Heilbronn:

Podiumsdiskussion der "Initiative gegen den Irakkrieg"

"Was kommt nach dem Überfall auf den Irak?" - unter diesem Titel veranstaltete die "Initiative gegen den Irakkrieg" am 25. April eine Diskussionsveranstaltung in Heilbronn, die laut Einladung zum Ziel hatte, Aufgaben und Perspektiven der Antikriegsbewegung zu diskutieren.

Als Sprecher waren der Friedensforscher Andreas Hauß, der Autor und Junge Welt- Journalist Jürgen Elsässer, Klaus Hartmann vom Deutschen Freidenker-Verband und Peter Schwarz von der Redaktion der World Socialist Web Site eingeladen worden. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Verlagsvertreter Mathias Gross. Die rund sechzig Zuhörer beteiligten sich teilweise lebhaft an der Diskussion.

Das einleitende Referat hielt der Historiker Dr. Alexander Bahar von der "Initiative gegen den Irakkrieg". Er nannte den US-Krieg einen "völlig unprovozierten, völkerrechtswidrigen Überfall auf den Irak" und ein "monströses Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen das irakische Volk und gegen den einst souveränen Staat Irak". Er sagte, dass die Proteste von Millionen Menschen ohne Wirkung blieben, weil die US-Regierung diesen Krieg zur Festigung ihrer Herrschaft dringend brauchte. Es seien nicht nur Tausende Menschen abgeschlachtet und verstümmelt und die irakische Infrastruktur in Schutt und Asche gelegt, sondern auch die irakische Kultur der Plünderung anheim gegeben worden.

"Diese Barbarei hat System", so Bahar. "Sie zielt auf die Vernichtung einer mehr als 6.000 Jahre alten Hochkultur, auf die Auslöschung der Vergangenheit und auf das kollektive Vergessen, ganz nach der Devise von George Orwells Roman ‚1984’: ‚Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft; wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.’"

Bahar ging auf die Rolle des UN-Sicherheitsrats ein und wies darauf hin, dass die UN-Waffeninspekteure noch bis kurz vor Ausbruch des Kriegs systematisch alles zerstören ließen, was dem Irak zur Verteidigung seines Territoriums geblieben war: "Das ist die vielleicht größte Obszönität unter diesem an Obszönitäten reichen Kapitel der Weltgeschichte: dass der UN-Sicherheitsrat mit den USA gemeinsame Sache machte, dass er mithalf, einen souveränen Staat seiner Verteidigungsmittel zu berauben und es dem US-Imperialismus dadurch ermöglichte, seine wehrlos gemachte Beute risikolos zu zermalmen."

Über die rot-grüne Bundesregierung sagte Bahar: "Unter dem massiven Druck der USA hat die Schröder-Regierung internationales Recht und das deutsche Grundgesetz gebrochen und den Angriffskrieg gegen den Irak indirekt unterstützt. Für die amerikanische Kriegsführung ist Deutschland zum wichtigsten militärischen Umschlagplatz geworden. Die 25 größten US-Drehscheiben in Deutschland spielten sowohl bei den Kriegsvorbereitungen wie auch im Rahmen der direkten Kriegsführung eine erhebliche Rolle."

Abschließend erklärte Bahar: "Das Kriegsgeheul aus Washington und die Eruption des amerikanischen Militarismus sind kein Zeichen der Stärke Amerikas, des fortgeschrittensten kapitalistischen Staates, sondern ein Ausdruck der Degeneration und des Niedergangs. Es ist zugleich Ausdruck der unlösbaren Widersprüche zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung, von Nationalstaat und globalisierter Wirtschaft. In seinem Todeskampf droht der US-Imperialismus die ganze Welt in einen Abgrund der Barbarei und des Krieges zu reißen. Darin besteht die historische Bedeutung der Invasion im Irak.

