G8 kümmern sich nicht um Katastrophe in Afrika

Der französische Präsident Jacques Chirac hatte angekündigt, er werde die verzweifelte Situation in Afrika zum Schlüsselthema des G8-Gipfels in Evian machen. Entwicklungsorganisationen und Hilfswerke bemühten sich redlich, ihren Einfluss geltend zu machen und zumindest ein Signal der gemeinsamen Hilfsbereitschaft der fortgeschrittenen Länder im Kampf gegen die wachsende Armut, Verschuldung und Krankheit in Afrika zu erreichen. Sie wurden bitter enttäuscht. Ein Sprecher des britischen Hilfswerks Oxfam konstatierte: "Sie haben sich zu nichts verpflichtet und selbst ihre Rhetorik ist im Vergleich zum Vorjahr zurückhaltender geworden."

Chirac wollte Vorschläge zum Handel und zu Hilfsmaßnahmen für Afrika einbringen, doch US-Präsident George W. Bush kam ihm zuvor und kündigte noch vor dem Gipfel an, Amerika werde in den nächsten fünf Jahren 15 Milliarden Dollars für HIV/AIDS ausgeben. Auf dem dreitägigen Gipfel, den Bush schnell wieder verließ, waren Chirac und die anderen Regierungschefs dann so sehr bemüht, nach dem Irakkrieg wieder Einigkeit an den Tag zu legen, dass sie den USA erlaubten, jedes die unterentwickelten Regionen betreffende Thema abzublocken.

Die Handelspraktiken, bei denen Chirac ausdrücklich Veränderungen angemahnt hatte - der Agrarprotektionismus des Westens und der erleichterte Zugang zu kostengünstigen AIDS-Medikamenten - fielen unter den Tisch.

Die Verzweiflung der Hilfsorganisationen, die mit einer schlimmer werdenden Situation in Afrika umgehen müssen, äußert sich in mehreren Dokumenten, die im Vorfeld des G8-Gipfels veröffentlicht wurden. Das britische Hilfswerk ActionAid wies auf den "Afrika-Aktionsplan" hin, der letztes Jahr verabschiedet worden war, und wies anhand einer detaillierten Liste nach, dass in den Bereichen Hilfsleistungen, Schuldenerlass, HIV/AIDS-Hilfe, Versorgung mit sauberem Trinkwasser und Abbau der Handelsschranken "seit dem G8-Gipfel vom letzten Jahr noch weniger getan wurde als davor".

Die Organisation Jubilee Debt Campaign, die beim G8-Gipfel von 1998 die ersten Demonstrationen ins Rollen gebracht hatte, weist darauf hin, dass angebliche Schuldenreduzierungsprogramme, die der Internationale Währungsfond beschlossen hat, bedeuten, dass "die Mehrheit der ärmsten und verschuldetsten Völker der Welt weiterhin Sklaven ihrer Verschuldung bleiben, ohne jede Hoffnung, unter der aktuellen Politik jemals von ihren Schulden loszukommen."

Das wohl drastischste Bild der Situation, mit der Afrika konfrontiert ist, zeigte sich, als der Popsänger Bob Geldorf Äthiopien in der Woche vor dem G8-Gipfel einen Besuch abstattete. Geldorf war schon vor zwanzig Jahren im Rahmen der Live-Aid-Kampagne während der letzten großen Hungerkatastrophe dort hingereist. UNICEF überzeugte ihn, noch einmal hinzufahren und dadurch zu einer Sammelkampagne beizutragen, weil bis zu fünfzehn Millionen Menschen erneut vor einer Hungerkatastrophe stehen. Das Welternährungsprogramm warnte, es verfüge nur über zwei Drittel der für 2003 benötigten 619.000 Tonnen Lebensmittel. Geldorf hatte geschworen, er werde nie nach Äthiopien zurückkehren, doch jetzt erklärte er: "Alle Regenzeiten haben nichts genützt. Schon jetzt schätzt UNICEF, dass 60.000 Kinder ernsthaft unterernährt sind. Eine größere Anzahl Kinder könnten in unmittelbar nächster Zeit sterben."

In seinem Interview in der Zeitung Independent schilderte Geldorf das Bild einer katastrophalen Situation: "Die vier apokalyptischen Reiter galoppieren durch Äthiopiens Ebenen, und es sind Hunger, Schulden, Handel und AIDS."

Geldorf erklärte, dass es der Westen nach dem Kalten Krieg nicht mehr nötig hatte, die Diktatoren zu finanzieren: "Wir haben dieses Geld zurückverlangt, und dadurch entstand die Schuldenkrise. Eine enorme Anzahl von verarmten, entrechteten Völkern ohne Stimme wurde plötzlich aufgefordert, Gelder zu zahlen, die sie gar nicht hatten."

