Die Umstände des Todes von Nick Berg - ebenso grauenhaft wie undurchsichtig

Der schreckliche Tod von Nick Berg - dem im Irak vor laufender Videokamera der Kopf abgeschnitten wurde - hat unter solch merkwürdigen und verdächtigen Umständen stattgefunden, dass er zu einigen bestürzenden Fragen Anlass gibt. Darunter auch, ob amerikanische Geheimdienste auf direkte oder indirekte Art bei der Ermordung des jungen Mannes die Finger mit im Spiel hatten.

Allein der Zeitpunkt und die politischen Folgen des Mordes werfen Fragen auf. Die Bush-Regierung steckte mitten in einem riesigen Skandal. Da konnten die Regierung und Medien Amerikas plötzlich Bergs Tod ausnutzen, um nach den Enthüllungen über die systematischen Folterungen der USA in Abu Ghraib und anderen irakischen Gefängnissen in die Gegenoffensive zu gehen. Jetzt wird ein groß angelegter Versuch unternommen, die amerikanische und internationale öffentliche Meinung von der Empörung über den kriminellen Charakter der US-Besatzung des Irak abzubringen und mit der eigennützigen Behauptung zu manipulieren, die amerikanischen Streitkräfte würden im Irak gebraucht, um zu verhindern, dass das Land in Barbarei und Chaos versinkt.

Wären Bergs Mörder direkt von der amerikanischen Regierung bezahlt worden, hätten sie Bushs Weißem Haus keinen besseren Dienst zur rechten Zeit erweisen können.

Bergs wurde im Namen des jordanischen Terroristen Abu Musaab al-Zarqawi ermordet, der mit al-Qaida verbündet ist. Wer auch immer für Zarqawi arbeitet, er ist jedenfalls erwiesenermaßen für eine Reihe von Provokationen verantwortlich, die der amerikanischen Besetzung des Irak nur genützt haben.

Am 9. Februar, gerade als es Anzeichen gab, dass die schiitische Bevölkerungsmehrheit sich dem bewaffneten Widerstand der sunnitischen Moslems anschließen würde, tauchte ein Brief auf, angeblich von Zarqawi. Darin wurde dazu aufgerufen, einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten zu provozieren. Amerikanische Regierungsvertreter nutzten den Brief zu der Behauptung, nur durch die Besatzung könnten die religiösen Gruppen des Irak auseinander gehalten werden. Einige Wochen später, am 2. März, verübten Selbstmordattentäter Bombenanschläge auf schiitische Moscheen in Kerbala und Bagdad, die dem von den USA so genannten "Zarqawi-Netzwerk" zugeschrieben wurden.

Entgegen der Darstellung der Vertreter der USA und in Zarqawis Brief ließ sich die Masse der irakischen Bevölkerung nicht zu religiösem Bruderkrieg hinreißen. Die wachsende Einheit hat sich seit dem schiitischen Aufstand im April in Massendemonstrationen und vereintem Kampf ausgedrückt. Schon vor den Enthüllungen über die Folter versank die US-Besatzung immer in einem Sumpf aus blutiger Unterdrückung des irakischen Volkes und steigenden eigenen Verlusten. Die Opposition gegen den Krieg ist in den USA und international stetig gewachsen.

Die Gruppierung, die die Enthauptung von Berg durchführte und dann dafür sorgte, dass sie weltweit ausgestrahlt wurde, muss gewusst haben, dass sie die öffentliche Meinung in den USA und der Welt schockieren und Washington bei der Schadensbegrenzung helfen würde.

Weitere Fragen ergeben sich aus den Versuchen der US-Regierung, zu vertuschen oder zu verdrehen, was sie über Berg selbst und die Ereignisse vor seinem Verschwinden in Bagdad am 10. April wusste. Berg verschwand im Irak nur 72 Stunden, nachdem er aus 13 Tagen US-Militärhaft und Befragung durch das FBI entlassen worden war.

