Rumänien: Wahlen in Europas Armenhaus

Bei der Stichwahl um die Präsidentschaft setzte sich in Bukarest Mitte Dezember Traian Basescu, der Vorsitzende der liberal-konservativen Demokratischen Partei (PD), gegen den amtierenden Premierminister Adrian Nastase von der sozialdemokratischen Partei (PSD) durch. Die Entscheidung kam überraschend und war mit 51,2 zu 48,8 Prozent sehr knapp.

Im ersten Wahlgang zwei Wochen zuvor hatte Nastase mit 40,9 Prozent noch etwa sechs Prozentpunkte vor Basescu gelegen. Aber letzterem gelang es in einer groß angelegten Kampagne "gegen Wahlfälschung und Korruption", die weitverbreitete Opposition gegen die Regierung für sich und seine rechtskonservative "Allianz für Gerechtigkeit und Wahrheit" zu nutzen. Wahlanalysen zufolge hat Basescu vor allem in den Städten gewonnen - in der Hauptstadt Bukarest erzielte er beinahe eine Zwei-Drittel-Mehrheit -, während Nastase seine Stimmen auf dem Land holte.

Laut rumänischer Verfassung bestimmt der neu gewählte Präsident die künftige Regierung, indem er einen Ministerpräsidenten ernennt, der dann die Regierung zusammenstellt. Basescu hatte schon im Wahlkampf angekündigt, er werde selbstverständlich einen Ministerpräsidenten aus der eigenen Partei mit der Regierungsbildung beauftragen.

Die Regierungsbildung hat daher bereits eine erste politische Krise ausgelöst. Denn bei der Parlamentswahl, die vor zwei Wochen zusammen mit der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen stattfand, lag Basescus rechts-liberale "Allianz für Gerechtigkeit und Wahrheit" (DA) mit 31,3 Prozent hinter der regierenden Koalition aus Sozialdemokraten (PSD) und Humanistischer Partei (PUR), die 36,6 Prozent erreichte. Die Sozialdemokraten sind aus der alten Kommunistischen Partei Nicolae Ceausescus hervorgegangen.

Das Wahlbündnis des zukünftigen Präsidenten verfügt nur über 161 der 469 Abgeordnetensitze, die bisherige Regierungskoalition dagegen über 189. Damit verfügt keines der beiden Lager über eine Mehrheit, so dass bei der Regierungsbildung kleinere Parteien das Zünglein an der Waage spielen werden.

Basescu will versuchen, die kleinere Regierungspartei PUR sowie den Ungarnverband (UDMR), der die magyarische Minderheit vertritt, auf seine Seite zu ziehen. Die UDMR hatte in der Hoffnung auf einen Wahlsieg Nastases zwar zu dessen Wahl aufgerufen. Eine Mehrheit der ungarisch-stämmigen Wähler, insbesondere die etwas Wohlhabenderen im Nord-Westen des Landes, unterstützten aber Basescu. Unmittelbar nach der Wahl verlautete aus Führungskreisen der UDMR, man sei für jede Alternative offen, die zur politischen Stabilität im Land führe.

Aufgrund der ungeklärten Mehrheitsverhältnisse ist auch eine Einbindung der faschistischen Großrumänienpartei (PRM) unter Corneliu Vadim Tudor in die Regierungsverantwortung möglich. Medienberichten zufolge hatte Basescu im Wahlkampf bereits "auf Vadim Tudors Klaviatur gespielt" und mit der Parole, "korrupte Politiker gehörten an die Wand gestellt", dessen Demagogie übernommen.

Tudor ist ehemaliger Offizier von Ceausescus berüchtigtem Geheimdienst Securitate. Vor vier Jahren war er noch gegen den bisherigen Präsidenten Ion Iliescu zur Stichwahl angetreten. Dieses Mal schied er mit 12,6 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang aus. Bei der Parlamentswahl verlor seine Großrumänienpartei ein Viertel ihrer bisherigen Stimmen und kam auf 13 Prozent. Tudor hat sich und seine Partei bereits auf eine mögliche Regierungsbeteiligung vorbereitet. Er bezeichnete sich als "europa-kompatibel" und zügelte seine notorischen antisemitischen Hetztiraden.

