Internationale Konferenz der WSWS/SEP

Europa in der Sackgasse

Die World Socialist Web Site und die Socialist Equality Party (SEP) organisierten am 5. und 6. Juli im australischen Sydney eine Konferenz mit dem Titel "Politische Lehren des Irakkriegs: Eine Perspektive für die internationale Arbeiterklasse".

Wir veröffentlichen heute die Grußworte, die Stefan Steinberg, ein führendes Mitglied der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) der Konferenz überbrachte.

Liebe Genossen und Freunde,

ich freue mich sehr die solidarischen Grüße der Partei für Soziale Gleichheit dieser WSWS -Konferenz zu überbringen. In meinem Beitrag möchte ich mich auf die politischen Entwicklungen in Europa, insbesondere im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg konzentrieren.

Wir haben schon oft betont: Der Irak-Krieg markiert einen historischen Wendepunkt in den internationalen Beziehungen. Betrachtet man die gegenwärtige Situation in Europa genauer, so wird deutlich, dass sich die politischen Beziehungen und Institutionen, die seit dem Zweiten Weltkrieg als dauerhaft und stabil empfunden wurden in einem Zustand der Auflösung und Desintegration befinden.

Die europäische Bourgeoisie steckt in einer Sackgasse: Durch den Ausbruch der imperialistischen Aggression der USA gerät die relativ friedliche Entwicklung der Nachkriegsgesellschaft aus den Fugen. Ein Beispiel: Deutschland, im Kern Europas, erlebte in der Nachkriegszeit seine längste Periode relativen Wohlstands und harmonischen Wachstums. Von entscheidender Bedeutung für diese Entfaltung von Wohlstand in Deutschland und anderen europäischen Ländern nach dem Faschismus war die wirtschaftliche Unterstützung des amerikanischen Imperialismus, der Westeuropa als Bollwerk gegen die Sowjetunion instrumentalisierte.

Der Marshallplan ließ Billionen in den Wiederaufbau Westdeutschlands fließen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA war außerordentlich eng. Der Lebensstandard weiter Teile der Bevölkerung stieg, den Arbeitern wurden soziale Absicherung gewährt - das war die Geburtsstunde eines weit gespannten Sozialstaats. Unter dem wohlwollenden Blick der USA begannen einige europäische Kernstaaten einen gemeinsamen europäischen Markt aufzubauen.

Die USA verfolgten dabei ihre eigenen Wirtschaftsinteressen und konnten gleichzeitig in diesen Zeiten des Eisernen Vorhangs eine Allianz der europäischen Nationen gegen die Sowjetunion aufrecht erhalten. Zwar gab es von Zeit zu Zeit Meinungsverschiedenheiten zwischen den europäischen Staaten und den USA, aber diese Konflikte wurden im beiderseitigen Einvernehmen gelöst. Besonders in Deutschland herrschte die Ansicht vor, die Westbindung - also eine Orientierung insbesondere auf Amerika - sei Bedingung für Wohlstand und Demokratie.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des Sowjetblocks änderte sich dieses Beziehungsgeflecht. Die Bindungen zwischen Europa und den USA wurden lockerer, der Einigungsprozess Europas beschleunigte sich. Die wirtschaftliche Integration Europa erlebte einen neuen Höhepunkt. Der Maastrichtvertrag von 1992 sah die Währungsunion für 1999 vor. Im Jahr 1994 brachten Ungarn und Polen Mitgliedsanfragen ein, damit hatte der Prozess der Osterweiterung Europas begonnen.

Die gemeinsame Währung wurde eingeführt. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg besaß Europa einen großen Binnenmarkt und eine harte Währung, die fähig war, die Dominanz des US-Dollars herauszufordern.

Die Wahl der Bush-Regierung, ihre Reaktionen auf den 11. September und der Krieg gegen den Irak haben nun den vollständigen Wandel in den Beziehungen zwischen den früheren transatlantischen Partnern hervorgebracht. Der Krieg im Irak machte nicht nur die Rücksichtslosigkeit deutlich, mit der die US-Regierung ihre Interessen im Nahen Osten verfolgen, sondern zeigte auch ihre Bereitschaft die NATO ins Abseits zu drängen und gleichzeitig ihren Einfluss zu nutzen, um die europäischen Bündnispartner zu spalten. Das so genannte "Europäische Haus" wird nun unter völlig neuen Bedingungen errichtet.

