Vierergipfel in Brüssel

Schröder und Chirac senden Treueschwüre nach Washington

Vor und während des Irakkriegs hatten dessen Gegner vielfach gehofft, dass Deutschland und Frankreich - oder das vielzitierte "alte Europa" - der aggressiven Außenpolitik Washingtons entgegentreten und auf der internationalen Bühne ein Gegengewicht bilden würden.

Derartige Hoffnungen waren schon damals übertrieben. Außer verbalen und diplomatischen Schritten - vornehmlich die Verweigerung einer Kriegsresolution im UN-Sicherheitsrat - unternahmen die Regierungen in Berlin und Paris nichts gegen den Krieg. Insbesondere weigerte sich die Bundesregierung, den deutschen Luftraum und die US-Basen auf deutschem Boden für Kriegszwecke zu sperren, was erhebliche Auswirkungen gehabt hätte.

Nach dem Krieg ist nun auch noch jede diplomatische Opposition gegen den politischen Kurs der Bush-Administration zusammengebrochen. Das wurde auf dem sogenannten Vierergipfel deutlich, zu dem sich die europäischen Regierungschefs, die sich am deutlichsten gegen einen Irakkrieg ausgesprochen hatten, am vergangenen Dienstag in Brüssel versammelten.

Die Einladung zu dem Gipfel, an dem sich Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg beteiligten, war am Vorabend des Kriegs ergangen. Nachdem es nicht gelungen war, die USA von einem unilateralen Vorgehen abzuhalten, sollte das Treffen der seit langem diskutierten, aber nur mühsam vorangekommenen gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik neuen Schwung verleihen. Da Europa in der Kriegsfrage völlig gespalten war, sollte die Initiative dazu von einem mitteleuropäischen Kern ausgehen; die Kriegsbefürworter Großbritannien, Italien und Spanien wurden nicht eingeladen.

Auf ähnliche Weise war schon die europäische Währungsunion zustande gekommen. Anstatt auf einen nur schwer zu erzielenden europäischen Konsens zu warten, hatten einige Kernländer die Vorreiterrolle übernommen und andere durch eine Mischung von Druck und vollendeten Tatsachen zur Teilnahme bewogen.

Washington und seine engsten europäischen Verbündeten betrachteten den Gipfel von vornherein als antiamerikanisches Unternehmen und griffen ihn entsprechend an.

Die US-Regierung nutzte ihren Einfluss, um die vier in Brüssel zu isolieren. Diese bemühten sich am Schluss vergeblich, den Teilnehmerkreis des Gipfels zu erweitern. Selbst die griechische Regierung, die die Initiative im Prinzip unterstützte, konnte nicht kommen; da sie momentan den Vorsitz in der EU ausübt, musste sie auf Druck der anderen EU-Mitglieder auf die Teilnahme verzichten. Dasselbe gilt für den außenpolitischern Koordinator der EU, Xavier Solana.

Die Außenminister Spaniens, Italiens und Großbritanniens warfen den Gipfelteilnehmern vor, die Europäische Union zu spalten. Es sei "unmöglich" und "inakzeptabel", dass sich eine Gruppe von drei oder vier Ländern anmaße, die europäische Außen- und Sicherheitspolitik zu bestimmen. Ins selbe Horn stießen deutsche Oppositionspolitiker. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel sagte, der Gipfel sende "ein separatistisches Signal" nach Europa.

Die - je nach Standpunkt - Befürchtungen oder Hoffnungen, der Gipfel werde dem imperialistischen Kurs der USA entgegentreten, erwiesen sich jedoch als grundlos. In Brüssel fiel kein Wort der Kritik an der amerikanischen Regierung. Der Angriff auf den Irak unter Missachtung von UN und Völkerrecht, die Zehntausenden irakischen Kriegstoten, die Installation eines Kolonialregimes unter Missachtung internationaler Regeln und Institutionen wurden mit keiner Silbe erwähnt. Stattdessen schickten die Gipfelteilnehmer, wie ein Kommentar treffend bemerkte, "einen Treuschwur nach dem anderen über den Atlantik". Sie überschlugen sich förmlich in Ergebenheitsadressen an die amerikanische Regierung.

Der belgische Regierungschef Guy Verhofstadt betonte, der Gipfel stehe "nicht im Wettstreit mit der Nato". Frankreichs Präsident Jacques Chirac ergänzte: "Wir tragen selbstverständlich zu einer stärkeren atlantischen Allianz bei." Und Bundeskanzler Gerhard Schröder gab zu Protokoll, es gebe in der Nato nicht zu viel Amerika, sondern zu wenig Europa. Im Abschlussdokument wird die "transatlantische Partnerschaft" - also das Bündnis mit den USA - ausdrücklich als "grundlegende strategische Priorität" hervorgehoben.