Die regierungsnahe Zeitung Jurnalul National empfahl die Bildung einer Großen Koalition von Nastases Sozialdemokraten und Basescus Allianz für Gerechtigkeit und Wahrheit, um eine Regierungsbeteiligung der Faschisten zu verhindern. Politisch wäre eine solche Koalition durchaus denkbar, denn trotz der Schlammschlacht im Wahlkampf und gegenseitigen Vorwürfen der Korruption und der Nähe zur Mafia vertreten beide Wahlbündnisse dieselbe soziale Schicht, die sich seit dem Sturz des Ceausescu-Regimes auf Kosten der Bevölkerung hemmungslos bereichert hat.

Der zukünftige Präsident Traian Basescu war in den siebziger und achtziger Jahren Offizier und Kapitän der rumänischen Handelsflotte. Anfang der neunziger Jahre saß er als Abgeordneter einer rechten Abspaltung der Sozialdemokraten im Parlament. Von 1991 bis 1992 war er Transportminister der konservativ-liberalen Regierung Stolojan. Von 1996 bis 2000 bekleidete er unter Präsident Constantinescu erneut dieses Amt. 2000 wurde er Bürgermeister der Hauptstadt.

Was von Basescus Kreuzzug gegen Korruption zu halten ist, zeigt ein Blick auf sein eigenes politisches Wirken. 1992 trat er von seinem Ministeramt zurück, weil wegen Korruptionsvorwürfen gegen ihn ermittelt wurde. Er steht auch im Verdacht, über viele Jahre mit der ehemaligen Geheimpolizei Securitate zusammengearbeitet zu haben.

Basescu will als Präsident die Anlehnung an den Westen und die Integration in die EU vorantreiben. Er kündigte weitreichende Steuersenkungen für Unternehmen an. Auch Basescus Bündnispartner, die wirtschaftsliberale PNL, macht sich für eine umfassende Steuerreform stark, um ausländisches Kapital anzuziehen.

Doch unabhängig davon, welche Parteien schließlich in der neuen Regierung vertreten sind, ist "der Weg vorgespurt", wie es die Neue Zürcher Zeitung formuliert. Die EU, der Rumänien in zwei Jahren beitreten will, gibt den politischen und wirtschaftlichen Fahrplan vor. "Die Zusammensetzung der künftigen Regierung ist unter dieser Perspektive betrachtet nicht von überragender Wichtigkeit." Nur eines fordern alle europäischen Kommentatoren: Die neue Regierung müsse stabil genug sein, die "Reformen" durchzusetzen, die den EU-Beitritt Rumäniens sicher stellen.

Die Verwirklichung der EU-Beitrittskriterien bis Ende 2006 - der zentrale Programmpunkt aller maßgeblichen politischen Kräfte in Bukarest - bedeutet für die große Mehrheit der 22 Millionen Rumänen fortdauernde bittere Armut.

Es ist bezeichnend, dass zwei Drittel derer, die in den vergangenen Wochen zur Stimmabgabe aufgerufen waren, Sozialhilfe oder eine Form staatlicher Rente beziehen. Nach offiziellen Angaben leben vierzig Prozent der Bevölkerung unterhalb des Existenzminimums. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf erreicht nur etwa 23 Prozent des EU-Durchschnitts. In den ärmsten Regionen, wie dem Moldau-Gebiet, liegt es sogar nur bei 16 Prozent. In einem europaweiten Vergleich aus dem Jahr 2000 lagen von den zehn Regionen mit dem niedrigsten Bruttoinlandsprodukt (BIP) sechs in Rumänien. Zwei Jahre zuvor waren es nur drei.

