Bushs fünfte Kolonne

Warum deutsche Christdemokraten für einen Irak-Krieg eintreten

Der Irak-Krieg hat nicht nur die europäische Elite gespalten, sondern auch die deutsche. Teile der CDU/CSU und der FDP sowie der konservativen Presse führen eine Kampagne gegen den politischen Kurs von Kanzler Schröder und Außenminister Fischer, die Tag für Tag hysterischere Züge annimmt.

Jüngstes Beispiel ist der Artikel, den die CDU-Chefin Angela Merkel am Donnerstag in der Washington Post veröffentlicht hat. Unter der Überschrift "Schröder spricht nicht für alle Deutschen" wirft sie dem Kanzler vor, er habe aus wahltaktischen Gründen die "wichtigste Lektion deutscher Politik" leichtfertig in den Wind geschlagen, dass es nie wieder einen deutschen Sonderweg geben dürfe.

Die Blockade der geplanten Militärhilfe für die Türkei von Seiten der Bundesregierung "untergräbt die Basis der Legitimität der Nato", schreibt Merkel und verteidigt die osteuropäischen EU-Mitgliedskandidaten gegen den Rüffel des französischen Präsidenten Chirac. Diese Länder hätten lediglich "ihre Treue zur transatlantischen Partnerschaft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten" erklärt.

Schon vor zwei Wochen, auf der Münchner Sicherheitskonferenz, hatte die CDU-Vorsitzende eine Rede zur Unterstützung der amerikanischen Kriegspolitik gehalten. Nur die konkrete Gewaltandrohung und der massive amerikanische Truppenaufmarsch in der Region habe Saddam Hussein zur Zusammenarbeit mit den Waffeninspektoren gezwungen, erklärte sie dort und behauptete, Schröders Politik widerspreche der "deutschen Staatsräson". Presseberichten zufolge soll Merkel damals im persönlichen Gespräch den Vertretern der amerikanischen Delegation zu verstehen gegeben haben, eine von der Union geführte Bundesregierung hätte die Erklärung der acht europäischen Staaten unterschrieben, die den USA ihre volle Unterstützung zugesagt haben.

Bis dahin hatten sich die Unionsparteien in der Kriegsfrage angesichts wichtiger Landtagswahlen bedeckt gehalten, wohl wissend, dass die amerikanische Kriegspolitik in der Bevölkerung abgelehnt wird. Wenn sich die Union nun offen mit der Bush-Regierung solidarisiert, kommt dies einer rechten Offensive gegen die Mehrheit der Bevölkerung gleich.

Für die Solidarisierung der Union mit der Bush-Regierung gibt es mehrere Gründe.

Angela Merkel und der außenpolitische Sprecher der CDU, Wolfgang Schäuble, rechtfertigen sie vorwiegend außenpolitisch. Die "enge Partnerschaft und Freundschaft mit den Vereinigten Staaten" sei ein ebenso grundlegendes Element der deutschen Politik wie die europäische Integration, erklärte Merkel in der Washington Post.

Ähnlich argumentiert Schäuble. Er warnt vor den wirtschaftlichen und politischen Implikationen eines wachsenden Konflikts mit der amerikanischen Regierung und schiebt die Verantwortung dafür ausschließlich Kanzler Schröder zu, der sich gegenüber dem großen Bruder ungebührlich verhalten habe.

Dieser Standpunkt erinnert an den Vogel Strauß, der angesichts neuer Gefahren den Kopf in den Sand steckt. Merkel und Schäuble tun so, als hätte das offensichtliche Streben der amerikanischen Regierung nach uneingeschränkter Weltmacht die Koordinaten der internationalen Politik nicht grundlegend verändert. Dass die Bush-Administration den bisherigen Konsens der transatlantischen Beziehungen aufgekündigt hat und ihren Einfluss in Europa nutzt, um eine Spaltung in die europäische Politik zu tragen, ficht sie nicht an.

Mit ihrer Vasallentreue zu Washington knüpfen sie an die Tradition der CDU an, die in den beiden großen außenpolitischen Kontroversen der Nachkriegszeit die Partei der USA ergriffen hatte - in der Auseinandersetzung um die Westbindung unmittelbar nach dem Krieg und im Konflikt über die Ostpolitik Willy Brandts, die anfänglich gegen den Widerstand Washingtons betrieben wurde.