Wäre es nicht mit einem zu großen Gesichtsverlust verbunden gewesen, hätten sie den Gipfel wohl abgesagt. Bundeskanzler Schröder soll bis zum letzten Moment gezögert haben, ob er überhaupt nach Brüssel reist.

Militaristische Antwort

So weit es überhaupt Pläne gegeben hatte, den USA stärker entgegenzutreten, waren sie ausschließlich militärischer Art. Voraussetzung für eine "glaubwürdige und wirksame Diplomatie", heißt es denn auch in der Abschlusserklärung des Vierergipfels, sei eine "glaubwürdige Sicherheits- und Verteidigungspolitik".

Gastgeber Verhofstadt hatte dazu weitreichende Vorschläge erarbeitet. So wollte er im Brüsseler Vorort Tervuren ein eigenes Hauptquartier für Streitkräfte der Europäischen Union aufbauen. Diese würde damit erstmals in die Lage versetzt, unabhängig von der Nato zu operieren, in der die USA den Ton angeben. Auch eine Verdoppelung der europäischen Rüstungsausgaben in den nächsten zehn Jahren brachte Verhofstadt ins Gespräch, und damit eine Anhebung der Summe der europäischen Militärausgaben auf amerikanisches Niveau.

Derartige Initiativen richten sich nicht gegen den neokolonialen Inhalt der amerikanischen Außenpolitik, die darauf abzielt, ganze Länder und Regionen dem Diktat Washingtons zu unterwerfen. Vielmehr haben sie die Aufgabe, Europa in die Lage zu versetzen, bei der Unterjochung anderer Völker als Konkurrent oder Partner der USA aufzutreten.

Den Teilnehmern des Brüsseler Gipfels geht es nicht um die Verteidigung völkerrechtlicher Prinzipien, wie der Souveränität der Nationen, sondern um die Wahrnehmung eigener imperialistischer Interessen - das hat ihre Beteiligung am Jugoslawien- und am Afghanistankrieg bereits gezeigt. Ihre militärischen Bemühungen dienen der "Förderung und Absicherung weltweiter politischer, wirtschaftlicher, militärischer und ökologischer Stabilität", sowie der "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zugangs zu strategischen Rohstoffen", wie es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr in bemerkenswerter Offenheit heißt.

Dementsprechend gibt es in Fragen der militärischen Aufrüstung wenig Differenzen innerhalb der EU. Die wichtigsten Initiativen wurden bisher auch von Großbritannien voll mitgetragen. Der britisch-französische Gipfel von St. Malo - zu dem ebenfalls keine anderen EU-Mitglieder eingeladen waren - hatte 1998 in dieser Hinsicht maßgebliche Weichen gestellt.

Differenzen gibt es dagegen über das Verhältnis zu den USA. Soll sich Europa mit der Rolle eines Juniorpartners begnügen? Oder soll es als Konkurrent auftreten und, wie es in der offiziellen Sprachregelung heißt, "Gleichberechtigung" anstreben?

Die britische Regierung, die ihre weltpolitische Rolle aus ihrer "Brücken"-Funktion zwischen den USA und Europa ableitet, tritt offen für ersteres ein. Regierungschef Tony Blair bekannte sich am Vorabend des Brüsseler Gipfels in einem Interview mit der Financial Times ausdrücklich zu einer unipolaren Welt unter amerikanischer Vorherrschaft.

Es gebe "unterschiedliche Visionen", sagte er. "Einige wollen eine sogenannte multipolare Welt, wo es unterschiedliche Machtzentren gibt, die sich, wie ich glaube, schnell zu rivalisierenden Machtzentren entwickeln werden; andere glauben, und das ist meine Auffassung, dass wir eine polare Macht brauchen, die eine strategische Partnerschaft zwischen Europa und Amerika einschließt."

Und an den französischen Präsidenten Chirac gewandt fuhr er fort: "Wer in Amerika ‚Unilateralismus’ befürchtet - sogenannten und in Anführungszeichen - sollte im Klaren darüber sein, dass der schnellste Weg, dies zu erhalten, der Aufbau einer Macht ist, die mit Amerika rivalisiert."

Die Brüsseler Gipfelteilnehmer widersprachen dem heftig. "Es entsteht eine multipolare Welt, ob wir das wollen oder nicht", sagte Chirac. Neben den USA würden darin auch Indien, China, Südamerika und Europa eine Rolle spielen. Und Schröder ergänzte: "Das Kernelement der deutschen Außenpolitik bleibt die Einbindung in multilaterale Strukturen."

