Staatsstreich in Sri Lanka

Präsidentin entlässt Regierung

Die Präsidentin Sri Lankas, Chandrika Kumaratunga, hat ihre autokratischen Vollmachten zu einem regelrechten Staatsstreich genutzt. Vergangenen Samstag löste sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das Parlament auf und setzte vorgezogene Neuwahlen an - vier Jahre vor dem verfassungsgemäßen Termin. De facto entließ sie damit die von der United National Front (UNF) gestellte Regierung, die sich auf die parlamentarische Mehrheit stützte. In der Zeit vom 17. bis zum 23. Februar sollen die Parteien nun ihre Listen einreichen, und am 2. April sollen die Wahlen stattfinden - zum dritten Mal innerhalb von nicht einmal vier Jahren.

Dieser Schritt ist der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Serie antidemokratischer Maßnahmen Kumaratungas seit dem 4. November 2003. An jenem Tag entließ die Präsidentin drei Minister (der Ressorts Verteidigung, Inneres und Information), beurlaubte das Parlament für die Dauer von zwei Wochen und wollte eigentlich den Ausnahmezustand ausrufen. Unter dem Druck der stärksten Industrienationen, insbesondere Washingtons, sah sie sich schließlich zum Rückzug gezwungen, behielt sich aber die Kontrolle über die drei genannten Ministerien vor und hielt ihren Vorwurf aufrecht, Premierminister Ranil Wickremesinghe betreibe bei seinen Friedensverhandlungen mit den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) Landesverrat.

Das Ergebnis war eine unhaltbare Pattsituation. Die Regierung in Colombo war praktisch nicht mehr handlungsfähig. Kumaratunga hofft nun, dass das vor kurzem gebildete Bündnis zwischen ihrer eigenen Partei, der Sri Lanka Freedom Party (SLFP), und der singhalesisch-extremistischen Janatha Vimukthi Peramuna (JVP) die Neuwahlen gewinnen und damit die Staatskrise beenden wird. Diese Möglichkeit birgt allerdings die äußerst reale Gefahr, dass der gegenwärtige Waffenstillstand mit der LTTE scheitert und das Land in den Bürgerkriegszustand zurückgeworfen wird.

Der antidemokratische Charakter von Kumaratungas Vorgehen ist offenkundig. Sie missachtete die Normen der parlamentarischen Demokratie in Sri Lanka, wonach das Parlament vor Neuwahlen mehrheitlich einem Misstrauensvotum stattgeben muss. Stattdessen setzte die Präsidentin mitten in der Nacht die Regierung per Dekret ab, ohne den Premierminister, Wickremesinghe, vorab auch nur zu informieren.

Eine Stunde vor der Auflösung des Parlaments berief die Präsidentin zwei ihrer engsten Vertrauten auf Regierungsposten: Sie ernannte Laskshman Kadirgamar zum Informationsminister und D. M. Jayaratne, den Generalsekretär ihrer Partei, zum Minister für Post und Telekommunikation. Außerdem erteilte sie Wickremesinghe Anweisung, die bis zu den Wahlen amtierende Übergangsregierung auf höchstens 15 Minister zu beschränken. Weil damit mehr als die Hälfte der bisherigen Ministerposten entfällt, wird Kumaratungas eigene Stellung als formeller Kopf der Übergangsregierung gestärkt. Im Vorfeld der zu erwartenden, höchst unruhigen Wahlkampfperiode werden die wichtigsten Abteilungen des Staatsapparats zwischen Präsidentin und Regierung aufgeteilt.

Kumaratungas Vorgehen, das sie vor der Öffentlichkeit noch nicht begründet hat, ist von tiefer Verachtung für demokratische Gepflogenheiten geprägt. In ihrer Rede zum Unabhängigkeitstag am 4. Februar hatte sie noch nicht einmal andeutungsweise ihre Absicht durchblicken lassen, die Regierung zu entlassen. Noch am Freitag vergangener Woche schickte sie einen offiziellen Gesandten, Mano Tittawela, zu Gesprächen mit einem Vertreter des Premierministers, Malik Samarawickrama, um Möglichkeiten zur Beilegung der seit drei Monaten andauernden Staatskrise zu erörtern.

