Frankreich:

Innenminister Sarkozy greift Roma an

Das neue Gesetz über Innere Sicherheit, das voraussichtlich in dieser Woche von der französischen Nationalversammlung verabschiedet wird, richtet sich nicht nur gegen Bettler, Prostituierte, Fußballrowdies und Hausbesetzer, sondern nimmt insbesondere die Roma aufs Korn. "Fahrendes Volk, das sich unerlaubt auf einem öffentlichen oder privaten Grundstück niederlässt, wird mit sechs Monaten Gefängnis und 3.750,00 Euro bestraft", heißt es darin. "Ihre Fahrzeuge können beschlagnahmt werden, wenn sie nicht als Wohnung dienen."

Damit wird die Praxis der Regierung Raffarin gesetzlich sanktioniert, die schon seit Monaten Roma diskriminiert und verfolgt. So ließ die Regierung vor fast zwei Monaten mehrere Roma-Wohnsiedlungen bei Paris und Lyon durch einen Großeinsatz der Polizei stürmen - gleichzeitig mit der Räumung und Schließung des Flüchtlingslagers Sangatte am Ärmelkanal.

In den frühen Morgenstunden des 3. Dezember führten fünf Hundertschaften Polizei, CRS und Gendarmerie eine Razzia gegen rumänische Roma durch, die teilweise schon seit zwei Jahren die Elendsvietel von Choisy-le-Roi und Rungis im Département Val-de-Marne südöstlich von Paris bewohnen. 208 Personen, darunter Kinder, wurden überprüft, siebzig von ihnen festgenommen.

Schon am 4. Dezember wurden dann 22 Roma in einer Chartermaschine nach Bukarest, Rumänien, abgeschoben. Etwa fünfzig weitere Roma wurden zwar in Abschiebehaft genommen, jedoch von drei Richtern eines Gerichts in Créteil wegen Verfahrensmängeln wieder auf freien Fuß gesetzt. Andere wurden in kleinen Gruppen per Bus in verschiedene Aufnahmelager Frankreichs transportiert.

Am 9. Dezember wurde das große Roma-Lager im Nordosten von Lyon gestürmt, das sich in Vaulx-en-Velin auf einem Gemeindegrundstück - de facto einer Müllhalde - befindet. Das Brachland, auf dem 400 bis 500 Menschen, darunter 170 Kinder, schon seit mehreren Monaten mehr hausen als wohnen, gehört der Stadt, die es an Pathé-Cinéma zur Errichtung eines Kinopalastes verkaufen will.

95 Roma aus Vaulx-en-Velin beugten sich dem Druck und verließen das Lager aus freien Stücken. Die noch verbliebenen Roma erhielten vom Amtsgericht in Lyon eine Frist von zwei Monaten bis Anfang Februar, um das Lager vollständig zu räumen.

Die Menschen dort leben auch bei klirrender Kälte ohne Strom und Wasser. Der Bürgermeister der Stadt Lyon, Gérard Collomob (PS), weigert sich, für die notwendigen Anschlüsse und sanitären Einrichtungen zu sorgen, da die Roma ja sowieso innerhalb der nächsten zwei Monate verschwinden müssten. Das Lager wird regelmäßig von Polizeirazzien heimgesucht.

Während die Hilfsorganisation Médecins du Monde auf mehrere Fälle von Asthma und einen Tuberkuloseverdacht aufmerksam machte und die miserablen hygienischen Verhältnisse anprangerte, wurde in der offiziellen Presse nur über eine ominöse Krätze-Epidemie berichtet - offensichtlich in der Absicht, jede Solidarität in der Bevölkerung zu unterbinden.

Dennoch gibt es diese Solidarität, die im Gegensatz zur Politik der Behörden steht. Es bildete sich ein Hilfskomitee, das die Roma mit dem Nötigsten versorgt. Dessen Vorsitzender Michel Leclercq sagte: "Die Roma können uns Vieles lehren, besonders über den Zustand dieses Europas, von dem sie eins der schwächsten Glieder sind."

