Nein zur Europäischen Union - Ja zu den Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

Der britische Premierminister Tony Blair hat mit dem Referendum zur geplanten EU-Verfassung eine Kehrtwende vollzogen und dadurch eine politische Krise in Großbritannien und Europa ausgelöst.

Nachdem er noch drei Wochen zuvor eine solche Abstimmung verworfen hatte, verkündete Blair seinen Entschluss am 19. April direkt nach seiner Rückkehr aus Washington, ohne Rücksprache mit seinem Kabinett zu halten. Dies stellte den Versuch einer geschwächten Regierung dar, rechte Kritiker zu besänftigen. Blair war damit konfrontiert, dass ihm Rupert Murdochs Medienimperium die Unterstützung entziehen könnte und die Konservativen die Forderung nach einem Referendum in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes zu den Kommunal- und Europaparlamentswahlen am 10. Juni dieses Jahres und den britischen Parlamentswahlen im kommenden Jahr machen wollten. Er akzeptierte daher ein Referendum prinzipiell, machte aber gleichzeitig klar, dass dies erst nach den Parlamentswahlen im nächsten Jahr stattfinden wird.

Blair hofft noch immer, die britische Bourgeoisie und seine Alliierten in Washington davon zu überzeugen, dass er bei der Gestaltung Europas in ihrem Interesse eine Schlüsselrolle spielen kann. Aber unabhängig von seinen Zielen droht Blairs Ankündigung die Konflikte auf die Spitze zu treiben, die er zu unterdrücken versucht hatte.

Es ist unbedingt notwendig, dass die Arbeiterklasse ihre eigene unabhängige Haltung zur grundlegenden Frage der europäischen Vereinigung findet.

Die europäische Bevölkerung hat jedes Recht, über die Geschicke des Kontinents zu entscheiden. Dies kann allerdings nicht durch ein Referendum geschehen, dessen politische Bedingungen von Blair und seinesgleichen festgelegt werden.

Die arbeitende Bevölkerung darf keiner der beiden Seiten in der offiziellen Debatte zur Europäischen Union Gehör schenken. Arbeiter können kein Interesse daran haben, irgendeinen Aspekt des EU-Projekts zu unterstützen, das gänzlich zu Gunsten der Großkonzerne und Banken durchgeführt wird. Daher muss die Arbeiterklasse in einem Referendum, das zu irgendeiner Frage der EU-Konsolidierung durchgeführt wird, mit "Nein" stimmen. Aber die arbeitende Bevölkerung muss ebenso unversöhnlich gegenüber dem offiziellen "Nein"-Lager auftreten, das von Teilen der Bourgeoisie dominiert wird, die genauso reaktionär und antidemokratisch sind wie die Führer der "Ja"-Kampagne.

Die Verantwortung für die fortschrittliche und notwendige Aufgabe, Europa zu einigen und die Zersplitterung des Kontinents in gegensätzliche Nationalstaaten zu überwinden, liegt bei der Arbeiterklasse. Dies verlangt die Entwicklung einer politischen Bewegung, die sich gegen alle Fraktionen des Kapitals sowie die von Marktkriterien bestimmten EU-Pläne stellt und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa eintritt.

Zunehmende Konflikte zwischen Europa und Amerika

Der wachsende Konflikt innerhalb der herrschenden Klasse über die europäische Integration birgt große Gefahren für die arbeitende Bevölkerung auf dem gesamten Kontinent. Im Zentrum der Spannungen stehen die eskalierenden Rivalitäten zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Großmächten. Großbritannien ist zum Brennpunkt dieses schwelenden globalen Konfliktes geworden und erlebt daher seine Austragung am direktesten.

Die Blair-Regierung hält überhaupt nichts von der Idee, dass das Wahlvolk eine demokratische Kontrolle ausüben sollte. Ebenso wie er gegen den erklärten Willen der Bevölkerungsmehrheit in den Irakkrieg gezogen ist, hätte Blair auch die EU-Verfassung abgesegnet, ohne die britische Bevölkerung nach ihrer Meinung zu fragen.