Nur die Leidtragenden dieser in den Untergang führenden Politik, die von der Macht und dem großen Geld ausgeschlossene arbeitende Bevölkerung in Deutschland, in Europa, weltweit, vor allem aber in den USA, kann diese Entwicklung stoppen. Das bedeutet aber, dass sie sich ihrer Möglichkeiten bewusst werden und die Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten durchschauen muss, die dieser Entwicklung zugrunde liegen, auch und vor allem den Zusammenhang zwischen Krieg, demokratischem Niedergang und sozialem Kahlschlag. Und es bedeutet, dass sie sich unabhängig von den etablierten und korrumpierten Parteien, Organisationen und Institutionen - international - organisieren und deren Opportunismus und Pragmatismus entlarven und bekämpfen muss. Hierzu beizutragen, die Lügengespinste und Nebelschleier der Politiker und der dröhnend-subtilen Medien-Propaganda zu zerreißen, das ist unsere Aufgabe."

"Deutschland raushalten"

"Es ist einfach Fakt: die Friedensbewegung ist so zusammengebrochen, so schnell und so eindeutig, wie sich hier in dem Besuch in diesem Saal zeigt," sagte der Friedensforscher Andreas Hauß zu Beginn seines Beitrags. Er höre immer, die Friedensbewegung sei drauf und dran, stetig vorwärts zu kommen. Das höre sich alles gut an, doch er sehe das nicht. Am 15. Februar hätten in Berlin noch 500.000 demonstriert, kürzlich seien es auf einer Friedensdemonstration nur noch 5.000 gewesen. "Die Friedensbewegung hat Menschen zusammengebracht, aber sie hat keine Kontinuität reingebracht."

Wie er sich dies erklärt und welche Schlussfolgerungen er daraus zieht, war seinem langatmigen, zusammenhangslosen und sprunghaften Beitrag nur schwer zu entnehmen.

Hauß betonte immer wieder, dass wir uns im Krieg befinden. "Wir sind im deutsch-irakischen Krieg", sagte er unter Hinweis auf die Bedeutung, welche die US-Basen in Deutschland für die Logistik des Irakkriegs spielen. "Wenn wir nicht beginnen zu sehen, dass das, was im Augenblick dem Irak angetan wird, eine Frage unserer Rechte ist, und nicht nur der Rechte des irakischen Volkes; es geht um unser Recht auf Frieden, es geht um unser Grundgesetz, es geht um unsere Verfassung, es geht um unsere UN-Charta, es geht um unser Recht, im Frieden zu sein. Das ist gebrochen worden."

Die Friedensbewegung solle nicht versuchen, die inneren Verhältnisse des Irans, Syriens oder anderer von den USA bedrohter Länder zu diskutieren. "Sie sollte sich auf das konzentrieren, was uns hier zusammenhält. Wir sind hier in Deutschland. Wir haben unser Recht auf Frieden."

Es folgte eine Lobeshymne auf das Grundgesetz, "das hervorragendste, das wir je hatten". "Wir haben nichts anderes. Wir sollten uns an dem festhalten, was wir haben." Man müsse das Grundgesetz "in die Hand nehmen und den Leuten um die Ohren schlagen, die uns diese Rechte nehmen wollen; wenn wir das nicht tun, dann sind wir selber Schuld."

Ob Hauß den eingangs behaupteten Zusammenbruch der Friedensbewegung auf die mangelnde Bereitschaft ihrer Teilnehmer zurückführt, der Bundesregierung das Grundgesetz um die Ohren zu schlagen, erläuterte er nicht näher, seine Ausführungen legten aber diesen Schluss zumindest nahe. Er schloss mit dem Aufruf, "unsere Werte" wahrzunehmen, ganz gleich ob diese "religiös, moralisch oder aus dem Recht heraus" begründet seien.

Der Junge Welt- Journalist Jürgen Elsässer erklärte sich über weite Strecken mit seinem Vorredner einverstanden. Er betonte allerdings, dass der Krieg vorbei sei. Die Amerikaner hätten ihn gewonnen und dies sei demoralisierend. Die Leute hätten ihre eigene Machtlosigkeit erlebt. Immer weniger Menschen ließen sich mobilisieren. "Es wird jetzt ein Krieg nach dem andern kommen, und wir werden es nicht verhindern können", sagte er.

Das einzige, was man erreichen könne, sei Deutschland aus dem Krieg herauszuhalten. Deutschland müsse die US-Basen schließen und aus der Nato austreten. Das werde die USA allerdings nicht stoppen. "Die Amerikaner werden erst gestoppt, wenn sie den Krieg verloren haben; und den Krieg werden sie erst verlieren gegen Russland und China."