Die jüngsten Maßnahmen der Präsidentin vergrößern die Spannungen, die das Zusammengehen mit der JVP innerhalb ihrer eigenen Partei und auch innerhalb des von ihr geführten Bündnisses, der "Volksallianz" (PA), ausgelöst hat. Die der PA angehörende Lanka Sama Samaja Party veröffentlichte am vergangenen Freitag eine Kritik an denjenigen, die "die Präsidentin zu einer voreiligen Auflösung des Parlaments drängen" und damit "nur ihr engstirniges Eigeninteresse verfolgen". Sie forderte stattdessen eine Übereinkunft zwischen der UNP und der PA, um die ausgesetzten Friedensgespräche mit der LTTE wieder in Gang zu bringen.

Die angesetzten Neuwahlen verstärken Kumaratungas Abhängigkeit von den politischen Kräften, die schon ihr Vorgehen im November 2003 unterstützten - die Armeeführung und die JVP; die beide die Friedensverhandlungen ebenso wie jegliche Zugeständnisse an die LTTE vehement ablehnen. Die JVP, die bereits die Entfremdung der Bevölkerung von den beiden großen Parteien ausnutzen konnte, wird dafür sorgen, dass der Wahlkampf von singhalesischem Chauvinismus und gewaltsamen Ausschreitungen geprägt wird.

Das Bündnis zwischen SLFP und JVP versucht die Unzufriedenheit über die Regierung und die Empörung über die wirtschaftliche Umstrukturierung auszunutzen, die sich in jüngerer Zeit in zahlreichen Streiks und Protestaktionen von Arbeitern, Kleinbauern und Studenten entladen hat. Da jedoch das SLFP-JVP-Bündnis die Hoffnung auf ein besseres Leben in Wirklichkeit nicht erfüllen kann, verbindet es demagogische Versprechungen mit der Spaltung der Volksgruppen. Gleich zu Beginn ihres Wahlaufrufs werfen SLFP und JVP Wickremesinghe vor, er verrate die Nation an die LTTE und schaffe die Voraussetzungen für die "Teilung unseres Landes".

Opposition in den herrschenden Kreisen

Die maßgeblichen Kreise der Wirtschaft haben öffentlich gegen das SLFP-JVP-Bündnis Stellung bezogen und Kumaratunga wiederholt aufgefordert, von kurzfristigen Neuwahlen abzusehen. Ihnen graut es nicht nur vor der politischen Instabilität, die der Wahlkampf mit sich bringt, sondern auch vor einem endgültigen Scheitern des Friedensprozesses und Wiederaufflammen des Bürgerkrieges. Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens Anfang 2002 erlebte Colombo eine deutliche Steigerung von Investitionen und unternehmerischer Tätigkeit. Kumaratungas Vorgehen gegen die Regierung im vergangenen November brachte diesen Aufschwung zu einem abrupten Ende.

Erst letzte Woche unterbreitete das Joint Business Forum (Jbiz), eine Dachorganisation srilankischer Unternehmerverbände, der Präsidentin und dem Premierminister eine Reihe von Vorschlägen, die einen Kompromiss zwischen beiden ermöglichten sollten. Sie dachten beispielsweise an eine "gemeinsame Agenda" als einjähriges Arbeitsprogramm, in dessen Rahmen die Präsidentin das Verteidigungsministerium behalten und der Premierminister bevollmächtigt sein sollte, bei Aufrechterhaltung des Waffenstillstands die Verhandlungen mit der LTTE fortzusetzen. Noch am Freitag, einen Tag vor der Auflösung des Parlaments, trafen sich die führenden Unternehmervertreter mit dem Premierminister.

Mit Ausnahme der staatlichen Zeitungen sowie Rundfunk- und Fernsehanstalten, die unter der Kontrolle Kumaratungas stehen, äußerten die Medien heftige Kritik an den Maßnahmen der Präsidentin. Die Sunday Times bezeichnete sie in einem Leitartikel als "diktatorisch". Auch die Island, die bislang stets die JVP als Gegengewicht zur LTTE auf ihren Schild gehoben hatte, verurteilte das Vorgehen Kumaratungas in scharfer Form. Die Lösung für die gegenwärtige politische Krise, erklärte sie, bestehe nicht darin, "eine Gruppe krimineller Fanatiker an der Macht zu beteiligen, die unser Land schon zwei Mal ins Elend gestürzt haben".

Die Zeitung verweist in diesem Zusammenhang auf die Aktivitäten der JVP in den späten 1980er Jahren. Damals bekämpfte die JVP das indo-srilankische Abkommen, mit dem der Bürgerkrieg beendet werden sollte, und hetzte bewaffnete Banden auf alle politischen Parteien und Gewerkschaften, die ihren "Patriotismus" nicht mitmachten. Hunderte Arbeiter, Gewerkschafter und anderweitig politisch Aktive fielen diesen faschistischen Übergriffen zum Opfer.

