Howard Dean widerspricht Außenseiter-Vorwurf der Washington Post

Howard Dean, einer der führenden Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei, veröffentlichte in der Washington Post vom 21. Dezember eine Stellungnahme, in der er auf den Vorwurf in einem Leitartikel dieser Zeitung vom 18. Dezember einging, seine Haltung zum Irakkrieg falle aus dem allgemein akzeptierten Rahmen.

In seiner Antwort mit dem Titel "Out of the Mainstream? Hardly" (Aus dem Rahmen gefallen? - Wohl kaum) argumentiert Dean, die Bush-Regierung selbst verfolge eine Außenpolitik, die sich krass außerhalb des "Rahmens" amerikanischer Politik seit dem Ende des zweiten Weltkriegs bewege. Sich selbst stellte der frühere Gouverneur aus Vermont als weitsichtigen Verteidiger der globalen Interessen des amerikanischen Kapitalismus dar. Er warnte, die einseitige und extrem militaristische Ausrichtung der heutigen Regierung untergrabe langjährige internationale Allianzen, die den Interessen der herrschenden US-Elite mehr als ein halbes Jahrhundert lang ausgezeichnete Dienste geleistet hätten.

Dean, der laut Meinungsumfragen im Rennen um die demokratische Nominierung an erster Stelle steht, ist zur Zielscheibe einer wilden politischen Attacke der meisten Medien und vieler prominenter Politiker in der Führung der Demokratischen Partei geworden. Diese Angriffe nahmen nach der Gefangennahme von Saddam Hussein hysterische Formen an. Einige rivalisierende Kandidaten um die demokratische Nominierung versuchten, mit der Festnahme des ehemaligen irakischen Präsidenten die Invasion des Irak zu rechtfertigen und Dean als Sicherheitsrisiko und gefährlichen Radikalen hinzustellen. Zu ihnen gehören die Senatoren Joseph Lieberman und John Kerry und der Kongressabgeordnete Richard Gephardt.

Dean schreibt in seiner Kolumne: "Die Bush-Politik verabschiedet sich radikal von einem jahrzehntelangen Konsens beider Parteien über den angemessenen Einsatz der Macht der USA und unsere Führungsrolle in der Weltgemeinschaft." Er fährt fort: "Von ihrer abschätzigen Behandlung Verbündeter bis hin zu ihrer Ablehnung wichtiger globaler Verträge zieht diese Regierung Alleingänge vor und folgt dem Prinzip der Gewaltanwendung als erstem Mittel. Mit ihrer Haltung hat sie Freunde entfremdet und Feinde bestärkt. Ihre Politik isoliert die Vereinigten Staaten, legt die Verantwortung für alle Probleme der Welt in unsere Hände und läuft den republikanischen Traditionen Amerikas zuwider."

Dean greift in seiner Kritik die Bush-Regierung besonders wegen ihrer "Präventivkriegsdoktrin" an.

Der ehemalige Gouverneur entwickelt seine eigene Alternative, die - wie er meint - in der "besten Traditionen unseres Mainstreams" steht. Er fordert "unserer Armee und Spionagedienste" zu stärken, die Allianzen - besonders mit den Europäern - wiederzubeleben, die "durch die aktuelle Regierung schwer beschädigt" worden sind, den Sieg über die "Terroristen, die Amerika angegriffen haben" zur ersten Priorität zu machen, und sich ernsthafter um "Investitionen, Handel, Entwicklungshilfe und öffentliche Gesundheit der Entwicklungsländer" zu kümmern.

Dean erklärt, er sei gegen die Invasion im Irak gewesen, weil "Saddam Hussein keine unmittelbare Gefahr für Amerika darstellte". Er fügt hinzu: "Die Regierung hatte keine eindeutigen Beweise (und hat sie auch jetzt noch nicht) vorgelegt, dass Hussein unmittelbare Angriffe auf seine Nachbarn plante, die Vereinigten Staaten oder den Nahen Osten mit Massenvernichtungswaffen bedrohte oder Al-Qaida unterstützte."

Um jeden Anschein zu entkräften, er sei grundsätzlich gegen den Einsatz militärischer Gewalt, erklärt er im nächsten Absatz, den Gesprächen mit Nordkorea sollte "durch die Androhung von Gewalt" Nachdruck verliehen werden.