Um Deutschland und Europa aus dem Krieg herauszuhalten, sei eine fundamentale Änderung der Wirtschaftspolitik notwendig, sagte Elsässer, denn die deutsche Wirtschaft und die amerikanische Wirtschaft seien symbiotisch verflochten. Die deutsche Wirtschaft wäre am Ende, wenn die USA die deutschen Exporte nicht aufkaufen würden. Die USA wiederum seien auf den Zufluss von Auslandskapital aus Europa, Japan und den arabischen Ländern abhängig, um ihr Außenhandelsdefizit zu decken.

Elsässer wies darauf hin, dass die Verschuldung der USA im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung viel höher sei als jene der DDR zur Zeit ihres Zusammenbruchs, und fragte: "Warum ist die DDR zusammengebrochen, und die USA machen munter weiter? Warum leihen reiche Leute den USA Geld, während der DDR niemand Geld geliehen hat? Das ist das Rätsel der Weltwirtschaft und das Rätsel des Krieges. Diese reichen Leute leihen den USA Geld, weil die USA im Unterschied zur DDR und zu allen anderen Schuldnerstaaten die einzigartige Fähigkeit haben, jederzeit, an jedem Ort der Welt aufgrund ihrer militärischen Übermacht mit vorgehaltener Maschinenpistole die Leute zu zwingen, wertlose Papierschnipsel, auf denen Dollar draufsteht, in Waren und Güter umzutauschen."

Eine Abkopplung Deutschlands von der US-Kriegsmaschine sei nur erreichbar, folgerte er, "wenn diese Form der Wirtschaft gestoppt wird und das große Kapital, das auf diese völlig verrückte Weltmarktorientierung setzt, gestoppt wird". Er warf Bundeskanzler Schröder vor, dass er vom Frieden spreche und gleichzeitig mit seiner arbeitnehmerfeindlichen Politik das deutsche Kapital in seiner Exportorientierung bestärke. Die Kaufkraft in Deutschland müsse erhöht werden. Wenn die große Masse der Bevölkerung mehr Geld in der Tasche hätte, würden mehr Waren im Inland abgesetzt und die Exportabhängigkeit von den USA verringert.

Das versteht Elsässer unter einer "fundamentalen Änderung der Wirtschaftspolitik". In dieser Hinsicht setzt er seine Hoffungen ausgerechnet auf Teile der SPD und der Gewerkschaften, die seiner Ansicht nach einen "wirtschaftlichen Kampf gegen die großkapitalistische Orientierung der Schröder-Regierung" führen. "Immerhin hat ein Teil der Gewerkschaften rund um die IG Metall und immerhin hat ein Teil der SPD rund um diese zwölf Aufrechten, die jetzt das Mitgliederbegehren in Gang gesetzt haben, das Herz auf dem richtigen Fleck; sie wollen jetzt Schröder an dem Punkt zwingen," sagte er und forderte die Friedensbewegung auf, sich mit ihnen zu verbinden.

Nach Elsässer sprach Klaus Hartmann, der Vorsitzende des deutschen Freidenkerverbandes. Er erläuterte, wie es seiner Meinung nach zu der Ohnmachts-Erfahrung und tiefen Frustration der letzten Tage gekommen sei. Das Hauptproblem habe darin bestanden, dass von den Führern der Friedensbewegung Unklarheit und Illusionen verbreitet worden seien. "Man wollte die Bundesregierung nicht in die Bredouille bringen", so Hartmann.

Auch sei es falsch gewesen, zu einem Zeitpunkt, an dem der Irak unmittelbar vor einem Angriff von Seiten der USA stand, Saddam Hussein ständig als "Diktator" zu bezeichnen. Damit habe sich die Friedensbewegung der Gehirnwäsche der Massenmedien angepasst. In einer Situation der unmittelbaren Bedrohung durch den US-Imperialismus sei eine eindeutige Stellungnahme für das bedrohte Land notwendig. So sei es heute geboten, offen für Freundschaft mit dem syrischen Volk einzutreten.

"Konfrontation mit dem US-Imperialismus unvermeidlich"

Als letzter sprach Peter Schwarz, Mitglied der Redaktion der World Socialist Web Site und Führungsmitglied der Partei für Soziale Gleichheit. Er bezeichnete den Irakkrieg als "historischen Wendepunkt", als "Zäsur in der Geschichte" und stellte die Frage nach seinen Ursachen.

