Wahlen in Indien

Regierungspartei BJP reagiert auf schlechte Umfragewerte mit einer chauvinistischen Kampagne

Die Bharatiya Janata Party (BJP), die stärkste Partei in der indischen Regierungskoalition National Democratic Alliance (NDA), hat auf eine Welle unvorteilhafter Umfrageergebnisse während der mehrwöchigen Parlamentswahlen reagiert, indem sie verstärkt hindu-chauvinistische Töne anschlägt. Den Regierungschefs der Bundesstaaten Gujurat und Madhya Pradesh, Narendra Modi und Uma Bharti - die für ihre üble Rolle bei der Anstiftung antimuslimischer Ausschreitungen bekannt sind - wurde eine prominentere Rolle im Wahlkampf der BJP gegeben, insbesondere im Schlüsselstaat Uttar Pradesh. Gleichzeitig soll die Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), eine fragwürdige nationalistische Hindu-Organisation und Miliz, aus der sich ein Großteil des BJP-Kaders rekrutiert, angeblich die direkte Kontrolle über den Wahlkampf der BJP übernommen haben.

Nach den jüngsten Umfrageergebnissen wird die NDA bestenfalls eine knappe Mehrheit der 545 Sitze in der Lok Sabha gewinnen. Noch wahrscheinlicher ist, dass sie die Marke von 273 Sitzen verfehlen wird. Sollte die NDA die Parlamentsmehrheit nur um etwa ein Dutzend Sitze verfehlen, wird sie sich vermutlich zumindest kurzfristig weiter an der Macht halten können. Doch je weiter die NDA unter die Marke von 260 Sitzen fällt, desto wahrscheinlicher ist eine parlamentarische Pattsituation. Da der oppositionellen Parteienallianz unter Leitung der Kongresspartei, die traditionell die Regierung in Indien gestellt hat, keine Chancen gegeben werden, mehr Sitze als die NDA zu erhalten, würde verschiedenen Regional- und Kastenparteien die Rolle des Züngleins an der Waage zufallen. Falls es zu einem parlamentarischen Patt kommt, würde erst eine hektische und wahrscheinlich längere Phase des Verhandelns und Feilschens eine neue Parteienkombination entstehen lassen, die die Regierung übernehmen könnte - eine Regierung, die sowohl von der BJP als auch vom Kongress oder sogar keiner der beiden großen Parteien geführt würde und deren Schicksal von Beginn an am seidenen Faden hinge.

Die BJP hatte die Wahlen vorgezogen, die planmäßig im Herbst hätten stattfinden sollen. Sie hatte darauf spekuliert, Vorteile aus den jüngsten Annäherungen an Pakistan, dem Durcheinander in den Reihen der Kongresspartei und dem Wirtschaftsaufschwung ziehen zu können, der durch vermehrte ausländische Investitionen und eine Rekordernte im vergangenen Jahr angekurbelt wurde.

Um sich weiterhin die starke Unterstützung der Großindustrie und Geschäftswelt zu sichern, hatte die BJP ursprünglich ihren Wahlkampf auf das Versprechen weiterer wirtschaftlicher Entwicklung ausgerichtet - d.h. auf die Notwendigkeit weitergehender Deregulierung und Privatisierung - und ihre hindu-chauvinistische Propaganda gedämpft. Doch die Behauptung der BJP, dass Indien aufgrund der neoliberalen Politik der NDA-Regierung und seiner militärischen Stärke, einschließlich der Atomwaffen, bis zum Jahr 2020 zur Großmacht aufsteige, hat nur in den höchsten gesellschaftlichen Schichten eine Resonanz gefunden. Tatsächlich hat das Gerede der BJP vom "leuchtenden Indien" lediglich die Gleichgültigkeit der führenden Regierungspartei gegenüber dem Elend der großen Mehrheit von Indern hervorgehoben, für die die Privatisierung und Deregulierung der einst stark geschützten nationalen Wirtschaft Indiens zunehmende Armut und ökonomische Unsicherheit bedeutet.