Rumänien ist noch immer ein Bauernland. In den 90-er Jahren zogen viele Arbeitslose aufs Land, um sich dort als Selbstversorger niederzulassen. Der Anteil der Beschäftigten in der Landwirtschaft beträgt 42 Prozent. Hier werden aber nur 13 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erzeugt. Fast die Hälfte des Bodens bewirtschaften einige Großbetriebe, den Rest beackern Kleinbauern, größtenteils als Selbstversorger. In diesen Gegenden sind die Straßen nicht geteert (insgesamt ist nur die Hälfte des rumänischen Straßennetzes geteert), und die Haushalte haben kein fließendes Wasser (insgesamt ein Drittel landesweit).

Die Arbeitslosigkeit grassiert. Die offizielle Arbeitslosenquote stieg in den letzten Jahren kontinuierlich an und lag 2003 bei 9 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit lag bei rund 20 Prozent. Dabei sagen diese Zahlen wenig aus, da viele Arbeitslose in der Statistik überhaupt nicht auftauchen und zudem starke regionale Schwankungen existieren. Im Nord-Osten des Landes beispielsweise gibt es doppelt so viel Arbeitslose wie in Bukarest. Dort ist real teilweise jeder Zweite ohne Arbeit.

Mit Nachdruck wird von der EU die Privatisierung der letzten verbliebenen Staatsbetriebe gefordert, wohl wissend, dass das für viele Betriebe das Aus bedeutet. Immerhin sind dort noch fast 30 Prozent aller Beschäftigten in Arbeit. Bislang haben 1,5 Millionen durch die Privatisierungen ihren Arbeitsplatz verloren. Aber auch wer Arbeit findet, ist nicht abgesichert. Der durchschnittliche Stundenlohn in Rumänien liegt bei 1,50 Euro. Zwei oder mehr Jobs sind auch bei Facharbeitern keine Seltenheit, um die Familie ernähren zu können.

Der letzte Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission sieht Rumänien angesichts der umgesetzten "Reformen" auf dem richtigen Weg. Brüssel gab aber zu verstehen, dass es in dieser Richtung weiter gehen müsse. "Eine funktionierende Marktwirtschaft setzt voraus, dass Preise und Handel liberalisiert sind."

Es besteht kein Zweifel daran, dass die neu gewählte Regierung nun auch die letzten Waren, die einer Preisbindung unterliegen, das sind insbesondere Grundnahrungsmittel, freigeben wird. Wie von der EU gefordert, steigen ab Januar auch die Preise für Strom, Gas, Wasser und die Müllabfuhr. Auf Druck von IWF und Weltbank wurden die Energiepreise in den vergangenen Jahren immer weiter angehoben. Das gleiche gilt für Dienstleistungen, Bus- oder Eisenbahntickets. Sie sind für viele Rumänen unerschwinglich geworden.

Gleichzeitig nutzt eine kleine Elite die Vorbereitung auf den EU-Beitritt, um sich hemmungslos zu bereichern. So erließ vor Kurzem die Nastase-Regierung per Dekret zwei privaten Ölraffinerien in Ostrumänien 400 Millionen Euro Staatsschulden. Haupteigentümer der ehemals staatlichen Raffinerien ist Corneliu Iacobov, ein führendes Mitglied der PSD. Zusammen mit anderen Parteimitgliedern und Geschäftsfreunden hat Iacobov die beiden Raffinerien, die 2001 privatisiert und weit unter Wert verkauft wurden, gezielt an den Rand des Ruins gewirtschaftet und dabei über Scheinfirmen Gelder für sich abgezweigt.

Im letzten Jahr musste die EU-Ministerin Hildegard Puwak zurücktreten, weil sie EU-Fördergelder in die privaten Firmen ihres Ehemannes und ihres Sohnes schleuste. Doch ist dies nur die Spitze des Eisbergs. Bestechung und Vetternwirtschaft gehören zum alltäglichen Leben in Rumänien. Einer Umfrage zufolge sind 75 Prozent der Rumänen der Meinung, dass die Korruption heute selbst gegenüber den letzten Jahren des verhassten Ceausescu-Regimes zugenommen hat.

Siehe auch:
Rumänien nach der Wahl
(15. Dezember 2000)
Die zweite Phase der Osterweiterung: Rumänien und Bulgarien auf dem Weg in die Europäische Union
( 6. Juli 2004)
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