Der Aufstieg und Fall von Howard Dean

Nach einem ebenso kurzen wie kometenhaften Aufschwung endete am Mittwoch Howard Deans Bewerbung um die Nominierung zum Kandidaten der Demokratischen Partei. Der ehemalige Gouverneur von Vermont zog sich aus dem Rennen um die Kandidatur zu den US-Präsidentschaftswahlen zurück, nachdem er bei den Vorwahlen in Wisconsin mit 18 Prozent der Stimmen weit abgeschlagen auf dem dritten Platz gelandet war. Einen Sieg in diesem Bundesstaat hatte er zur Voraussetzung für die Fortsetzung seiner Kampagne erklärt.

Deans erstaunlich rascher Aufstieg und Fall birgt wichtige Lehren über den Charakter der amerikanischen Politik und ihres Zweiparteiensystems. Die Auswahl der bürgerlichen Kandidaten ist seit jeher ein ziemlich brutaler Vorgang, in dessen Verlauf einzelne Anwärter rasch aufgegriffen und bisweilen ebenso rasch wieder fallengelassen werden. Doch Deans Fall sprengt selbst die Normen dieses rüden Verfahrens.

Noch vor weniger als sechs Wochen galt Dean als unbestrittener Favorit, der nach elfjähriger, eher unauffälliger Amtszeit als Gouverneur von Vermont in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit trat, um dem Establishment der Demokratischen Partei die Stirn zu bieten.

Zu Beginn seiner Kampagne im letzten Jahr hatte er Eigenschaften aufzuweisen, die ihn zweifellos von den anderen Anwärtern auf die Nominierung der Demokraten abhoben. Dean spürte, dass das von der Demokratischen Partei weitgehend übernommene Medienbild von Bush als unbesiegbarem Politkoloss nicht der Realität entsprach. Er erkannte, dass die Bush-Regierung einem aggressiven Angriff nicht standhalten könnte, und appellierte mit seiner Kampagne an die in der Bevölkerung weit verbreitete Frustration und Wut, die sich nicht nur gegen die Politik der Bush-Regierung richtet, sondern auch gegen das feige Verhalten der Demokratischen Partei, die immer weiter nach rechts rutscht und sich an die Republikaner anpasst.

Dean führte seine Kampagne eher aus dem Bauch heraus; er ließ sich nicht von einem umfassenden, ausgearbeiteten Verständnis der politischen Lage in Amerika leiten. Bevor er in die Politik ging, war er Arzt gewesen, und auch der Inhalt seines Programms erinnerte an das Sammelsurium im Koffer eines Landarztes, von Antibiotika und Aspirin bis hin zu Placebos: eine eklektische Mischung aus linken, rechten und mittleren Positionen. Er übte scharfe Kritik am Krieg im Irak, warf Bush aber gleichzeitig vor, er vernachlässige den "Krieg gegen den Terror". Er forderte einerseits eine umfassende medizinische Versorgung der Bevölkerung, versicherte aber zugleich, dass sich eine "Dean-Präsidentschaft" in erster Linie durch "haushaltspolitische Verantwortung" auszeichnen werde.

Dennoch entwickelte seine Kampagne eine gewisse Dynamik, weil sie etwas aufgriff, das die Führung beider Parteien und die Medien übergingen: den wachsenden Zorn von Millionen über die Manipulation der Präsidentschaftswahlen 2000, den illegalen Krieg im Irak und die Folgen einer Wirtschaftspolitik, deren einziges Kriterium in der ständigen Bereicherung der amerikanischen Finanzoligarchie besteht.

Dean gab an, über seine Website hätten sich mehr als 600.000 Unterstützer gemeldet und 41 Millionen US-Dollar gespendet - ein Rekord für einen Kandidaten der Demokraten während Vorwahlen. Wusste Dean überhaupt um die Tiefe des politischen Unmuts, der sich auf die Mühlen seiner Kampagne ergoss? Fest steht, dass er bis Ende 2003 als nahezu unangefochtener Spitzenreiter galt.

Umso verblüffender war der unvermittelte Zusammenbruch seiner Kampagne. Ende Januar waren seine Umfragewerte in den Keller gefallen. In keiner Vorwahl, von der ersten im Bundesstaat New Hampshire bis zur jüngsten am Dienstag in Wisconsin, gelang ihm der Sprung auf den ersten Platz. Meistens wurde er nur Dritter oder schnitt noch schlechter ab.