In Choisy-le-Roi beteiligten sich Lehrer und Schulhelfer einer Grundschule, an der seit zwei Jahren Roma-Kinder unterrichtet werden, an einer Protestdemonstration gegen die Abschiebungen. Sie bestätigten, dass sich die Roma-Familien sehr dafür eingesetzt hatten, ihre Kinder aktiv am Unterricht teilnehmen zu lassen. Der Kabinettschef des Präfekten von Val-de-Marne erklärte dagegen: "Was illegale Besetzungen angeht, kennen wir keine Winterschonzeit."

Auf die Entscheidung der Richter von Créteil, fünfzig Roma wieder freizulassen, reagierte der französische Innenminister Nicolas Sarkozy (UMP) mit Empörung. Die Präfektur von Val-de-Marne legte Widerspruch ein, aber das Appellationsgericht von Paris bestätigte die Freilassungen. Sarkozy tobte in einem Radiointerview: "Hat Frankreich etwa nicht das Recht, zu entscheiden, wer innerhalb seines Territoriums verbleiben soll - Ja oder nein?"

Der Minister kritisierte, es sei ein "vollkommen absurdes Vorgehen, bei dem niemand nichts versteht und das es einigen Experten erlaubt, sich mit rein ideologischen Beschäftigungen zu amüsieren. Ich sehe nicht, wozu es gut sein soll, wenn man einen Ausländer in ungeklärter Situation freilässt, obwohl er 24 Stunden später einer Rückführung in sein Land unterliegt."

Dazu erklärte die Richtergewerkschaft: "Es steht einem Minister der Republik nicht zu, gleichzeitig Gesetzgeber und Richter zu sein." Die Richter bestanden darauf, sie hätten sich streng an die geltende Rechtsordnung gehalten, und daran müsse auch Sarkozy sich halten. Der Minister kündigte jedoch Gesetzesänderungen an, die das Abschiebeverfahren in Zukunft erleichtern würden.

Wendepunkt

Das harte Durchgreifen von Innenminister Sarkozy gegen die wehrlosen Roma markiert eine politische Wende. Seit der Nachkriegszeit war es offizielle Politik Frankreichs, die Roma zu integrieren und ihre Sesshaftigkeit zu fördern. Nachdem eine halbe Million europäischer Sinti und Roma in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten umgebracht worden waren, wurden in der Nachkriegszeit Gesetze erlassen, die ihnen ein menschenwürdiges Leben garantieren sollten.

Noch 1990 wurde unter Präsident François Mitterrand beschlossen, dass jede Gemeinde mit mehr als 5.000 Einwohnern den Roma ein Gelände zur Verfügung zu stellen, ihre Kinder in die Schulen aufzunehmen und den Erwachsenen gleiche Chancen am Arbeitsmarkt einzuräumen habe.

In der Praxis wurden solche Gesetze allerdings weitgehend ignoriert. Nur etwa tausend Gemeinden befolgten die Vorgaben und stellten insgesamt Platz für etwa 10.000 Wohnwagen zur Verfügung - gegenüber einer Nachfrage von mindestens 60.000 Stellplätzen. Die einzigen Stellen, wo Roma sich niederlassen durften, waren unbebaubare, laute, oft ratten- und giftverseuchte Gelände im Bereich von Autobahnkreuzungen und Eisenbahnanlagen.

Dabei waren die in den letzten Jahren aus Rumänien und dem kriegszerstörten Jugoslawien eingewanderten Roma ursprünglich keineswegs Nomaden. Diese bereits im 19. Jahrhundert sesshaft gewordenen Familien wurden erst durch die enorme Verarmung und Diskriminierung nach der Einführung kapitalistischer Verhältnisse in Osteuropa wieder auf die Straße getrieben.

In einem Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP), der die Verelendung in Mittel- und Osteuropa schildert, heißt es, dass insbesondere die rumänischen Roma unter Bedingungen leben, die nur mit denen in der afrikanischen Subsahara vergleichbar seien. Nur zwei von drei Romakindern besuchten eine Schule, und jeder sechste Roma hungere regelmäßig. Die Roma seien in Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Bulgarien und Rumänien mit fünf Millionen Menschen die größte und zugleich die ärmste ethnische Minderheit.

