Die Grünen und der Irakkrieg

Pünktlich zu Beginn des Irakkriegs haben sich die Grünen offiziell dafür ausgesprochen, den amerikanischen und britischen Truppen die Nutzung des deutschen Luftraums und deutscher Basen für Kriegseinsätze zu erlauben.

In einer Erklärung des Fraktionsvorstands von Bündnis 90/Die Grünen vom 20. März heißt es zustimmend, die Bundesregierung werde "trotz ihrer und unserer Ablehnung dieses Krieges die gemäß des NATO-Vertrages gültigen Überflug- und Nutzungsrechte für die amerikanischen und britischen Stützpunkte und deren Schutz in Deutschland nicht in Frage stellen. Soweit diese direkt oder indirekt in den Krieg gegen den Irak einbezogen sind, wird sie dies dulden."

Die Zustimmung der Grünen zur Nutzung deutscher Einrichtungen für Kriegseinsätze ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert.

Erstens macht sie deutlich, dass die Ablehnung des Kriegs durch die Grünen nicht ernst gemeint ist. Die riesigen US-Basen in Deutschland, mit ihren für Großflugzeuge geeigneten Start- und Landepisten, spielen eine wichtige Rolle in der Logistik des Krieges. Über sie läuft ein großer Teil des militärischen Nachschubs von den USA in den Nahen Osten. Ihre Sperrung für Kriegszwecke würde die amerikanischen Kriegspläne mithin schwer beeinträchtigen.

Selbst kleine Länder, wie die Schweiz und Österreich, haben ihren Luftraum für amerikanische und britische Militärflugzeuge gesperrt. In Italien, dessen Regierung den Krieg unterstützt, hat die Entsendung von US-Fallschirmjägern in den Nordirak einen politischen Skandal ausgelöst. Sprecher der Opposition werteten deren Einsatz von der norditalienischen Luftwaffenbasis Aviano aus als italienischen Kriegseintritt und Bruch der Verfassung. Ex-Staatspräsident Francesco Cossiga, ein Christdemokrat, verlangte sogar die einseitige Kündigung der Nato-Verträge. Im Gegensatz dazu "dulden" die deutschen Grünen die direkte oder indirekte Einbeziehung in Deutschland gelegener Basen in den Krieg gegen den Irak.

Zweitens zeigt die Haltung der Grünen, dass sie rechtstaatliche Grundsätze, die sie sonst gerne beschwören, leichtfertig beiseite schieben, wenn sie ihnen nicht in ihr politisches Konzept passen.

Es steht außer Frage, dass die deutsche Verfassung jede aktive und passive Unterstützung eines Angriffskriegs strikt untersagt. Die Bundesregierung wäre demnach verpflichtet, Luftraum und Basen zu sperren, wenn sie den Krieg gegen den Irak als völkerrechtswidrig erkennt. Zahlreiche renommierte Völkerrechtler vertreten diese Auffassung. So hat die angesehene Internationale Juristenkommission in Genf die Invasion des Irak als "völlig illegal" und als "flagrante Verletzung des in der UN-Charta festgelegten Gewaltverbots" bezeichnet.

Die Grünen berufen sich in ihrer Propaganda gegen den Krieg gern auf solche Einschätzungen. Doch wenn es darum geht, die praktischen Konsequenzen daraus zu ziehen, weichen sie sofort zurück. Die Resolution des Fraktionsvorstands vollführt in dieser Hinsicht einen wahren Drahtseilakt. Es heißt darin, der Krieg sei "völkerrechtlich umstritten", "in keiner Weise begründet" und "nicht zu rechtfertigen", die US-Regierung habe sich "über die Mehrheit des UN-Sicherheitsrates, der Staatengemeinschaft und der Weltbevölkerung hinweggesetzt" und ihre Haltung entspreche nicht der UN-Charta - nirgends aber wird gesagt, der Krieg sei illegal oder völkerrechtswidrig.

Grüne "Realpolitik"

Die Argumente, mit denen der Fraktionsvorstand seine Haltung begründet, sind ein Musterbeispiel grüner "Realpolitik". Die Kernaussage lautet, der Krieg sei zwar abzulehnen, aber ein konsequentes Auftreten dagegen würde den außenpolitischen Interessen Deutschlands schaden. Wir zitieren die entsprechende Passage im Wortlaut.

"Deutschland wird bei seiner Ablehnung des Angriffs und seiner Entscheidung bleiben, sich nicht daran zu beteiligen, weder mit Soldaten, noch mit Waffen oder Geld. Gleichzeitig muss die Bundesregierung unabhängig von der völkerrechtlichen Bewertung des Vorgehens der USA und Großbritanniens die politische Entscheidung über die Bedeutung des transatlantischen Verhältnisses und der Nato treffen. Diese gehören zu den unverzichtbaren Grundpfeilern deutscher Außen- und Sicherheitspolitik und zu den Kernelementen ihrer Stabilität und Kontinuität.... Verantwortliche Politik darf diese Grundelemente nicht gefährden oder gar zerstören. Dies gilt unabhängig von der gegenwärtigen Situation und unabhängig von aktuellen Regierungen - in den USA wie in Deutschland."

Wie man das transatlantische Verhältnis, also das Verhältnis zur amerikanischen Regierung, unabhängig von dem Umstand bewerten kann, dass diese gerade ein anderes Land überfällt und die Lunte an die gesamte Nachkriegsordnung legt, bleibt ein Geheimnis der Grünen. In Wirklichkeit erklären sie einfach, dass ihnen das Festhalten an der Nato, dem militärischen Bündnis mit den USA, wichtiger ist als das Schicksal der Menschen im Irak.