Berg wurde von seiner Familie und seinen Freunden als abenteuerlustig beschrieben. Er hatte begrenzte Arabischkenntnisse und wollte im Irak Bauaufträge für das Telekommunikationsunternehmen der Familie, Prometheus Methods Tower Service, anwerben. Er reiste im Dezember 2003 in das Land und kehrte am 1. Februar wieder zurück. Unter den Orten, die er besuchte, war auch das Gefängnis Abu Ghraib - in seinen Worten ein "berüchtigtes Gefängnis für Kriegsgefangene und politische Häftlinge". Mitte März reiste er wieder in den Irak.

Am Mittwoch enthüllte CBS News, dass der junge Mann dem FBI schon seit mindestens zwei Jahren bekannt gewesen war. Im Jahr 2002 wurde er im Rahmen der Ermittlungen wegen der Terroranschläge vom11. September befragt, weil sein Computer-Passwort vom mutmaßlichen al-Qaida-Terroristen Zacharias Moussaoui benutzt worden war. Bergs Familie zufolge gab sich das FBI mit der Erklärung zufrieden, dass Moussaoui das Passwort während einer kurzen Begegnung in einem Bus erhalten hatte, als Berg einen Bekannten von Moussaoui seinen Computer benutzen ließ.

Am 7. März veröffentlichte die pro-Bush-Website FreeRepublic.com eine Liste von "Feinden", die gegen die US-Besatzung des Irak waren. Unter den Namen von Personen, die auf der Website der Gruppe ANSWER zu einer für den 20. März geplanten Antikriegsdemonstration aufgerufen hatten, war auch Michael Berg - Nicks Vater - und der Name des Familienunternehmens der Bergs. Solche Informationen wurden natürlich auch in die Datenbanken der amerikanischen Sicherheitsdienste eingegeben.

Berg wurde am 24. März, eine Woche nach seiner Rückkehr in den Irak, verhaftet und, von der Außenwelt abgeschnitten, ohne Anklage wegen unspezifischer "verdächtiger Aktivitäten" in einem Gefängnis in Mosul festgehalten. Am 31. März besuchte das FBI seine Eltern in Philadelphia und wollte wissen, warum ihr Sohn im Irak sei. Berg berichtete, er sei mindestens drei Mal während seiner Haft von FBI-Agenten verhört und gefragt worden, ob er Rohrbomben gebaut oder den Iran besucht habe. Er wurde erst am 6. April freigelassen, nachdem seine Familie bei einem Bundesgericht wegen illegaler Haft Beschwerde gegen die US-Regierung eingelegt hatte.

Der Sprecher der Besatzungsmacht im Irak Dan Senor behauptete diese Woche, dass Berg nie von US-Einheiten festgehalten worden sei, nur von Irakern. Das hat sich mittlerweile als Lüge herausgestellt. Bergs Familie hat eine E-Mail mit Datum vom 1. April von Beth A. Payne vorgelegt, einer Beamtin des US-Konsulats im Irak. Payne schrieb darin: "Ich habe bestätigt, dass Ihr Sohn Nick vom US-Militär in Mosul festgenommen worden ist... Er wurde vor etwa einer Woche verhaftet."

Auch der Chef der irakischen Polizei in Mosul hat die Behauptung, dass Berg von seinen Leuten festgenommen wurde, kategorisch zurückgewiesen. Auf einer Pressekonferenz am 13. Mai erklärte er: "Die irakische Polizei hat den ermordeten Amerikaner niemals verhaftet... ich versichere Ihnen... dass solche Berichte jeder Grundlage entbehren."

Nach seiner Freilassung reiste Nick Berg nach Bagdad. Seine Familie hörte zuletzt am 9. April von ihm, als er ihr mitteilte, er wolle den Irak über Kuwait verlassen, sobald es sicher genug sei. Nach Angaben der Familie sagte Berg, er wolle lieber nicht nach Jordanien fliegen, da dies zu gefährlich sei. Zu dieser Zeit gab es in Bagdad schwere Kämpfe. Große Teile der Stadt, einschließlich der Straßen zum Flughafen, wurden ständig vom irakischen Widerstand angegriffen, und verschiedene Gruppen hatten westliche und japanische Staatsbürger als Geiseln genommen.