Weshalb ließ ihn das Glück so plötzlich im Stich? Die Medien verwiesen vor allem auf Deans unüberlegten Auftritt, nachdem er in Iowa weit abgeschlagen auf Platz drei gelandet war - der berühmte "Schrei", der immer wieder gezeigt wurde und Gegenstand unzähliger Talkshow-Witze wurde.

Doch dieser Vorfall wurde von den Medien bewusst verzerrt und maßlos übertrieben. Er bietet keine hinreichende Erklärung für Deans politischen Niedergang, war allerdings auch nicht zufällig oder bedeutungslos.

Je mehr Deans Kampfansage innerhalb der Demokratischen Partei an Kraft und Dynamik gewann, desto mehr Verwirrung machte sich breit. Es war nicht klar, wohin die Reise ging, und die Politik des Ex-Gouverneurs von Vermont war in sich widersprüchlich. Als die Kampagne auf ernste politische Schwierigkeiten stieß, konnte Dean außer hohlen Sprüchen keine Antworten bieten.

In gewissem Maße wurde die Dean-Kampagne Opfer ihrer eigenen Anfangserfolge. Eine weitere Ursache ihrer Auflösung liegt in Verschiebungen innerhalb des amerikanischen politischen Establishments.

Solange Bush als unangreifbar galt, verbreiteten die von der eigenen Propaganda hypnotisierten Medien die Vorstellung, dass es für die herrschende Elite keine große Rolle spiele, welchen Kandidaten die Demokratische Partei nominieren werde.

Doch die Dean-Kampagne entpuppte sich als ein weiterer Indikator für die verbreitete und starke Ablehnung, die Präsident Bush seitens der Bevölkerung entgegenschlägt. Die Vorwahlen der Demokratischen Partei haben dies nur unterstrichen. In Befragungen beschrieben viele Wähler ihre Einstellung gegenüber dem Präsidenten als "Wut" oder "Hass".

Diese Unruhe in der Bevölkerung überschnitt sich mit den zunehmenden Zweifeln an der Bush-Regierung in den führenden Kreisen der Wirtschaft und Finanzwelt, und verstärkte deren Bedenken. Sie blicken besorgt auf das Fiasko, das die Regierung Bush im Irak angerichtet hat, und befürchten, dass deren Schulden- und Defizitpolitik eine schwere Wirtschaftskrise auslösen könnte. Wie weit solche Ängste inzwischen verbreitet sind, zeigt das jüngste Buch des ehemaligen Finanzministers Paul O'Neill, in dem er über seine eigene Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik berichtet.

Anfang dieses Jahres begann sich die herrschende Klasse Amerikas ernsthaft mit der Frage zu befassen, welcher Demokrat als Alternative zu Bush dienen könnte. Das Interesse an den Vorwahlen der Demokratischen Partei richtete sich immer deutlicher darauf, die Kandidaten auf Herz und Nieren zu prüfen, um festzustellen, welchem von ihnen die Finanzoligarchie, die letzten Endes beide großen Parteien kontrolliert, vertrauen kann.

In diesen Kreisen wurde Deans Kandidatur mit spürbarem Unbehagen aufgenommen. Es war weniger sein politisches Programm, das man für inakzeptabel hielt - es bestand größtenteils aus klischeehaften Phrasen, wie sie die Politiker beider Parteien vertreten. Nein, Dean war ein Mann ohne echte politische Geschichte, er hatte sich noch nicht wirklich bewährt. Seine einzige politische Erfahrung war das Gouverneursamt eines Bundesstaates mit knapp über 600.000 Einwohnern. Außerdem machte er sich in dem Maße verdächtig, wie er an den Unmut der Bevölkerung appellierte und von einer Schicht Studenten unterstützt wurde.

So kam es, dass Dean zur Zielscheibe unablässiger und oftmals demütigender Angriffe der Medien wurde. Diese gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung blieb nicht ohne Wirkung - zum Teil gerade wegen der enormen Feindseligkeit gegenüber der Bush-Regierung, die Dean mit seiner Kampagne aufgegriffen hatte. Viele Teilnehmer an den Vorwahlen legten es immer gezielter darauf an, denjenigen Kandidaten zu stützen, der die besten Aussichten hatte, Bush aus dem Weißen Haus zu vertreiben. Ihr instinktives Gefühl sagte ihnen, dass die "Wählbarkeit" eines Kandidaten von seiner Akzeptanz seitens des politischen Establishments abhing.

