Rot-grün schwenkt auf Kriegskurs ein

Fischer und Schröder schließen Ja zu Irak-Krieg nicht mehr aus

Spätestens seit dem Jahresende steht fest, dass die rot-grüne Bundesregierung nicht an ihrem kategorischen Nein zu einem Irak-Krieg festhält. In einem Spiegel -Gespräch darauf angesprochen, ob Deutschland im Sicherheitsrat gegen einen Irak-Krieg stimmen werde, antwortete Außenminister Joschka Fischer: "Das kann niemand vorhersagen, da keiner weiß, wie und unter welchen Begleitumständen der Sicherheitsrat sich hiermit befassen wird."

Als sich in den Reihen von SPD und Grünen heftiger Protest gegen eine mögliche Zustimmung zu einer Kriegresolution erhob, stellte sich Bundeskanzler Gerhard Schröder hinter seinen Außenminister. Man lege "sein Abstimmungsverhalten in Gremien erst dann fest, wenn man die Rahmenbedingungen eines solchen Abstimmungsverhaltens kennt", sagte er dem Spiegel.

Gleichzeitig bemühte sich Schröder, jede weitere Diskussion über die Frage innerhalb seiner Partei zu unterbinden. "Es hat überhaupt keinen Sinn, solche Spekulationen anzustellen. Ich lasse mich nicht darauf ein", sagte er und versprach: "Das Abstimmungsverhalten Deutschlands wird die Position wiedergeben, die wir sowohl vor als auch nach der Wahl vertreten haben."

Dies ist offensichtlich nicht der Fall, denn sonst hätten sich Schröder und Fischer für ein klares Nein zu jeder Kriegsresolution im UN-Sicherheitsrat aussprechen müssen. Deutschland gehört dem Gremium seit Januar als nichtständiges Mitglied an und wird im Februar für einen Monat seinen Vorsitz übernehmen.

Vor der Bundestagswahl vom 22. September hatte sich Schröder wiederholt in eindeutigen Worten gegen einen Krieg gewandt. Ein militärisches Vorgehen gegen den Irak sei ein "Abenteuer", an dem es unter seiner Verantwortung keine deutsche Beteiligung geben werde, sagte er auf zahlreichen Wahlveranstaltungen. Noch Anfang September betonte er in einem Zeitungsinterview: "Die Argumente, die ich gegen eine Intervention habe, bleiben unabhängig von einer UN-Entscheidung bestehen."

Die klare Absage an einen Krieg war wahlentscheidend. Hatte die SPD zwei Monate vor der Wahl in den Umfragen noch weit hinter der Union zurückgelegen, holte sie auf, sobald sie eindeutig Stellung gegen einen Irak-Krieg bezog. SPD und Grüne gewannen die Wahl schließlich mit knappem Vorsprung.

Seither sind Schröder und Fischer Schritt um Schritt von ihrer ursprünglichen Haltung abgerückt. Hatte Schröder vor der Wahl noch gesagt, es werde "keine Beteiligung" Deutschlands an einem Krieg geben, sprach er danach nur noch von "keiner aktiven Beteiligung". Er versicherte, dass die USA im Kriegsfall "selbstverständlich" ihre Basen auf deutschem Boden benutzen und deutsches Territorium überfliegen dürfen. Vor der Wahl war er dieser Frage stets ausgewichen.

Auch von der Absage an eine "aktive Beteiligung" rückte er bald wieder ab. Die Bundesregierung versprach, dass sie die in Kuwait stationierten deutschen Spürpanzer nicht abziehen und deutsche Besatzungsmitglieder an Bord der Awacs-Flugzeuge der Nato belassen werde, falls es zum Ernstfall kommt. Beide würden dann aktiv in die Kriegshandlungen einbezogen. Außerdem stellt die Bundeswehr Soldaten für den Schutz der amerikanischen Basen in Deutschland ab, um die US-Truppen für den Krieg gegen den Irak zu entlasten.

Als der UN-Sicherheitsrat am 8. November die Resolution 1441 verabschiedete, die den Irak verschärften Waffeninspektionen unterwirft, wurde diese von der Bundesregierung uneingeschränkt begrüßt. Während Frankreich diese Resolution als diplomatischen Erfolg darstellt, der die USA zwinge, vor einem Militärschlag den Sicherheitsrat erneut zu konsultieren, erklärte Außenminister Fischer im Dezember, die Resolution mache die Unterscheidung zwischen einem mandatierten und einem nicht-mandatierten Einsatz zu "einer Debatte von gestern". Er übernahm damit die Interpretation der US-Regierung, die aus der Resolution das Recht ableitet, bei einem - von ihr selbst festgestellten - "schwerwiegenden Verstoß" des Irak ohne weiteren UN-Entschluss militärisch loszuschlagen.