Konfrontiert mit der Aussicht auf eine konzertierte Kampagne der Murdoch-Presse trat er den Rückzug an, verärgerte damit seine europäischen Partner, die er nicht konsultiert hatte, und wurde in eine Auseinandersetzung gezogen, die er nie wollte.

Blair wird von den Ereignissen eher getrieben, als dass er sie gestaltet. Er versucht zu manövrieren, während seine Strategie, die er seit seiner Amtsübernahme vor sieben Jahren verfolgt hat, in Scherben liegt.

In der gesamten Nachkriegsperiode versuchte sich der britische Imperialismus eine eigene Weltrolle zu bewahren, indem er die amerikanische Hegemonie akzeptierte und sich selbst darauf stützte. Großbritannien bot sich Washington als vertrauenswürdigster Alliierter in Europa und auf Weltebene an und war dadurch in der Lage, das eigene Gewicht zu erhöhen und die eigene Stellung gegenüber den anderen europäischen Großmächten zu stärken. Blair versuchte, diese Strategie fortzusetzen, allerdings unter völlig veränderten internationalen Bedingungen. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und insbesondere seit der Machtübernahme der Bush-Regierung haben dominante Teile der amerikanischen Bourgeoisie mit der Kompromisspolitik gegenüber den europäischen Mächten und Japan gebrochen, die durch Institutionen wie die Vereinten Nationen und die NATO vermittelt worden war.

In einem verzweifelten Versuch, seine Wirtschaftskrise zu überwinden, versucht der amerikanische Imperialismus die Welt neu zu organisieren und unter die eigene, unangefochtene Vorherrschaft zu stellen. Dies geht einher mit einer Explosion militärischer Eroberung, die sich nicht nur gegen schwächere Länder wie den Irak sondern auch gegen die großen imperialistischen Rivalen Amerikas richtet.

Blairs Strategie beruhte darauf, mit diesem Ausbruch der amerikanischen Aggression einherzugehen, selbst auf die Gefahr hin sich von seinen europäischen Partnern zu entfernen, wie es im Falle des Irakkriegs geschah. Dennoch war er der Auffassung, dass diese Haltung vollkommen vereinbar war mit seinem Vorhaben, Großbritannien zum "Herzstück Europas" zu machen. Er behauptete, eine Brücke zwischen den Vereinigten Staaten und Europa darzustellen und einen vermittelnden Einfluss auf den amerikanischen Unilaterismus auszuüben.

Blair kalkulierte, dass die britische Beteiligung am EU-Projekt sowohl notwendig als auch wünschenswert sei. Er hoffte, mit Hilfe des amerikanischen Einflusses der Dominanz Deutschlands und Frankreichs entgegensteuern und sicherstellen zu können, dass sich Europa als lose Freihandelszone entwickelt, die nicht im Widerspruch zur transatlantischen Allianz steht. Großbritannien präsentierte sich in Washington als vertrauenswürdigster Alliierter in Europa.

Seitdem er einem Referendum zugestimmt hat, verteidigt Blair die britische Rolle in Europa und stellt sich damit der strikt antieuropäischen Position der Konservativen entgegen. Gleichzeitig präsentiert er sich als entschlossener Verteidiger britischer Souveränität und der transatlantischen Allianz. Seine Vision von Europa besteht in einem deregulierten Kontinent, der von allen teuren Wohlfahrtsmodellen befreit und offen für amerikanischen Einfluss ist.

Blair argumentiert, das Großbritannien die neuen osteuropäischen Mitgliedsstaaten in einer proamerikanischen Kampagne führen kann, um den Kontinent neu zu gestalten. Am 30. April sagte er der Times, einem Presseerzeugnis des Murdoch-Imperiums: "Die Erweiterung sollte zu einer Stärkung der liberalen Wirtschaftspolitik und der Allianz mit den Vereinigten Staaten führen."