Dean schreibt, er bemühe sich, die US-Politik wieder auf ihr "grundlegendes Ziel" auszurichten, "durch effektive Partnerschaft und globale Führung, wie auch durch militärische Stärke... die Amerikaner zu schützen und unsere Werte und Interessen zu fördern". Er schließt, am Ende werde sich erweisen, "wer sich im Mainstream befindet, und wer gegen die Strömung der Geschichte schwimmt".

Deans Kolumne, die nur drei Tage nach dem gegen ihn gerichteten Leitartikel in der Washington Post erschien, ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Erstens macht sie die scharfen Spaltungen deutlich, die sich durch die führenden wirtschaftlichen und politischen Kreise ziehen - besonders in Deans eigener Partei. Zweitens umreißt sie den Kern einiger wichtiger politischer Fragen, die zur Debatte stehen. Drittens unterstreicht sie die Tatsache, dass Dean als bürgerlicher Politiker selbst vom Wunsch durchdrungen ist, die Interessen der amerikanischen herrschenden Klasse zu verteidigen, die er durch die Politik weiter rechts stehender Fraktionen bedroht sieht.

Deans Kolumne nimmt Positionen auf, wie sie in den letzten 15 Monaten von Al Gore, dem ehemaligen Vizepräsidenten und demokratischen Präsidentschaftskandidaten von 2000 formuliert wurden. Anfang diesen Monats stellte sich Gore hinter Deans Kandidatur für die demokratische Nominierung für 2004.

Dean und Gore sprechen für Schichten der herrschenden Kreise, die tief besorgt über die Auswirkungen der aktuellen Kriegspolitik der Regierung auf Außen- und Innenpolitik sind. Wenn Dean schreibt: "Auf der ganzen Welt haben viel zu viele jetzt den falschen Eindruck gewonnen, das amerikanische Volk neige zur Weltherrschaft und zum Krieg gegen den Islam", so bezieht er sich auf die offensichtlichen Anzeichen, dass die Feindschaft gegen Washingtons dreisten Griff nach der Weltherrschaft international zunimmt.

Der internationale Finanzspekulant George Soros, der der liberalen demokratischen Gruppe MoveOn.org, die Gores jüngste Reden sponserte, fünf Millionen Dollar gespendet hat, schreibt in der Dezembernummer von Atlantic Monthly im gleichen Sinn, wenn er die "Kontinuitätsbefürworter" gegen jene Leute in der Bush-Regierung verteidigt, die "das Abnormale, das Radikale und das Extreme... als Normalität" definiert hätten.

Dean und andere sind außerdem besorgt, die Rechtswende der Demokratischen Partei, die Bushs militaristische weitgehend Haltung unterstützt, könnte das amerikanische politische System so weit diskreditieren, dass die Unzufriedenheit der Bevölkerung außerhalb des Zweiparteien-Systems zum Ausbruch kommt und unter den Einfluss linker und sozialistischer Bewegungen gerät. Sie wollen die Demokratische Partei als effektives Mittel zur Kanalisierung sozialer und politischer Verdrossenheit wiederbeleben, um diese im Rahmen bürgerlicher Politik halten zu können.

Andere führende Kandidaten für die demokratische Präsidentschaftsnominierung, wie die Senatoren Lieberman, Kerry und John Edwards sowie der Abgeordnete Gephardt, orientieren sich vorwiegend an der öffentlichen Meinung der Elite. Sie hoffen, diese von Bush weg in ihr jeweiliges Lager lenken zu können. Sie setzen darauf, dass im politischen und Medien-Establishment besonders jetzt, da der Schlamassel im Irak immer größer wird, ausreichend Unzufriedenheit mit der aktuellen Regierung vorhanden ist, um ihre Kandidatur attraktiver erscheinen zu lassen.

Dean, und jene, die ihn unterstützen, sind aber davon überzeugt, dass man - wenn auch vorsichtig - breitere soziale Kräfte ansprechen muss, um einen Kurswechsel zu erreichen. Der ehemalige Gouverneur von Vermont setzt in seiner Kampagne das Internet als wichtiges Instrument ein. Man sagt, er habe 540.000 Online-Helfer. Als Reaktion auf die TV-Annonce einer Gruppe rechter Demokraten, auf der das Gesicht von Osama bin Laden zusammen mit einer hinterhältigen Botschaft gegen Dean zu sehen war, erhielt das Dean-Lager in nur drei Tagen 552.000 Dollar Spenden über das Internet.