Er nannte den extrem reaktionären Charakter der amerikanischen Regierung, der in Europa vielfach unterschätzt werde. Die Bush-Regierung stütze sich zwar nicht auf eine faschistische Massenbewegung, werde aber von ähnlichen Elementen getragen wie Hitler in den dreißiger Jahren - der politischen Rechten und Ultrarechten und Elementen in der Bourgeoisie, die durch kriminelle Methoden (wie bei Enron) unermesslich reich geworden sind; sie verkörpere "die Unterwelt an der Macht".

Die Veränderungen in der amerikanischen Elite seien letztlich auf grundlegende Veränderungen in der Struktur des Weltkapitalismus zurückzuführen, deren Wurzeln bis in die siebziger Jahre zurückreichten. Damals habe die Bourgeoisie auf heftige Klassenkämpfe und eine weltweite Rezession reagiert, indem sie zur Gegenoffensive gegen die Arbeiterbewegung ausholte und gleichzeitig einen neuen Schub der internationalen Expansion der kapitalistischen Wirtschaft einleitete - die Globalisierung.

Die Globalisierung habe das Nationalstaatensystem, auf dem der Kapitalismus historisch basiert, unterhöhlt. Zum ersten Opfer des wachsenden Gegensatzes zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaat seien paradoxerweise die Sowjetunion, die DDR und die andern osteuropäischen Staaten geworden. Der Versuch, in nationaler Isolation eine staatlich gelenkte Wirtschaft zu entwickeln - der wesentliche Inhalt stalinistischer Politik - habe angesichts der raschen Expansion der Weltwirtschaft scheitern müssen.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion hatte weitgehende Auswirkungen auf die Weltlage, fuhr Schwarz fort. Zum einen öffnete er bisher verschlossene Gebiete in Zentralasien und Osteuropa für das Eindringen von Kapital. Die Fähigkeit bürgerlich-nationalistischer Regime, wie desjenigen von Saddam Hussein, zwischen den beiden Supermächten zu balancieren und so ihre Unabhängigkeit zu wahren, war dahin. Und gleichzeitig verschwand das Risiko für die USA, im Kriegsfall einen Nuklearkrieg und damit die eigene Vernichtung zu riskieren.

Die neunziger Jahre waren dann durch eine ganze Serie von Kriegen geprägt: den ersten Golfkrieg, den Balkankrieg, den Afghanistankrieg und schließlich den zweiten Golfkrieg. In allen diesen Kriegen spielten die Frage des Öls, strategischer Interessen und einer Reorganisation der Welt im Interesse des amerikanischen Imperialismus eine zentrale Rolle. Gleichzeitig erlebten die neunziger Jahre einen Aktienboom und eine Polarisierung der Gesellschaft zwischen Arm und Reich in nie gekanntem Ausmaß.

"Aus diesem Boom heraus ist die Schicht entstanden, auf die sich die Bush-Regierung stützt," führte Schwarz aus. "Es sind Leute, die durch kriminelle Methoden unermesslich reich geworden sind und die heute entschlossen sind, diesen Reichtum zu verteidigen. Dies wird durch zahllose Statistiken belegt: So besitzen die 13.000 reichsten Familien in den USA gleich viel wie die zwanzig Millionen am untern Rand. Das ist ein wichtiger Faktor in diesem Krieg. Das Regime in Washington verteidigt ein Ausmaß an sozialer Ungleichheit, das mit demokratischen Mitteln in einer normal funktionierenden Gesellschaft nicht zu verteidigen ist.

Wir erleben eine tiefe Krise des Weltkapitalismus, die ihren schärfsten Ausdruck in dem Land findet, das seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts die stärkste imperialistische Macht darstellte. Aber es ist eine Krise des Weltkapitalismus, und man kann nur darauf antworten, wenn man diesen Zusammenhang versteht."