Er argumentierte, dass die osteuropäischen Staaten "die gleiche Vision hinsichtlich der zukünftigen Richtung Europas teilen", denn sie seien "entschlossen, die Unabhängigkeit innerhalb der EU zu bewahren", glaubten an eine "liberale, auf Wettbewerb ausgerichtete Wirtschaft" und - sein vielleicht wichtigstes Argument - sie seien "sich der Rolle der Vereinigten Staaten bei der Erringung ihrer Freiheit sehr bewusst und entschlossen, diese Partnerschaft auch in der EU beizubehalten".

Blairs Europavision spiegelt die Bemühungen Washingtons, den Einfluss Frankreichs und Deutschlands einzuschränken und Amerikas Rolle als europäische Macht zu festigen. Ähnlich wie US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld spielt er daher das "neue Europa" im Kampf gegen das "alte Europa" aus.

Blairs Appell zeigt, in welchem Ausmaß führende Kreise in Washington mit Amerikas alter Europapolitik gebrochen haben, die eine Unterstützung der europäischen Integrationsbemühungen gegen die Ausweitung des sowjetischen Einflusses beinhaltete. Stattdessen bemühen sich die Vereinigten Staaten heute darum, die politischen Gräben in Europa zu bewahren und zu vertiefen, damit ihnen mit einem geeinten Europa kein Rivale erwächst. Sollte Blair die gewünschte Unterstützung der britischen und amerikanischen Bourgeoisie erhalten, würde dies die Spannungen und Gegensätze zwischen den imperialistischen Mächten langfristig keineswegs abschwächen.

Die Folgen der Irakkrise

Die Spannungen zwischen Europa und Amerika sowie innerhalb Europas, die zur Zeit der Invasion im Irak offenkundig waren, haben sich angesichts der Schwierigkeiten der Besatzungstruppen unter US-Führung noch weiter verschärft.

Der wachsende irakische Widerstand, mit dem amerikanische und britische Truppen konfrontiert sind, wie auch der sich ausweitende Skandal wegen Folter und Menschenrechtsverletzungen bedeuten nicht, dass Washington den Rückzug antritt. Die Bush-Regierung ist entschlossen, sich den Mittleren und Nahen Osten zu unterwerfen, und kann sich dabei auf die volle Unterstützung der Demokratischen Partei verlassen. Die Vereinigten Staaten verlangen von Großbritannien, dass Tausende weiterer Soldaten entsandt werden. Von den europäischen Mächten und den Vereinten Nationen wird erwartet, dass sie die so genannten "Übergabe der Souveränität" an das Marionettenregime von Washingtons Gnaden am 30. Juni unterstützen.

In Europa schwindet jedoch die Bereitschaft, in etwas verwickelt zu werden, was zu einem zweiten Vietnam werden könnte. Dieser wachsende Widerwille gegenüber einer Beteiligung steigerte sich noch dadurch, dass die spanische Regierung unter José María Aznar, ein wichtiger europäischer Verbündeter Washingtons, aufgrund der weit verbreiteten Antikriegsstimmung zu Fall gebracht wurde.

Als die neu gewählte sozialdemokratische Regierung Spaniens erklärte, sie würde die spanischen Soldaten aus dem Irak zurückziehen, rief dies wütende Reaktionen und Beschimpfungen in den amerikanischen Medien hervor, die die spanische Bevölkerung als "Feiglinge" verleumdeten und ihr vorwarfen, "vor dem Terrorismus zu kapitulieren".

An jeder Front reagieren die Vereinigten Staaten auf ihre Krise mit einer rücksichtslosen Offensive. Im Irak haben sie die gewaltsame Unterdrückung der Zivilbevölkerung noch verstärkt. George W. Bush tut noch nicht einmal mehr so, als würde er im israelisch-palästinensischen Konflikt unparteiisch sein: Er hat die so genannten "Road Map", das gemeinsam mit der EU ausgehandelten Friedensabkommen, über Bord geworfen und seine Unterstützung für den Plan des israelischen Premierministers Ariel Scharon kundgetan, nach dem der größte Teil des Westjordanlandes an Israel gehen soll.