Die westlichen Industrienationen, die ihre eigenen strategischen und wirtschaftlichen Pläne für die Region durch den Bürgerkrieg in Sri Lanka gestört sehen, drängen ebenfalls auf ein Ende der Staatskrise. Wie der britische Daily Mirror am 5. Februar berichtete, forderten der japanische Sondergesandte Yasushi Akashi und der stellvertretende US-amerikanische Außenminister Richard Armitage "baldige Maßnahmen" zur "Beschleunigung der Friedensverhandlungen". Beide trafen sich am Dienstag vergangener Woche zu Gesprächen in der Residenz des US-Botschafters in Tokio.

Beunruhigt über die Ablehnung, die ihr von Seiten der mächtigen Industrieländer entgegenschlug, hatte Kumaratunga diese früher stets ihrer grundsätzlichen Unterstützung für die Friedensverhandlungen versichert. Doch die politische Logik ihres Bündnisses mit der JVP bringt es mit sich, dass sie diesen heiklen Spagat kaum noch durchstehen kann. Sie kann nicht weiterhin nach außen hin ihre Treue zu demselben Friedensprozess schwören, den sie innerhalb Sri Lankas gemeinsam mit der JVP und anderen singhalesischen Chauvinisten als Vaterlandsverrat brandmarkt.

Die Regierung unter Wickremesinghe setzte Kumaratungas Vorgehen keinen Widerstand entgegen und bereitet sich nun ihrerseits auf die Neuwahlen vor. Wickremesinghe sagte einen Thailand-Besuch mit der Begründung ab, als "Übergangspremier" könne er keine srilankische Delegation anführen. Für die UNP äußerte Malik Samarawickrama gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters seine Zuversicht, "dass die Bevölkerung uns ein weiteres Mandat erteilen wird", um "Frieden zu schaffen" und "die Konjunktur wieder anzukurbeln". Die UNF setzt auf die weit verbreitete Angst vor einem Wiederaufflammen des Krieges, um die Wahlen zu gewinnen. Ihr Sieg wäre gleichbedeutend mit einer Fortdauer der gegenwärtigen Pattsituation und würde die Staatskrise nur verschärfen.

Hinter dem gegenwärtigen politischen Konflikt steht ein unlösbarer Widerspruch. Mehr als fünfzig Jahre lang hat die herrschende Klasse Sri Lankas die Diskriminierung der Tamilen benutzt, um die Arbeiterklasse zu spalten und sich eine politische Basis zu verschaffen. Beide große Parteien - die SLFP und die von Wickremesinghe geführte United National Party (UNP) - strotzen geradezu von singhalesischem Chauvinismus und tragen direkte Verantwortung für den Ausbruch des zwanzigjährigen Bürgerkriegs, der mindestens 60.000 Menschen das Leben gekostet hat.

Die einflussreichsten Teile der Wirtschaft, die den Krieg anfänglich unterstützt hatten, halten ihn mittlerweile für eine Katastrophe. Er hat die Infrastruktur des Landes zerstört und die Staatsfinanzen ruiniert. Vor allem aber hat er Sri Lankas regionale Stellung stark geschwächt. Insbesondere Indien wurde weitaus stärker in den Prozess der globalisierten Produktion einbezogen. Während wirtschaftliche Erwägungen also für die unbedingte Notwendigkeit des Friedens sprechen, hat der Krieg in den zwanzig Jahren seiner Dauer andererseits handfeste Interessen bei denjenigen entstehen lassen, die von seiner Fortsetzung profitieren - im Militär, in der Staatsbürokratie, in der buddhistischen Hierarchie und innerhalb der etablierten Parteien.

Kumaratungas Vorgehen hat also weniger mit ihren individuellen Marotten zu tun, als mit der Tatsache, dass die 50-jährige Periode, in der sich die herrschende Klasse Sri Lankas mit Hilfe parlamentarischer Manöver über Wasser halten konnte, zu Ende geht. Die wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze haben ein solches Ausmaß erreicht, dass die Bourgeoisie ihre Herrschaft mit offen diktatorischen Methoden zu verteidigen sucht.

Siehe auch:
Die politische Ökonomie des Friedensprozesses in Sri Lanka
(15. November 2003)
Verfassungskrise in Sri Lanka: Die politischen Fragen
( 13. November 2003)
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