Arbeitsgericht Frankfurt verbietet Streik der Lokführer

Das Arbeitsgericht Frankfurt hat am vergangenen Freitag Streiks der Lokführer auf Antrag der Deutschen Bahn AG verboten. Die Deutsche Bahn hatte die von der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) angedrohten Warnstreiks vor Ostern mit einer einstweiligen Verfügung vor dem Frankfurter Arbeitsgericht gestoppt. Dagegen hatte die GDL Widerspruch eingelegt, der nun vom Gericht zurückgewiesen wurde.

"Die einstweilige Verfügung vom 17. April wird aufrecht erhalten", urteilte der Vorsitzende Richter Klaus Sieg. Die GDL kündigte an, auch gegen diese Entscheidung bei der nächsthöheren Instanz, dem Landesarbeitsgericht Frankfurt, in die Berufung vor das zu gehen. "Wir werden auf keinen Fall vor der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts eine Urabstimmung einleiten", versicherte GDL-Chef Manfred Schell. Die Entscheidung wird für den 2. Mai erwartet.

Die Bedeutung der einstweiligen Verfügung geht weit über den unmittelbaren Fall hinaus. Das ehemalige Staatsunternehmen Deutsche Bahn, inzwischen privat organisiert und in Vorbereitung auf den Börsengang, aber noch immer in Besitz des Bundes, hatte argumentiert, Warnstreiks würden "dem Unternehmen und seinen Kunden erheblichen Schaden zufügen". Macht dieses Argument Schule, könnte in Zukunft jeder Streik verboten werden. Denn wenn ein Streik dem betroffenen Unternehmen keinen Schaden zufügt, bleibt er unwirksam. Er ist das Mittel der Arbeiter, ihren Forderungen nach angemessenen Löhnen und Arbeitsbedingungen Nachdruck zu verleihen.

Als weiteren Punkt brachte die Deutsche Bahn vor, dass "in einem Unternehmen mit mehreren Gewerkschaften immer nur ein Tarifvertrag angewendet werden kann", damit der Grundsatz der Tarifeinheit gelte. Aus Sicht der GDL hat sich das Arbeitsgericht in seinem jüngsten Urteil allerdings nicht prinzipiell gegen einen Spartentarifvertrag ausgesprochen. "Das Gericht sagt, es gibt im Grunde ein Recht auf einen Spartentarifvertrag, nur sei das im Moment nicht möglich", kommentierte Schell das Urteil. Wann der Moment gekommen sei, an dem ein solcher Tarifvertrag möglich sei, blieb offen.

Darüber hinaus ist diese Beweisführung aus der Chefetage eines der größten deutschen Unternehmen schlicht unverschämt. Gerade die großen Konzerne, auch die Deutsche Bahn, sind in der Vergangenheit immer wieder gegen einheitliche Flächentarifverträge Sturm gelaufen, um Öffnungsklauseln für einzelne Unternehmensbereiche einfordern und auch durchsetzen. Vor allem durch die Ausgliederung einzelner Werksteile setzte die Deutsche Bahn bislang immer wieder ihre Tarifflucht durch. Sie verfügt inzwischen über fast 200 Tochterunternehmen, in denen alles andere als Tarifeinheit besteht.

Es ist immer das selbe Lied. Weigert sich eine Gewerkschaft, alle Lohnsenkungen und Sozialkürzungen mitzutragen, klagen die Unternehmer über "Tarifterror", fordern Öffnungsklauseln und unterstützen den Aufbau von Spaltergewerkschaften. Arbeitet eine Gewerkschaft mit der Geschäftsleitung Hand in Hand, wie die Bahngewerkschaft Transnet, und organisieren sich die Beschäftigten bestimmter Unternehmensteile oder Berufsgruppen in einer eigenen Gewerkschaft, um sich gegen den Sozialabbau zur Wehr zu setzen, pocht die Unternehmensleitung auf Tarifeinheit. Richter, die der jeweiligen Argumentation folgen, finden sich meist schnell.

Sollte das Argument der Bahn Bestand haben, in einem Unternehmen habe es nur einen Tarifvertrag zu geben, und zwar den, den die größte Gewerkschaft aushandelt, wäre jede Gegenwehr gegen die Politik von Gewerkschaften, die eng mit den Konzernen und der Bundesregierung zusammenarbeiten, illegal.

Die GDL kann ihre Forderung nach einem Spartentarifvertrag in der Tat mit der Politik der Großgewerkschaft Transnet begründen. Transnet, die frühere Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED), arbeitet bei den Angriffen auf die Beschäftigten eng mit der Unternehmensspitze der Deutschen Bahn zusammen. Im Oktober vergangenen Jahres hatten Bahn und Transnet versucht, über sogenannte Regio-Ergänzungstarifverträge Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen (u. a. eine Verlängerung der Jahresarbeitszeit) durchzusetzen, und damit nach Aussagen der GDL "den Grundstein für die GDL-Forderung nach einem Spartentarifvertrag gelegt".

Die GDL vertritt rund drei Viertel der Lokführer, das sind etwa 35.000 inklusive einiger Zugbegleiter, die Transnet und die GDB AGA (Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamten und Anwärter) etwa 160.000 Bahnbeschäftigte. Die GDL hatte bereits am 6. März dieses Jahres die Tarifverhandlungen für gescheitert erklärt. Die beiden anderen Bahngewerkschaften, Transnet und GDB AGA, einigten sich dann Mitte März mit dem Konzern auf einen Abschluss, der unter anderem Lohn- und Gehaltssteigerungen in mehreren Schritten um (nach Berechnung von Transnet) 3,2 Prozent und die Anhebung der Ost-Gehälter auf West-Niveau bis 2006 vorsieht, also in etwa den Abschlüssen im öffentlichen Dienst entspricht.