Ein solches Vorgehen kann Blairs Schwierigkeiten nur vergrößern, aber dieser ist entschlossen, seine Allianz mit Washington um jeden Preis aufrecht zu erhalten. Blair handelt als politischer Lakai einer Finanzoligarchie, deren wohl bekanntester Vertreter Murdoch ist. Diese Schicht betrachtet den Handel mit Europa als lediglich eine Interessenssphäre, die der Ausbeutung der weltweiten Ressourcen untergeordnet ist. Die amerikanische Militärmacht ist für sie der wichtigste Garant, um den Planeten erfolgreich plündern zu können, und das amerikanische Wirtschaftsmodell, das sich durch Deregulierung und das Fehlen sozialer Sicherungssysteme auszeichnet, ein Vorbild für die gesellschaftlichen Beziehungen in aller Welt.

Sofern diese herrschende Schicht ein bestimmtes Interesse des britischen Imperialismus vertritt, liegt es in der Stärke des Landes als Finanzmacht: Großbritannien ist der wichtigste ausländische Investor in den Vereinigten Staaten, eine sichere Steueroase und das Pfund stellt eine Alternative zum Dollar dar. Darüber hinaus hegt auch Großbritannien globale geopolitische Interessen. Das Land kann es sich nicht leisten im Abseits zu stehen, wenn die Welt unter US-Führung neu aufgeteilt wird - ganz besonders dann nicht, wenn es um die Neuordnung von Einflusssphären im ölreichen arabischen und kaukasischen Raum geht.

Hier liegen die Gründe für die Dominanz proamerikanischer Kräfte in der britischen Bourgeoisie. Sie betrachten die zunehmende Homogenität des europäischen Kapitals als politische Bedrohung. Die einzigen Aspekte der EU-Agenda, die sie bereitwillig unterstützen, sind Maßnahmen zur Befreiung des Kapitalflusses von sämtlichen Restriktionen und zur Deregulierung der Arbeitsmärkte, so dass eine maximale Ausbeutung der Arbeiterklasse möglich wird. Sie sind für den gemeinsamen Binnenmarkt, aber gleichzeitig für ein politisch gespaltenes Europa. Wenn Blair ihnen dies nicht bieten kann, das haben sie deutlich gemacht, werden sie ihn fallen lassen und stattdessen die Tories unterstützen.

Aus diesem Grund hat Blair entschlossen alle Angriffe auf seine Allianz mit Washington zurückgewiesen und seinen Sprecher erklären lassen: "Es gibt offensichtlich den Wunsch, der sich in den Medien spiegelt, einen Graben zwischen uns und den Vereinigten Staaten entstehen zu lassen. Wir werden dies nicht zulassen."

Blair kann nichts machen, was den Interessen der Oligarchen zuwiderläuft, weil er über keine gesellschaftliche Basis für seine Politik verfügt. Seine Bereitschaft, die Forderungen der Superreichen zur Regierungspolitik zu machen, hat dazu geführt, dass seine Regierung von der großen Masse der arbeitenden Bevölkerung vollkommen isoliert ist.

Im dem Maße, wie sich die Situation im Irak verschlimmert und Blair immer unpopulärer wird, haben selbst seine kriecherischsten Unterstützer angefangen, offen die Klugheit seiner Strategie und seine Zukunft als Premierminister in Frage zu stellen. Berichten zufolge sind nur wenige Minister bereit, Blair als Parteiführer zu unterstützen, wenn die Labour Party noch einmal die Wahlen gewinnen sollte, und einige wollen sich angeblich noch vor den Wahlen im nächsten Jahr gegen ihn stellen. Im Guardian, der normalerweise eifrig Blairs Politik verteidigt, schrieb Polly Toynbee: "Nirgendwo am Horizont sind gute Neuigkeiten zu entdecken. Nicht im Irak, in Amerika oder Europa. [...] Wenn Blair eine der bösen Fragen anspricht, scheint er mehr Teil des Problems als der Lösung zu sein."

Die Reaktion Europas

Unter Blairs Kritikern herrscht die Überzeugung, dass er die Interessen Großbritanniens aufs Spiel gesetzt hat, indem er sich zu stark an die Bush-Regierung gebunden hat. Nach Auffassung Vieler ist es nun von zentraler Bedeutung, dass der Premierminister sich von Washington distanziert und dem amerikanischen Unilateralismus dadurch etwas entgegensetzt, dass er sich der kritischeren Haltung Deutschlands, Frankreichs und jetzt auch Spaniens anschließt.