Die Erklärung geht noch weiter: "So könnte die Verweigerung von Überflugrechten und der Nutzung von Militäreinrichtungen zum Bruch mit dem wichtigsten Bündnispartner Deutschlands führen. Dies würde zur Schwächung der Bundesregierung führen, also einer Regierung, die weltweit in der Opposition gegen den Irakkrieg und die damit verbundene Strategie eine führende Rolle spielt. Der Krieg selbst würde mit einer solchen Verweigerung gleichzeitig weder verhindert, noch verkürzt."

Dieses Argument ist absurd. Wenn die Bundesregierung den Kriegstreibern in Washington ernsthaft entgegenträte, argumentieren die Grünen, würde das ihre Fähigkeit schwächen, eine führende Rolle in der Opposition gegen den Krieg zu spielen!

Deutlicher kann man nicht aussprechen, welch tiefe Kluft zwischen der einstigen pazifistischen Partei und den Millionen Menschen besteht, die in den vergangenen Tagen gegen den Krieg auf die Straße gingen. Den Demonstranten geht es darum, einen Krieg zu beenden, den sie als barbarisch, ungerecht und verbrecherisch empfinden - den Grünen um die außenpolitischen Interessen Deutschlands. Sie siedeln den Erhalt eines Militärbündnisses, der Nato, das es der deutschen Regierung erlaubt, im Konzert der Großmächte mitzuspielen, höher an als das Schicksal der Menschen im Krieg.

Ein solcher Standpunkt hat die Haltung der rot-grünen Bundesregierung zum Irakkonflikt von Anfang an gekennzeichnet. Ihre Differenzen mit der Bush-Regierung sind taktischer, nicht prinzipieller Natur. Sie hat die UN-Sanktionen gegen den Irak, die Hunderttausenden Kindern das Leben kosteten, ebenso unterstützt, wie das drakonische Inspektionsregime, das rücksichtslos über die nationale Souveränität des Landes hinwegtrampelte. Auch gewaltsame Interventionen lehnt sie nicht grundsätzlich ab, wie ihre Beteiligung am Jugoslawien- und Afghanistankrieg gezeigt hat.

Im Irak stellt sich die Bundesregierung den USA vor allem deshalb entgegen, weil sie fürchtet, dass sonst die gesamte Region unter amerikanischen Einfluss fällt und ihre eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen nicht mehr zur Geltung kommen. Das zunehmend unilaterale Auftreten der USA, ihr Bemühen, sich ohne Rücksicht auf Verbündete als einzige Hegemonialmacht zu etablieren, hält sie für inakzeptabel - und darin stimmen ihr selbst große Teile der Union zu.

Die Ablehnung des Irakkriegs und das Festhalten an der Nato sind so zwei Seiten desselben Bestrebens - die eigenen internationalen Einflussmöglichkeiten zu erhalten und auszubauen. Diese Haltung ist mit einer konsequenten Opposition gegen den Krieg nicht zu vereinbaren. Daher kommt die schwankende, inkonsequente und opportunistische Haltung der Grünen.

Aufrüstung

Es gibt noch eine dritten Aspekt, der sich ebenso folgerichtig aus der Verteidigung deutscher Interessen ergibt - die eigene militärische Aufrüstung. Der Ruf, Europa müsse Großmacht werden, es müsse nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch zu den USA aufschließen, ertönt seit Beginn des Irakkriegs immer lauter im deutschen Blätterwald.

Es sei an der Zeit, Amerika "europäische Muskeln zu zeigen" (Frankfurter Rundschau 21. März ), die "von Präsident Bush angestrebte, religiös-ideologisch verbrämte imperiale Hegemonie Amerikas" zwinge geradezu zur Bildung von "Gegenmacht" (Süddeutsche Zeitung 27. März ) und viel Ähnliches mehr konnte man letzte Woche in der Zeitung lesen.

Die Grünen unterstützen das. Die einstigen Pazifisten sind zu Vorkämpfern für den Umbau der Bundeswehr zu einer hochprofessionellen, mobilen, internationalen Interventionsarmee geworden. Als einzige im Bundestag vertretene Partei verlangen sie ihre Umwandlung in eine reine Berufsarmee.

Der Preis für diesen Kurs hat naturgemäß die Masse der Bevölkerung zu tragen - in Form von weiterem Sozialabbau, der die nötigen Gelder für die Aufrüstung frei macht, als Kanonenfutter für zukünftige Kriege und als potentielles Opfer in einem Konflikt zwischen den Großmächten selbst.

Die Erklärung der grünen Bundestagsfraktion macht deutlich, weshalb die Bewegung gegen den Krieg nur an Einfluss gewinnen und etwas bewirken kann, wenn sie unabhängig von Grünen, SPD und Bundesregierung ist. Ihr Ausgangspunkt dürfen nicht die Interessen der "deutschen Außenpolitik" sein, sondern die gemeinsamen, weltweiten Interesse der Arbeiter und Jugendlichen, die überall - einschließlich der USA selbst - gegen diesen Krieg auf die Straße geht. Das schließt die Verteidigung demokratischer rechte und sozialer Errungenschaften mit ein.

Siehe auch:
Joschka Fischer in den USA
(14. November 2002)
Parteitag der Grünen unterstützt Kriegskurs
( 27. November 2001)
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - Mai bis August 2003 enthalten.)
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