Inzwischen hofft die Bundesregierung sogar inständig, dass dem Sicherheitsrat keine zweite Resolution vorgelegt wird, die die USA ausdrücklich zu einem Militärschlag ermächtigt - denn das würde sie in ein unlösbares Dilemma stürzen. Stimmt sie mit Ja, wäre der Bruch ihres Wahlversprechens nicht mehr zu leugnen und die Regierungskoalition könnte auseinander brechen, da es in beiden Parteien erheblichen Widerstand gibt. Enthält sie sich oder stimmt sie mit Nein, droht ihr die internationale Isolation.

Es zeichnet sich nämlich bereits ab, dass die Veto-Mächte Russland, China und Frankreich eine solche Resolution unterstützen werden, wenn sie glauben, die USA und Großbritannien ließen sich ohnehin nicht mehr von einem Militärschlag abbringen.

Der französische Präsident Jacques Chirac, der sich bisher stets für eine friedliche Lösung ausgesprochen hatte, vollzog diese Woche eine Kehrtwende. Am Dienstag bestätigte er erstmals öffentlich, dass sich Frankreich militärisch an einem Krieg gegen den Irak beteiligen wird. Bei einem Neujahrsempfang für die Führung der Streitkräfte forderte er diese auf, sich für "alle Eventualitäten" bereitzuhalten. Zu den Einsatzgebieten, in denen die französischen Streitkräfte engagiert sind, könnten "leider" andere hinzukommen, fügte er hinzu. Obwohl er den Irak nicht namentlich erwähnte, hatte niemand Zweifel, wer gemeint war. Am selben Tag erklärte er vor dem diplomatischen Corps, Frankreich werde im Falle eines UN-Beschlusses "seiner Verantwortung gegenüber der internationalen Gemeinschaft" nachkommen.

Weshalb diese Kehrtwende?

Ein Einschwenken des UN-Sicherheitsrats einschließlich der deutschen Regierung auf den Kriegskurs der Bush-Administration zeichnet sich immer deutlicher ab. Das bedarf einer genaueren Erklärung.

In der europäischen Öffentlichkeit wird ein Krieg gegen den Irak immer noch mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Zwei von drei Franzosen sind laut Umfragen dagegen, und in Deutschland hat die Anti-Kriegsstimmung seit der Bundestagswahl nicht nachgelassen. Selbst in der britischen und amerikanischen Bevölkerung regt sich trotz unermüdlicher Kriegspropaganda keine Kriegsbegeisterung. Auch an den Gründen, die Schröder und Fischer im Wahlkampf gegen einen Krieg anführten, hat sich seither nichts geändert. Weshalb kann sich die Bush-Administration mit ihrem aggressiven Kriegskurs trotzdem durchsetzen?

Schröder und Fischer waren unter heftigen Beschuss aus Washington geraten, nachdem sie im Wahlkampf Bushs Kriegskurs kritisiert hatten. Die Angriffe aus Washington wurden in Deutschland von konservativer Seite unterstützt. CDU/CSU und konservative Medien warfen der rot-grünen Regierung vor, sie gefährde das transatlantische Bündnis und isoliere Deutschland international. "Der Vertrauens- und Gewichtsverlust Deutschlands ist enorm", sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Friedbert Pflüger, der Frankfurter Rundschau. "Ein Nein der Deutschen (im UN-Sicherheitsrat), vielleicht als Einzige mit Syrien, das wäre eine politische Katastrophe, und zwar sowohl für das (Nato-)Bündnis wie auch für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU."

Aber warum geben Schröder und Fischer diesem Druck nach, und nicht dem Druck der weit verbreiteten Anti-Kriegsstimmung, an die sie im Wahlkampf erfolgreich appelliert hatten?

Würden sie den Krieg weiterhin ablehnen, fände dies nicht nur in ganz Europa Unterstützung, es würde auch tief in die amerikanische Gesellschaft hinein wirken und Bush erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Es würde schnell deutlich werden, dass sein Kurs keineswegs so unangefochten ist, wie dies angesichts des Fehlens jeglicher Opposition von Seiten der Demokraten erscheint. Differenzen über den Kriegskurs reichen bis tief ins militärische Establishment hinein, ganz zu schweigen von der breiten Bevölkerung.

Die Bundesregierung hätte dabei "nichts zu verlieren außer der Zuneigung George W. Bushs", wie Michael Naumann, einer der wenigen deutschen Journalisten, die für ein Nein zum Irak-Feldzug eintreten, im Leitartikel der Zeit feststellt. Naumann hatte selbst zeitweilig dem Kabinett Schröder angehört, bevor er als Herausgeber zur Zeit ging.