Im Laufe des dreimonatigen Wahlkampfes haben die Umfrageergebnisse eine stetig sinkende Unterstützung für die BJP und ihre Bündnispartner in der NDA angezeigt. Um diese Entwicklung aufzuhalten, hat die BJP verstärkt ihre Hindutva, ihr Programm hinduistischer Überlegenheit, in den Vordergrund gerückt. Sowohl in der Erklärung der "Visionen" der BJP als auch im Wahlmanifest der NDA wird die so genannte Ayodhya-Frage hervorgehoben. (In den frühen 1990-er Jahren führte die BJP eine Kampagne für den Bau eines Tempels für den Hindugott Ram in Ayodhya, die in der Zerstörung der Babri Masjid Moschee und den wohl schlimmsten Ausschreitungen seit der Teilung des Subkontinents im Jahre 1947 resultierte.) Die BJP und NDA versprechen auch die Einführung von Gesetzen, die alle Menschen nicht-indischer Herkunft - beispielsweise die in Italien geboren, katholische Führerin der Kongresspartei Sonia Gandhi - daran hindern soll, ein öffentliches Amt zu besetzen.

Jetzt wendet sich die BJP Modi und Bharti zu, um die Teile ihrer hindu-chauvinistischen Basis zu mobilisieren, die durch das Abrücken von der antipakistanischen Rhetorik beunruhigt sind, und hofft, die Wut in der Bevölkerung über das Fehlen von Arbeitsplätzen und Perspektiven auf die Muslime und andere Minderheiten ablenken zu können. Als Landeschef von Gujurat spielte Modi eine wichtige Rolle dabei, die Unruhen im Februar/März 2002 in dem Bundesstaat auszulösen, bei denen 2.000 Muslime ums Leben kamen und Zehntausende obdachlos wurden. Bharti war eine Führungsfigur in der Ayodhya-Kampagne. "Um die Aussichten unserer Kandidaten zu verbessern", sagte ein BJP-Führungsmitglied gegenüber der Zeitung Hindu, "ist es von wesentlicher Bedeutung, für gute Wahlergebnisse zu sorgen. Damit dies passiert, müssen unsere Mitarbeiter von Haustür zu Haustür gehen und die Wähler überzeugen. Und Modi kann sie inspirieren, so dass sie alles geben."

Die Aussicht auf eine Minderheitsregierung und besonders die auf eine parlamentarische Pattsituation haben in Wirtschaftskreisen für Bestürzung gesorgt. Die Börse in Bombay verlor am 27. April 3,6 Prozent ihres Wertes - der schärfste Fall der vergangenen drei Jahre - nachdem Umfragen darauf hingedeutet hatten, dass die von der BJP geführte Regierungskoalition im nächsten Parlament keine Mehrheit erhalten würde.

Etwas kritischere bürgerliche Kommentatoren weisen darauf hin, dass alle Parteien - von der BJP und der Shiv Sena rechts außen bis hin zur stalinistischen Kommunistischen Partei Indiens und Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten) - die "Liberalisierung" der Wirtschaft unterstützt haben. Sie befürchten, dass das Gerangel um politische Vorteile unter der Vielzahl von Parteien zu einer schwachen Regierung führen wird, die zur Durchsetzung unpopulärer Maßnahmen unfähig ist. Wirtschaftskreise fordern schon seit einigen Jahren von der NDA, dass sie ihr Versprechen einer "Reform" der indischen Arbeitsgesetze umsetzt und auf diesem Wege Restriktionen abbaut und Entlassung sowie Fabrikschließungen einfacher macht.

Wie der Indian Express in einem Leitartikel am 30. April erklärte: "Die Sorge des Marktes besteht nicht darin, dass die BJP-Koalition von der Kongress-Koalition abgelöst werden könnte, sondern vielmehr darin, dass am Ende keine der nationalen Parteien irgendeine Koalition anführt. Deshalb ist die Versicherung des Sprechers der Kongresspartei Jairam Ramesh, die Partei habe drei reformfreundliche Ex-Finanzminister in ihren höchsten Rängen, in dieser Situation kaum von Bedeutung. [...] Wenn es keinen klaren Sieger gibt, kann der darauf folgende Kuhhandel dazu führen, dass ein Haufen unbedeutender politischer Figuren bestimmte Bereiche der Politik auf eine Weise beeinflusst, die Investoren, wenn nicht auch den Rest der Wahlbevölkerung schmerzen wird."

Die stalinistischen Parteien sind ihrerseits aktiv geworden und erwarten, eine Schlüsselrolle zu spielen, wenn es um die Bildung einer alternativen Regierungskoalition zur NDA geht.