Obwohl dieser Wunsch nach Richtungswechsel mit Nachdruck vorgetragen wird, haftet ihm etwas Ohnmächtiges und Verzweifeltes an. Diejenigen, die einer engeren Anbindung an Europa das Wort reden, wollen damit lediglich die schlimmsten Exzesse der US-Regierung abmildern und zügeln. Wenige glauben, dass durch eine Allianz mit Europa mehr zu erreichen ist, denn Amerika bleibt nicht nur die überlegene Militärmacht sondern von Seiten Europas fehlt auch die Fähigkeit und Bereitschaft, die Hegemonie Washingtons in Frage zu stellen. Alle, die die Absetzung Blairs in Betracht ziehen, sind sich praktisch einig, dass allein Finanzminister Gordon Brown seinen Platz einnehmen kann. Dieser hat reagiert, indem in Stellungnahmen seine euroskeptische Haltung hervorgekehrt und verschiedene Treffen mit Murdoch abgehalten hat.

Bis heute hat die europäische Bourgeoisie auf die unilateralistische Wende der Vereinigten Staaten reagiert, indem sie eine Form der Einigung sucht und anstrebt. Die EU hat der Offensive von Bush und Scharon hinsichtlich des Westjordanlandes ihre Rückendeckung gegeben und versucht aktiv, durch die Vereinten Nationen eine Übereinkunft zum Irak zu erreichen. Blair ist lediglich derjenige, der am konstantesten alle Bedenken bezüglich des amerikanischen Militarismus beschwichtigt hat. Europa deckt gemeinsam mit Japan und China die gewaltigen Schulden der USA - und hat deswegen noch nie mit Disziplinarmaßnahmen gedroht oder einen Ausgleich gefordert.

Dies stellt die europäische Bourgeoisie vor ein strategisches Dilemma. Jedes Nachgeben gegenüber Washington erhöht das Verlangen nach mehr von Seiten der Vereinigten Staaten. Die einzige Alternative zur kompletten Unterwerfung, die sich der europäischen Bourgeoisie bietet, besteht in der Integration des Kontinents und dem Aufbau eigener militärischer Kapazitäten.

Der EU-Verfassungsentwurf stellt eben einen solchen Versuch dar, Europa als vereinigte ökonomische, politische und militärische Macht den Vereinigten Staaten entgegenzustellen. Nach dem Entwurf wird der EU die "ausschließliche Zuständigkeit" über die Währungspolitik in der Eurozone gegeben und die Rolle zugeschrieben, die Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik festzulegen. Dies wäre ein Mittel für gewaltige Angriffe auf die verbliebenen Sozialsysteme, um Steuererleichterungen oder andere Anreize für die Wirtschaft zu schaffen.

Auf der internationalen Ebene zielt der Verfassungsentwurf darauf, der EU die Hoheit zu verleihen über "alle Bereiche der Außenpolitik und alle Fragen in Bezug auf die Sicherheit der Union, darunter die fortschreitende Entwicklung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann". Dies ist ein unmissverständlicher Versuch, Europa als eine von den Vereinigten Staaten und der NATO unabhängige Militärmacht zu etablieren, die über eigene Kommandostrukturen verfügt.

Hieraus erklärt sich, warum Blair und Brown darauf bestehen, dass sie keinen Vertrag unterschreiben, der einzelnen Nationen das Vetorecht in Fragen der Steuer- und Finanzpolitik verweigert und einen bestimmenden Einfluss der EU auf die Außen-, Sozial- und Verteidigungspolitik festlegt. Sollten Deutschland und Frankreich diesen Forderungen nachgeben, würde dies die EU-Verfassung aushöhlen. Daher reagierten Paris und Berlin mit Ärger auf Blairs Entscheidung, ein Referendum durchzuführen. Noch vor seiner Wende wurde die Möglichkeit eines Europas der zwei Geschwindigkeiten diskutiert - eine europäische Version der "Koalition der Willigen" unter deutscher und französischer Führung, die jene Staaten ausschließen würde, die die Verfassung nicht unterzeichnen. Nach einem Treffen mit Blair sprach der französische Präsident Jacques Chirac von der Möglichkeit, eine Ausstiegsklausel in die Verfassung aufzunehmen