Hinter der Parteinahme der CDU für den Kriegskurs der USA steckt aber mehr als nur ein nostalgischer Reflex. Andere in der Union - wie der Fraktionsvize Friedrich Merz, der hessische Ministerpräsidenten Roland Koch oder der Außenpolitik-Experte der Fraktion, Friedbert Pflüger - verfolgen damit auch innenpolitische Ziele. Sie haben nicht vorwiegend die Außenpolitik im Auge, sondern den anhaltenden Widerstand gegen Sozialabbau, Massenentlassung oder die Privatisierung der Sozialsysteme im Innern.

Das abstoßende, arrogante und kriegslüsterne Auftreten der Bush-Regierung wirkt auf sie anziehend - ja geradezu faszinierend. Eben weil der Gedanke, der Krieg mit all seinen Gräueln und Opfern sei ein legitimes Werkzeug der Politik, die Mehrheit der Bevölkerung abstößt und schockiert, betrachten sie den Krieg als Mittel, um die Bevölkerung einzuschüchtern und der Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen. Deshalb sind sie begeistert über das polternde Auftreten eines Rumsfeld oder eines Bush.

Sie vertreten in der deutschen Politik dasselbe aggressive, kriminelle Element, das die Bush-Administration in Amerika verkörpert. Obwohl sie die rot-grüne Koalition in allen sozialen Fragen vor sich hertreiben und diese bereits einen weitgehenden Abbau von Sozialleistungen betrieben hat, laufen die Unions-Rechten Sturm gegen diese Regierung, die erst vor einem halben Jahr gewählt wurde.

Schützenhilfe erhalten sie dabei von den konservativen Medien, die geradezu rasend auf die wachsende Antikriegsstimmung in der Bevölkerung reagieren, jeden Mindeststandard an Objektivität aufgeben und regelrecht Gift und Galle speien. Gestützt auf die Kriegspropaganda des Pentagon versuchen sie Angst und Hysterie zu schüren.

So beschuldigte die konservative Presse im Einklang mit einigen Unions- und FDP-Politikern die Bundesregierung über Tage hinweg, sie verharmlose die Gefährdung durch Pockenviren aus dem Irak und ignoriere geheimste, gesicherte Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes.

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung meldete am Tag nach den Massendemonstrationen in sensationeller Aufmachung, ihr liege ein Bericht aus einem Bundesministerium vor, wonach in Deutschland "mit 25 Millionen Toten bei einem Pockenangriff kalkuliert" werde. Die Bundesregierung verfüge seit dem 9. August vergangenen Jahres über diese Informationen und habe es unterlassen, die Bevölkerung zu warnen.

Das Ganze entpuppte sich als reine Panikmache. Zwei in Geheimdienstangelegenheiten völlig unerfahrene Referatsleiter aus dem Bundesgesundheitsministerium hatten, um 30 Millionen Euro für ein Impfprogramm locker zu machen, in einem Papier für den Haushaltsausschuss die Katastrophe beschworen. Sie stützten sich dabei auf ein mit der niedrigsten Geheimhaltungsstufe versehenes Papier aus dem Bundesnachrichtendienst, das in fast allen Passagen auf öffentliche Quellen verwies. "Solche Informationen sind keine Beweise, es sind nicht mal Hinweise", bemerkte die Süddeutsche Zeitung.

Dass es den konservativen Kreisen mit der Einschüchterung der Bevölkerung durchaus ernst gemeint ist, zeigt eine andere Entwicklung, die im Lichte der Tiraden gegen den irakischen Diktator eher komisch anmuten würde, wenn sie nicht so bedrohlich wäre. Immer häufiger erscheinen in etablierten Blättern nämlich Erwägungen darüber, dass Demokratie keineswegs mit der Herrschaft der Mehrheit gleichzusetzen sei, sondern mit der entschlossenen Durchsetzung politischer Ziele - gegen die Meinung der Mehrheit.

Den Vogel schoss in dieser Hinsicht die Frankfurter Allgemeine Zeitung ab, die am 17. Februar mit einem Seite-Eins-Kommentar unter der Überschrift "Missverstandene Demokratie" erschien. Er stellt einleitend fest, dass mehr als siebzig Prozent der Bevölkerung in der Irak-Frage auf der Seite der Bundesregierung stehen und wirft die Frage auf: "Ist eine Regierung nicht gehalten, den Volkswillen zu vollstrecken, wenn er sich so klar zu artikulieren scheint? Viele sehen es so."