Schon vor Beginn des Wahlkampfs haben die stalinistischen Parteien deutlich gemacht, dass ihr Hauptziel in einer Niederlage der von der BJP geführten Koalition besteht, dass sie die Kongresspartei als "säkularen" Verbündeten im Kampf gegen die BJP betrachten und dass sie bei entsprechender Sitzverteilung im Parlament mit ihren Stimmen eine vom Kongress geführte Regierung an die Macht bringen werden. Gleichzeitig versuchen die Stalinisten eine gewisse Distanz zur Kongresspartei zu bewahren - die in den drei Bundesstaaten, in denen sie am stärksten sind (Westbengalen, Tripula und Kerala), ihre Hauptgegnerin in den Wahlen ist - und behaupten daher, für eine "Dritte Front" der "säkularen" Parteien einzutreten.

Die Vereinigte Front - eine politische Vereinigung, die hauptsächlich von der KPI(M) initiiert worden war - regierte von 1996 bis 1998 in Neu Delhi, war allerdings von den Stimmen der Kongresspartei abhängig. Die KPI(M) übernahm selbst keinen Kabinettsposten in der Regierung der Vereinigten Front, obwohl dies von führenden Mitgliedern der Partei später bedauert wurde. Trotzdem war die KPI(M) die Macht hinter dem Thron und versorgte die Vereinigte Front mit einem Großteil ihres Programms und ihrer politischen Argumentation. Die Stalinisten behaupteten, die Vereinigte Front sei ein Bollwerk gegen die rechten Kräfte, aber tatsächlich führte sie eine ökonomische "Reform" im Sinne der Großunternehmen durch. Viele der regionalen Parteien, auf die sich die Vereinigte Front stützte und die von ihr als "säkular" gepriesen worden waren, wechselten nach den Wahlen 1998/1999 das Lager und versuchten ihr Glück mit der von der BJP geführten NDA.

Obwohl die Stalinisten wieder laut von der Schaffung einer "Dritten Front" tönen, sind die Aussichten gering, dass eine Dritte Front in der Lage sein wird, die Regierung zu stellen, selbst wenn einige ihrer aussichtsreichsten Mitglieder wie die Bhujan Samaj Party (die die ehemals Unberührbaren zu vertreten behauptet) und die Samajwadi (ein Überbleibsel der früheren Sozialistischen Partei, das in Uttar Pradesh regiert) ihre scharfen fraktionellen Rivalitäten überwinden können.

Die Dritte Front nützt den Stalinisten, ihre Behauptung zu unterfüttern, dass sie eine Alternative zur Kongresspartei darstellen - auch wenn sie ihre Unterstützung für eine Regierung unter Führung der Kongresspartei ankündigen - und weil sie möglicherweise ihre Position bei zukünftigen Verhandlungen mit dem Kongress stärkt. In dieser Hinsicht ist es bemerkenswert, dass der Generalsekretär der KPI(M) Harkishan Singh Surjeet, der die Verhandlungen unter den Parteien leitet, behauptet, der Kongress könne nach links gedrückt werden. Während viele bürgerliche Kommentatoren zugeben, dass die Haltung von BJP und Kongresspartei zu grundlegenden ökonomischen und geopolitischen Fragen praktisch identisch sind, sagte Surjeet gegenüber dem Hindu, "er spüre, auf Seiten der Kongresspartei würde man zu der Einsicht kommen, dass sie die alte Wirtschaftspolitik so nicht fortsetzen könne. Wenn der Kongress Teil einer säkularen Koalition würde, müsste er sich auch den Ansichten der anderen Parteien anpassen..."

Singh ist berüchtigt für seine politischen Hinterzimmermanöver. In einem humoristischen Kommentar in der indischen Presse heißt es: "In der dampfenden Küche der indischen Politik, wo keine Kombination unmöglich ist, spielt der 88-jährige bärtige Veteran der Marxisten die Rolle des Chefkochs, der rührt, mischt und Fingerspitzengefühl einsetzt, um einen Cocktail herzustellen."

Zweifellos ist die BJP ein bösartiger Feind der Arbeiterklasse, aber eine Opposition zur BJP kann sich nicht auf den Kongress oder eine andere kapitalistische Partei stützen. Im Gegenteil: Die Politik der Stalinisten, die die Arbeiterklasse seit Jahrzehnten im Namen des Antiimperialismus, des Antifeudalismus oder der Säkularisierung der einen oder anderen bürgerlichen Partei unterordnen, hat den politisch reaktionären Kreisen Auftrieb gegeben. Die Grundlage einer Gegenoffensive der arbeitenden Menschen muss heute mehr denn je die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse sein.

Siehe auch:
Das hinduistische Regime in Indien schürt kommunalen Hass gegen Muslims
(5. Oktober 2001)
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