Äthiopien ist, wie viele andere afrikanische Regime, einem derart hohen Schuldendienst unterworfen, dass es sich nicht die einfachste Gesundheitsversorgung leisten kann.

Geldorf besuchte die Südprovinz Sidamo in Äthiopien, die einst eine ziemlich florierende Region war, weil hier der Hauptdevisenbringer des Landes, der Kaffee, angebaut wird. Während früherer Hungerkatastrophen war die Region noch reich genug gewesen, um Nahrungsmittel einzukaufen und zu überleben. Aber in den letzten vier Jahren ist der Kaffeepreis um siebzig Prozent gesunken, so dass die Bevölkerung in der heutigen Krise vorm Verhungern steht.

Der Protektionismus, den der Westen praktiziert, hat die afrikanischen Länder jeder wirtschaftlichen Kraft beraubt. Es werden Zölle auf Kaffee erhoben - umso höhere Zölle, je weiter der Verarbeitungsprozess fortgeschritten ist - so dass sich Afrika gezwungen sah, die Rohbohnen zu exportieren und sich dem Preisverfall zu unterwerfen, den die westlichen Konzerne ihm aufzwangen.

Äthiopien gilt nicht als Land mit einem ernsthaftem AIDS-Problem. Aber Geldorf besuchte ein Krankenhaus in Dilla im Süden des Landes. "Es war ein kümmerliches kleines Krankenhaus, das für eine Million Menschen in der Gegend zuständig ist," erklärte er. "Es gab gerade mal einen Arzt - einen brillanten Mann - der begonnen hatte, HIV-Stichproben zu nehmen. Er entdeckte, dass 14 Prozent der Bevölkerung positiv sind - das ist das Doppelte der offiziellen Schätzung."

Vermutlich hat der unmittelbare Eindruck der AIDS-Krise in Äthiopien Geldorf dazu veranlasst, sein vielzitiertes Lob für die AIDS-Initiative von Bush auszusprechen, weil er glaubte, dies sei wenigstens ein Schritt vorwärts im Umgang mit der Weltseuche, die jeden einzelnen Tag in Afrika 6.500 Menschen dahinrafft. Vielleicht hoffte er, damit die europäischen Mächte beschämen und veranlassen zu können, selbst mehr Geld locker zu machen.

Die nähere Betrachtung zeigt jedoch, dass dies nicht der Fall ist.

Bushs AIDS-Fonds über fünfzehn Milliarden Dollar wurde ursprünglich vor vier Monaten angekündigt und ist gerade vom Kongress verabschiedet worden. Wie die World Socialist Web Site damals erklärte, verteilen sich die fünfzehn Milliarden auf fünf Jahre, und nächstes Jahr werden nur zwei Milliarden Dollar zur Verfügung stehen. Obwohl das Gesetz vorsieht, dass drei Milliarden jährlich bereitgestellt werden, ist diese Summe davon abhängig, ob Kürzungen der Hilfsgelder beschlossen werden, und es ist fast sicher, dass es im Endeffekt weniger sein wird. Gleichzeitig hat das Weiße Haus Kürzungen auf anderen Gebieten der US-Auslandshilfe empfohlen - die USA zahlen jetzt bereits am wenigsten Hilfe von allen fortgeschrittenen Ländern, nämlich nur 0,12 Prozent des Nationaleinkommens.

Vertreter der AIDS-Hilfskampagne haben darauf hingewiesen, dass die amerikanische Pharmaindustrie zu denen gehört, die am meisten von der US-Initiative profitieren. Die USA verhindern jedes Handelsabkommen, das generisch erzeugte AIDS-Medikamente zuließe, deren Preis ein Zehntel oder noch weniger von dem beträgt, was die von den großen Konzernen produzierten Heilmittel kosten. Dadurch wird verhindert, dass in Afrika und anderen unterentwickelten Ländern in großem Maßstab Generika verkauft werden können, während es den Pharmariesen weiterhin erlaubt wird, zu überhöhten Preisen zu verkaufen.

Nur 200 Millionen Dollar von Bushs gesamtem AIDS-Fond für das nächste Jahr wird an den Globalen Fond zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria gehen, den die Vereinten Nationen 2001 gegründet hatten. Dadurch werden gerade mal fünf Prozent der Mindestsumme abgedeckt, die der Globale Fond benötigt. Pressure Groups wie die Globale AIDS-Allianz haben deshalb Alarm geschlagen, dass dem Fonds eine Finanzkrise drohe und er außerstande sein werde, auch nur die bisherigen begrenzten Zusagen einzuhalten.