In Iowa, wo die verschiedenen Kandidaten am 19. Januar um die Unterstützung der demokratischen Ortsgruppen kämpfen, hat Dean eine fast populistische Kampagne geführt und auf einer Versammlung am Grinnell College erklärt: "Wir haben zugelassen, dass wir zu den Sklaven multinationaler Konzerne der ganzen Welt wurden." Auf einer anderen Versammlung sagte er: "Wir sind nicht Zahnräder in einer Konzernmaschinerie. Wir sind Menschen, geistige Wesen, die als Menschen eine bessere Beachtung verdienen, als wir sie von dieser Regierung erfahren."

Deans durchaus vernünftige Feststellung, dass die Gefangennahme von Saddam Hussein die Sicherheit amerikanischer Bürger nicht erhöht habe, brachte ihm Verleumdungen seiner Rivalen ein. Lieberman nannte Dean wegen seiner Opposition gegen die Invasion des Irak "Dr. No", und behauptete - in einem groben Versuch, Dean mit Saddam Hussein in Verbindung zu bringen - er sei in ein "Spinnennest der Verweigerung" gekrochen.

In der CNN-Sonntagssendung befragte Gastgeber Wolf Blitzer Kerry über Deans Kommentare zu Husseins Festnahme und ermunterte ihn, dem Ex-Gouverneur eine Abfuhr zu erteilen. Nach dem Einblenden eines Filmausschnitts mit Deans Bemerkungen fragte Blitzer Kerry: "Nun, Sie sind darüber anderer Meinung als er?" Kerry antwortete: "Soviel ich weiß, hat die Washington Post Howard Deans Ansichten in einem Leitartikel kommentiert und sie als ‚absurd' bezeichnet."

Weiter behauptete Kerry: "Wenn ein wichtiger Kandidat nicht versteht, dass die Gefangennahme jenes Mannes Amerika sicherer macht, zeigt das, denke ich, einen außerordentlichen Mangel an Verständnis für Außenpolitik und nationale Sicherheit." Blitzer fragte am Ende dieses Teils des Interviews zweimal, ob Dean "für das Präsidentenamt qualifiziert" sei. Interessanterweise weigerte sich Kerry, die Standardantwort zu geben und zu versichern, er werde den demokratischen Kandidaten unterstützten, wer immer es auch sei. Stattdessen antwortete er, über Deans Eignung zum Präsidenten müsse "das amerikanische Volk entscheiden".

Bis jetzt hat Dean die Kritik anderer Demokraten recht nachdrücklich abgewehrt. Vergangenen Freitag erklärte er anlässlich einer Wahlkampfveranstaltung in New Hampshire: "Ich denke, die Demokratische Partei muss dem amerikanischen Volk eine klare Alternative bieten". Er wiederholte seine abweichende Meinung, dass "Amerikaner heute nicht sicherer sind als vor der Gefangennahme von Saddam Hussein". Er fügte hinzu: "Wir sind heute nicht sicherer, als zur Zeit, als die Flugzeuge in das World Trade Center stürzten."

In Iowa forderte Dean am 20. Dezember seine Sympathisanten auf, nicht nur ihn zu unterstützten, sondern ihre Partei zu ändern: "Es geht darum, die Demokratische Partei wieder aufzubauen. Ihr habt es am 19. Januar in der Hand, die Demokratische Partei zu verändern."

Deans Kritik an der amerikanischen Politik bleibt sowohl begrenzt als auch oberflächlich. Sie hört genau an dem Punkt auf, wo sie eigentlich beginnen müsste. Der Grund dafür liegt nicht hauptsächlich in Deans Persönlichkeit oder intellektuellen Fähigkeiten. Vielmehr kommt es daher, dass er ein Verteidiger des amerikanischen Kapitalismus und der grundlegenden Interessen der herrschenden Klasse in den Vereinigten Staaten ist.

