. Er bleibt im Grunde bei den Erkenntnissen des aufsässigen13-Jährigen stehen.

Der private Blickwinkel, den der Regisseur wählt, legt nahe, von dem persönlichen Opportunismus einfach auf die Politik zu schließen, die sie vertreten. Die ständig benutzten Phrasen, so lächerlich sie klingen, sind jedoch Überreste politischer Überzeugungen, die gegen imperialistische Kriege und gegen das Elend in der Dritten Welt gerichtet waren. Ihre Konzeptionen, ein konfuser Mischmasch aus Stalinismus, Maoismus, Anarchismus, Existenzialismus, Psychologie und Religion, stellten aber von Anfang an eine Sackgasse dar. Das Endstadium bedeutet Rückkehr zu dem kleinlich-egoistischen Spießertum, von dem man sich einst angeekelt abwenden wollte. Der Film zeigt das Milieu, das übriggeblieben ist, ohne die Ursachen der Degeneration anzudeuten.

Der Film suggeriert zum Schluss, der Verlust gesellschaftlicher Jugendideale sei Teil der persönlichen Selbstfindung, der ab einem bestimmten Alter eben einsetze. Am gesündesten sei es, sich rechtzeitig und selbstbewusst dazu zu bekennen.

Mit dem gewalttätigen Lars als Vertreter der folgenden Generation, setzt der Film ein bewusst provokantes Fragezeichen.

"Die Ritterinnen" von Barbara Teufel

Barbara Teufel setzt sich mit einem Teil der linksalternativen Szene der späteren achtziger Jahre auseinander. Die Regisseurin lebte jahrelang innerhalb einer Sieben-Frauen-Wohngemeinschaft in einem besetzten Haus in Berlin-Kreuzberg, wo man "radikal, anarchistisch und links" war. Der Film macht sich nicht lustig, verklärt auch nicht, sondern will dem Publikum nahebringen, wie diese Frauen damals lebten und dachten.

Im Gegensatz zu Krohmer legte die Regisseurin Wert darauf, den politischen, antikapitalistischen Anspruch der Szene hervorzuheben. Im Zentrum des Films stehen der Weltwirtschaftsgipfel vom Herbst 1988 in Berlin, die Zeit der Vorbereitung - "Verhindern wir diesen Kongress!" - und die Zeit während des Gipfels, in der die Polizei sehr hart gegen Proteste durchgreift, sowie die Zeit danach, als "die Esoterik-Welle hereingeschwappt" kam.

Was der Film plastisch zur Geltung bringt, ist die damalige Verherrlichung instinktiven, spontanen Handelns. Alles in der WG geschieht hektisch, schnell. Bewusst wird nichts gründlich durchdacht. Die lächerliche Ablehnung von Rationalität, verbunden mit allen möglichen zusammen geklaubten "marxistischen" u.a. "revolutionären" Phrasen, verstehen die Frauen als politische Abgrenzung von der bürgerlichen Welt.

Man fühlt sich anfangs als "revolutionäre Garde", und will "die Veränderungen ganz schnell". Da diese auf sich warten lassen, lebt man vorerst die "Kollektivierung" und "Selbstverwaltung" im Kleinen. Das "Klauen" gehört zum "alltäglichen Klassenkampf". Demokratie wird verächtlich als "Demokratiegedöns" des bürgerlichen Staates abgetan. Vor dem Hintergrund der fehlenden Existenz einer für die Revolution kämpfenden Massenbewegung kommt schnell die Erkenntnis, dass nicht der Klassenkampf, sondern der Kampf der Geschlechter die revolutionäre Triebkraft sei. Rasch wird ein Manifest gegen das "Patriarchat" verfasst und die bis dahin geduldeten Männer werden aus der WG vertrieben. Die Familie wird als bürgerliches Konstrukt zur "Verschleierung des Geschlechterverhältnisses" gebrandmarkt. "Eifersucht ist genauso bürgerlich wie Liebe", ein "Terrorregime". Da der Verkehr mit Männern als "konterrevolutionär" gilt, wird dem Sex zwischen Frauen von vornherein ein "revolutionärer" Zug zugeschrieben.

Von der Aktionswoche gegen den Gipfel des Internationalen Währungsfonds (IWF) verspricht man sich eine Impulswirkung, die weltweit eine Lawine und endlich "eine Revolution auslösen soll". Schockiert über den Polizeieinsatz auf der Abschlusskundgebung, als sie dazu aufrufen, den "Widerstand auf die Strasse" zu tragen, schlägt die Stimmung um ins Gegenteil: "Ein Kampf gegen Windmühlen", "Geld regiert die Welt" und "Was kann man denn tun?" Während einige Frauen der WG noch darüber diskutieren, ob ihre neu entdeckte "spirituelle Welt" sich mit ihren bisherigen politischen Ambitionen vereinbaren lässt, spielt eine andere, auf der Suche nach "Aktionen, die direkt etwas bewirken", mit dem Gedanken, sich dem bewaffneten Kampf der Revolutionären Zellen (RZ) anzuschließen.