Der größte Teil des neuen amerikanischen Geldes wird an US-Gremien wie USAID und das Center for Disease Control gehen. Diese haben keinerlei Erfahrung im Umgang mit HIV/AIDS in den unterentwickelten Ländern, sie dienen nur als Vorwand für Interventionen der USA. Der wahre Zweck der AIDS-Vorschläge von Bush besteht nicht im aufrichtigen humanitären Bemühen, der Seuche AIDS Einhalt zu gebieten. Stattdessen wird sich die US-Hilfe auf eine begrenzte Anzahl afrikanischer Länder beschränken, in denen sie benutzt werden kann, um die strategischen Interessen der Vereinigten Staaten zu fördern.

Äthiopien ist eins der Länder, die auf der Liste der USA stehen, denn seine Regierung hat im "Kampf gegen Terrorismus" ihre Dienste angeboten. Äthiopien unterstützt verschiedene lokale Warlords in Somalia und behauptet, es bekämpfe den angeblichen Einfluss bewaffneter islamistischer Gruppen am Horn von Afrika. Aus diesem Grund wird es von den USA und Großbritannien als Bollwerk gegen den Einfluss der arabischen Länder in der Region wohlwollend betrachtet.

Ein anderer Aspekt von Bushs AIDS-Fond, den Geldorf nicht erwähnt, ist die Bedingung, dass ein Drittel des Geldes zur Unterstützung für Kampagnen für die sexuelle Abstinenz außerhalb der Ehe verwendet werden muss. Dieses Zugeständnis an die christliche Rechte, das zudem eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte darstellt, ist, wie man weiß, als Beitrag zur Gesundheit der Bevölkerung völlig bedeutungslos.

Die religiöse Rechte verlangt außerdem, dass keinerlei Gelder an Hilfsgruppen bezahlt werden, die mit Prostituierten arbeiten, und dass religiöse Organisationen die anti-AIDS-Maßnahmen überprüfen, die nichtstaatliche Organisationen mit amerikanischem Geld durchführen.

Weil sich die Situation in Afrika in den letzten paar Jahren so stark verschlechtert hat und die Anstrengungen der NGOs so gut wie keinen Erfolg hatten, neigen Aktivisten wie Bob Geldorf dazu, jeden scheinbaren Fortschritt - wie Bushs AIDS-Paket - zu begrüßen.

Aus ähnlichen Gründen haben andere Hilfsorganisationen zwar die USA kritisiert, die französischen und britischen Initiativen in Afrika jedoch gepriesen. Frankreich hat seine Hilfszahlungen für 2002 um fünfzehn Prozent angehoben, und Großbritannien hat versprochen, seine Hilfe bis 2006 von 5,4 Mrd. Dollar auf 7,8 Mrd. Dollar pro Jahr aufzustocken. Dies würde eine Umkehrung des ständigen Abwärtstrends der letzten zehn Jahre bedeuten.

Präsident Chiracs Vorschlag, die Handelsblockaden für afrikanische Agrarprodukte aufzuheben, wird wahrscheinlich der Europäischen Union vorgelegt, obwohl er auf dem G8-Gipfel gar nicht zur Sprache gebracht wurde. Der politisch engagierte Entwicklungshelfer George Monbiot unterstützte in der Zeitung Guardian Chiracs "beispiellose" Initiative und griff den britischen Premierminister Tony Blair an, weil er ihn auf dem Gipfel von Evian nicht gegen Bush verteidigt hatte.

In Wirklichkeit geht es Frankreich und England ebenso wie den USA mit ihrem AIDS-Fonds darum, ihre Interessen in Afrika durchzusetzen. Das zeigen durchgesickerte Dokumente aus Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO), die zu Beginn des Jahres von Dritte-Welt-Gruppen veröffentlicht wurden. Auch Frankreich, Großbritannien und die EU sind, ebenso wie die USA, an marktwirtschaftlichen Angriffen auf Arbeiter und Arme interessiert.

Handelskonzessionen sollen daran gebunden werden, dass sich die Volkswirtschaften den europäischen Unternehmen und Banken öffnen. Wie das Hilfswerk World Development Movement (WDM) erklärt: "Heute können wir erkennen, dass die EU auf eine allgemeine Übernahme der Kontrolle der grundlegenden Dienstleistungen und der finanziellen Infrastruktur der Entwicklungsländer durch EU-Konzerne hinarbeitet. Wir können konkrete Beispiele von Ländern anführen, wo sie funktionierende [staatliche] Alternativen zum freien Markt beseitigen wollen. Die EU hat deren Wirtschaft gründlich durchgekämmt. Die Lüge, dies sei ein entwicklungsfördernder Handelsplan, wurde endgültig entlarvt."

Siehe auch:
Der G8-Gipfel und die Kluft zwischen Realität und Rhetorik
(6. Juni 2003)
G8-Gipfel lehnt Hilfe für Afrika ab
( 6. Juli 2002)
Bush uses AIDS funding as an instrument of foreign policy
( 18. Februar 2003)
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