Briefe an die World Socialist Web Site

Wir veröffentlichen an dieser Stelle einige Zuschriften an die Redaktion, die sich mit der zur Bewegung gegen den Irakkrieg befassen.

Eure Web-Site ist z. Z eine der wenigen brauchbaren Informationsquellen. Es wird nicht psychologisiert oder subjektiviert, es wird nicht gejammert, nicht herumgestänkert - Gründe für die gegenwärtige Situation kommen auf den Tisch und vor allem Perspektiven werden aufgezeigt.

Bravo. Weiter so.

Der Knackpunkt hier in Deutschland besteht vor allem darin, dass die Menschen nicht das, von dem sie direkt betroffen sind (Sozialabbau, höhere Steuern, Vergiftung der sozialen Beziehungen usw.), zusammenbringen können mit der Ungerechtigkeit und der brutalen Gewalt, wie sie sich in den ‚anderen’ Ländern entfalten.

Jeder versucht, seine eigene Haut zu retten, und glaubt auch noch fest daran, irgendwie sich durchwursteln zu können. "Man muss nur richtig anpacken, man muss nur Manns genug sein", redet er sich ein, ohne sich auch nur im geringsten bewusst zu werden, dass der anstehende Krieg, dass die Situation der Arbeiter, die Versklavung von Frauen und Kindern in so vielen Ländern nicht nur die Probleme der anderen, sondern auch seine ‚eigenen’ Probleme sind.

Ich habe vor kurzem meinen Betriebsratskollegen (Ver.di) ein Mail weitergeleitet, worin ein in Kolumbien bei Coca-Cola beschäftigter Arbeiter, der wegen seiner Gewerkschaftsarbeit von Paramilitärs bedroht wird, um Unterstützung bittet.

Die Antwort unserer Ver.di-Recken (wörtlich):

"In dieser Sache hat meines Wissens der Gewerkschaftsrat von ver.di beschlossen, dass zukünftig auf gewerkschaftlichen Veranstaltungen KEINERLEI Erzeugnisse des Coca-Cola-Konzerns mehr ausgeschenkt werden dürfen! Es wäre schön, wenn ihr das ebenfalls mittragen könntet! Weitere geplante Maßnahmen sind mir derzeit nicht bekannt!"

Man weiß nicht, ob man da weinen oder lachen soll.

Entlarvend vor allem sind auch die so unscheinbar daherkommenden Wörtchen "in eurem privaten Bereich".

Solidarität ist anscheinend nicht mehr gefragt.

Gruß

M.K.

***

Am Wochenende blieb mir ein wenig Zeit, zumindest medial den vielen Anti-Kriegs-Demos weltweit beizuwohnen. (Leider konnte ich nicht mitmarschieren.) Und in Berlin lief ja unter vielen anderen auch unser guter Bundestagspräsident Wolfgang Thierse mit. Ausdrücklich als Bürger, wie er vor der Kamera betonte, da der Bundeskanzler ja die SPD-Fraktion um Zurückhaltung bat. Und in der BILD lese ich heute, dass die CDU Thierse wegen seiner Teilnahme kritisierte.

Es sei nicht gut, dass Thierse bei einer anti-amerikanischen (?) Demo marschiere, da wir ohne Amerikaner womöglich heute gar kein Recht hätten, frei zu demonstrieren.

Zum einen muss ich mich wundern, warum diese Demonstrationen anti-amerikanisch gewesen sein sollen. Man marschierte, sprach und sang doch "lediglich" gegen einen ungerechtfertigten und mit schwachen bis lächerlichen Geheimdienst-Erkenntnissen begründeten Krieg. Dass der von den USA geführt wird, ist nicht die Schuld der Demonstranten! Und dass zerbombte Häuser, verstümmelte und tote Menschen sowie Flüchtlingselend und Gewalt etwas Grausiges sind, sollte zweifelsfrei anzuerkennen sein. Was also soll an diesen Demonstrationen, die doch das Gute bezwecken, falsch sein? Zumal sowohl Gewerkschaften als auch Kirchen und unzählige andere Organisationen dazu aufgerufen haben, während Kriegsbefürworter wie die CDU nicht einmal die christlichen Kirchen auf ihrer Seite haben. Das ist schon beschämend.

Das dümmste Argument ist jedoch die Behauptung, man dürfe nicht gegen die Politik der USA demonstrieren, weil die eine Demokratie auf deutschem Boden erst ermöglicht habe. Also darf ich jetzt nicht demonstrieren, weil ich endlich demonstrieren darf? Häh? Das sollte man mir aber noch mal erklären. Ich stelle die amerikanischen Beiträge zum Sturz des Nazi-Regimes und zum Aufbau des zerstörten Deutschlands hier nicht in Frage. Aber als Begründung für unbedingten Gehorsam kann das doch schon vom Sinn her nicht dienen! Gerade gegen diesen Gehorsam richtet sich doch Freiheit! Wozu sollten wir bitte Demokratie aufrechterhalten, wenn sie uns nicht dazu dient, in unseren Augen ungerechte Maßnahmen zu unterbinden? Sollten wir, wenn wir den Irak-Krieg für grausam halten, unseren Mund schließen und kuschen?

Gegen Systemfeinde kann ich problemlos schreien: "Saddam ist ein Tyrann!" Das stimmt schließlich, so weit, so gut. Aber eine Kunst ist es nicht, so etwas zu sagen. Zumindest, wenn man kein Iraki ist. Die müssen eben durch das Horn ihres Herrschers tuten.