Die Bush-Regierung zeigte Frankreich und Deutschland die kalte Schulter als beide Länder Bedenken an einem amerikanisch-britisch geführten Krieg anmeldeten. Washington stützte sich auf seine europäischen Verbündeten in Spanien und Polen, um die Kluft zwischen dem "alten und neuen Europa" (Rumsfeld) zu vertiefen. Die Politik Bushs führte zu den bisher heftigsten Erschütterungen der innereuropäischen Beziehungen. Großbritannien, Italien, Polen und Spanien unterstützten den Krieg, während Deutschland, Frankreich und Belgien gegen einen Krieg eingestellt waren, der unter dem Diktat der Bush-Regierung geführt würde.

Es wäre falsch zu glauben, dass die französische und die deutsche Regierung aus einer prinzipiellen Opposition heraus den Irakkrieg verurteilten. Beide sind imperialistische Mächte, die auf der ganzen Welt eigene Interessen verfolgen. Zunächst hatte Frankreich den Amerikanern sogar Unterstützung angeboten und stand kurz davor, ihre Luftwaffe in die Golfregion zu entsenden. Als Bundeskanzler Schröder im letzten Herbst während des Wahlkampfs bekannt gab, dass die deutsche Regierung von der Notwendigkeit eines Krieges nicht überzeugt sei, leitete die französische Regierung eine Wende in ihrer Politik ein, verbündete sich mit Deutschland und erklärte ebenfalls ihre Opposition.

Schröder demonstrierte zu diesem Zeitpunkt eine populäre und medienwirksame Ablehnung des Kriegs, doch die deutsche Realität sah ganz anders aus: Nicht nur ließ die rot-grüne Regierung ihren Worten keine Taten folgen, um die amerikanische Invasion zu behindern, im Gegenteil, sie war ein wichtiges Instrument bei der Durchführung des Krieges. Deutschland war als Stützpunkt für die Angriffe auf den Irak unentbehrlich. Die amerikanischen Truppen konnten ihre deutschen Basen und den deutschen Luftraum uneingeschränkt für ihre Invasion im Irak nutzen. Gleichzeitig wurden deutsche Truppen zur Verteidigung und zum Schutz amerikanischer Militärbasen eingesetzt, vorwiegend gegen deutsche Anti-Kriegsdemonstranten.

Im Verlauf des Krieges kam plötzlich ein neuer Faktor von großer politischer Bedeutung ins Spiel: Am 14. und 15. Februar fanden die bisher größten Demonstrationen auf der ganzen Welt statt. Die große Mehrheit der Demonstranten stammte aus europäischen Ländern, meist aus denen, deren Regierungen sich gegen den Krieg positioniert hatten. Wenn Frankreich und Deutschland ihr "Nein" zum Krieg auch nur eine Sekunde ernst genommen hätten, hätten sie sich mit einem Appell an die Demonstranten wenden müssen. Doch ein wesentliches Merkmal dieser Proteste war die nahezu vollständige Abwesenheit von Vertretern der offiziellen Politik.

Die europäische Bourgeoisie befindet sich in einer Zwickmühle: auf der einen Seite die aggressive und arrogante Politik Washingtons, die die Spaltung der europäischen Mächte zum Ziel hatte, auf der anderen Seite eine breite europäische Bewegung gegen den imperialistischen Krieg.

Nach dem Beginn der amerikanischen Offensive bestand die erste Amtshandlung der europäischen Bourgeoisie darin ihre Beziehungen zu den USA notdürftig zu regparieren. In einem kriecherischen Akt der Selbsterniedrigung stimmten Frankreich und Deutschland vor den United Nations für eine amerikanisch-britische Besetzung des Iraks. Damit legitimierten sie den Krieg quasi rückwirkend.

Der Irakkrieg öffnete führenden Politikern die Augen über die Notwendigkeit die europäische Außen- und Militärpolitik voranzutreiben. Das bestehende Kräfteverhältnis - bestehende Handelsbeziehungen zwischen den USA und Europa, und insbesondere die massive Überlegenheit des US-Militärs - verdeutlichen, dass die europäische Bourgeoisie in ihrem Streben nach Unabhängigkeit schrittweise vorgehen muss.

Aus den massenhaften Antikriegsdemonstrationen zogen die europäischen Regierungen die Schlußfolgerung, dass um jeden Preis alles vermieden werden müsse, was die Oppositiosstimmung der Massen anheitzen könnte, weil diese Opposition sich dann nicht nur gegen Krieg, sondern immer auch gegen die rechte, unsoziale Politik der herrschenden Klasse Europas richten würde.