Von ihren militärischen Plänen rückten die Gipfelteilnehmer jedoch schnell wieder ab. Es blieb beim allgemeinen Bekenntnis zu einer engen europäischen Zusammenarbeit im militärischen und im Rüstungsbereich, über das in der EU seit längerem Konsens besteht. Vom beabsichtigten europäischen "Hauptquartier" blieb lediglich die äußerst vage Empfehlung übrig: "Wir schlagen unseren Partnern die Schaffung eines Nukleus einer kollektiven Fähigkeit zur Planung und Führung von Einsätzen für die Europäische Union vor."

Die amerikanische Regierung quittierte diese Unterwerfungsgesten mit Hohn. US-Außenminister Colin Powell spottete vor einem Kongress-Ausschuss: "Vier europäische Länder sind zusammengekommen, um eine Art Plan für eine Art Hauptquartier zu entwerfen." Gebracht werde keine neue Zentrale, fügte er hinzu. Sie könne die fehlenden Mittel nicht wettmachen, die für die Ausrüstung und Entwicklung der Streitkräfte nötig seien.

Amerikanische Verhältnisse in Europa

Die Unfähigkeit der französischen und deutschen Regierungen, der aggressiven US-Außenpolitik ernsthaft entgegenzutreten, ergibt sich letztlich aus ihrem sozialen Programm. Während sie dem rücksichtslosen Auftreten der USA auf der Weltbühne mit Unbehagen begegnen und es als Bedrohung empfinden, sind sie gleichzeitig dabei, in Europa amerikanische Verhältnisse einzuführen. Das macht sie unfähig, an die breite Masse der europäischen Bevölkerung zu appellieren, die millionenfach gegen den Irakkrieg auf die Straße gegangen ist.

Ein geeintes Europa, das seinen mehr als 400 Millionen Einwohnern gute Lebens- und Arbeitsbedingungen bietet, wäre ein mächtiger Gegenpol zum US-Imperialismus. Es würde auch eine starke Anziehungskraft auf die amerikanische Bevölkerung ausüben, die die Last und die Kosten des Militarismus zu tragen hat.

Aber Schröder und Chirac verfolgen den entgegengesetzten Kurs. Während des Irakkriegs haben sie die schärfsten Angriffe auf die sozialen Errungenschaften der Bevölkerung eingeleitet. Sie sind unfähig, die kriminellen Methoden der Clique um Bush anzuprangern, weil sie dasselbe Ziel wie diese verfolgen - die Unterwerfung der gesamten Welt unter die brutalsten Formen der kapitalistischen Plünderung und Ausbeutung.

Ihr Europaprojekt, die Einigung des Kontinents von oben im Interesse der Banken und Konzerne, führt unweigerlich zu dessen Spaltung. Es verschärft den Gegensatz zwischen den europäischen Regierungen, die befürchten, von der einen oder anderen Großmacht dominiert zu werden, und stößt die Bevölkerung ab, die den europäischen Einigungsprozess als Bedrohung ihrer Lebensgrundlage empfindet.

Die US-Regierung hat ihren Einfluss in Europa in jüngster Zeit gezielt eingesetzt, um die Gegensätze zu vertiefen und ihre schärfsten Rivalen - Frankreich und Deutschland - zu schwächen. Aber sie kann dies nur tun, weil ihr die Politik der deutschen und der französischen Regierungen dabei entgegen kommt.

Vor allem die Regierungen in Osteuropa, die kaum über gesellschaftliche Unterstützung verfügen, haben sich voll hinter die USA gestellt. Sie vertreten die dünne Schicht von Neureichen und früheren Mitgliedern der Nomenklatur, die sich am ehemaligen Staatseigentum maßlos bereichert haben, während die Masse der Bevölkerung unter Arbeitslosigkeit und dem völligen Zusammenbruch der Sozialsysteme leidet.

Ähnlich verhält es sich mit den rechten Regierungen in Spanien, Italien, Dänemark und Holland. Sie sind aufgrund des politischen Bankrotts der alten, reformistischen Parteien an die Macht gelangt und führen äußerst unpopuläre Maßnahmen durch. Insbesondere die italienische Regierung rekrutiert sich aus den selben reichen, korrupten und teilweise kriminellen Schichten wie die amerikanische. Cesare Previti, der ehemalige Verteidigungsminister, enge Freund und Anwalt von Regierungschef Berlusconi ist eben erst wegen Richterbestechung zu elf Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Die Angriffe auf Arbeitslose, Rentner und Arbeiter in Deutschland und Frankreich spielen diesen reaktionären Tendenzen direkt in die Hände. Eine wirkliche Einigung Europas kann nur von unten erfolgen. Der Kampf gegen die amerikanische Kriegspolitik fällt dabei untrennbar mit dem Kampf gegen die Einführung amerikanischer Verhältnisse in Europa zusammen. Er muss unter dem Banner der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa geführt werden.

Siehe auch:
Frankreich und Deutschland suchen Annäherung an die Vereinigten Staaten
(25. April 2003)
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