Es ist fragwürdig, wie weit die europäische Bourgeoisie einen Kurs verfolgen wird, der sie in direkten Konflikt mit den Vereinigten Staaten zu bringen droht. Letztendlich versucht sie ihr eigenes Gewicht am Verhandlungstisch zu erhöhen und sich einen größeren Anteil bei der Aufteilung der Weltmärkte und Ressourcen zu sichern.

Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

Die einzige Grundlage, um der von Washington an vorderster Front vertretene Politik des Militarismus und der kolonialen Eroberungen etwas entgegenzusetzen und um soziale Errungenschaften und demokratische Rechte zu verteidigen, besteht in einer gemeinsamen Offensive der europäischen Arbeiterklasse.

Alle Teile der Bourgeoisie haben das eine gemeinsame Ziel, den Lebensstandard und die demokratischen Rechte der arbeitenden Bevölkerung zu zerstören. Die lautesten Befürworter der EU und ihre schärfsten Kritiker innerhalb der herrschenden Eliten sind sich darin einig, dass die immer noch relativ umfassenden Sozialsysteme in Europa abgebaut, der öffentliche Sektor privatisiert und alle Beschränkungen für transnationale Konzerne beseitigt werden müssen.

Dies veranlasst Kanzler Gerhard Schröder, mit der Agenda 2010 die gesamte Wirtschafts- und Sozialpolitik in Deutschland umzuorganisieren. Bestrebungen in ganz Europa, die Renten und andere Sozialleistungen zusammenzustreichen, haben bereits zu Massenprotesten geführt.

Der Beitritt der osteuropäischen Länder - wo die Löhne nur etwa ein Fünftel des westeuropäischen Niveaus aufweisen, sozialstaatliche Leistung praktisch nicht existieren und die Unternehmenssteuern auf ein Minimum gedrückt sind - wird benutzt, um die Löhne und Bedingungen in ganz Europa zu senken. Der Beitritt wird eine konzertierte Offensive der Regierungen und Großkonzerne einläuten, die mit Verlagerung des Standortes drohen, wenn nicht Lohnverzicht, höheres Arbeitstempo und Arbeitsplatzabbau hingenommen werden. Der arbeitenden Bevölkerung in den ehemals stalinistisch regierten Ländern wird es nicht besser gehen, stattdessen werden die Bedingungen im Westen nach unten angeglichen.

Die Arbeiter in Großbritannien müssen sich entschieden dagegen wehren, dass Zwietracht zwischen ihnen und der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland, Frankreich und allen anderen europäischen Ländern gesät wird. Die EU-Gegner in der Bourgeoisie versuchen ihr Programm unter dem Deckmantel der Demokratie und mit patriotischen Phrasen zu verkaufen, um die arbeitende Bevölkerung zu täuschen und zu desorientieren. Und sie haben einigermaßen Erfolg dabei, den berechtigten Groll gegen die undemokratischen Strukturen der EU zu manipulieren - besonders unter Bedingungen, wo die Einführung des Euro überall mit massiven Preissteigerungen verbunden war. Aber ihr Weg führt nicht zur Demokratie sondern zu Krieg und Unterdrückung im Bündnis mit Washington und zu Gunsten einer habgierigen Oligarchie.

Es wäre ebenso falsch, der EU Vertrauen zu schenken und zu glauben, dass sie eine fortschrittliche Alternative darstellt oder gar den US-Militäraggressionen oder dem Modell des freien Marktes, das mit dem amerikanischen Kapitalismus verbunden wird, etwas entgegenzusetzen hätte.