Auf die entscheidenden Fragen gibt er keine Antwort: Warum hat die US-Regierung mit Unterstützung der wichtigsten Schichten der herrschenden Elite und Medien eine derart "radikale Abwendung" von ihrer traditionellen Haltung vollzogen? Warum setzt sie eine rücksichtslose Politik durch, die ihr die große Mehrheit der Weltbevölkerung entfremdet, und auch in den USA selbst Bedingungen für eine breite Radikalisierung schafft? Warum ist ein großer Teil seiner eigenen Partei, und gewiss die überwältigende Mehrheit ihres Führungspersonals, mit dieser Politik einverstanden?

Es ist wahr, dass Deans außenpolitische Linie vor der Amtsübernahme der Bush-Regierung nach der gestohlenen Wahl von 2000 mehr oder weniger von allen in Washington geteilt wurde. Gleichzeitig hat sich der Druck in die Richtung einer mehr unilateralen und kriegerischeren Politik schon seit Jahrzehnten, auch unter der Clinton-Regierung, aufgebaut. Unter Clinton gab es eine ausgesprochene Eskalation weltweiter amerikanischer Militäraktionen, so zum Beispiel mehrere Bombenangriffe auf den Irak, die Entsendung von US-Truppen nach Somalia und Haiti, den Luftkrieg gegen Serbien und Raketenangriffe gegen Afghanistan und den Sudan.

Nach dem Krieg verlief die wichtigste Scheidelinie im Denken der amerikanischen herrschenden Klasse zwischen jenen, die eine "Eindämmung" der UdSSR befürworteten, und jenen, die für eine Politik des "Rollback", d.h. eine direkte militärische Konfrontation mit den stalinistischen Regimes eintraten. Die gleichen rechtsextremen Kräfte, die eine Konfrontation mit der UdSSR verlangten, traten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion für die Doktrin der amerikanischen Weltherrschaft ein, betrachteten den Einsatz der militärischen Übermacht der USA als wichtigstes Mittel dazu und befürworteten eine aggressive Präventivkriegspolitik. Als die Bush-Regierung an die Macht kam, gewann diese Fraktion in den USA politisch die Oberhand.

Dean geht nicht auf die offensichtliche Frage ein: Warum wurde die traditionell vorherrschende Haltung, die Gore und er selbst verkörpern, an den Rand des politischen Establishments gedrängt?

Um solche Fragen zu beantworten, müsste man ernsthaft die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wurzeln dieser Wende in der amerikanischen Politik untersuchen. Eine solche Untersuchung würde unvermeidlich die ganze Entwicklung des amerikanischen Kapitalismus, seine unlösbaren Widersprüche und seine neuen Prioritäten ins Zentrum rücken.

Wenn die aktuelle Regierung in Deans eigenen Worten "weit ab" vom traditionellen Kurs liegt, dann nicht wegen der persönlichen Launen von Bush, Dick Cheney, Donald Rumsfeld oder Paul Wolfowitz. Der Antrieb für diese gewaltsame und kriegslüsterne Politik kommt aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen System, das sowohl Republikaner wie Demokraten verteidigen - Dean nicht ausgenommen.

Würde Dean die Nominierung seiner Partei gewinnen, dann sähe er sich gezwungen, seinen Wahlkampf so nach den Bedürfnissen der Wirtschaftselite zurechtzustutzen, dass er schließlich in den gleichen allgemeinen Kurs der extremen Reaktion einmünden würde, den er momentan kritisiert.

Die Angriffe auf Dean und die Antwort, die er darauf gibt, lassen ernsthafte Risse in der herrschenden Elite erkennen, wobei die mächtigsten Schichten die Bush-Regierung weiterhin unterstützen. Dean selbst repräsentiert nicht die Interessen oder Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung. Er spricht vielmehr für eine unzufriedene und besorgte Schicht der Elite. All jene, die Dean ein wirklich radikales und sogar linkes Programm zuschreiben, täuschen amit sich selbst und alle anderen.

Siehe auch:
Howard Dean and the shrinking US political "mainstream"
(20. Dezember 2003)
Ein Militarist als "Friedenskandidat": General a.D. Wesley Clark will demokratischer Präsidentschaftskandidat werden
( 1. Oktober 2003)
Weshalb die Demokratische Partei Bushs Kriegspläne gegen den Irak unterstützt
( 17. Oktober 2002)
Die Lehren aus dem Wahlkampf Upton Sinclairs 1934
( 27. Dezember 2003)
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