Bush konnte seinen Krieg trotz der Massenproteste aufgrund der Feigheit und Korrumpierbarkeit der europäischen Machthaber fortsetzen. Die Demonstrationen des Februars blieben weitgehend perspektivlos und schliefen ein. Doch es wäre völlig falsch daraus zu schließen, dass die breiten Massen Europas nichts mehr zu sagen hätten.

Angriffe auf Sozialstaat und Gesundheitswesen

In Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern sind in den letzten Wochen und Monaten Zehn-, vielleicht Hunderttausende auf die Straße gegangen um ihre Ablehnung gegenüber der Regierungspolitik zu demonstrieren. Die Regierungen dieser Länder setzen sich aus einer Vielzahl politischer Kräfte zusammen- sozialdemokratisch, liberal und konservativ-, doch ihre politische Tagesordnung sieht sich zum Verwechseln ähnlich: radikaler Abbau des Sozial- und Gesundheitssystems, das in den Nachkriegsjahrzehnten aufgebaut worden war.

Trotz der Differenzen von Teilen der europäischen Bourgeoisie und der Bush-Administration über den Irakkrieg, bleibt auf dem Gebiet des Abbaus von demokratischen Rechten zwecks Profitmaximierung das US-amerikanische Modell weiterhin Vorbild und Maßstab setzend. Die Einführung "amerikanischer Verhältnisse" auf dem ganzen Kontinent besitzt für die herrschende Klasse Europas oberste Priorität.

Das Aufkommen breiter Unzufriedenheit in der europäischen Bevölkerung bildete den Hintergrund für die Diskussionen, die kürzlich in Thessaloniki zwischen führenden EU-Politikern stattfanden. Die neue europäische Verfassung stand auf der Tagesordnung.

Ungeachtet der Worthülsen oberster EU-Politiker über "Transparenz" und "Demokratie" bietet der neueste 200 Seiten starke Dokumentenapparat zum neuesten Verfassungsentwurf keinerlei Antwort auf die enormen sozialen Probleme und den erdrutschartigen Abbau demokratischer Rechte, der gegenwärtig in Europa stattfindet. Der Verfassungsentwurf wurde durch den sogenannten Konvent erarbeitet, einem durch niemanden legitimierten Club von Bürokraten. Ein Kritiker der Verfassung, der Premierminister von Luxemburg, Claude Juncker merkt dazu an: "Ich bin seit 20 Jahren in der europäischen Politik tätig und ich habe noch nie ein solches Defizit an Transparenz wahrgenommen. Dies stelle ich trotz der frommen demokratischen Wünsche fest, die in die Formulierungen des Dokumentes eingeflossen sind...mir ist noch nie ein undurchsichtigeres Gebilde unter die Augen gekommen, als dieser Konvent."

In Porto Carras verlor die europäische Elite über ihre soziale und politische Strategie der Ungleichheit und Armut kein Wort. Stattdessen verbrachten die Bürokraten und politischen Führer ihre Zeit in Griechenland damit, zu diskutieren, wie sie noch höhere Mauern rings um Europa errichten können, um politische Flüchtlinge und ausländische Arbeiter fernzuhalten.

Sie stimmen grundlegend über neue Konzepte überein, die die Migrations- und Flüchtlingsströme in die Europäische Union noch stärker eingrenzen sollen. Die Ähnlichkeit mit den repressiven und reaktionären Vorschlägen der Blair-Regierung in Großbritannien fällt dabei stark ins Auge. Angesichts der ständigen Versuche die Immigranten als Quelle aller Probleme Europas zu brandmarken, überrascht es nicht, dass der Angehörige der italienischen Regierung, Minister Umberto Bossi, letzte Woche noch einen Schritt weiter ging und öffentlich vorschlug, Einwanderer aus Italien fernzuhalten, indem man ihre Schiffe vor der Küste versenke.

Ein anderes wichtiges Thema in Thessaloniki war die Entwicklung einer unabhängigen europäischen Sicherheitspolitik. Auch dafür stehen die USA wieder Pate. Resultierend aus ihren Debatten in Griechenland fordert die Europäische Union nun das Recht, Präventivkriege zu führen, genau wie Bushs Krieg gegen den Irak.

Die EU-Politiker diskutierten auch über die Einsetzung eines Außenministers und die Ausarbeitung eigener außenpolitischer Richtlinien, doch, wie in so vielen anderen Aspekten, sind auch die Vorschläge zur Sicherheitspolitik ein fauler Kompromiss. Dem Verfassungsentwurf zufolge, müssen alle Entscheidungen zur Außenpolitik einstimmig gefasst werden. Angesichts der tiefen Spaltung, die Europa seit dem Irakkrieg durchzieht, besteht kaum die Möglichkeit eine gemeinsame europäische Alternative zum Militarismus der Bushregierung zu entwickeln.