Als sich in ihrer unmittelbarer Nähe wirklich Massen erheben und die Existenz der DDR inmitten von Massendemonstrationen beendet wird, trifft es die WG wie ein Blitzschlag. "Während ich mit meiner Sexualität beschäftigt war, brach um uns die alte Welt zusammen". Die ehemaligen "Revolutionärinnen" reagieren mit Entsetzen auf den Fall der Mauer, interpretieren ihn pessimistisch als endgültigen Sieg des weltweiten Kapitalismus und sind der Auffassung, dass die Linke nun auf lange Sicht weltweit zerschlagen sei.

Ab da bröselt die WG auseinander. Ein Teil besetzt Häuser im Osten. Schließlich sucht sich jede eine eigene Wohnung. Eine der Frauen studiert Kunst, eine andere wird Entwicklungshelferin. Barbara Teufel wird Filmemacherin und weist in der Publikumsdiskussion darauf hin, dass die gesellschaftlichen Probleme, die sie damals mobilisiert hätten, bis heute nicht gelöst seien.

* * *

Die vier Filme sind recht verschieden. Eine Gemeinsamkeit aber ist: Keiner von ihnen vermittelt einen Hauch von Zuversicht in die gesellschaftliche Zukunft. Das Leben geht immer irgendwie weiter. Die Welt dreht sich im Kreise und der Mensch läuft mit.

Die jüngere deutsche Filmemachergeneration ist von den politischen Erfahrungen der letzten 25 Jahre geprägt, wo Kritik an der Gesellschaft relativ wirkungslos blieb und vor allem von Randgruppen und politischen Minderheiten getragen war. Einige Filme zeigen das ziemlich ungeschminkt.

Der "revolutionäre" Kampfgeist der jungen Hausbesetzerinnen bricht im Wesentlichen zusammen, als die WG sich über ihre völlige Isolation von der Bevölkerung und eine in ungewisse Ferne gerückte Revolution bewusst wird. Es scheint nur drei Möglichkeiten zu geben: Vollständiger Rückzug, die Politik der kleine Schritte oder der isolierte bewaffnete Kampf im Untergrund. Die persönlichen und politischen Frustrationen, die bei Sie haben Knut eine Rolle spielen, haben ebenfalls zum großen Teil mit der Isoliertheit der Polit-Aktivisten zu tun.

Auch Dresens Aufforderung, über die heutige Politik zu lachen, hat etwas von jenem Agieren aus der versteckten Nische heraus, wie es in der früheren DDR, aus der der Regisseur stammt, gang und gäbe war. Die Vorstellung, die Masse der einfachen Menschen könnte den "ewigen Kreislauf" der Dinge beeinflussen, sich in die Politik einmischen oder gar die Gesellschaft grundlegend verändern, war und ist dieser Haltung völlig fremd.

In der Gestalt des CDU-Politikers Wichmann würdigt Dresen jene mythische Gestalt des Sisyphos, die tapfer das Los des ewigen Scheiterns erträgt. Martina Döcker bohrt in den ihr unbegreiflichen dunklen Seiten des Menschen, während der Zuschauer nach Krohmers Film die Schlussfolgerung ziehen muss, dass die Jugend im Wesentlichen nicht über den geistigen Schatten ihrer Eltern springen kann.

Die heutige gesellschaftliche Entwicklung steht unter neuen Vorzeichen. Die Mehrheit der Gesellschaft gerät in Konflikt mit der herrschenden Politik, die zunehmend nur noch Sozialabbau und Krieg bereithält und die grundlegendsten demokratischen Rechte missachtet.

Die Frage nach der positiven Gestaltung der gesellschaftlichen Zukunft beantwortet sich allerdings nicht bereits dadurch, dass sie heute von mehr Menschen als früher gestellt wird. Nicht zuletzt der Schrecken, den die Massenbewegung, die das stalinistische Regime in der DDR stürzte, bei den Ritterinnen auslöste, weist auf tiefergehende Probleme der Perspektive hin.

Diese Probleme sind mit den wichtigen historischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts verbunden, mit der verheerenden Unterordnung der Arbeiterbewegung unter den Nationalismus des ersten Weltkriegs, mit ihrer Zerschlagung durch Faschismus und Stalinismus und schließlich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Eine ernsthafte Neuerarbeitung dieser Fragen wird ohne Zweifel auch bei Filmemachern eine befreiende, klärende Wirkung haben und dabei helfen, die fatalistischen, mythischen Bilder ewigen Scheiterns von der Kinoleinwand zu verbannen.

Siehe auch:
53. Berliner Filmfestspiele Teil 1
(19. März 2003)
53. Berliner Filmfestspiele Teil 2
( 20. März 2003)
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