Aber wehe, die Demokratie richtet sich gegen die eigene Politik! Dann wird es haarig. Wenn die Bürger nicht alles, was man ihnen sagt, hinnehmen und womöglich einen eigenen Willen haben, ist ein Ausweg schwer zu finden. Wenn alle schön und teuer produzierten Beweise, Reden und Appelle nichts bringen und die Leute einfach auf die Straße rennen und "Nein" sagen.

Folgt man den Lehren der Demokratie, müsste eine Regierung (oder im Fall Deutschlands die Opposition) in solchen Fällen sagen: "Gut, dann eben net!" Zur Zeit scheinen also recht wenig demokratisch gesinnte Menschen auf den hohen Stühlen der Politik zu sitzen. Sollte man zumindest meinen, wenn man die Umfragen zur Ablehnung eines Irak-Krieges und die völlig gegenteilige Politik einiger Länder ansieht.

Da wirkt auch das Argument "EU bzw. die NATO müsse Einigkeit demonstrieren" recht seltsam. Wenn es nach den Bürgern geht, ist man sich doch schon lange darüber einig, dass es nicht zum Krieg kommen darf. Wo, bitte, liegt dann das Problem? Nicht bei der Mehrheit der Menschen jedenfalls.

Die bisherige argumentative Methode der Kriegsbefürworter ist es, den Spieß umzudrehen: Wer gegen den Krieg ist, sei gegen die Freiheit. Wer sich nicht dem Kriegskurs anschließe, gefährde die Einigkeit der Bündnisse. Wer gegen den Krieg ist, isoliert sich.

Genau genommen machen diese Aussagen aber umgekehrt mehr Sinn: Wer gegen den Krieg ist, ist doch für den Frieden. Das lernte man früher schon im Kindergarten. Ich weiß nicht, was man dort jetzt lernt. Wer den Krieg ohne die Unterstützung der Völker befürwortet, gefährdet doch die Bündnisse. Isoliert sind die kriegsbefürwortenden Politiker und Unternehmer, nicht die Völker der Welt.

Demokratie und politisches Engagement sind eben lästig, wenn es um Kriege geht. Ein wenig kann man mit einer guten Propaganda-Maschinerie ausgleichen, aber absolute Sicherheit kann man so auch (noch) nicht erlangen.

Für die deutschen Friedensgegner ein kleiner Vorschlag zum Umgang mit lästigen demokratisch gesinnten Menschen: legt doch Artikel 18 des deutschen Grundgesetzes etwas weiter aus. Wenn man unter "Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung" nämlich geschickt jegliche Art von Amerika-Kritik subsumiert (tolles Wort...), kann man solche Demonstrationen ganz toll unterbinden. Mindestens 6 Grundgesetz-Artikel könnte man so praktisch gegenstandslos werden lassen, was den Kampf gegen den Terror innenpolitisch ungemein erleichtern würde.

Bin gespannt, wann das mal ernsthaft vorgeschlagen wird...

Bis es soweit ist, kann aber zum Glück jeder - auch der Bürger Wolfgang Thierse - frei Gebrauch von seinem Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit machen. Auch gegen einen ungerechtfertigten Krieg. Das haben uns schließlich die Amerikaner ermöglicht. Und wenn die CDU sich deshalb schwarz ärgert!

Euer T.E.

PS: Steht sogar das Militär dem Krieg ablehnender gegenüber als Politik und Wirtschaft? Was sind DAS bitte für Zeiten?

***

Liebe Freunde von der WSWS

Im Grunde, so entnehme ich es den Analysen der WSWS, ist der kommende Irakkrieg ein Stellvertreter-Krieg. Eigentlich ist es kein Krieg zwischen den USA und Irak, sondern ein Krieg, hinter dem vielmehr ein Konflikt zwischen dem Finanzkapital Europas und dem der USA steht. Letztere Verhältnisse sollen neu geordnet werden. So gesehen ist es erklärbar, weshalb dieser "kleine" Krieg so viel Staub aufwirbelt und selbst (und wohl erstmalig) die großen bürgerlichen Nationen offen polarisiert.

Heute, am 4. Februar 03, las ich bei Euch in dem Beitrag "Bushs Rede zur Lage der Nation": "Während Washington den Rest der Welt zur Hölle wünscht, ist die amerikanische Wirtschaft ironischerweise in wachsendem Maße abhängig von massiven Kapitalzuflüssen aus Europa, Asien, den Ölscheichtümern des Nahen Ostens und anderen Orten."

Dieses Zitat macht verständlich, dass es wirklich Schwäche ist, ein Krisensymptom, wenn die Bush-Mannschaft so starr auf Krieg und Hegemonie ausgerichtet ist. Der im Zitat genannte Zusammenhang kann den Strategen im Weißen Haus kaum verborgen geblieben sein. Jemand, der einen ungangbaren Weg geht, ist aber entweder dumm oder er steht unter sehr großem Druck, panikauslösendem Druck.

So gesehen steht also tatsächlich Krise und Schwäche hinter dem Handeln des US-Kapitals!

Als die große Gefahr für die entstehende Oppositionsbewegung sehe ich, dass sie unter den Einfluss der Sozialpatrioten, Vaterlandsverteidiger und Antiamerikaner geraten könnte. Ihr müsst m.E. diesbezüglich noch viel deutlicher werden, denke ich.

Mit freundlichen Grüßen

B.

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