Die letzten Wochen der Dean-Kampagne und die Reaktion des Ex-Gouverneurs von Vermont auf diese konzertierten Bemühungen, seine Kandidatur zu hintertreiben, nahmen sich sowohl in politischer als auch in persönlicher Hinsicht immer erbärmlicher aus. Alle Schwächen und Widersprüchlichkeiten seiner Politik traten mit unverkennbarer Deutlichkeit zutage.

Während er zu Beginn seiner Bewerbung um die Nominierung den Krieg im Irak verurteilt hatte, beschuldigte er nun den neuen Spitzenreiter, Senator John Kerry aus Massachusetts, immer häufiger mangelnder Unterstützung für den ersten Golfkrieg, den Bushs Vater 1991 angezettelt hatte. Diese Angriffe unterstrichen lediglich, dass Deans eigene Opposition gegen den Militarismus und die imperialistische Aggression der USA bestenfalls episodischen Charakter hatte und weder von theoretischem Verständnis noch von politischer Überzeugung getragen wurde.

Am Ende war seine Kampagne auf das Niveau eines ganz gewöhnlichen bürgerlichen Politikers abgesackt, während seine Hauptrivalen - Kerry und Senator John Edwards aus North Carolina - seine Proteste gegen den Krieg übernommen hatten, wobei sie ihre frühere Zustimmung als Parlamentarier unter den Teppich kehrten.

Als Dean am Mittwoch in Vermont seinen Rückzug bekannt gab, rief er seine Anhänger auf, "den Kampf für die Umwandlung der Demokratischen Partei und für die Veränderung unseres Landes forzusetzen".

Er fuhr fort: "Ich erkläre eindeutig, dass ich nicht als unabhängiger Kandidat oder für eine dritte Partei antreten werde, und ich rate meinen Anhängern dringend davon ab, sich zur Unterstützung entsprechender Vorstöße irgendeines anderen Kandidaten verleiten zu lassen. Es kommt darauf an, dass wir George W. Bush im November schlagen, was immer dazu notwendig ist."

Doch die wirkliche Lehre aus Deans politischem Aufstieg und Fall ist das genaue Gegenteil. Das Hauptproblem, das sich der amerikanischen Bevölkerung im Kampf gegen die Politik der Bush-Regierung stellt, ist die Notwendigkeit einer politischen Alternative, die nicht in das bürgerliche Zweiparteiensystem einbezogen ist und im Gegensatz dazu steht.

Deans anfänglicher Erfolg war ein Symptom der wachsenden Massenopposition gegen die bestehende politische Ordnung in den USA. Er gewann Unterstützung, weil er ein neues Gesicht zu sein schien, ein zorniger Mann, fähig, die enorme Ablehnung zu artikulieren, die einem politischen System entgegenschlägt, das mit Krieg, Korruption, sozialer Ungleichheit und dem Abbau demokratischer Rechte identifiziert wird - und das sowohl die Demokraten als auch die Republikaner unterstützen.

Und nun erzählt er seinen Anhängern, die Lehre aus seiner Niederlage laute, dass sie diesem System noch einmal eine Chance geben müssten. Seine Rolle - vorgegeben vom Establishment und den Medien - besteht darin, den sozialen Protest, an den er zuvor appellierte, wieder in die sicheren Kanäle der Demokratischen Partei zu lenken.

Die Losung "George W. Bush im November schlagen, was immer dazu notwendig ist", bzw. "alles, nur nicht Bush", bietet der amerikanischen Bevölkerung keinen Ausweg, sondern formuliert gerade die politische Philosophie, die zu der gegenwärtigen Lage geführt hat. Wenn lediglich der Bewohner des Weißen Hauses wechselt, ändert sich nichts an dem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das die reaktionäre und Kriegspolitik hervorgebracht hat, wie sie Demokraten und Republikaner gleichermaßen betreiben.

Daher muss eine neue, unabhängige politische Massenbewegung der arbeitenden Bevölkerung aufgebaut werden, die für die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft kämpft und sich dafür einsetzt, dass die amerikanische Bevölkerung nicht länger den Profitinteressen der Finanzelite unterworfen wird.

Die Voraussetzung für eine echte politische Veränderung in den USA ist ein entschiedener und unwiderruflicher Bruch mit dem Zweiparteiensystem, dessen eine wesentliche Stütze die Demokratische Partei darstellt.

Alle Menschen, die einen Weg vorwärts suchen, rufen wir auf, die Kampagne der Socialist Equality Party zu den Wahlen von 2004 zu unterstützen.

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