Nicht so die FAZ. Sie behauptet, dass die weit verbreitete Lesart der Demokratie als "Volksherrschaft" die "schlimmste Entartung der Demokratie" hervorgebracht habe, und führt als Kronzeugen dafür einen bekannten Philosophen an. "Vor der allzu wörtlichen Übersetzung des griechischen Begriffs Demokratie ins Deutsche hat schon Karl Popper gewarnt: ‚Demokratie war nie Volksherrschaft, kann es nicht sein, soll es nicht sein.’"

Das Besondere an der Demokratie sei eben nicht, dass in ihr das Volk herrsche, "in der Diktatur dagegen ein einzelner oder eine Clique". Die Ausübung der Macht sei "immer eine Sache von wenigen". Das Besondere an der Demokratie bestehe darin, dass in ihr "die Macht auf Zeit vergeben" werde und das Volk von Zeit zu Zeit die Möglichkeit habe, über die Regierungspolitik abzustimmen.

Großzügig fügt der Autor hinzu: "Das heißt nicht, dass es grundsätzlich von Übel wäre, wenn die Regierung das tut, was eine Mehrheit für wünschenswert hält."

Der Ruf nach einer Regierung, die ihren Willen rücksichtslos gegen die Bevölkerung durchsetzt und dabei mit Mehrheiten - wie dies Bush anlässlich der amerikanischen Präsidentenwahl getan hat - nicht allzu zimperlich umgeht, wandelt sich mehr und mehr zur Forderung nach einem vorzeitigen Abbruch der Amtszeit der rot-grünen Koalition. Die Schröder-Regierung ist in den Augen der Unions-Rechten trotz ihrer Sozialkürzungen und Sparmaßnahmen nicht in der Lage, dem wachsenden Druck der Bevölkerung standzuhalten.

"Ich finde die müssen weg - um jeden demokratischen Preis", rief der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos in einer Unionsfraktionssitzung Anfang des Monats. Seitdem nehmen die rechten Angriffe auf die Regierung ständig zu.

Am Donnerstag vergangener Woche nutzten die Unionsparteien eine Bundestagsdebatte über den Irak-Konflikt, um ihren Druck auf die Regierung zu erhöhen. Nachdem der Kanzler in einer Regierungserklärung die Haltung seines Kabinetts in der Kriegsfrage begründet hatte, stellten CDU/CSU zwei Anträge zur Diskussion, von denen einer unter der Überschrift "Europa und Amerika müssen zusammenstehen" direkt an die Erklärung der acht europäischen Regierungen anknüpfte, die sich mit den USA solidarisiert hatten. Die Bundesregierung wurde aufgefordert, ihre Festlegung auf eine Nein im UN-Sicherheitsrat aufzugeben und einer deutschen Beteiligung an einem Waffengang gegen den Irak zuzustimmen.

Der zweite Antrag blieb etwas allgemeiner und warf der Regierung vor, sie habe die "Grundpfeiler der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt und damit den vitalen außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands, seinem Ansehen und Gewicht in der Welt schweren Schaden zugefügt".

Am nächsten Tag wurde bekannt, dass diese Abstimmung als Testlauf für ein Misstrauensvotum gegen den Bundeskanzler geplant war. Allerdings war das Vorgehen in den Reihen der Union selbst umstritten. Sieben Unionsabgeordnete verließen vor der Abstimmung den Plenarsaal und die rot-grüne Mehrheit war gesichert. Doch die Versuche die Schröder-Regierung zu destabilisieren gehen weiter.

Wie weit die Union dabei Rückenwind aus den USA spürt, hat der Kolumnist der International Herald Tribune William Pfaff deutlich gemacht. Dass sich Gerhard Schröder von seinem Widerstand gegen die amerikanischen Kriegspläne nicht abbringen lasse, werde man ihm nicht verzeihen, schrieb er. Die Bush-Administration werde "versuchen, den deutschen Kanzler politisch zu zerstören". Ein "Regimewechsel in Deutschland" scheine nun zu den "Prioritäten" der Washingtoner Politik zu zählen.

Siehe auch:
Wie soll man sich gegenüber Amerika verhalten? Das Dilemma der Europäer
(28. Januar 2003)
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - März/April 2003 enthalten.)
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