Der letzte Kontakt Bergs mit einem Vertreter der US-Regierung soll am 10. April stattgefunden haben. Ein Sprecher des Außenministeriums teilte dem Sender CBS mit, dass ein amerikanischer Diplomat ihm angeboten hatte, einen Flug nach Jordanien zu arrangieren. Berg soll abgelehnt und noch einmal erklärt haben, nach Kuwait fahren zu wollen. Laut seinem Hotel ging er früh am 10. April mit der Bemerkung weg, er wolle in ein paar Tagen wieder zurück sein.

Glaubt man der amerikanischen Regierung, hat sich kein US-Sicherheitsdienst mehr um seine Aktivitäten oder sein Wohlergehen gekümmert, bis sein Verschwinden offensichtlich wurde. Auf mehrere Fragen, die sich aufdrängen, hat es bisher keine befriedigenden Antworten gegeben. Wurde Berg im Irak vom amerikanischen Geheimdienst überwacht? Warum wurde er verhaftet und auf wessen Befehl hin? Stand er unter Beobachtung, nachdem er am 6. April freigelassen worden war? Wenn ja, wie konnte er dann mitten in Bagdad entführt werden?

Während der letzten Woche hat Bergs Vater Michael immer wieder die Bush-Regierung beschuldigt, mitverantwortlich für den Tod seines Sohnes zu sein. Am Dienstag sagte er dem Radiosender WBUR: "Was meinen Sohn das Leben gekostet hat ist die Tatsache, dass die US-Regierung ihn einfach 13 Tage ohne jedes faire Verfahren oder Bürgerrechte eingesperrt und ihn dann wieder freigelassen hat, wie es ihr gerade passte. Es geht nicht nur um Donald Rumsfeld. Es ist dieser ganze Patriot Act, die ganze Stimmung in diesem Land, dass Grundrechte nichts mehr zählen, weil es Terroristen gibt. Meiner Meinung nach ist,Terrorist' nur ein anderes Wort für,Kommunist' oder,Hexe', und es ist eine Hexenjagd, was hier stattfindet. Diese ganze Bush-Regierung steht für etwas, was nicht Amerika ist."

Gestern erklärte er gegenüber Radio Philadelphia: "Mein Sohn ist für die Sünden von George Bush und Donald Rumsfeld gestorben. Diese Regierung hat das getan." Er hat auch verlangt zu erfahren ob "es wahr ist, dass al-Qaida angeboten hat, das Leben meines Sohnes gegen eine andere Person einzutauschen", wie es in dem Video von Nick Bergs Mördern behauptet worden war.

Die von Michael Berg aufgeworfenen Fragen unterstreichen die Tatsache, dass die US-Regierung im besten Fall die Bedingungen geschaffen hat, unter denen sein Sohn von Extremisten entführt und ermordet werden konnte.

Die schlimmere Möglichkeit, die sich aus allem bisher Bekannten ergibt, besteht darin, dass Bergs Verschwinden und anschließende Ermordung das Werk von US-Geheimdiensten oder proamerikanischer irakischer Gruppen war. Einen Monat nach seiner Entführung wurde Berg im für die US-Regierung günstigsten Moment ermordet.

Wer die Annahme für undenkbar oder unerhört hält, die amerikanische Regierung könne um des eigenen politischen Vorteils willen der Ermordung eines ihrer Bürger zustimmen, unterschätzt die politische Situation gewaltig.

Die Bush-Regierung und Elemente der amerikanischen Militärführung sind ebenso wie führende Leute aus den Massenmedien und der Wirtschaft Kriegsverbrecher, die auf die Anklagebank gehören. Sie haben einen verbrecherischen Krieg angeordnet, organisiert, propagiert oder davon profitiert, in unverhohlenem Bruch internationalen Rechts. Das Jahr seit der US-geführten Invasion des Irak hat sich durch weitere Kriegsverbrechen und Gräueltaten ausgezeichnet. Für bedeutende Teile der amerikanischen herrschenden Klasse hängt alles davon ab zu verhindern, dass die Opposition gegen die Besetzung des Irak in der amerikanischen und internationalen Arbeiterklasse in eine bewusste Bewegung für politische und soziale Veränderung mündet. Ihnen hätte das Leben des 26jährigen Nick Berg überhaupt nichts bedeutet.

Loading