Selbst die Behauptung, ein Nachgeben gegenüber Bush festige das transatlantische Bündnis, ist nicht stichhaltig. Tatsächlich stärkt das Einlenken von Schröder und Fischer jenen Flügel der amerikanischen Elite, der am blindwütigsten für die gewaltsame, einseitige Durchsetzung amerikanischer Interessen eintritt und damit die internationalen Beziehungen am nachhaltigsten unterhöhlt. Gelingt der Bush-Regierung ein erfolgreicher Feldzug gegen den Irak, wird dies unweigerlich ihren Appetit auf weitere militärische Eroberungen stärken und die internationalen Spannungen verschärfen. Die internationale Allianz gegen den Irak erinnert in dieser Hinsicht an das Bündnis, dass die imperialistischen Mächte im Jahr 1900 zur Unterwerfung Chinas schlossen - bevor sie 14 Jahre später gegenseitig übereinander herfielen.

Was also sind die Gründe für die Kehrtwende von SPD und Grünen in der Kriegsfrage?

Die Persönlichkeit Schröders und Fischers spielt dabei sicher eine Rolle. Beide sind aus bescheidenen Verhältnissen in höchste Staatsämter aufgestiegen und verspüren, wie das bei sozialen Aufsteigern häufig der Fall ist, ständig das Bedürfnis, der politischen und wirtschaftlichen Elite ihre Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit zu beweisen. Das macht sie besonders empfänglich für die Angriffe der rechten Opposition, während sie für die Stimmung der Bevölkerung nur Verachtung übrig haben.

Wichtiger als diese persönlichen Motive sind aber die politischen Zielsetzungen der deutschen Außenpolitik. Ungeachtet seiner militärischen Schwäche im Vergleich zu den USA ist auch Deutschland ein imperialistisches Land, das am Golf eigene wirtschaftliche und politische Interessen verfolgt. "Die Neigung Washingtons, ohne Rücksicht auf Verbündete, internationale Institutionen wie die UNO und internationale Rechtsnormen zu handeln, hat in Berlin Ängste ausgelöst, die deutschen Interessen könnten zu kurz kommen", schrieben wir schon vor der Bundestagswahl zu den Motiven Schröders und Fischers, einen Irakkrieg abzulehnen.

Dem Vormachtstreben Washingtons setzt Berlin seit der Ära Kohl eine gemeinsame Verteidigungs- und Außenpolitik Europas entgegen. Diese liegt angesichts des bevorstehenden Kriegs gegen den Irak in Trümmern. Die europäischen Positionen reichen von bedingungsloser Zustimmung (Großbritannien und Spanien) über taktisches Lavieren (Frankreich) bis zur Ablehnung (Deutschland und Griechenland). Daher rührt die Angst vor außenpolitischer "Isolation". Durch eine Anpassung im Sicherheitsrat soll dies verhindert werden.

Ein weiteres Motiv für die Kehrtwende von Rot-Grün liegt in der Innenpolitik. Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung haben Rekordwerte erreicht, die Wirtschaft stagniert und die Auswirkungen eines Krieges drohen schwere soziale Erschütterungen auszulösen. Seit der Bundestagswahl steht die Regierung deshalb unter Dauerbeschuss von rechts. Sie hat darauf reagiert, indem sie weitgehend das Programm der CDU/CSU übernahm und der arbeitenden Bevölkerung den Krieg erklärte - beim Abbau von Sozialleistungen, der Einführung von Billiglohnarbeit und den Angriffen auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst.

Eine Regierung, die im Kriegszustand mit der eigenen Bevölkerung lebt, kann nach außen nicht für Frieden eintreten. Letztlich dienen der Krieg gegen den Irak und die Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung demselben Ziel - der Verteidigung des kapitalistischen Gesellschaftssystems, dessen Zweck die Anhäufung von Profit für die Reichen ist.

Die Kehrtwende der rot-grünen Regierung in der Kriegsfrage zeigt, wie illusionär Hoffnungen sind, europäische Regierungen oder die Vereinten Nationen würden sich einem Militärschlag gegen den Irak widersetzen oder ihn gar verhindern. Nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse, die die Kriegsfrage mit der sozialen Frage verbindet, kann dies erreichen.

Siehe auch:
Was steckt hinter Schröders Absage an einen Irakkrieg?
(5. September 2002)
Die Maske fällt - Rot-grün wird sich an einem Krieg gegen den Irak beteiligen
( 24. Dezember 2002)
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