Jene, die in Frankreich auf Arbeit und soziale Anerkennung hofften, fanden keine andere Bleibe als die Elendsviertel vor den Toren der Städte, wo sie in Bretterhütten und Campingwagen der Hilfsorganisationen dahinvegetieren mussten. Weitgehend von normaler Arbeitsaufnahme ausgeschlossen, wurden die zugewanderten Roma-Familien zum Außenseiterdasein gezwungen.

Eine Gruppe, die nach einer Brandstiftung in einer Wohnwagenkolonie in Choisy-le-Roi im September im schweizerischen Kanton Waadt Zuflucht suchten, wurden von den Schweizer Behörden sofort mit finanzieller Hilfe Frankreichs nach Bukarest abgeschoben.

Europaweites Vorgehen gegen die Roma

Unmittelbar nach Amtsantritt der französischen Rechtsregierung unter Jean-Pierre Raffarin im Frühjahr 2002 begann eine propagandistische Kampagne gegen die Roma. Sie wurden samt und sonders mit Bettler- und Diebesbanden gleichgesetzt, vor denen die hart arbeitende französische Bevölkerung angeblich geschützt werden müsse. Diese Kampagne war Bestandteil der demagogischen Forderungen nach "hartem Durchgreifen", die in Sarkozys neuem "Gesetz zur Inneren Sicherheit" konkrete Gestalt annahmen.

Die Regierung Raffarin konnte sich dabei auf eine völlig zahnlose parlamentarische Linke verlassen. Weder die Sozialistische Partei (PS) noch die Kommunistische Partei (PCF) gingen gegen das neue Gesetz in die Offensive. PS-Fraktionsführer Jean-Marc Ayrault unterstützte es sogar mit den Worten: "Die Sicherheit ist die wichtigste Freiheit."

Sarkozy hatte seinen Feldzug gegen die Roma planmäßig vorbereitet. Am 30. August 2002 reisten er und die Staatssekretärin für Soziales, Dominique Versini, nach Bukarest, wo sie mit dem rumänischen Premierminister Adrian Nastase zusammentrafen und ein Abkommen unterzeichneten, das Roma daran hindern soll, von Rumänien nach Frankreich zu gelangen.

Rumänien erfüllte alle diesbezüglichen französischen Forderungen, steht doch seine zukünftige Mitgliedschaft in der EU auf dem Spiel. Ein ähnliches Abkommen wurde auch mit dem britischen Abgesandten Jack Straw geschlossen.

Der von Nastase und Sarkozy unterzeichnete Vertrag sieht vor, dass rumänische Staatsbürger, die ohne Aufenthaltserlaubnis auf französischem Boden aufgegriffen werden, in Zusammenarbeit der beiden Staaten abgeschoben werden, wobei Frankreich die Rückführung finanziert und Rumänien den polizeilichen Begleitschutz der Chartermaschinen der Fluggesellschaft Tarom stellt. Zudem wurde ein Austausch von Polizeibeamten und ein internationales Informationsnetz zur Überprüfung von Dokumenten vereinbart.

In einem weiteren französisch-rumänischen Abkommen, das im Oktober 2002 abgeschlossen wurde, geht es um die "Repatriierung" und Wiedereingliederung von Opfern rumänischer Banden, die Kinder, Frauen und Behinderte zum Betteln, zu Diebstahl und Prostitution zwingen. Die Unterzeichnung fand im Beisein mehrerer NGO-Hilfsorganisationen statt, die benutzt werden, um den Abschiebungen ein humanitäres Deckmäntelchen umzuhängen.

Siehe auch:
Schließung des Lagers Sangatte verschärft Angriffe auf Asylsuchende
(5. Dezember 2003)
Verschärfung des Strafrechts in Frankreich
( 13. November 2003)
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