Stattdessen wird die arbeitende Bevölkerung in Europa für steigende Militärausgaben zur Kasse gebeten und muss die quasikolonialen Interventionen Frankreichs und Deutschlands im afrikanischen Staat Kongo bezahlen.

Kein Zweifel, Europas Versuche, das US-Militär und die politische US-Dominanz herausfordern spielen eine Schlüsselrolle in der Entscheidung deutsche und französische Truppen in den Kongo zu entsenden. Die "Operation Artemis" ist die allererste militärische Intervention, die unabhängig von der NATO durch europäische Mächte durchgeführt wird.

Der EU-Chefdiplomat Javier Solana, erklärte in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit": "Zum ersten Mal können wir zeigen wie weit wir uns militärisch entwickelt haben. Wir demonstrieren: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Sicher, die NATO könnte auch so handeln. Aber weder die NATO noch die Amerikaner haben ein Interesse daran. Also handeln wir ohne Unterstützung der NATO."

Vielleicht nicht speziell am Staat Kongo, doch an Afrika insgesamt hegt die Bush-Regierung reges Interesse. Washington diskutiert die Entsendung von Truppen nach Liberia und Bush selbst wird nächste Woche nach Afrika reisen. Ende des 19. Jahrhundert stritten sich die größten imperialistische Mächte um diesen Schlüsselkontinent. Nun, ein Jahrhundert später treten ähnliche Konflikte erneut auf - dieses Mal verschärft durch das aggressive Auftreten und Vorgehen des US-Imperialismus.

Die europäische Intervention im Kongo - von allen großen Parteien Deutschlands auch Sozialdemokraten und Grüne legitimiert - muss als durch und durch rücksichtslos und räuberisches Militärabenteuer verurteilt werden. Als Intervention wird sie zweifellos eine eigene Dynamik entwickeln und noch nicht absehbare Gefahren und Konsequenzen nach sich ziehen. Sicher ist, dass bald französische und deutsche Soldaten in schwere Kämpfe verwickelt sein werden. Im Bestreben militärische Eigenständigkeit zu demonstrieren, sind die Drahtzieher in Berlin, Brüssel und Paris für alle möglichen Folgen blind.

Zum Schluss möchte ich die Entwicklungen innerhalb Europas seit dem Ende der ersten Phase des Irakkriegs rückblickend betrachten: Dabei muss ein Wort über den gegenwärtigen EU-Ratspräsidenten fallen. Seit dem 1. Juli sitzt der italienische Präsident und Betrüger Silvio Berlusconi dem Europäischen Parlament vor. Zwischenzeitlich hat er bereits einen Medienrummel verursacht, indem er einen deutschen Abgeordneten mit einem Nazi verglich und diffamierte, doch bezeichnend ist, dass vor der Übernahme seiner Ratspräsidentschaft kein europäischer Regierungsangehöriger ein kritisches Wort darüber verlor.

Dies erinnert an die drei weisen Affen: Nicht-Sehen, Nicht-Hören, Nichts-Sagen. Es gibt keine größere Kompromittierung der "demokratischen Bestrebungen" des modernen Europas als die stillschweigende Übereinstimmung mit der Ratspräsidentschaft Berlusconis. Berlusconi hat sich mit seiner letzten Provokation selbst einen Strich durch die Rechnung gemacht, doch die Stille, die die führenden europäischen Politiker, Schröder eingeschlossen, über diesen Vorfall breiten, zeigt, dass sie ihr Möglichstes tun, ihn vergessen zu machen, und zum "buisness as usual" zurückzukehren. Wie vorherzusehen, akzeptierte Schröder die Entschuldigung des italienschen Präsidenten. Doch Berlusconi selbst leugnet eine Entschuldigung je ausgesprochen zu haben und die Zeitungen des Präsidenten behandeln die Angelegenheit als Sieg ihres gewieften Präsidenten gegen die EU-Bürokraten.

Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass sich Berlusconi in nicht weniger als 13 Gerichtsprozesse in Italien wegen Erpressung, Korruption und fragwürdiger Geldgeschäfte verantworten muss. Um die Flut neuer Anklagen gegen ihn aufzuhalten, peitschte er kürzlich ein Gesetz durch das italienische Parlament, das allen führenden italienischen Politikern Immunität gewährt. Zukünftig will er diese Amnestie auf alle Parlamentarier ausweiten, was ihm und seinen Kumpanen gestatten würde, ihre kriminellen Geschäfte auch aus der obersten Position heraus fortzusetzen. Von Berlusconi, der in der Lage war, ein Gesetz zu verabschieden, das das Fälschen von Bilanzen und Geschäftsbüchern in Italien legalisiert, könnte sich selbst Bush noch den ein oder anderen Trick abschauen.

Tatsächlich gibt es kaum ein anschaulicheres Beispiel für die ausweglose Situation der europäischen Bourgeoisie als die Präsidentschaft Berlusconis. Berlusconi war einer der wichtigsten Unterstützer von Bush im Golfkrieg und seine provokanten Äußerungen gegen einen deutschen Abgeordneten dienen lediglich dazu die Spannungen und den Bruch innerhalb Europas zu vertiefen. Im Interesse der Einheit versuchen die anderen europäischen Regierungen verzweifelt über sein schlechtes Benehmen hinwegzusehen.

Auf einen weiteren wichtigen Grund für Europa gemeinsame Sache mit Berlusconi zu machen weist der italienische Abgeordnete und Philosoph Gianni Vattimo in einem aufschlussreichen Artikel hin. Berlusconi, so Vattimo, sei ein Virus, der den politischen Körper Europas bedrohe. Vattimo ist überzeugt, dass die europäische Demokratie keinerlei Antikörper besitzt um der Bedrohung Berlusconis zu entgehen.

Er fährt fort und erklärt, dass Berlusconis einer der Hauptbündnispartner der US-Regierung in Europa ist und im Sinne hat, amerikanische Verhältnisse in Italien und auf dem ganzen Kontinent zu etablieren: den Abbau des Sozialstaats, die Privatisierung von Bildung und Renten, usw. Wie ich bereits ausgeführt habe, vertritt nicht allein Berlusconi, sondern Schröder in Deutschland, Chirac und Raffarin in Frankreich und die gesamt Bourgeoisie in Europa exakt dieselbe Politik.

So lauten also die Prioritäten der europäischen Bourgeoisie nach dem Irakkrieg: Das Recht auf Durchführung eigener kolonialer Militärinterventionen, die Zerstörung sozialer Sicherungssysteme und sozialer Rechte, sowie die Zunahme von rassistischen Kampagnen gegen ausländische Arbeiter.

Die arbeitende Bevölkerung in Europa muss die Lehre aus den Erfahrungen des vergangenen Jahres ziehen. Nicht das geringste Vertrauen darf in Organisationen wie die UNO oder in die europäische Bourgeoisie gesetzt werden. Bestrebungen und Entwicklungen bezüglich eines geeinten Europas und die Überwindung nationaler Rückständigkeit haben eine objektive Grundlage, doch die jüngsten Ereignisse haben lediglich bestätigt, dass die europäische Bourgeoisie unfähig ist, den Kontinent auf fortschrittliche Weise zu einen.

Vor fast einem Jahrhundert ging Leo Trotzki in seiner Schrift: Was ist ein Friedensprogramm? auf diese Frage ein. Im Bestreben eine einheitliche Politik zu entwickeln, schrieb Trotzki mitten im Ersten Weltkrieg, sei die europäische Bourgeoisie nur zu "lückenhaften Kompromissen und halben Maßnahmen" in der Lage. Diese Prognose zeigt ihre Berechtigung auch heute. Die herrschende Klasse ist nicht nur zu "lückenhaften Kompromissen und halben Maßnahmen" verurteilt, sie bewegt sich in Richtung abenteuerlicher, quasi-kolonialer Interventionen von Europa in Afrika und bedroht die Welt durch neue militärische Krisenherde. Die fortschrittliche Einigung Europas auf der Grundlage von Gleichheit, Demokratie und Sozialismus, sowie die Prävention neuer imperialistischer Kriege, ist daher die Aufgabe der europäischen Arbeiterklasse.

Die Perspektive für ein Sozialistisches Europa hat nichts mit Anti-Amerikanismus zu tun. Ganz im Gegenteil! Ein mächtiges Gegengewicht zum amerikanischen Imperialismus wäre das Resultat. Diese Perspektive könnte eine Quelle der Inspiration und Motivation für die amerikanische Arbeiterklasse bedeuten und sie in ihrer eigenen dringlichen Aufgabe bestärken, "einem Regimewechsel" in Washington durchzuführen.

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