Deutschland habe 1914 und 1939 versucht, Europa zu reorganisieren; Amerika müsse heute die ganze Welt reorganisieren und den Bedürfnissen des amerikanischen Kapitalismus unterordnen. "Die Tatsache, dass dieses System die nationalen Grenzen gesprengt hat, lässt sich vom Standpunkt der amerikanischen Bourgeoisie aus nur lösen, indem sie die gesamte Weltwirtschaft und die gesamte Weltgesellschaft ihrem Willen unterwirft. Die Bedingungen, die bereits in Amerika herrschen, müssen überall eingeführt werden: Abbau aller sozialen Errungenschaften und Kapitalismus in seiner nacktesten Form. Das lässt sich nicht mit Demokratie oder auch nur einem Anschein davon vereinbaren."

Schwarz wandte sich gegen die Auffassung seiner Vorredner, Deutschland könne sich aus dieser Entwicklung heraushalten: "Der Glaube, ein Land könne sich von der Weltwirtschaft abkoppeln, wurde schon vor zehn Jahren in der Sowjetunion und der DDR widerlegt," sagte er. Es gehe nicht darum, die Wirtschaftspolitik im Rahmen eines einzelnen Landes zu ändern, sondern eine gesellschaftliche Kraft zu finden und zu entwickeln, die dem amerikanischen Imperialismus im Weltmaßstab entgegentreten kann. "Dazu gehört die arbeitende Bevölkerung der USA ebenso wie die arbeitende Bevölkerung Europas, des Nahen Ostens und der gesamten Welt. Das muss der Kern einer Strategie gegen diesen Krieg sein."

Schwarz setzte sich dann mit der Behauptung auseinander, die Friedensbewegung sei zusammengebrochen. "Wenn man sie als reine Friedensbewegung nimmt, dann vielleicht ja. Aber die Bewegung, die sich in den letzten Wochen entwickelt hat - besonders am 15. und 16. Februar, als weltweit Millionen zur größten internationalen Demonstration der Weltgeschichte auf die Straße gingen - war nicht einfach eine Friedensbewegung, es war eine soziale Bewegung", sagte er unter großem Applaus. "Die Teilnehmer haben vielleicht nicht alle Zusammenhänge verstanden, aber sie wussten, dass der Krieg Ausdruck einer grundlegenden Krise der Gesellschaft ist. Das Wissen, dass eine tiefe soziale Krise existiert, hat die Bewegung so groß werden lassen."

Er fuhr fort: "Wenn diese Bewegung heute zurückgeht, dann deshalb, weil ihr eine Perspektive fehlt. Und weil jene, die an ihrer Spitze stehen und sie auf eine reine Friedensbewegung reduzieren wollen, ihr keine Perspektive geben können. Wer den Glauben schürt, pazifistischer Protest könne Bush stoppen, liegt falsch. Eine Konfrontation mit dem amerikanischen Imperialismus ist unvermeidlich. Darauf muss man sich vorbereiten."

Das sei eine Aufgabe, die man selbstverständlich nicht den europäischen Regierungen überlassen könne. Das feige Verhalten von Schröder und Fischer habe Bush gestärkt. "Sie sind unfähig, gegen den US-Imperialismus aufzutreten, weil sie mit Bushs sozialem Programm einverstanden sind." Mitten im Krieg habe Schröder die schärfsten Angriffe auf soziale Rechte seit Bestehen der Bundesrepublik angekündigt.

Schwarz warnte davor, im Kampf dagegen auf die Gewerkschaften oder linke SPD-Mitglieder zu setzen, die seit den Zeiten von Helmut Schmidt den Sozialabbau mitgetragen hätten. Die Aufgabe, die sich jetzt stelle, sei die Entwicklung einer unabhängigen Perspektive für die Massenbewegung, die am 15. Februar ihr Gesicht gezeigt habe. Diese Perspektive müsse international sein und sich auf die Arbeiterklasse stützen. Sie müsse jeden Kompromiss mit dem US-Imperialismus zurückweisen. Es sei notwendig, die Beziehung zu den alten, degenerierten Organisationen zu kappen, die sich als politisch unfähig erweisen hätten.

Beschränkung auf das "Machbare"

Peter Schwarz’ Ausführungen ernteten bei einem Teil des Publikums offene Zustimmung und Applaus.

Ein Teilnehmer meldete sich und fragte Jürgen Elsässer, wie er sich das vorstelle, das deutsche Kapital durch die Stärkung der Kaufkraft der deutschen Bevölkerung wirtschaftlich vom amerikanischen Kapital abzukoppeln. Es sei nicht leicht zu verstehen.