Die Übernahme dieses Abschlusses hatten die Schlichter auch für die Lokführer empfohlen, die GDL hatte dies jedoch am Samstag vor Ostern abgelehnt und Warnstreiks sowie die Einleitung einer Urabstimmung angekündigt. Die GDL wehrt sich unter anderem dagegen, dass anrechenbare Arbeitszeiten - etwa für die Rückfahrt eines Lokführers nach Dienstende zu seinem Heimatbahnhof - nicht mehr in bisheriger Höhe gewährt werden sollen.

Vorbereitung auf Börsengang

Interessant ist, dass Deutsche Bahn, Transnet und Medien alle gleich argumentieren: "Auf dem Rücken von Kunden und Beschäftigten" würden die Interessen der Lokführer verhandelt.

Bahn-Personalvorstand Norbert Bensel erklärte, die GDL wolle lediglich "Macht und Einfluss gegenüber den anderen Bahngewerkschaften ausdehnen".

Transnet veröffentlichte eine Presseerklärung, in der es heißt: "Bei den jetzt angekündigten Arbeitskampfmaßnahmen handelt es sich nicht mehr um Tarifstreiks, sondern um bloße organisationspolitische Streiks." Diese schadeten den Bahnbeschäftigten und dem Unternehmen.

Als die Bahn die Aussetzung von Vorruhestandsregelungen ankündigte und außerdem erwog, keine neuen Auszubildenden im Betriebsbereich einzustellen sowie Ausgelernte nicht zu übernehmen, erklärte der Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen: "Wir haben immer davor gewarnt, dass die GDL-Streikmaßnahmen den Beschäftigten schaden werden. Jetzt haben wir einen Konflikt der - von beiden Seiten - auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird."

Die Süddeutsche Zeitung vom 22. April kommentierte noch deutlicher. Die GDL "gefiel sich mit wüsten Streik-Androhungen. Wäre es so gekommen, dann hätten am meisten die Bahnkunden unter der Profilierungssucht einer Mini-Gewerkschaft und den Selbstfindungstrips von Funktionären leiden müssen."

In Wirklichkeit versucht die Deutsche Bahn auf dem Rücken der Beschäftigten - und mit ihrer Preispolitik auf dem der Kunden - ihre Gewinne zu erhöhen und so das Unternehmen auf den Börsengang vorzubereiten. Mit der Bildung der Deutschen Bahn AG zum 1. Januar 1994, dem Einstieg in die Privatisierung, sollte die Bahn "unternehmerisch flexibler" gemacht werden und verlorene Marktanteile zurückgewinnen.

Das Ergebnis ist verheerend: Der Konzern wurde in fast 200 "Töchter" aufgesplittert - mit allen negativen Konsequenzen für Löhne und Arbeitsbedingungen. Während die Produktivität um 180 Prozent gesteigert und die Personalkosten um 28 Prozent gesenkt wurden, hat der DB-Konzern fast jeden zweiten Arbeitsplatz abgebaut, rund 150.000 insgesamt. Gleichzeitig häuften sich allein im Jahr 2002 bei den Eisenbahnern 14 Millionen Überstunden an.

Die GDL gewinnt angesichts dieser Bilanz unter den Eisenbahnern zunehmend an Unterstützung. Dass sie in dieser Situation für die Lokführer und ihre Mitglieder versucht, Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen zu verhindern, wird ihr nun von Transnet, GdBA und der DB-Spitze vorgeworfen.

Ein Kommentar in der Finanzzeitung Handelsblatt vom 3. März verdeutlicht dies. Der Kommentar geißelt die GDL: "Sie sagt derzeit überall Nein, wenn der Arbeitgeber Bahn versucht, seine unbestreitbar vorhandenen Wettbewerbsnachteile auf der Personalkostenseite zu korrigieren. Beim Bahn-Personal ist das populär, und so erlebt die GDL einen Zulauf wie lange nicht."

Das Handelsblatt greift also die GDL an, weil sie nicht bejaht, wenn die Deutsche Bahn "vorhandene Wettbewerbsnachteile auf der Personalkostenseite korrigieren" - mit anderen Worten: Löhne senken und Arbeitsplätze abbauen - will.

"Die uneinsichtige Haltung der GDL und die Unterstützung bei den Bahnbeschäftigten" habe inzwischen sogar Auswirkungen auf die sonst so weitsichtigen Transnet-Funktionäre, lamentiert das Handelsblatt. "Der Mitgliederzulauf bei der GDL hat offenbar auch bei der größten Bahnergewerkschaft Transnet das lange Jahre bewiesene Augenmaß getrübt. So blockiert sie seit Monaten eine fertig ausgehandelte Tarifanpassung für die Mitarbeiter der DB AG-Regio. Sie nimmt dem Schienennahverkehr die Möglichkeit, sich erfolgreich bei Ausschreibungen zu bewerben. Auch bei DB AG-Cargo denkt man über Ausgliederungen nach, um aus dem Moloch schlagkräftige, wettbewerbsfähige Einheiten herauszulösen - natürlich auch hier mit Einschnitten bei den überhöhten Personalkosten."

GDL-Chef Schell sagte, die Bahn habe in den letzten Wochen außerdem "extremen Druck" auf die einzelnen Lokführer ausgeübt. Für den Fall eines Streiks sei mit Abmahnungen und Kündigungen gedroht worden.

Siehe auch:
Das Finanzdebakel bei der Deutschen Bahn
(6. Dezember 2000)
Bericht des Eisenbahn-Bundesamtes bestätigt verheerende Sicherheitsmängel bei der Deutschen Bahn
( 4. Juli 2000)
Das Zugunglück von Brühl
( 11. Februar 2000)
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