Die europäische Vereinigung ist nicht einfach der objektive Prozess, der einer wirtschaftlichen Logik entspringt, wie es von der Mehrheit der Regierungen und Medien auf dem Kontinent dargestellt wird. Von Beginn an wurde das EU-Projekt von den wirtschaftlichen und politischen Anforderungen eines dominanten Teils der europäischen Bourgeoisie bestimmt. Unter den Bedingungen eines relativen sozialen Friedens im Innern und eines freundschaftlichen Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten, die die Nachkriegsperiode prägten, wurde dieses Projekt als gutartig und fortschrittlich dargestellt - als ein Mittel, um die schrecklichen nationalen Differenzen zu überwinden, die Europa zweimal in den totalen Krieg geführt hatten, und als ein Instrument, um über die Schaffung eines großen, effizienten Binnenmarktes die wirtschaftliche Entwicklung und damit das umfassende soziale Netz Europas zu sichern.

Heute scheint dies einer fernen Vergangenheit anzugehören. Unter den Bedingungen des Kapitalismus bedeutet die europäische Vereinigung, dass der Kontinent von den stärksten imperialistischen Mächten dominiert wird. Ihr Ziel besteht immer noch darin, einen großen Binnenmarkt zu schaffen, aber einen mit einem reichlichen Vorrat an billigen Arbeitskräften und ohne teure Sozialleistungen, der den Großkonzernen die unbegrenzte Ausbeutung der europäischen Bevölkerung ermöglicht.

Wenn die alten Bekenntnisse zu einem "sozialen Europa" hohl klingen, so verhält es sich nicht anders mit der Behauptung der europäischen Mächte, eine rein defensive Militärpolitik im Rahmen der NATO und der Vereinten Nationen zu verfolgen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat nicht für ein Schwinden des Militarismus gesorgt, sondern gerade das Gegenteil bewirkt. Die pazifistische Rhetorik ist verstummt und stattdessen stärkt Europa seine eigenen militärischen Kapazitäten, um zumindest die Rolle eines Juniorpartners der Vereinigten Staaten einnehmen zu können, wenn die Weltbevölkerung erneut einer quasi-kolonialistischen Ausbeutung und Unterdrückung unterworfen wird.

Das einzige Mittel, um Europa auf fortschrittliche und harmonische Weise zu vereinigen - und um den Kontinent tatsächlich zu einem mächtigen Widersacher des amerikanischen Imperialismus zu machen - ist eine Vereinigung von unten. Die Alternative zum Europa der Großkonzerne und Banken ist nicht die Rückkehr zur nationalen Isolation sondern die Schaffung einer politischen Bewegung für ein Europa, das nach den grundlegenden sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der Arbeiterklasse ausgerichtet ist und auf einer revolutionären sozialistischen Politik beruht.

Die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa sind die einzige mögliche Alternative zu der schrecklichen Aussicht auf weitere koloniale Eroberungskriege, soziale Verheerungen und rechte Reaktion, mit der die europäische und amerikanische Bourgeoisie drohen.

Bittere Erfahrung hat bewiesen, dass eine Opposition gegen das Kriegstreiben der Vereinigten Staaten nur im Gegensatz zu den europäischen Regierungen und Institutionen entwickelt werden kann, die ihre eigenen räuberischen Ziele und militärischen Ambitionen hegen. Die europäische Arbeiterklasse muss ihre Kräfte vereinigen und erkennen, dass es unvereinbare Interessensgegensätze zwischen der arbeitenden Bevölkerung Europas und Amerikas auf der einen und der europäischen und amerikanischen Bourgeoisie auf der anderen Seite gibt.

Um für diese sozialistische und internationalistische Perspektive zu kämpfen, braucht die arbeitende Bevölkerung eine neue Führung. Die Socialist Equality Party in Großbritannien und unsere Schwesterorganisation in Deutschland, die Partei für Soziale Gleichheit, haben sich die Aufgabe gesetzt, eine solche Führung in ganz Europa aufzubauen, als Sektion des Internationalen Komitees des Vierten Internationale. Wir fordern alle unsere Leser auf, auf der Basis dieser Perspektive den Wahlkampf der PSG zu den Europaparlamentswahlen zu unterstützen.

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