Helmut Arens von der Partei für Soziale Gleichheit sprach darüber, dass sich die Antikriegsbewegung nur zu einer einflussreichen Massenbewegung entwickeln könne, wenn es gelinge, ihre Ziele mit den sozialen Interessen der Massen zu verbinden. Deshalb sei es falsch, sich an etablierten Politikern zu orientieren, die zum Hemmschuh würden, sobald es um grundlegende Interessen der arbeitenden Bevölkerung gehe. Die Bewegung müsse sich von den alten Parteien, europäischen Regierungen und Institutionen trennen und ihre Interessen unabhängig von diesen formulieren.

Arens wandte sich gegen Jürgen Elsässer, der offensichtlich das Heil der Friedensbewegung bei den SPD-Linken und den Gewerkschaften sehe. Durch eine Beschränkung der Ziele auf das "in Deutschland Machbare" gehe die wichtigste Aufgabe verloren, nämlich gemeinsam mit der amerikanischen Arbeiterklasse den US-Imperialismus herauszufordern.

"Nichts als Phrasen", kommentierte Elsässer. "Dieses ständige Gerede von Revolution - möglichst noch Weltrevolution - ist das beste Mittel, um alles zu verhindern. Wirklich revolutionäre Taten vollbringt man ohne große Worte." Er behauptete, Lenin und die Bolschewiki seien zwar glühende Internationalisten und Vertreter der Weltrevolution gewesen, aber bei der radikalsten geschichtlichen Tat, der Oktoberrevolution, hätten sie sich auf das Nächstliegende konzentriert, nämlich Russland aus dem Krieg herauszuziehen. Sie hätten die Massen mit der einfachen Forderung nach "Land, Frieden und Brot" mobilisiert. "Sie benutzten keine große Phrasen und keine Fremdwörter. So macht man Revolution," sagte Elsässer.

Andreas Hauß sagte: "Wenn wir über den Zusammenhang zwischen Krieg, Imperialismus, Kapitalismus und Menschheitsfragen sprechen, dann haben wir nur ein einziges, klitzekleines Problem: Die Masse der Leute, die am 15. Februar auf den Demonstrationen gewesen sind, waren aller Wahrscheinlichkeit nach gar keine Sozialisten." Das Gute bestehe gerade darin, dass es heute möglich sei, Leute zu aktivieren, von denen man es nie geglaubt hätte - wie zum Beispiel Willy Wimmer von der CDU oder den Papst.

An dieser Stelle gab es einiges Gemurmel im Saal. Ein Zwischenruf "Warum nicht Gauweiler?" erinnerte an den rechten CSU-Politiker, der sich ebenfalls gegen den Irakkrieg ausgesprochen hatte.

Peter Schwarz bezeichnete Elsässers Darstellung der Oktoberrevolution als "schlechte Karikatur". Die Oktoberrevolution sei nicht einfach das Ergebnis einer korrekten Parole gewesen. Man könne sie nicht verstehen, wenn man die Vorgeschichte der bolschewistischen Partei nicht kenne, die in einem langwierigen Klärungsprozess aufgebaut worden sei. Lenin habe die Weltrevolution verteidigt. Die Tragödie der Sowjetunion habe begonnen, als Stalin und eine Bürokratie die Macht übernahmen, diese Perspektive ablehnten und Hunderttausende Kommunisten ermordeten, die für dafür gekämpft hatten.

Schwarz wandte sich dagegen, Fragen der Orientierung und Perspektive im Namen von "Taten" und "machbaren Zielen" zu unterdrücken. "Wie ist es möglich, richtige Taten zu vollbringen, wenn eine korrekte Perspektive fehlt?" fragte er. "Wer bestimmt denn, was ‚machbar’ ist? Ich halte es für machbarer, Jugendliche von einer sozialistischen Perspektive zu überzeugen, als Schröder und Fischer davon zu überzeugen, die amerikanischen Basen zu schließen."

Er erklärte, zur Zeit vollziehe sich eine Differenzierung der Massenbewegung, die ihren Charakter notwendigerweise verändern müsse. Keine Friedensbewegung, auch keine reine Antikriegsbewegung könne weitere Kriege verhindern. Dazu brauche es eine internationale Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Imperialismus.

Siehe auch:
Eine nicht gehaltene Rede
(25. März 2003)
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